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Eine bemerkenswerte Erstveröffentlichung: der große Chronist über seine Filmleidenschaft. Erstmals vollständig gedruckt: Victor Klemperers Tagebuchnotizen über seine Kinobesuche zu Beginn der Tonfilm-Ära. Von Anfang an erlebt der Cineast mit, wie die technische Neuerung 1929 in Deutschland Einzug hält. Nicht selten geht er mehrmals pro Woche ins Kino. Zunächst kritisch, lässt er sich schon bald von den neuen Möglichkeiten mitreißen. Von den Nationalsozialisten aber wird das Medium immer weiter vereinnahmt, Klemperer schließlich durch das Kinoverbot für »Nichtarier« 1938 ganz aus den…mehr

Produktbeschreibung
Eine bemerkenswerte Erstveröffentlichung: der große Chronist über seine Filmleidenschaft. Erstmals vollständig gedruckt: Victor Klemperers Tagebuchnotizen über seine Kinobesuche zu Beginn der Tonfilm-Ära. Von Anfang an erlebt der Cineast mit, wie die technische Neuerung 1929 in Deutschland Einzug hält. Nicht selten geht er mehrmals pro Woche ins Kino. Zunächst kritisch, lässt er sich schon bald von den neuen Möglichkeiten mitreißen. Von den Nationalsozialisten aber wird das Medium immer weiter vereinnahmt, Klemperer schließlich durch das Kinoverbot für »Nichtarier« 1938 ganz aus den Lichtspielhäusern verbannt. Doch nicht einmal das kann ihn fernhalten. Das leidenschaftliche Bekenntnis eines Kinomanen, der uns den Tonfilm als Spiegel deutscher Geschichte mit allen Licht- und Schattenseiten vorführt. »Klemperer ist ein Meister der pointierten Kurzkritik, dessen Filmbetrachtungen heute jedes Stadtmagazin zieren könnten.« KNUT ELSTERMANN in seinem Vorwort »Aus der Geschichtsschreibung über den Alltag der Judenverfolgung im 'Dritten Reich' ist das Zeugnis Victor Klemperers nicht mehr wegzudenken.« DIE ZEIT. Zu einer Schattenexistenz gezwungen, erlebte Klemperer im Kino Lichtmomente: »So viel Musik, Humor, Schauspielkunst y todo. Es war mir eine richtige Erlösung.« Victor Klemperer, 1933.
Autorenporträt
Victor Klemperer wurde 1881 in Landsberg/Warthe als neuntes Kind eines Rabbiners geboren. 1890 übersiedelte die Familie nach Berlin, wo der Vater zweiter Prediger einer Reformgemeinde wurde. Nach dem Besuch verschiedener Gymnasien, unterbrochen durch eine Kaufmannslehre, studierte Klemperer von 1902 bis 1905 Philosophie, Romanistik und Germanistik in München, Genf, Paris, Berlin. Bis er 1912 das Studium in München wieder aufnahm, lebte er in Berlin als Journalist und Schriftsteller. 1912 konvertierte er zum Protestantismus. 1913 Promotion, 1914 bei Karl Vossler Habilitation. 1914/15 Lektor an der Universität Neapel. Hier entstand eine zweibändige Montesquieu-Studie. Als Kriegsfreiwilliger zunächst an der Front, dann als Zensor im Buchprüfungsamt in Kowno und Leipzig. 1919 o. a. Professor an der Universität München. 1920 erhielt er ein Lehramt für Romanistik an der Technischen Hochschule in Dresden, aus dem er 1935 wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen wurde. 1938 begann Klemperer mit der Niederschrift seiner Lebensgeschichte "Curriculum vitae". 1940 Zwangseinweisung in ein Dresdener Judenhaus. Nach seiner Flucht aus Dresden im Februar 1945 kehrte Klemperer im Juni aus Bayern nach Dresden zurück. Im November wurde er zum ordentlichen Professor an der Technischen Universität Dresden ernannt. Eintritt in die KPD. 1947 erschien seine Sprach-Analyse des Dritten Reiches, "LTI" (Lingua Tertii Imperii), im Aufbau-Verlag. Von 1947 bis 1960 lehrte Klemperer an den Universitäten Greifswald, Halle und Berlin. 1950 Abgeordneter des Kulturbundes in der Volkskammer der DDR. 1952 Nationalpreis III. Klasse. 1953 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Victor Klemperer starb 1960 in Dresden. Geschwister-Scholl-Preis 1995. Weitere Veröffentlichungen u.a.: "Moderne Französische Prosa" (1923); "Die französische Literatur von Napoleon bis zur Gegenwart", 4 Bände (1925-1931); "Pierre Corneille" (1933); "Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert" (Band 1 1954, Band 2 1966). Aus dem Nachlaß: "Curriculum vitae" (1989), "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945" (1995), "Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum. Tagebücher 1918-1932" (1996),"So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1945-1959" (1999), "Man möchte immer weinen und lachen in einem. Revolutionstagebuch 1919" (2015), "Warum soll man nicht auf bessere Zeiten hoffen. Ein Leben in Briefen" (2017 und "Licht und Schatten. Kinotagebuch 1929-1945" (2020).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Cord Aschenbrenner nimmt die Kinonotate Victor Klemperers als Anreiz, sich in die Lektüre von Klemperers Tagebüchern zu vertiefen. Doch auch für sich genommen scheinen ihm Klemperers für die vorliegende Ausgabe aus den Tagebüchern herausgelöste Berichte aus der Frühzeit des Tonfilms aufschlussreich und faszinierend, vermitteln sie doch die Liebe des Autors zum Film, seinen kritischen Geist und die politische und gesellschaftliche Verfinsterung in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Dass dem Autor Dünkel fremd ist, dass er die Nazi-Ideologie in den Ufa-Werken ausmacht und dass er auch sonst ein intensiver Beobachter war, kann Aschenbrenner anhand der bisher größtenteils unveröffentlichten Einträge feststellen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2020

Hier ist das dramatische Ideal erfüllt

Erfahrungen in den Lichtspielen: Ein Band präsentiert Victor Klemperers Notate der dreißiger Jahre zum Kino.

Das Kino brauchte gut drei Jahrzehnte, bis es komplett wurde: Ende der zwanziger Jahre kam zu den Bildern der Ton hinzu, der nicht mehr "live" bei den Vorführungen erzeugt wurde, sondern sich in Form einer Tonspur mit dem Film verband. Was man heute als Stummfilm erinnert, war aber immerhin so lange der Normalfall, dass viele Kinogeher Schwierigkeiten mit der Umstellung hatten. Das galt auch für Viktor Klemperer, den jüdischen Romanisten, dessen Tagebücher aus den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft ihn ab Mitte der neunziger Jahre einem großen Publikum bekannt machten. Im Juni 1929 geht Klemperer mit seiner Frau Eva in Dresden ins Kino. Sie sehen einen kurzen Tonfilm: "Der spanische Tenor Sarobe singt (im Frack) den Bajazzoprolog. (...) Es klingt noch recht hässlich: das wird sich beseitigen lassen. Aber was sich nicht beseitigen lassen wird, weil es ein immanentes Vitium ist: die Künstliche, das Tote, der ,Ersatz'. Wir sind dem Tonfilm jetzt das zweite Mal begegnet und fanden ihn beide Male scheußlich."

Die Stelle findet sich in dem Buch "Licht und Schatten. Kinotagebuch 1929 - 1945", mit dem weitere Passagen aus den umfangreichen Tagebüchern von Klemperer zugänglich gemacht werden. Dass nun alle Notizen zu Kinobesuchen gesammelt vorgelegt werden, ist sinnvoll. Klemperer sah sich gemeinsam mit Eva, die seine Leidenschaft teilte, nicht einfach bloß viele Filme an. Er war auch ein medienhistorisch wacher, im besten Sinne ästhetisch wie technologisch informierter Beobachter eines Mediums, mit dem ihn zugleich eine Passion und ein bildungsbürgerlicher Blick verband. Dass er als Jude nach 1938 nicht mehr ins Kino gehen durfte, lässt zwar eine große Lücke klaffen, denn es wäre interessant gewesen, seine Beobachtungen des bedrückenden Alltags mit den Versuchen der deutschen Filmwirtschaft abzugleichen, so lange wie möglich unbeschwerte Kinoerlebnisse zu ermöglichen. Die beiden zentralen Propagandafilme der Zeit nahm er 1940 im Zeichen eines Anschwellens der "öffentlichen Judenhetze" zur Kenntnis: "Jud Süß" von Veit Harlan und "Der ewige Jude" von Fritz Hippler. "Dieser zweite offenbar schlimmste u. mit größtem Tamtam ,aufgezogene' Film ist übrigens nach knapp einer Woche hier wieder verschwunden. Weshalb? Müdigkeit u. Ekel des Publikums?"

In die Leerstelle, die durch Klemperers erzwungener Absenz vom Kino entstand, haben die Herausgeber einen Text gesetzt, der auch schon in der Tagebuch-Edition enthalten war, hier aber noch einmal ein besonderes Gewicht bekommt. Im Juni 1941 muss Klemperer ins Gefängnis, wegen eines Verstoßes gegen das Verdunkelungsgebot, der an sich nicht unbedingt streng zu ahnden gewesen wäre, ihn als Juden aber schwer trifft. Die acht Tage in Einzelhaft, ohne Brille und vor allem ohne Bleistift und Papier, vergegenwärtigt er sich hinterher in einem grandiosen Text. Er versuchte, die Zeit zugleich totzuschlagen und sie aus seinem "inneren Vorrat zu speisen", nahm sich vor, seine "geistigen Bestände durchzugehen" und skizzierte aus dem Stand Ideen für sein Buch "LTI. Lingua tertii imperii" ("Die Sprache des Dritten Reichs"), das ihn in diesen Jahren beschäftigt. Und das ohne Hilfsmittel, bis ihm schließlich ein Wärter einen Bleistift überlässt. Den Moment der Rückkehr in die Freiheit würdigt Klemperer dann mit einem überraschenden Satz: "Von diesem Augenblick an war alles für mich wieder und jetzt auch völlig Kino."

Um das besser zu verstehen, hilft die Lektüre eines Texts über "Das Lichtspiel", den er schon 1912 für eine Zeitschrift geschrieben hatte: ein Versuch der Charakterisierung des neuen Mediums zwischen Theater und Zirkus. Das Kino enthalte "das Fließende des Lebens schlechthin", es vereine dabei auch das Volk und die Gebildeten, hebe also gerade die bildungsbürgerlichen Unterschiede im Vergnügen an "Hanswurstiaden" auf. Das Kino überbiete das Theater aber vor allem, weil es "buchstäblich die Erfüllung des dramatischen Ideals" bedeutet. Wenn wir Filme sehen, dann schrieben wir den "Seelentext der Bilderreihe", wie Klemperer die vielschichtigen Prozesse zwischen Empathie und Identifikation benennt.

Dass er sich 1941 beim Verlassen des Gefängnisses vorkommt wie in einem Film oder eben wie (im) Kino, ist dann also mehr als nur eine Erfahrung von Unwirklichkeit nach den Tagen der Einzelhaft. Es bringt die Epochenerfahrung auf den Punkt, die er mit dem Medium Kino gemacht und verstanden hat: dass nämlich seine Selbstreflexion, auf deren nackten Kern er in der Haft zurückgeworfen wurde, durch das "dramatische" Kino eine Gestalt bekommen hat, die für ihn in Freiheit sofort wieder lebendig wird.

Alle Medien helfen bei dem, was er die "Freiheit der Teilnahme an anderen Menschenschicksalen" nennt, ja, sie helfen mehr noch wohl bei der Teilnahme an dem eigenen Menschenschicksal. Das Kino als "Lichtspiel" verleiht dieser Teilnahme eine Dimension, die Klemperer noch als utopisch begriffen hat: als "befreites, unirdisch gewordenes Leben". In der äußersten Lebensgefahr, die er bis in die letzten Dresdener Bombennächte hinein erlebt, wird das Kino aber für ihn zu einer realen Utopie. Bis in unsere mediengesättigte Gegenwart hört man immer noch den Satz, das sei ja wie Kino. Was damit, in einem existentiellen wie in einem (selbst)technischen Sinn, gemeint sein könnte, das erfährt man bei Klemperer.

BERT REBHANDL

Viktor Klemperer:

"Licht und Schatten".

Kinotagebuch 1929-1945.

Hrsg. von Nele Holdack und Christian Löser. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 364 S., geb., 24,- [Euro].

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»'Licht und Schatten' - kaum ein sinnvollerer Titel ist vorstellbar, will man die Liebe zum Film und zum Kino mit allen Licht- und Schattenseiten beschreiben.« Hinterländer Anzeiger 20211108