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Santa Rita, ein unbedeutendes Kaff im Süden Mexikos. In einer Notunterkunft für zentralamerikanische Flüchtlinge auf dem Weg in die USA wird ein Feuer gelegt, dem zahlreiche Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fallen. Irma, genannt La Negra, wird zur Untersuchung des Vorfalls zum lokalen Büro der Nationalkomission für Migration geschickt. Dort sind ihre Nachforschungen wenig willkommen und in einem Klima der Angst ist keiner der Überlebenden bereit, zu den Ereignissen in der Nacht des Anschlags auszusagen - bis auf die zwanzigjährige Yein, die zu Irmas einziger Zeugin wird. Doch in einem Land,…mehr

Produktbeschreibung
Santa Rita, ein unbedeutendes Kaff im Süden Mexikos. In einer Notunterkunft für zentralamerikanische Flüchtlinge auf dem Weg in die USA wird ein Feuer gelegt, dem zahlreiche Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fallen. Irma, genannt La Negra, wird zur Untersuchung des Vorfalls zum lokalen Büro der Nationalkomission für Migration geschickt. Dort sind ihre Nachforschungen wenig willkommen und in einem Klima der Angst ist keiner der Überlebenden bereit, zu den Ereignissen in der Nacht des Anschlags auszusagen - bis auf die zwanzigjährige Yein, die zu Irmas einziger Zeugin wird. Doch in einem Land, wo Zentralamerikaner allenfalls als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden und wo Behörden, Polizei und kriminelle Banden gemeinsam ein zynisches Geschäft betreiben, das noch den letzten Peso aus den Flüchtlingen herausquetscht, kann es tödliche Folgen haben, den Dingen auf den Grund zu gehen.In diesem vielstimmig orchestrierten und schonungslos rauen politischen Roman porträtiert Antonio Ortuño ein menschenverachtendes System, das die Schwächsten ausraubt, vergewaltigt, verbrennt und schließlich in Massengräbern verschwinden lässt.
Autorenporträt
Antonio Ortuño wurde 1976 in Guadalajara geboren. Sein Debütroman wurde von der Zeitung Reforma zum besten mexikanischen Roman 2006 gewählt, 2010 kürte ihn das Magazin Granta zu einem der besten jungen spanischsprachigen Autoren der Gegenwart. Auf Deutsch erschienen bei Kunstmann Die Verbrannten (2015) und Madrid, Mexiko (2017). Der Autor ist 2018/2019 Stipendiat des DAAD in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2015

Die sieben Kreise der Hölle
Das gelobte Land bleibt unerreichbar, zu Hause herrscht der Menschenhandel:
In seinem Thriller „Die Verbrannten“ malt Antonio Ortuño ein grausiges Sittengemälde Mexikos
VON RALPH HAMMERTHALER
Der Wirt des Cafés ist ein namenloser Südamerikaner. Als er die Abrechnung gemacht hat, geht er hinaus und verschließt die Tür. Von fern erklingt karibische Musik aus dem Radio. Plötzlich spürt er ein Messer in den Rippen. Ihm ist klar, dass er sich jetzt nicht umdrehen darf. „Wo ist dein Chef?“ „Ich habe keinen Chef, das Café gehört mir.“ Darauf dringt die Klinge in sein Fleisch. Nun ist er so weit preiszugeben, wo der Chef sich aufhält. Mehr will die zwanzigjährige Yein nicht wissen, also schneidet sie ihm die Kehle durch und tritt ihm, kaum dass er hingefallen ist, den Kopf ein.
  Yein stammt aus El Salvador. Mit unzähligen Migranten in einen Zugwaggon gepfercht, hat sie in Mexiko übelste Misshandlungen erlitten. Einmal, als der Zug an einer Station hält, wird sie herausgezogen und vergewaltigt, ohne dass ihr Mann auch nur aufblicken würde. Später gelingt es der Gruppe zu fliehen, was alles durcheinanderbringt, die Absprachen, die Geschäfte. Denn es geht um viel Geld für Schlepperbanden, Polizei und Behörden. Vermeintlich in Sicherheit, in einer staatlichen Unterkunft in Santa Rita, werden die Migranten Opfer eines verheerenden Brandanschlags; ein Großteil von ihnen kommt dabei ums Leben, auch Yeins Mann. Indem sie den Wirt des Cafés tötet, fängt sie an, Rache zu nehmen.
  Der Roman „Die Verbrannten“ von Antonio Ortuño ist teils Thriller, teils grausiges Sittengemälde. In einem Artikel lässt Ortuño den oppositionellen Journalisten Joel Luna beschreiben, was es für Migranten heißt, „die sieben Kreise der mexikanischen Hölle“ zu durchqueren. Denn für die Zentralamerikaner, ob aus Honduras, Guatemala oder El Salvador, ist Mexiko nur ein Transitland. Sie wollen weiter in die USA. „Wenn du endlich drüben bist: Gratulation“, schreibt Luna. „Der Horror geht ab jetzt auf das Konto der Gringos.“
  Negra, die eigentlich Irma heißt, hat Soziologie studiert und dann schnell Karriere gemacht bei der Nationalkommission für Migration (NkM). Nach dem Brandanschlag wird sie ins südliche Santa Rita geschickt, um das Verbrechen taktisch, also zugunsten der NkM, aufzuklären. Sie ist dürr und unscheinbar, keine Frau, nach der Männer sich umdrehen. Negra ist so dürr wie Yein, die Rächerin, und wie jene junge Frau aus Honduras, die bei Negras beleidigtem, weil verlassenem Liebhaber um Arbeit bettelt.
  Aber irgendetwas muss Negra an sich haben. Denn sowohl Vidal, PR-Chef der NkM, als auch der Journalist Luna haben ein Auge auf sie geworfen. Überraschend gerissen fängt sie an, mit den beiden zu spielen. „Wenn Vidal erfuhr, dass ich diese Papiere aus dem Büro gestohlen hatte, um sie Luna zu geben, würde er ausflippen.“ Mit Vidal geht sie ins Bett, während Luna nicht mal die Hand auf ihren Schenkel legen darf.
  Vidal, obzwar nur PR-Chef, scheint von einer dunklen Macht umgeben zu sein. Er ist ein Meister der Presseerklärung, so sehr, dass selbst die Hauptstadt nach seinem Rat verlangt, als dort Massengräber von Migranten entdeckt werden. Mehrmals ist in diesem Roman „die offizielle Version“ der Geschichte zu lesen, jedes Mal eine von Vidals Presseerklärungen – Bestürzung, notwendige Aufklärung, Hilfe für die Opfer. Kein Schatten darf auf das NkM fallen. In Santa Rita sind sie derweil froh, dass sie durch die Massengräber aus den Schlagzeilen verdrängt werden. Die Toten sind nur Kalkül im Spiel um die Macht. Alle mischen bei den Geschäften mit, Kriminelle, Polizisten, staatliche Angestellte und Beamte. Das ist Ortuños bittere und auch zynische Botschaft. Nirgendwo stellt er sie so krass heraus wie in jener Bar, wo alle gemeinsam trinken, selbst der Boss der Migrationsbehörde, noch dazu ein paar Vollbusige, die bereitwillig Platz nehmen, jeweils auf dem Schoß eines Mächtigen, weil es sich so gehört. Diese Bar sucht sich Yein für ihren finalen Racheakt aus.
  Auch wenn Ortuño auf den ersten Seiten die stupide Technik von Ein- oder Zwei-Wort-Sätzen anwendet, wie Don Winslow, wenn er zu faul ist, ganze Sätze zu formulieren, verliert sich das Gestauchte schnell. Die Sätze werden einfach, klar, unentrinnbar. Dass sie viel Brutalität enthalten, liegt an den Umständen in Mexiko. Es ist wie in Amat Escalentes großartigem Film „Heli“, illusionslos, zärtlich und brutal. In einer viel zitierten Szene wird einem Widersacher der Schwanz abgefackelt, im Wohnzimmer, die ganze Familie schaut zu. Der Schwanz als Sinnbild der Macho-Kultur. Eine ähnliche Szene gibt’s bei Ortuño. Dass die Gewalt in Mexiko so kaputte Ausmaße angenommen hat, ist bekanntlich eine Folge des Drogenhandels und des unermesslichen Geldes, das damit umgesetzt wird. In diesem Roman geht es nur um Menschenhandel, wo zwar auch Geld umgesetzt wird, aber nicht annähernd so viel.
  Am stärksten ist Ortuño in den kursiv gedruckten Kapiteln, die Negras verschmähtem Liebhaber, dem Vater ihrer Tochter, gelten. Dieser Mann ist auf gut Deutsch am Arsch. Er unterrichtet Politik in der Oberschule, ohne dass sich auch nur irgendwer dafür interessieren würde. Er verdient nicht halb so viel wie Negra. Er ist frustriert und schimpft mit latentem Rassismus auf Migranten. Dabei weiß er genau, dass die Untermenschen aus Zentralamerika im gelobten Land der USA nicht anders wahrgenommen werden als die Untermenschen aus Mexiko. Bei ihm, der nahe am Bahnhof wohnt, wird ständig geklingelt; Migranten flehen ihn an um dieses und jenes.
  Eine junge Dürre lässt er herein und bei sich sauber machen. Als er sie, bei der überraschenden Rückkehr, beim Duschen ertappt, fällt er über sie her. Danach kann er nur lachen, „ein Lachen, das bedeutet, dass ich mir ein verdammtes Scheißproblem eingebrockt habe, dass ich zu einer ganz besonderen Sorte von Arschlöchern gehöre und dass mein Leben derart grauenhaft schäbig ist, dass mein Liebesleben darin besteht, eine Honduranerin auf dem Badezimmerfußboden zu vergewaltigen.“
Antonio Ortuño: Die Verbrannten. Roman. Aus dem Spanischen von Nora Haller. Verlag Antje Kunstmann, München 2015. 208 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Für die Zentralamerikaner ist
Mexiko nur ein Transitland:
Sie wollen weiter in die USA
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2015

Blutiges Migrantengeschäft
Antonio Ortuño verarbeitet ein Massaker in Mexiko

Sie jagen sie wie die Fliegen. Vierzig Menschen sterben bei einem Brandanschlag in Santa Rita, einer Stadt im Süden Mexikos. Sie sind aus Ländern wie Honduras, El Salvador oder Guatemala gekommen, um in den Vereinigten Staaten ein neues, besseres Leben zu beginnen. Mexiko, das sie nur durchqueren wollten, ist ihnen zum Verhängnis geworden. Immer wieder ist die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten Thema in der Literatur, Carlos Fuentes, Roberto Bolaño oder Don Winslow haben darüber geschrieben. Bis zur Grenze schaffen es die Flüchtlinge bei Antonio Ortuño nicht.

"Die Verbrannten" ist der vierte Roman des mexikanischen Autors und der erste, der in Deutschland erschienen ist. Ortuño beschreibt die Hölle. Sie beginnt für die Zentralamerikaner nicht erst mit dem Feuertod in der Unterkunft. Wie Vieh werden sie im Güterwaggon transportiert, die Schlepper bezeichnen das als Reise in der ersten Klasse. Die Frauen werden vergewaltigt, ihre Männer müssen dabei zusehen. Santa Rita ist eine fiktive Stadt, doch was Ortuño erzählt, hat einen realen Hintergrund: Tausende versuchen jeden Tag, die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten zu überwinden. Viele von ihnen stammen aus Zentralamerika.

Sie machen sich auf die gefährliche Reise, um vor der Gewalt der Banden und der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit in ihren Ländern zu fliehen. 2010 wurden im mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas zweiundsiebzig Migranten von einer Drogenbande ermordet. Die furchtbare Wirklichkeit ist die Basis für eine Literatur, die vor Blut trieft. "Die Schlepper überschritten die Grenze, weil sie konnten, sie beraubten die Migranten, schlugen und vergewaltigten sie aus demselben Grund, weil keiner sie daran hinderte."

In Santa Rita gibt es für Fälle wie den Anschlag Richtlinien. Es gibt Richtlinien für die Beileidsbekundungen und für die Presseerklärungen, die sich nicht davon beeindrucken lassen, dass in Santa Rita immer mehr Blut fließt. Drei Mal werden die Überlebenden angegriffen, bis kaum einer von ihnen übrig ist. Es ist ein Massaker. Die immer gleiche Presseerklärung der Behörde - ein Dokument der Heuchelei. Die Beamtin Irma, genannt Negra, wird nach Santa Rita geschickt, um die Verwandten der Toten mit Informationsbroschüren ruhigzustellen. Was sie neben ihrer Tochter und ihrem Kollegen vor allem interessiert, ist ihre Badewanne, in der sie sich von den Tagen im Aquarium - wie das Büro in der Nationalkommission für Migration genannt wird - erholt. Irgendwann ist auch das heiße Wasser nicht mehr so angenehm, es erinnert sie an das Feuer.

In Ortuños Roman wird das Grauen von vielen Stimmen erzählt. So führen die inneren Monologe von Negras Ex-Mann den Leser tief in die sadistische Psyche eines Rassisten, der die mexikanische Mittelklasse verkörpern soll. Man weiß von Anfang an, wer die Brandbomben geworfen hat. Auch die Polizei kennt die Täter. Doch aufklären will hier niemand etwas. Dafür profitieren zu viele von dem Geschäft mit den Migranten. "Die Wahrheit ist doch, dass du auf sie herabsiehst, wenn sie verbrennen, schläfst du genauso gut wie wenn nicht." Die Zentralamerikaner sind in Mexiko nichts wert. Doch Negra empfindet Mitleid für Yein, deren Mann bei dem Brand getötet und die vergewaltigt wurde. Yein, die nichts mehr zu verlieren hat, wird zum Racheengel.

Die Brutalität erreicht am Ende ihren grotesken Höhepunkt und erinnert an die Filme von Quentin Tarantino, in denen Rache immer ein Blutbad bedeutet. Die gleichen Gitterstäbe, die zuvor den Migranten den Weg aus dem Feuer versperrt haben, bohren sich durch Körper. Von Menschen bleiben nur blutige Fratzen übrig. Ändern tut das nichts.

Der Schrecken in Mexiko scheint weit weg, doch erinnert er an die Menschen, die auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinken, an die einundsiebzig Toten, die in Österreich in einem Lastwagen gefunden wurden, oder an die wachsende Zahl der Brandanschläge, die auch in Deutschland auf Flüchtlingsunterkünfte verübt werden. Vielleicht ist Mexiko näher, als uns lieb ist. Man sollte "Die Verbrannten" gerade deshalb lesen.

ANA MARIA MICHEL

Antonio Ortuño: "Die Verbrannten". Roman.

Aus dem Spanischen von Nora Haller. Verlag Antje Kunstmann, München 2015. 208 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ana Maria Michel befürchtet, dass das Mexiko, das Antonio Ortuño in seinem vierten Roman beschreibt, gar nicht so weit weg ist. Wenn bei Ortuño mexikanische Schlepper ihre "Beute" brutal quälen und ermorden, denkt sie an die Flüchtlinge dieser Welt. Wenn die Behörden bei Ortuño wegsehen, ebenso. Von der Hölle an der Grenze zwischen Mexiko und den USA erzählt der Autor laut Michel vielstimmig und schließlich grotesk splattermäßig à la Tarantino. Lesenswert, meint sie.

© Perlentaucher Medien GmbH