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In dem Titelgedicht "Am Robbenkap" - John Burnside gewidmet - geht es unheimlich zu wie in einer alten Legende: Von einer Frau mit vier blinden Kindern ist die Rede, halb Menschen, halb Fische, die wie Ratten zwitscherten und eines Tages von ihrem betrunkenen Vater abgestochen wurden. Im Hintergrund dieser tief von der schottischen Landschaft geprägten Gedichte: das Meer und sein "vorwurfsvolles Zerren und Wogen", eine unheimliche (und von Robertson unheimlich belassene) Natur und die Vergänglichkeit von Dingen und Menschen. Der Dichter Jan Wagner hat für die Verse dieses bedeutenden, in…mehr

Produktbeschreibung
In dem Titelgedicht "Am Robbenkap" - John Burnside gewidmet - geht es unheimlich zu wie in einer alten Legende: Von einer Frau mit vier blinden Kindern ist die Rede, halb Menschen, halb Fische, die wie Ratten zwitscherten und eines Tages von ihrem betrunkenen Vater abgestochen wurden. Im Hintergrund dieser tief von der schottischen Landschaft geprägten Gedichte: das Meer und sein "vorwurfsvolles Zerren und Wogen", eine unheimliche (und von Robertson unheimlich belassene) Natur und die Vergänglichkeit von Dingen und Menschen. Der Dichter Jan Wagner hat für die Verse dieses bedeutenden, in Schottland geborenen Lyrikers wunderbare deutsche Entsprechungen gefunden.
Autorenporträt
Jan Wagner, 1971 in Hamburg geboren, lebt in Berlin. 2001 erschien sein erster Gedichtband "Probebohrung im Himmel". Es folgten "Guerickes Sperling" (2004), "Achtzehn Pasteten" (2007), "Australien" (2010), "Die Eulenhasser in den Hallenhäusern" (2012) und der Sammelband "Selbstporträt mit Bienenschwarm" (2016) und zuletzt "Die Life Butterfly Show" (2018) sowie die Essaybände "Der verschlossene Raum" (2017) und "Der glückliche Augenblick" (2021). Für seinen Gedichtband "Regentonnenvariationen" (2014) gewann er 2015 den Preis der Leipziger Buchmesse, 2017 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

Wagner, JanJan Wagner, 1971 in Hamburg geboren, lebt in Berlin. 2001 erschien sein erster Gedichtband "Probebohrung im Himmel". Es folgten "Guerickes Sperling" (2004), "Achtzehn Pasteten" (2007), "Australien" (2010), Die Eulenhasser in den Hallenhäusern (2012) und der Sammelband Selbstporträt mit Bienenschwarm (2016). Zuletzt erschien der Essayband Der verschlossene Raum (2017). Für seinen Gedichtband Regentonnenvariationen (2014) gewann er 2015 den Preis der Leipziger Buchmesse, 2017 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit den nun in deutscher Auswahl und Nachdichtung vorliegenden Gedichten des schottischen Lyrikers Robin Robertson lernt Tobias Döring zweierlei: erstens, wie Flora und Fauna zwar als sinnlicher Anker fungieren können, letztlich jedoch unverfügbar bleiben müssen. Und zweitens, dass gerade schottische Autoren für derartige "Randgänge der Sprache" prädestiniert sind. Jan Wagners Neufassungen der Gedichte scheinen Döring zwar erstaunlich nah an den subtilen Klangmustern des Originals zu sein, eine zweisprachige Ausgabe und die unmittelbare Erfahrung von Robertsons Texten wären für ihn dennoch die glücklichere Verlagsentscheidung gewesen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2013

Die Härchen des Herzens

Eine Artischocke wird entschlüsselt, ein Dichter entdeckt: Jan Wagner hat erstmals die Lyrik des Schotten Robin Robertson ins Deutsche übertragen.

Wer jemals Artischocke aß, weiß um die suggestive Wirkung dieser Pflanze. Ihr langsam ein Blatt nach dem andern abzuzupfen und deren unteres Ende sorgsam auszulutschen, bis die Blättchen im Verborgenen immer feiner, zarter sowie nahrungsärmer werden und erst ganz zum Schluss ihr Innerstes als köstliche Delikatesse freigeben, ist ein Vorgang, der nicht nur kulinarisch Lust bereitet. Noch nie aber hat man ihn so suggestiv und zugleich nüchtern formuliert gefunden wie im gleichnamigen Gedicht von Robin Robertson aus dem Debütband von 1997: "Die zugeknöpften Blätter / lösen sich / in neckischem Grün und dünnen / aus bis hinab zur Haut: / die kraftvollen, die dunkelroten / Anfänge des Männlichen. // Die langsamen Härchen des Herzens dann: / die Frucht, die ihre Trophäe hütet, / den pflanzlichen Pokal. / Der Kern des Ganzen, bloßgelegt, / gewendet und al dente, / ein Wurzelstumpf, voll Weh in seinem Öl."

Was hier in knappen und meistenteils ganz bodenständig-alltagssprachlichen Worten erzählt wird, ist Enthüllung und Erfüllung und zugleich Entzauberung - ein Vorgang, der in solcher Sprachgebung beständig zwischen den Bedeutungsebenen changiert und das sinnlich Konkrete seiner Küchenbasis mit weiteren Suggestionen verbindet, hier vor allem dem sinnlich Erotischen des Entblätterns. Dazu erzählt dieses Gedicht auch noch eine Geschichte des Lesens als Prozess allmählicher Erschließung und langsamer Sinngebung, wie wir sie im aktuellen Akt unserer Lektüre selbst vollziehen, bis wir wissen oder hoffen, den Kern des Ganzen bloßgelegt zu haben. So teilt uns Sprache oftmals mehr als nur die eine Sache mit, wenn sich ihr Wurzelstumpf, das materiell Erfahrbare ihrer Basis, zu immateriellen Vorstellungen auswächst und verfeinert, den Härchen des Herzens gewissermaßen, mit denen andere Berührung möglich ist.

Selten kann man dies derart präzise spüren wie in der Lyrik des schottischen Autors Robin Robertson, Jahrgang 1955. Hauptberuflich Lektor großer Londoner Literaturverlage, außerdem als Übersetzer aus dem Altgriechischen hervorgetreten, hat er in den letzten fünfzehn Jahren vier schlanke, aber vielbeachtete Gedichtbände herausgebracht und damit wichtige Preise gewonnen. In Nachdichtungen von Jan Wagner liegt jetzt eine schöne Auswahl von 45 Texten erstmals auf Deutsch vor.

Landschaftsszenarien werden hier entworfen, karge Küsten, Strände oder Wälder; allerhand Tiere treten auf, Dohlen, Otter, Rehe, Falken, Eidechsen und Pferde; zuweilen sind es auch konkret benannte Orte, die einen sinnlichen Anker für die Sprache der Gedichte bilden. Doch von solchen Ausgangspunkten lösen diese Texte sich oftmals und weiten ihren Sinnhorizont, ohne doch die Bodenhaftung jemals zu verlieren. Ganz ähnlich wie bei John Burnside, dem gleichaltrigen schottischen Lyriker und Erzähler, dem das Titelgedicht dieser Sammlung gewidmet ist, liegt die besondere Attraktion stets im Unverfügbaren der Wirklichkeit, die uns doch so greifbar gegenübertritt. Vielleicht ist es die lange Geschichte der historisch-kulturellen Randständigkeit Schottlands, die gerade Autoren dieses Literaturlandes in die Lage bringt, solche Randgänge der Sprache zu riskieren.

Leider lässt der Band uns das nur mittelbar erfahren, denn entgegen den Gepflogenheiten dieser längst bewährten Lyrikreihe verzichtet er auf Wiedergabe der Originaltexte und bietet nur die Übersetzung. Dabei brauchten die subtilen Neufassungen von Jan Wagner, dem wir in so vielen Fällen wunderbare Zugänge zur britischen Gegenwartslyrik danken, keinerlei Vergleich zu scheuen. Gerade die subtilen Klangmuster, mit denen Robertson seine Texte durchzieht und gliedert, finden hier im Deutschen oftmals ganz erstaunlich stimmige Entsprechung. Wer sich aber vom Originalklang Robertsons Eindrücke verschaffen will, muss selbst auf die Suche gehen (und wird beispielsweise unter www.poetryarchive.org fündig - hier lässt sich übrigens auch hörend erleben, mit welcher Emphase der Autor rezitiert).

In einem der stärksten Texte dieser Sammlung, einem Sonett mit dem kuriosen Titel "Vermählung der Schlossertochter", jedenfalls finden Klang- und Sinnmuster auf ganz besonders beziehungsreiche Art zusammen, wenn sich der Akt einer Eheschließung mit einem Schlüssel-Schloß-Mechanismus und dem poetischen Prinzip von Sprache, im Gedicht selbst manifest, vor unseren Augen und Ohren verbinden: "Einmal da, schmiegt der Schlüssel sich an die Matrize; / für einander bestimmt, umschlungen, drehen / sie sich gemeinsam, stoßen das Schnappschloß auf, / legen den Riegel um. Daktylen, Jamben - // Worteklammern - verborgene Kuppelei / im Werksgehäuse." In derart wechselseitiger Verkuppelung, Verschlingung und Verklammerung wird hier das Werkprinzip von Sprache offenbar.

TOBIAS DÖRING

Robin Robertson: "Am Robbenkap". Gedichte.

Aus dem Englischen von Jan Wagner. Edition Lyrik Kabinett. Carl Hanser Verlag, München 2013. 70 S., geb., 14,90 Euro.

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