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Carl-Wilhelm Reibel untersucht anhand einer Vielzahl lokaler und regionaler Quellen zunächst Aufbau und Struktur der NSDAP-Ortsgruppenorganisation zwischen 1932 und 1945 und ihre Entwicklung von der Propagandaplattform zum diktatorischen Machtapparat an der Basis. Verwaltung, Personalpolitik und Finanzgebaren der Ortsgruppen werden ebenso behandelt wie die ideologische Schulung der Funktionäre. Im zweiten Teil steht die Praxis der Ortsgruppen in der Spannung von Anspruch und Wirklichkeit im Mittelpunkt. Dieses Buch erweitert die Kenntnisse über das innere Gefüge und über das "Funktionieren" des Dritten Reiches wesentlich.…mehr

Produktbeschreibung
Carl-Wilhelm Reibel untersucht anhand einer Vielzahl lokaler und regionaler Quellen zunächst Aufbau und Struktur der NSDAP-Ortsgruppenorganisation zwischen 1932 und 1945 und ihre Entwicklung von der Propagandaplattform zum diktatorischen Machtapparat an der Basis. Verwaltung, Personalpolitik und Finanzgebaren der Ortsgruppen werden ebenso behandelt wie die ideologische Schulung der Funktionäre.
Im zweiten Teil steht die Praxis der Ortsgruppen in der Spannung von Anspruch und Wirklichkeit im Mittelpunkt.
Dieses Buch erweitert die Kenntnisse über das innere Gefüge und über das "Funktionieren" des Dritten Reiches wesentlich.
Autorenporträt
Carl-Wilhelm Reibel, Dr. phil., geb. 1967, ist Wiss. Mitarbeiter an der Univ. Frankfurt. Seine Arbeit erhielt 2001 den "Friedrich-Sperl-Preis zur Förderung der Geisteswissenschaften" für die beste geschichtswissenschaftliche Dissertation an der Univ. Frankfurt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2003

Mit dem Blockwart von Tür zu Tür
Die NSDAP organisierte die Loyalität der „Volksgemeinschaft” mit einer Mischung aus Druck und Verführung
CARL-WILHELM REIBEL: Das Fundament der Diktatur: Die NSDAP- Ortsgruppen 1932-1945, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002. 415 Seiten, 39,90 Euro.
„Die Parteiorganisation ist das Instrument, das die Aufgabe erfüllen soll, das Volk im Sinne der Nazis politisch zu organisieren, und die Bedeutung dieser politischen Riesenorganisation ist um so größer, als auf der anderen Seite die Organisierung der Opposition nur unter den größten Gefahren und Schwierigkeiten möglich ist.” In eigentümlichem Kontrast zu diesem zeitgenössischen Befund in den Deutschland-Berichten der Exil-SPD von 1934 steht die relativ geringe Beachtung, die die NS-Partei in der aktuellen öffentlichen Diskussion, teilweise aber auch in der Forschung über den Nationalsozialismus bis heute findet. Zu Recht moniert Carl-Wilhelm Reibel das Versäumnis, die „Betreuung” der Bevölkerung durch die unteren NS-Funktionäre im Kontext der Herrschaftssicherung zu sehen. Seine Untersuchung zeigt, dass die Ortsgruppen der NSDAP nicht nur Basisarbeit für die Loyalität zum NS- Regime leisteten, sondern zugleich integraler Bestandteil von dessen Verfolgungsapparat waren.
Spitzel und Aufpasser
Nach dem Hitler-Putsch von 1923 verboten und 1925 wiedergegründet, war die NSDAP bis 1932 innerlich recht heterogen. Der 1934 im so genannten „Röhm-Putsch” ermordete Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser führte damals zur Stärkung der Kampagnenfähigkeit eine einheitliche Struktur ein, welche die Untergliederung der Ortsgruppen in Zellen von 11 bis 50 Mitglieder und Blöcke vorsah. Eine Neuorganisation im Jahre 1936 brachte die organisatorische Anpassung der Partei an ihre zentrale Funktion im NS-Regime: Nicht mehr die Zahl der Mitglieder war für die Bildung eines Blocks ausschlaggebend, sondern die der Haushalte, die der Blockleiter zu „betreuen” hatte. Neben der Leitung und Mobilisierung der ihnen unterstellten Parteimitglieder oblag den als „Blockwarten” bekannten Blockleitern eine intensive Spitzel- und Aufpassertätigkeit. Sie hatten hierzu Haushaltungskarteien zu führen, in der alle Bewohner des jeweiligen Blocks registriert wurden.
Bis zu sieben Funktionäre mit verschiedenen Aufgaben konnte der Ortsgruppenstab umfassen. Der Ortsgruppenleiter übte über alle ihm unterstellten Parteimitglieder Befehlsgewalt aus und durfte eine Dienstpistole tragen. Eingesetzt wurden die Ortsgruppenleiter von den Gauleitungen, die vor allem gesellschaftlich akzeptierte Repräsentanten installierten.Bei der Formierung der „NS-Volksgemeinschaft” spielten die Ortsgruppen der Nazipartei eine zentrale Rolle. In regelmäßigen Sprechstunden präsentierten sich die Ortsgruppenleiter als Ratgeber und Problemlöser; in propagandistisch aufgezogenen Aktionen zur Arbeitsvermittlung oder gegen zu hohe Lebensmittelpreise demonstrierte die Partei, dass sie wusste, wo das Volk der Schuh drückte. Bei den vom NS-Regime inszenierten Wahlen sorgte der parteieigene „Wahlschleppdienst” für die gewünschte hohe Beteiligung, und wo nötig kümmerten sich die örtlichen Funktionäre auch um das „richtige” Ergebnis.
Die Geschäftsstellen der Ortsgruppen waren Anlaufstellen für Denunzianten. Die Inkriminierten konnten nie sicher sein, ob ihre Sache weiter bis zur Gestapo lief und vielleicht gar zur Einweisung in ein KZ führte, oder ob sie der Ortsgruppenleiter selbst in die Hand nahm. Von Anfang an spielten die Ortsgruppen auch eine wichtige Rolle bei der Judenverfolgung – bei dem reichsweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 ebenso wie beim Novemberpogrom von 1938 und der anschließenden, forcierten „Arisierung” jüdischen Eigentums sowie bei der Erfassung der zur Deportation in die Mordzentren im Osten vorgesehenen Juden. Die politischen Leiter in den Ortsgruppen waren, so Reibel, „an allen Maßnahmen gegen die Juden beteiligt”.
Im Zweiten Weltkrieg wuchsen den Ortsgruppen weitere Aufgaben zu. In Heldengedenkfeiern und Gesprächskreisen für Fronturlauber wurde die Kommunikation über das Kriegsgeschehen in die erwünschten Bahnen gelenkt. Und nach der Kriegswende von 1943 sollte eine reichseinheitliche „Aktivierung der Partei” mit Propagandaaufmärschen die Stimmung heben. Die Stabilisierung der Heimatfront war jetzt die zentrale Aufgabe der NSDAP-Basis. Damit rückten Versorgungsprobleme, die Beschaffung von Arbeitskräften, die Unterbringung Ausgebombter und der Luftschutz ins Zentrum. Politische Leiter organisierten den Versand von Feldpostpäckchen an die Front und kümmerten sich um die Hinterbliebenen von Gefallenen, wobei sie meist versuchten, der Trauer in Konkurrenz zu den Kirchen den eigenen politischen Stempel aufzudrücken. Die Ortsgruppen beteiligten sich an der Überwachung von Fremdarbeitern und bildeten am Ende die organisatorische Basis für die Rekrutierung des Volkssturms, das militärisch schon völlig sinnlose letzte Aufgebot für Hitlers Krieg.
Der ins amerikanische Exil geflohene Politologe Franz Neumann hat bereits 1944 die Bedeutung der Partei für die Stabilität der Hitler-Diktatur hervorgehoben. In seiner nach dem biblischen Ungeheuer Behemoth benannten Strukturanalyse des NS-Regimes stellte er fest: „Die NSDAP ist heute die Organisation, welche die deutsche Gesellschaft aufrechterhält. Ohne die Partei würde Deutschland zusammenbrechen.” Carl-Wilhelm Reibels solider Beitrag zur politischen Gesellschaftsgeschichte des NS-Regimes spricht dafür, dass das keine Übertreibung war.
JÜRGEN ZARUSKY
Im Müll einer Kartonfabrik wurde 1945 die gesamte Mitgliederkartei der Münchner NSDAP gefunden.
SZ-Archiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2002

Leiter über Leiter
Wie die Ortsgruppen der NSDAP funktionierten

Carl-Wilhelm Reibel: Das Fundament der Diktatur. Die NSDAP-Ortsgruppen 1932-1945. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich 2002. 415 Seiten, 39,90 [Euro].

Der typische NSDAP-Ortsgruppenleiter im "Dritten Reich" war wohl nicht der gesinnungstreue, aber ungebildete Haudegen, den man sich gemeinhin vorstellt. Er besaß vielmehr eine gehobene Schulbildung, war in der Regel Angestellter, Veteran des Ersten Weltkriegs, aus der Kirche ausgetreten und hatte mindestens eine zentrale weltanschauliche Schulung seiner Partei absolviert. Das zeigt die Studie "Das Fundament der Diktatur". Propagandatätigkeit, Mobilisierung der eigenen Anhänger sowie Sicherung der reichsweiten Grundfinanzierung der Partei waren ursprünglich die einzigen Aufgaben des lokalen Apparats der NSDAP. Bereits vor der "Machtergreifung" diente er auch schon der Erfassung und Beobachtung echter oder vermeintlicher politischer Gegner vor Ort.

Nach der Beitrittswelle zur NSDAP im Frühjahr und ihrer Erhebung zur "Staatspartei" Ende 1933 dehnte sich ihr Einfluß auf alle Lebensbereiche der gesamten Bevölkerung aus. "Betreuung", ideologische Beeinflussung und Erfassung der Stimmung der Bevölkerung lagen nunmehr im Verantwortungsbereich der Ortsgruppen. Ein immer höherer bürokratischer Aufwand war damit verbunden, der durch immer mehr Funktionäre und Dienststellen bewältigt werden mußte. 1938 konnte eine Ortsgruppe über 100 Funktionäre in zahlreichen Ämtern, Blöcken und Zellen beschäftigen. Allzu offensichtliche Schnüffeleien und Kontrollen wurden von der Reichsorganisationsleitung zwar offiziell abgelehnt, waren aber wohl üblich. Carl-Wilhelm Reibels Hinweis, daß der legendäre "Blockwart" bei der NSDAP immer "Blockleiter" hieß, mag nebensächlich erscheinen, ist aber verdienstvoll.

Im Dienste der Volksgemeinschaftsideologie gelang es vielfach, die örtliche Parteiorganisation als Streitschlichtungsinstanz in privaten Dingen und Vermittlungsstelle zu kommunalen Behörden zu etablieren. Erst im Laufe des Krieges zeitigte die inzwischen im Bewußtsein der Bevölkerung verankerte Allzuständigkeit der Partei negative Folgen, da ihr nun auch Versorgungsmängel und ungenügende Fürsorge für Bombengeschädigte angelastet wurden. Auf dieser Ebene ließ sich allerdings auch effektiv gegen "Gerüchte" und "Miesmacher" vorgehen.

An der Ausgrenzung und Entrechtung derjenigen, die nicht der "Volksgemeinschaft" angehörten, wirkten die Ortsgruppen der NSDAP aktiv mit - in den Anfangsjahren einerseits durch selbstinitiierte Gewaltaktionen, andererseits durch die Erfassung und Beobachtung von Freimaurern, Kommunisten und vor allem Juden. So war die organisatorische Voraussetzung geschaffen, die immer radikaleren staatlichen Maßnahmen zu unterstützen und sogar zu kontrollieren.

Die Ortsgruppenleiter waren am Beginn der "Kampfzeit" nahezu autonome Statthalter Hitlers. Aber bereits mit der Schaffung der Gaue sanken Ansehen und Einfluß der lokalen Organisationen. Mit dem Aufstieg zur Massenpartei wurden die Parteiorganisation ausdifferenziert und Zuständigkeiten auf höhere Ebenen verlegt. Bis auf wenige Ausnahmen übten die Ortsgruppenfunktionäre bis zum Zusammenbruch des "Dritten Reiches" ihre Aufgaben neben ihrem eigentlichen Beruf ehrenamtlich aus, die Aufstiegsmöglichkeiten in der Parteihierarchie waren gering. Eine Parteikarriere war daher wenig attraktiv, gerade junge Akademiker zogen die schnellen Aufstiegsmöglichkeiten in der SS vor. Durchgängig gab es Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. Gegen Kriegsende wurde sogar vom ehernen Grundsatz der NSDAP abgewichen: Frauen durften in den Ortsgruppen Leitungspositionen übernehmen.

Die "Politischen Leiter", so der Sammelbegriff für die Parteifunktionäre, waren einer ständigen Beurteilung durch die vorgesetzten Stellen ausgesetzt. Ob die vielfach realistischen Einschätzungen tatsächlich Einfluß auf die Personalpolitik hatten, konnte Reibel nicht feststellen. Die vermeintliche Allmacht der Partei scheint beim Eintreiben der Beiträge ihre Grenze gefunden zu haben. Harte Sanktionen fand Reibel äußerst selten in den Quellen. Der Umgang mit säumigen Zahlern war bis zum Zusammenbruch immer Diskussionspunkt zwischen den hierarchischen Ebenen der Partei: Die Basis wollte "scharf durchgreifen", die Reichsleitung den Parteiausschluß als letztes Mittel nicht leichtfertig eingesetzt wissen.

Reibel schlägt sich in seiner Schlußbetrachtung auf die Seite derjenigen, die die Rolle Hitlers als zentrale und entscheidende Figur des "Dritten Reiches" relativieren. Die vorgelegten Ergebnisse machen eine solche Interpretation jedoch nicht nachvollziehbar, so sehr die Studie auch die Kenntnisse über das Funktionieren der Parteiorganisation erweitert.

KLAUS A. LANKHEIT

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das Buch Reibels untersucht das Phänomen der untersten Organisationsebene der NSDAP und kommt zu dem Schluss, dass die Ortsgruppen nicht nur die "Basisarbeit für die Loyalität zum NS-Regime leisteten", sondern verschiedenste Aufgaben zu erledigen hatten, erfahren wir von Jürgen Zarusky. Unter anderem waren sie "Anlaufstelle für Denunzianten", sie sorgten für die erwarteten Wahlergebnisse mit Hilfe eines parteiinternen "Wahlschleppdienstes. Sie waren wesentlich beteiligt an der landesweiten "Judenverfolgung" und gegen Ende des zweiten Weltkrieges bedeutete ihre zentrale Aufgabe die "Stabilisierung der Heimatfront". Der emigrierte Politologe Franz Neumann hatte bereits 1944 "die Bedeutung der Partei für die Stabilität der Hitler-Diktatur" hervorgehoben und der NSDAP bescheinigt, "ohne die Partei würde Deutschland zusammenbrechen", berichtet der Rezensent und wundert sich über die "relativ geringe Beachtung", welche die aktuelle "öffentliche Diskussion" diesem Phänomen schenkt. Carl-Wilhelm Reibels leistet nun einen "soliden Beitrag" zu diesem Thema und beweist, dass die frühen Behauptungen Neumanns keine Übertreibungen waren, lobt Zarusky.

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