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Georg Brandes, der Entdecker Nietzsches und kritische Europäer, nahm schon vor hundert Jahren kein Blatt vor den Mund. Er schrieb als einer der ersten über den türkischen Völkermord an den Armeniern, er berichtete wenig schmeichelhaft über die deutsche Hauptstadt Berlin und ihre autoritätshörigen Bewohner, er verteidigte, als Däne, konsequent die Rechte nationaler Minderheiten und der kleinen Länder gegenüber der Großmannsucht der großen europäischen Nationen. Den Ersten Weltkrieg ahnte er voraus, als noch niemand etwas davon wissen wollte, und als die Katastrophe da war, blieb Brandes ein…mehr

Produktbeschreibung
Georg Brandes, der Entdecker Nietzsches und kritische Europäer, nahm schon vor hundert Jahren kein Blatt vor den Mund. Er schrieb als einer der ersten über den türkischen Völkermord an den Armeniern, er berichtete wenig schmeichelhaft über die deutsche Hauptstadt Berlin und ihre autoritätshörigen Bewohner, er verteidigte, als Däne, konsequent die Rechte nationaler Minderheiten und der kleinen Länder gegenüber der Großmannsucht der großen europäischen Nationen. Den Ersten Weltkrieg ahnte er voraus, als noch niemand etwas davon wissen wollte, und als die Katastrophe da war, blieb Brandes ein stoischer Verteidiger des Alten Europa und kämpfte gegen seine Zerstörung danach. Artikel, Berichte, Aufsätze eines kritischen Europäers, und alles liest sich heute mit fröstelnder Bewunderung über so viel nüchtern kluge Weltsicht.
Autorenporträt
Georg Brandes, geboren 1844 in Kopenhagen, starb dort 1926. Der dänische Jude verkörpert in idealer Weise das, was Nietzsche einen "freien Geist" nannte. Er schrieb Dänisch, Schwedisch, Deutsch und Französisch, bereiste ganz Europa, lebte mehrere Jahre in Berlin. Für Schriftsteller wie Ibsen, Strindberg, Thomas Mann, Schnitzler, Hofmannsthal und ihre Generation war er Kulturvermittler, Denker, Vaterfigur in einem. Seine politische Publizistik machte ihn zu einer gefürchteten und geachteten Autorität. Sie erscheint hier erstmals auf Deutsch in einer repräsentativen Auswahl.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2007

Wenn er kein Priester der Wahrheit ist, werft ihn auf den Misthaufen
Gegen allen Zwang auf dem Gebiet der Handlungen wie auf dem der Empfindungen: Der Kritiker Georg Brandes und das politische Feuilleton
Ein verbreitetes Missverständnis lautet, das sogenannte „politische Feuilleton” sei irgendwann in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, zwischen Historikerstreit und Wiedervereinigung, in Frankfurt am Main erfunden worden. Aber nicht nur war beispielsweise der Kulturteil der Wochenzeitung Die Zeit schon in den sechziger Jahren von gesellschaftspolitischen Debatten geprägt; die Verbindung von ästhetischen, historischen und politischen Themen hat vielmehr in der gebildeten Publizistik eine weitaus ältere Tradition, die nicht zuletzt von Frankreich und Großbritannien ausging. Nun lässt sich in handlicher Weise in Erinnerung rufen, wie sich diese Tradition in der Figur eines europäischen Großkritikers wie Georg Brandes mit großer Leidenschaft und Wirkung fortsetzte.
Der Däne Brandes hinterließ, als er 1927 starb, dicke Bücher über Shakespeare, Goethe, Voltaire, Julius Cäsar und Michelangelo, um nur diese zu nennen. Er war mit viel beachteten literaturgeschichtlichen Vorlesungen, ab 1871 in Kopenhagen gehalten, bekannt geworden – sie wurden kurz danach auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht –, er hatte seinerseits unter der Überschrift „aristokratischer Radikalismus” zum Bekanntwerden Friedrich Nietzsches beigetragen, hatte ausführlich mit Arthur Schnitzler korrespondiert und neben Buchbesprechungen auch Theaterkritiken geschrieben, in denen er sich intensiv mit der Deutung von Dramen und ihrer Inszenierung auseinandersetzte.
Derselbe Georg Brandes nun, jüdischer Abstammung, aber nicht jüdischen Glaubens, war ein eifriger politischer Autor und publizistischer Aktivist. Für ihn war der „moderne Aufbruch”, mit dem man nach seiner Formulierung bis heute seine Epoche der dänischen Geschichte bezeichnet, für ihn war der emanzipatorische Auftrag gar nicht von den künstlerischen Gegenständen zu trennen. So, wie es ihm in seiner Literaturgeschichtsschreibung nicht bloß um Ästhetik, sondern um eine gesellschaftliche Geistesbewegung der Freiheit und des Naturalismus ging, so wollte Georg Brandes umgekehrt der kritischen Kommentierung der Tagespolitik mit Kultur, Geschichte und Literatur Einsicht und Tiefe verleihen.
Nicht alle Berge sind gewichen
Auf diese Weise suchte Brandes, wie er im Vorwort seiner Gesammelten Schriften schreibt, allen „Zwang auf dem Gebiet der Handlungen wie auf dem der Empfindungen” beseitigen zu helfen. Und für dieses kritische Geschäft standen ihm, auch für politische Themen, neben vielen anderen Blättern die Meinungsspalten im Kulturteil der Tageszeitung Politiken zur Verfügung, die sein Bruder Edward Brandes, später dänischer Finanzminister, 1884 gründete.
„Wenn er nicht der geweihte Priester der Wahrheit ist”, schreibt Brandes über die Aufgabe des Kritikers, „kann man ihn ebensogut auf einen Misthaufen werfen.” Keine Bescheidenheit kennzeichnet, zumindest vor dem Ersten Weltkrieg, Brandes’ Glauben an die Macht des aufklärenden Schreibens – in seinem emphatischen Nachruf auf Charles-Augustin Sainte-Beuve heißt es 1869: „Denn es ist die Kritik, die Berge versetzt, alle Berge der Autorität, der Vorurteile, der toten Überlieferung.” Gegen Ende seines Lebens musste Brandes sich indes gegenwärtigen, dass all seinen Angriffen auf Nationalismus und Konvention, auf Servilität und Militarismus zum Trotz die großen finsteren Berge unverrückt, ja sogar gewachsen waren.
Düster war seine Bilanz am Ende des Krieges, wie auch seine Prophezeiung in einem 1916 formulierten pazifistischen Appell: „Der Krieg sollte am liebsten ohne allzu harte Demütigung für jede der kämpfenden Parteien endigen. Sonst wird der Gedemütigte bloß über den nächsten Krieg brüten.”
Diese und weitere Texte, die Brandes zu seinen „polemischen Schriften” rechnete, sind jetzt in einer jener Leseausgaben zusammengestellt, die der junge Berenberg Verlag Trouvaillen und weniger Bekanntem widmet. In derselben Ausstattung war bereits Brandes’ Nietzsche-Essay neu erschienen (SZ vom 26. November 2004). Einige der ehemaligen Zeitungsartikel – die Brandes für seine Gesamtausgabe immer noch überarbeitete – sind Peter Urban-Halles Übertragung von Brandes’ Aufzeichnungen aus fünf Jahren im wilhelminischen Berlin (1989) entnommen, die übrigen wurden von Hanns Grössel neu und flüssig übersetzt und mit knappen Einleitungen versehen.
Es ist zugleich unterhaltsam und bewegend zu lesen, wie dieser zupackende und geistreiche Stilist und gelegentlich rücksichtslose Gegner die „Hunnenrede” des deutschen Kaisers auslegt; wie er das europäische Machtgefüge analysiert; wie er den Zionismus zunächst verdammt, weil das Judentum keine Nation, sondern eine Religion sei, um dann 1917/18 milder zu urteilen: die Suche nach einem eigenen Staat sei wohl doch verständlich, denn „der Judenhass ist überall mächtig angeschwollen”; und wie er in einer bereits 1903 in der Berliner Philharmonie gehaltenen Rede den begonnenen Völkermord an den Armeniern geißelt: „Das Blut von Hunderttausenden schreit zum Himmel.”
Und obschon Georg Brandes sich immer wieder mit dänischen Vaterlandsfreunden anlegte, trat er doch nach der preußischen Annexion für die Rechte der dänischen Minderheit in Nordschleswig ein. Sein Artikel „Das Dänentum in Südjütland” ist zugleich ein lesenswertes Porträt des kulturellen Austauschs zwischen Deutschland und Dänemark, zu dem auch dieser Band einen schönen kleinen Beitrag leistet. JOHAN SCHLOEMANN
GEORG BRANDES: Der Wahrheitshass. Über Deutschland und Europa 1880- 1925. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle, Mathilde Prager und Hanns Grössel. Ausgewählt, kommentiert und mit einem Nachwort von Hanns Grössel. Berenberg Verlag, Berlin 2007. 182 Seiten, 21,90 Euro.
Er übte, schrieb der dänische Kritiker Georg Brandes (1842-1927), „in Deutschland einigen Einfluss aus; so lenkte ich die Aufmerksamkeit der Deutschen auf die junge Größe Max Klinger.” Dieser Max Klinger malte ihn 1904. Das Bild (hier ein Ausschnitt) hängt heute in Chemnitz. Foto: AKG/PA
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht weniger als einen Beitrag zum kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Dänemark sieht Johan Schloemann in diesen von Hanns Grössel ausgewählten und neu übersetzten Schriften des dänischen Literaturhistorikers und Publizisten Georg Brandes. Der "handliche" Band führt dem Rezensenten vor Augen, wie sich die Tradition intellektueller Publizistik in einer Persönlichkeit wie Brandes leidenschaftlich und wirkungsmächtig fortzusetzen vermochte und wie stark der Glaube an "aufklärendes Schreiben" sein kann. Unterhaltsam und bewegend zugleich erscheinen Schloemann die geistreichen und stilistisch elaborierten Analysen Brandes' zum "europäischen Machtgefüge" im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Und dankenswerter Weise zitiert er, was Brandes künftigen Kritiker mit auf den Weg gegeben hat: "Wenn er nicht der geweihte Priester der Wahrheit ist... kann man ihn ebensogut auf einen Misthaufen werfen."

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