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Die Mitgliedschaft in der NSDAP ist ein Indikator, der es erlaubt, die Nähe oder Distanz einer Person zum NS-Regime einzuschätzen. Auf Basis einer repräsentativen Stichprobe quantifiziert dieses Buch erstmals die NSDAP-Mitgliedschaft der Wirtschaftselite und vergleicht sie mit anderen sozialen Gruppen. Der Anteil der Unternehmer und Manager, die in die NSDAP eingetreten sind, war mehr als dreimal so hoch verglichen mit dem Durchschnitt der Bevölkerung, aber deutlich niedriger als der Anteil von NSDAP-Mitgliedern bei Medizinern und höheren Beamten. Mit ihrem Eintritt in die NSDAP gaben die…mehr

Produktbeschreibung
Die Mitgliedschaft in der NSDAP ist ein Indikator, der es erlaubt, die Nähe oder Distanz einer Person zum NS-Regime einzuschätzen. Auf Basis einer repräsentativen Stichprobe quantifiziert dieses Buch erstmals die NSDAP-Mitgliedschaft der Wirtschaftselite und vergleicht sie mit anderen sozialen Gruppen. Der Anteil der Unternehmer und Manager, die in die NSDAP eingetreten sind, war mehr als dreimal so hoch verglichen mit dem Durchschnitt der Bevölkerung, aber deutlich niedriger als der Anteil von NSDAP-Mitgliedern bei Medizinern und höheren Beamten. Mit ihrem Eintritt in die NSDAP gaben die Manager eine Loyalitätserklärung gegenüber dem NS-Regime ab und trugen damit zu seiner Stabilisierung bei.
Autorenporträt
Paul Windolf ist Professor (i.R.) für Soziologie an der Universität Trier. Christian Marx, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2022

Manager in der NSDAP
Warum sie in die Partei eintraten

War der Faschismus ein "Extremismus der Mitte", wie der amerikanische Soziologe Seymour Lipset Ende der 1950er Jahre meinte? Der typische Anhänger der NSDAP gehörte demnach zum alten Mittelstand, sei also Handwerker, Landwirt oder Händler gewesen. Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter hat später nachgewiesen, dass die Partei eine breite Unterstützung auch in der Arbeiterschaft und der oberen Mittelschicht fand. Ende 1933 gehörten ihr rund 2,6 Millionen Mitglieder an. Die Mitgliedschaft war und blieb freiwillig. Nun haben Paul Windolf und Christian Marx in einer groß angelegten Studie herausgefunden, dass der Anteil der Manager in der Partei mehr als dreimal so hoch war, verglichen mit dem Durchschnitt der Bevölkerung. Gerade anfangs waren viele Unternehmer von Hitlers Politik überzeugt: "Wenn sie Anfang 1939 auf sechs Jahre NS-Herrschaft zurückblickten, konnten sie feststellen, dass das NS-Regime viele ihrer politischen Forderungen erfüllt hatte." Dazu gehörten, so Windolf und Marx, die Liquidierung des Klassenfeindes (Kommunisten, SPD, Gewerkschaften), die Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und die mithilfe der forcierten Aufrüstung erreichte Rückkehr Deutschlands in den Kreis der Großmächte. Zufrieden war man auch mit der Abschaffung des klassischen Arbeitsvertrags als "Relikt einer überholten liberalen Rechtsordnung". Dieser wurde durch eine "Eingliederungstheorie" ersetzt. Mit dem Eintritt in den Betrieb wurde der Arbeiter in eine dem Individuum übergeordnete Betriebsgemeinschaft eingegliedert. Dieser Gemeinschaft war er zu Unterordnung und Dienst verpflichtet. Die sozialdemokratische Idee einer Demokratisierung der Betriebe stand für absehbare Zeit nicht mehr auf der Tagesordnung, schreiben die Autoren. Auch Tarifverhandlungen waren abgeschafft.

Dagegen lehnten die meisten Manager den aggressiven Antisemitismus ab. "Sie hielten ihn für wirtschaftlich irrational, weil sie den Verlust an Kompetenz und Wirtschaftsleistung befürchteten." Doch letztendlich haben sich die Unternehmen dem Druck gebeugt und jüdische Mitglieder aus Vorständen und Aufsichtsräten entlassen. Warum aber traten Wirtschaftslenker der Partei aktiv bei? Die Motive sind zahlreich, komplex und widersprüchlich. Dazu gehören wirtschaftlicher Zwang, Opportunismus, nationalkonservative Überzeugungen, strategisches Handeln (um "Schlimmeres" zu verhüten) und gedankenloser Konformismus in einer sozialen Umwelt, in der viele zu Parteigenossen wurden. Windolf und Marx betrachten aber nicht individuell-subjektive Motive, sondern sehen die von ihnen untersuchten 537 Mitglieder der Wirtschaftselite als ein Kollektiv, dessen Interessenlage durch das totalitäre Regime bestimmt wurde. "Die NSDAP-Mitgliedschaft verschaffte Unternehmern Zugang zu einem komplexen Netzwerk, in dem Vorteile auf der Basis von persönlichen Überzeugungen zugeteilt wurden. Sie erhielten damit die Chance, an einem mafiösen Tausch zu partizipieren - allerdings um den Preis, eine formale Konformität mit der Ideologie des Regimes öffentlich zu signalisieren." Mit der Auflösung traditioneller Wirtschaftsverbände verloren die Unternehmen ihre autonomen Interessenorganisationen. "Damit verschob sich der Fokus der ökonomischen Interessenvertretung auf die Unternehmensebene. Die Mitgliedschaft in der NSDAP war eine Strategie (unter anderen), die kollektive Interessenvertretung durch individuelle Einflussnahme zu ersetzen."

Die Unternehmer versuchten, die NSDAP nicht nur als Türöffner, sondern auch als Schutzschild zu nutzen. Windolf und Marx erinnern an Gewaltanwendungen. Die Enteignung von Hugo Junkers (Junkers Flugzeugwerk), der 1933 Haus- und Stadtverbot erhielt und Dessau verlassen musste, sei ein Beispiel dafür. Hinzu kamen Betriebsbesetzungen durch die SA, die zwar von der Regierung verbal verurteilt, aber trotzdem geduldet wurden. Gleichzeitig erklärt der "Tausch" von Mitgliedschaft gegen Aufträge und Sicherheit, weshalb beispielsweise Bankiers in geringerem Maße NSDAP-Mitglieder wurden. Sie hatten keine direkte Bedeutung für Rüstung und Konsumgüterproduktion und waren daher "einem geringeren politischen Druck ausgesetzt, in die Partei einzutreten". Außerdem propagierte die NS-Bewegung in Bezug auf das "raffende Kapital" (Finanzsektor) eine besonders aggressive antikapitalistische Ideologie.

Von den Unternehmern wurden rund 37 Prozent Mitglied der NSDAP. Das waren mehr als in der Gesamtbevölkerung, aber weniger als bei Medizinern und Juristen, bei denen die Beitrittsneigung nahe 50 Prozent lag. Sehr selten traten dagegen Ingenieure in die Partei ein. Sie standen "der Blut-und-Boden-Ideologie und den hohlen Gemeinschaftsphrasen eher distanziert gegenüber", schreiben Windolf und Marx. Nach der NS-Zeit sahen sich viele Unternehmer nicht als Täter. Sie hätten eine "höhere Pflicht" erfüllt, individuelle Rücktritte hätten an der Aufrüstung nichts geändert. Nach Christoph Buchheim haben sich viele wie moralisch indifferente Kapitalisten verhalten, die dem Überleben ihres Unternehmens höchste Priorität einräumten und gerade dadurch zu Mittätern der Verbrecher wurden. Ob es tatsächlich so war, kann nach Ansicht von Windolf und Marx nicht abschließend beurteilt werden. Manch einer wurde vielleicht auch gegen seinen Willen in die Aufrüstungsmaschinerie hineingezogen. Profitiert aber haben alle. Die neue Studie schließt eine Forschungslücke der jüngeren Wirtschaftsgeschichte auf formidable, da empirische Weise. JOCHEN ZENTHÖFER

Paul Windolf, Christian Marx: Die braune Wirtschaftselite. Campus, Frankfurt 2022, 457 Seiten, 39 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Formidabel, da empirisch" findet Rezensent Jochen Zenthöfer diese Studie, in der Paul Windolf und Christian Marx aufzeigen, wie sich die Spitzen der deutschen Wirtschaft dem Nationalsozialismus andienten: 37 Prozent der deutschen Manager waren Mitglied der NSDAP, das waren zwar weniger als Mediziner und Juristen, von denen fast 50 Prozent in die Partei eintraten, aber deutlich mehr als im Durchschnitt, erfährt Zenthöfer, der Manager-Anteil in der Partei war dreimal höher als in der Gesamtbevölkerung. Dass sich die Autoren diese Nähe mit einem Mix aus Motiven erklären (Opportunismus, Konformismus, Nazismus), ergibt für den Rezensenten Sinn: Die Wirtschaftsführer versprachen sich mit der Ausschaltung von SPD, KPD und Gewerkschaften eine Stabilisierung der kapitalistischen Ordnung. Dass viele den aggressiven Antisemitismus irrational fanden, hält die Studie auch fest, wie Zenthöfer bemerkt.

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»Der von Marx und Windolf vorgelegte Band ist verdienstvoll, da er eine bedeutende Forschungslücke schließt. Das der Untersuchung zugrundeliegende Quellenmaterial ist quantitativ wie qualitativ gleichermaßen beeindruckend [...].« Jan Schleusener, H-Soz-u-Kult, 2.3.2023»Es ist das Verdienst von Windolf und Marx, unternehmerische Kontinuitäten vom Deutschen Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik quantitativ nachgewiesen zu haben. Die Ergebnisse werden kontinuierlich in den Forschungsstand eingebettet und mit biografischen Exkursen zu einzelnen Unternehmern illustriert. Ein Personenregister und ein umfassender Anhang zum Datensatz runden den positiven Gesamteindruck ab.« Sebastian Justke, Sehepunkte, 15.11.2023»Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn der Studie besteht nicht nur darin, dass eine quantitativ-empirische Forschungslücke zur Parteimitgliedschaft von Unternehmensführern geschlossen wird. Durch die Verbindung mit qualitativ-biografischen Analysen trägt sie dazu bei, die Motive der Wirtschaftselite besser zu verstehen. Sie zeigt, wie Manager und Unternehmer letztlich opportunistisch das nationalsozialistische System unterstützten, um ihre individuellen Ziele und die ihrer Unternehmen zu realisieren. Das Buch sollte Pflichtlektüre sein für die Managementforschung - über die Geschichtswissenschaft hinaus.« Werner Nienhüser, WSI-Mitteilungen, 77. JG., 2/2024