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Antanas Sk ma (1910-1961) arbeitete sein ganzes Leben daran, das von ihm Durchlebte in Literatur zu verwandeln. Sein einziger Roman, "Das weiße Leintuch", gibt Zeugnis von seinem New Yorker Exil. Daneben sind aus allen Phasen seines Lebens literarische Stücke überliefert: Erzählungen, Skizzen, Szenen und Verdichtungen. Es sind in Blickwinkel und literarischer Gestaltung einzigartige Schlüsselszenen der Weltgeschichte: die Kindheit während des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs in der russischen und ukrainischen Provinz, Schulzeit und Studium, frühe literarische Versuche im unabhängigen…mehr

Produktbeschreibung
Antanas Sk ma (1910-1961) arbeitete sein ganzes Leben daran, das von ihm Durchlebte in Literatur zu verwandeln. Sein einziger Roman, "Das weiße Leintuch", gibt Zeugnis von seinem New Yorker Exil. Daneben sind aus allen Phasen seines Lebens literarische Stücke überliefert: Erzählungen, Skizzen, Szenen und Verdichtungen. Es sind in Blickwinkel und literarischer Gestaltung einzigartige Schlüsselszenen der Weltgeschichte: die Kindheit während des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs in der russischen und ukrainischen Provinz, Schulzeit und Studium, frühe literarische Versuche im unabhängigen Zwischenkriegslitauen sowie unter sowjetischer und deutscher Besatzung, die dramatische Flucht vor den Sowjets, das Leben als displaced person in Thüringen und Bayern und als Neuankömmling in Chicago und New York. All das spiegelt sich in facettenreichen Prosastücken.

"Apokalyptische Variationen" umspielt die Verheerungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den Riss, der die Existenzen durchzieht. Schreibend vergewissert sich Sk ma seiner Biografie und versucht Sinn und Bedeutung in ihren Splittern aufzuspüren. Wir können lesend nachvollziehen, wie sich die Aussichtslosigkeit in seine Sprache einschreibt, wie diese immer mehr zerspringt, sich auflöst - und wie aus der sprachlichen Entgrenzung eine ganz neue Form entsteht. Claudia Sinnig greift in ihrer Übersetzung die Vielfalt von Sk mas Erzählstilen auf, schürft tief im Sprachmaterial, lotet Trauer und Dunkelheit aus und geht auch der Hoffnung und dem Vorwärtsstreben auf den Grund. Erlösung findet sich vielleicht nicht in Sk mas Leben, aber in seiner Literatur.
Autorenporträt
Antanas skema (1910-1961) wird im damals zum Russischen Reich gehörenden polnischen Lodz geboren. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs flieht die Familie ins russische Hinterland, skema durchlebt eine traumatische Kindheit, zunächst in Woronesch und dann während der russischen Revolution in der Ukraine. 1921 kehrt die Familie in das nun unabhängige Litauen zurück. 1929 beginnt skema in Kaunas Medizin, später Jura zu studieren. Ab 1935 widmet er sich zunehmend dem Theater, arbeitet als Schauspieler und als Regisseur am Staatstheater Vilnius. 1944 flieht er vor der sowjetischen Besatzung nach Deutschland, wo er mehrere Jahre in displaced-persons-Camps lebt. 1947 veröffentlicht skema einen Kurzgeschichtenband und verfasst erste Dramen, 1949 siedelt er in die Vereinigten Staaten über, wo er seinen Lebensunterhalt als Fabrikarbeiter und Liftboy verdient. In litauischen Exilkreisen engagiert er sich im Theater, verfasst Beiträge für die Emigrantenpresse und publiziert zwei weitere Novellenbände, Essays, Gedichte und seinen einzigen Roman »Das weiße Leintuch«. Wegen seiner existenziellen Themen wird skema als »litauischer Camus« bezeichnet. 1961 stirbt er bei einem Autounfall in Pennsylvania.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Seit der Guggolz-Verlag 2017 Antanas Skemas 1958 entstandenen autobiografischen Roman "Das weiße Leinentuch" erstmals auf Deutsch veröffentlicht hat, konnte es Rezensent Nils Kahlefendt kaum erwarten, weiteres aus der Feder des litauischen Autors zu lesen. Entsprechend glücklich nimmt der Kritiker die nun in diesem Band vorliegende, erneut von Claudia Sinnig exzellent übersetzte, zwischen 1920 und 1960 entstandene Prosa zur Hand, in der Skema ein weiteres Mal seine Kunst unter Beweis stellt, Grausamkeit und Gewalt in Literatur zu verwandeln, wie der Rezensent lobt. Kahlefendt begleitet den Autor in den oft "beklemmend" intensiven Stücken vom Aufwachsen in der jungen litauischen Republik bis in die USA, wo sich Skema den Ruf eines "litauischen Camus" erarbeitete. Er liest hier von der Vergewaltigung der Mutter im russisch-ukrainischen Krieg oder dem Kampf litauischer Partisanen gegen die Sowjets ebenso wie vom Alltag im Brooklyn der Fünfziger. Dem "schonungslosen" Sound Skemas kann sich der Kritiker auch in diesem Band nicht entziehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2021

Spott für die Zwanzigcentler
Großer Moderner fern der litauischen Heimat: Antanas Skèmas schonungslose Prosa

"Ideen fliegen durch die Luft", schrieb Antanas Skèma (1910 bis 1961) einige Jahre vor seinem Tod in einem Essay, "und ich denke, nein, ich bin mir sicher, dass nicht du sie dir aussuchst, sondern dass sie sich in dich hineinbohren wie die Pfeile in den heiligen Sebastian, und dir nichts anderes übrigbleibt, als auf die Pfeile mit deinen papiernen Gesichtern zu reagieren. Eines von vielen Mitteln, Menschlichkeit zu beweisen." Sein ganzes Leben arbeitete der litauische Autor daran, Erlittenes in Literatur zu verwandeln. Angesichts der auf seine Zeitgenossen provokativ wirkenden Darstellung von Grausamkeiten, Verrat und Gewalt und, schlimmer noch, gallebitterer Ironie sah er sich dem Vorwurf der Effekthascherei ausgesetzt. Doch des Autors "Liebe zu Leichen", von der er in einer rabenschwarzen biographischen Skizze spricht, verdankt sich keineswegs einem abgebrochenen Medizinstudium. Der Psychiater Julius Kaupas, mit dem Skèma am Vorabend seines tödlichen Autounfalls zusammensaß und der seinem Freund bereits Jahre zuvor zu einer Therapie geraten hatte, wusste es besser: "Das Schaffen war für ihn wohl so etwas wie ein psychiatrisches Gespräch, bei dem er versuchte, seine Wunden zu zeigen."

Gottlob ist der Band "Apokalyptische Variationen", der Skèmas zwischen 1929 und 1960 veröffentlichte Prosa erstmals auf Deutsch präsentiert, weit mehr als eine fast vierhundert Seiten lange Therapiesitzung. Aus welchem Holz der Autor geschnitzt ist, konnte man hierzulande bereits 2017 erfahren; da hatte der Guggolz Verlag im Vorfeld des litauischen Gastlandauftritts auf der Leipziger Buchmesse Skèmas Opus magnum ausgegraben, den im amerikanischen Exil entstandenen autobiographischen Roman "Das weiße Leintuch" (1958). Eine kleine literarische Sensation, nicht zuletzt dank der meisterhaften Übersetzung von Claudia Sinnig. Vielen Motiven, Bildern und Charakteren aus dem Roman begegnen wir jetzt in dem wiederum ebenso präzise wie lebendig von Sinnig übersetzten und mit einem Nachwort versehenen Prosaband wieder - wenn auch in anderer Beleuchtung. Die chronologische Komposition der Texte erlaubt es, nicht nur etappenweise Skèmas Gestaltung des Erlebten im Fiktiven zu verfolgen, sondern auch seine Entwicklung als Schriftsteller nachzuvollziehen - eine abenteuerliche Reise von den ersten Fingerübungen in Kaunas, in der jungen litauischen Republik der zwanziger Jahre, bis zum Bilderrausch des durch Wolkenkratzer-Schluchten taumelnden "litauischen Camus".

Obwohl kaum mehr als eine Skizze, ist "Angst" (1929), der früheste veröffentlichte literarische Text Skèmas, von beklemmender Intensität. Das Leiden seiner Mutter, die im russisch-ukrainischen Krieg eine Vergewaltigung überlebte und schließlich, schwer traumatisiert, in der Psychiatrie endete, belastete den Autor zeitlebens. Sexualisierte Gewalt im Krieg und ihre Langzeitwirkungen thematisiert er in seinem ersten Novellenband "Schwelbrände und Funken" (1947) - etwa in "Der Kalender", "Gefangen" oder "In den Bergen". Ob er von einem aus dem jüdischen Getto von Vilnius nach Deutschland heimgekehrten Wehrmachtsoffizier erzählt, den die Vergangenheit einholt, oder vom Kampf litauischer Partisanen gegen die Sowjets: Skèma benennt das Grauen lakonisch und präzise und erzielt dadurch maximale Wirkung. Sämtliche Novellen hatte der - wie Zehntausende seiner Landsleute - 1944 aus Litauen geflohene Autor in einem DP-Lager in Westdeutschland verfasst. In der Erzählung "Sonnentage" aus dem 1952 in Chicago erschienenen Band "Die heilige Inga" verarbeitet Skèma Erlebnisse seiner Kindheit: ein Dorf vor dem Hintergrund des russischen Bürgerkriegs, das an Isaak Babels "Reiterarmee" erinnert. In knappen, schonungslosen short cuts werden hier die letzten Tage und Wochen bis zum gewalttätigen Tod des neunjährigen Martin und seiner ewig streitenden Eltern erzählt - kein Gott, nirgends. "Wie ein Leichenhaus stinkt die Geschichte" - die Zeile aus einem Gedicht seines Mentors, des litauischen Lyrikers Henrikas Radauskas, hat Skèma als Portalzitat ausgewählt.

Im Erscheinungsjahr der "Heiligen Inga" machte die neue in Baltimore und Buenos Aires herausgegebene Exil-Literaturzeitschrift "Literaturos lankai" mit Skèmas in Brooklyn verfassten Prosatext "Der Gesang" auf. Der Autor nimmt den Alltag in der Neuen Welt in den Blick, ohne seine Wurzeln zu kappen. Ein neuer, kräftiger Sound, in dem sich Leben und Traum amalgamieren und womöglich bereits Vorstufen des harten Bebops aus Kerouacs "On the Road" pulsieren: "Singt, ihr Schallplatten-Sänger mit den knackenden Kehlen, weint, ihr Hinterbliebenen des Flugzeugabsturzes, werbt für den Freud der Straßen, ihr Zwanzigcentler, ich werde meine Kleider zerreißen, wie Hiob in der Wüste, wie ein durstiges Kind, das beim Spiel in einen Norge-Kühlschrank geraten ist."

Erst 1960 konnten dieses und andere Prosastücke, vereint in dem Band "Celesta", in jenem Londoner Exilverlag erscheinen, der bereits "Das weiße Leintuch" publiziert hatte. Verglichen mit der eher biederen, konventionell gestrickten Tagesproduktion schien Skèma von einem anderen Stern zu kommen. "Er reißt die Fenster des gemütlichen, ungelüfteten Kämmerleins auf, in dem wie eine alte Jungfer mit ihren Patiencen, unsere Exilliteratur gewohnt hat", schrieb der Lyriker und Journalist Juris Blekaitis. "Er lässt den Lärm der amerikanischen Straße hinein, weil diese Straße jetzt unsere Wirklichkeit ist."

"Ich freue mich, dass mir für meinen in der Fabrik zerquetschten Finger eine Kompensation gezahlt wurde", notierte Antanas Skèma in der erwähnten Selbstauskunft. "Von dem Geld habe ich mir ein Kurzwellenradio gekauft, einen Phonographen mit den Werken meiner Lieblingskomponisten sowie einige wertvolle Kunstbände. Anscheinend gilt auf dieser Welt noch immer das Gesetz des Gleichgewichts."

NILS KAHLEFENDT

Antanas Skèma: "Apokalyptische Variationen".

Aus dem Litauischen und mit einem Nachwort von Claudia Sinnig. Guggolz Verlag, Berlin 2020. 421 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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