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Ein junger Autor wendet sich mit seinem Erstlingsroman schüchtern an den Nobelpreisträger Thomas Mann - und wird freundlich abgewimmelt. Ein halbes Jahrhundert später reist der Autor selbst nach Stockholm, den Preis entgegenzunehmen. Elias Canetti bezeichnete sich selbst gelegentlich als schlechten Briefschreiber. Dem zum Trotz ergibt der Schatz seiner Briefzeugnisse einen einmaligen Lebensroman. Knapp 600 Briefe an Gefährten und Freunde, Kritiker und Leser ebenso wie an Kollegen wie Theodor W. Adorno, Thomas Bernhard, Erich Fried, Claudio Magris, Marcel Reich-Ranicki oder Hilde Spiel führen…mehr

Produktbeschreibung
Ein junger Autor wendet sich mit seinem Erstlingsroman schüchtern an den Nobelpreisträger Thomas Mann - und wird freundlich abgewimmelt. Ein halbes Jahrhundert später reist der Autor selbst nach Stockholm, den Preis entgegenzunehmen. Elias Canetti bezeichnete sich selbst gelegentlich als schlechten Briefschreiber. Dem zum Trotz ergibt der Schatz seiner Briefzeugnisse einen einmaligen Lebensroman. Knapp 600 Briefe an Gefährten und Freunde, Kritiker und Leser ebenso wie an Kollegen wie Theodor W. Adorno, Thomas Bernhard, Erich Fried, Claudio Magris, Marcel Reich-Ranicki oder Hilde Spiel führen tief hinein in die Kulturwelt Nachkriegseuropas - und in ein einzigartiges Jahrhundertleben.
Autorenporträt
Elias Canetti wurde 1905 in Rustschuk/Bulgarien geboren und wuchs in Manchester, Zürich, Frankfurt und Wien auf. 1929 promovierte er in Wien zum Dr. rer. nat. 1930/31 erfolgte die Niederschrift seines Romans Die Blendung, der 1935 erschien. 1938 emigrierte Canetti nach London, wo er anthropologische und sozialhistorische Studien zu Masse und Macht (1960) aufnahm. Ab den 1970er Jahren lebte er vorwiegend in der Schweiz und erlangte weiterreichende Berühmtheit mit seinen Theaterstücken, den Aufzeichnungen und den autobiographischen Büchern, darunter Die gerettete Zunge. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. 1994 starb er in Zürich.

Sven Hanuschek, geboren 1964, ist Publizist und Professor am Institut für deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuletzt erschien bei Hanser Arno Schmidt (Biografie, 2022), bei Zsolnay Laurel und Hardy (Eine Revision, 2010), außerdem ist er einer der Herausgeber von Elias Canettis Briefen, die 2018 unter dem Titel "Ich erwarte von Ihnen viel" erschienen sind. Er lebt in München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2018

Dieser Mensch war mein Geschöpf
Knapp sechshundert Briefe von Elias Canetti sind neu ediert worden. Von einem intellektuellen oder
literarischen Leben ist darin wenig zu finden. Es sind Dokumente einer extremen Eitelkeit
VON THOMAS STEINFELD
Ein paar Tage, nachdem Elias Canetti im Herbst 1963 bei einem Gefährten, dem Berliner Schriftsteller und Kritiker Rudolf Hartung, zu Gast gewesen ist, schreibt er ihm einen Brief der Zerknirschung: „Die unaufhörlichen Ich-Reden, laut, zwanghaft, besessen, klingen mir selber im Ohr nach.“ So sehr schämt er sich offenbar, dass er um die Freundschaft fürchtet: „Jetzt scheint mir, ich muss Ihre Freundschaft verloren haben, denn wer hält so etwas aus.“ Doch Elias Canetti verliert den Gefährten nicht. Darüber wundert sich der Leser dieses Briefes, der keinen der beiden Freunde persönlich kennt.
Denn ist nicht auch diese Zerknirschung eine Form der ausschweifenden Selbstreflexion, ist nicht der ganze, lange Brief, in dem Elias Canetti seinem Gegenüber schon bald ein Kompliment nach dem anderen zu machen scheint, nicht ein neuerliches Zeugnis einer völligen Fixierung auf die eigene Person, die das Gegenüber nur als Spiegel benötigt? Rudolf Hartung muss ein Mensch mit einem weiten Herzen gewesen sein, zumal ihm Canetti im selben Brief versichert, er betrachte den Freund als „gleichgestellt“ – was ein Widerspruch in sich ist, denn es bedarf einer übergeordneten Warte, um einem Menschen den Platz im Leben zuzuweisen.
Knapp sechshundert Briefe Elias Canettis enthält der Band, von dem vielleicht zu erwarten gewesen wäre, dass er Einblick in die Entstehungsgründe eines Werks vermittelte, das trotz allem, mit oder ohne den Nobelpreis des Jahres 1981, zu den großen literarischen und womöglich sogar theoretischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Die Ausgabe entspricht etwa der Hälfte des Bestandes an Briefen, die unveröffentlicht geblieben waren, nachdem die Briefe, die Elias Canetti und seine Frau Veza an den Bruder Georges Canetti geschrieben hatten, im Jahr 2006 publiziert wurden und die Briefe an eine Geliebte, die Malerin Marie-Louise von Motesiczky im Jahr 2011.
Schon diese beiden Ausgaben waren angetan, Zweifel nicht nur an der moralischen (darauf käme es bei einem Schriftsteller nicht an), sondern auch an der intellektuellen Integrität Canettis zu wecken. Die Briefe an Georges entpuppten sich als Dokumente einer verworrenen Dreiecksbeziehung, in der Canetti seine Frau an „Verzweiflung“ zu übertrumpfen suchte. Die Briefe an Marie-Louise von Motesiczky enthüllten ein über vierzig Jahre bestehendes Verhältnis, in dem die Geliebte vorwiegend als Dienerin an der Herrlichkeit ihres Gebieters auftritt, dazu bestimmt, gedemütigt und hintergangen zu werden.
Die nun veröffentlichten Briefe sind vor allem Dokumente einer zunächst sehr langsamen, gegen Ende aber glorreichen literarischen Karriere. Sie beginnen im Jahr 1932, als Canetti seinen ersten Roman, die „Blendung“, geschrieben hatte, eine Veröffentlichung aber höchst unsicher war. Sie berichten von seinem Exil in London, vom wachsenden Erfolg, der sich nach dem Krieg einstellt, vom späten Leben als berühmter Dichter mit doppeltem Wohnsitz, zwischen Zürich und Großbritannien pendelnd. Die Adressaten seiner Briefe sind vor allem die beruflichen Gefährten, die Freunde und Förderer auf der einen Seite, auf der anderen die professionellen Vermittler, die Verleger und Lektoren, die Germanisten und Journalisten sowie die Veranstalter von Lesungen und Konferenzen. Folglich geht es in diesem Band oft um Verabredungen, um Reisen, um Auflagen und Honorare. Und auch ein paar rein private Dokumente sind in die Sammlung gemischt, zum Beispiel der ebenso hoffärtige wie niederträchtige Brief an Marie-Louise von Motesiczky vom Dezember 1973, in dem er seine ehemalige Geliebte dazu beglückwünscht, ihn für seine zweite Ehe (die Canetti zunächst vor ihr verborgen gehalten hatte) freigegeben zu haben: „In Deinem Brief hast Du mir zum ersten Mal bewiesen, dass Du weißt, wirklich weißt, was ein Dichter ist.“
Hinzu kommen Briefe an andere Schriftsteller oder Philosophen, an Theodor W. Adorno oder Claudio Magris, an Roberto Calasso und Günter Kunert.
Ein intellektuelles, gar literarisches Leben aber findet in Elias Canettis Briefen kaum statt. Stattdessen hagelt es Urteile, harsche zumal. Hans Magnus Enzensberger erscheint ihm, einer kritischen Rezension wegen, als „armselig“ und „jämmerlich“. Stefan Zweig wird zu einer „Mediokrität“ und zu einer „Null“ ernannt. Peter Weiss, „einem sehr überschätzten Mann“ mit „schwachsinnigen Einfällen“, ergeht es nicht anders als Hugo von Hofmannsthal, der auch „maßlos überschätzt“ sein soll. Aber diese beiden stehen noch besser da als Marcel Reich-Ranicki, der als „schwer erträglicher Mensch“ bezeichnet wird, als „ahnungsloser Schulmeister, und zwar in einer slawischen Formation“.
Manche Verdikte Elias Canettis sind schlichte Denunziationen, geschrieben, um Dritten zu schaden. Von Karl Kraus, dem Lehrmeister der frühen Jahre, hatte Canetti die Schärfe des persönlichen Urteils gelernt. Wenn aber bei Karl Kraus hinter der Person stets das Amt oder die Funktion zu erkennen war – in Moriz Benedikt die Presse, in Hermann Bahr die Geschäftemacherei mit der Kunst, im Polizeipräsidenten Johann Schober der Opportunismus der Pflicht –, zielen Elias Canettis Angriffe auf die Person. Er ist ein Virtuose der Dramatisierung und der Verachtung. Er will vernichten.
Den harten Urteilen stehen Klagen über die eigene Befindlichkeit (oft katastrophal) sowie die Schmeicheleien gegenüber, mit denen Canetti manche seiner Briefpartner überschwemmt. Dem auch zu Lebzeiten nur wenigen bekannten Schriftsteller Theodor Sapper teilt er mit, er „betrachte es als eine Ehre, Ihr Zeitgenosse zu sein“. Dem kaum berühmteren Hermann Zand, es gebe „ganz wenige Menschen auf der Welt, die mir so wichtig sind wie Sie“. Herbert Göpfert, der im Hanser Verlag die Bücher Elias Canettis als Lektor betreute, wird zum „vollkommenen Freund“ erklärt. Überhaupt freut sich der Schriftsteller oft „schrecklich“, wenn er einen halbwegs willkommenen Brief erhält.
Unterwürfigkeit und Selbstüberhöhung (gelegentlich auch mit angemaßtem Professorentitel) erscheinen als zwei Seiten eines Verhältnisses, in dem die Maßstäbe allen Tuns und Handelns wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben, sondern allein in das Selbstgefühl eines einzelnen, unendlich ehrgeizigen Menschen fallen. So kommt es, dass Canetti dem Philosophen Theodor W. Adorno zur „Offenheit“ des „Geistes“ gratuliert, ohne seiner Unverschämtheit auch nur im Geringsten inne zu werden. Oder dazu, dass er den Tod der Schriftstellerin Friedl Benedikt, einer weiteren Geliebten, mit den Worten kommentiert: „Dieser Mensch war mein Geschöpf und eine bedeutende Dichterin.“
Das schlechte Betragen des „Gott-Monsters“ (so ein Biograf) könnte der Literaturkritik gleichgültig sein, wäre da nicht die Frage, ob ein Extremismus der Eitelkeit nicht doch auch das Werk kontaminiert. Dieser Zweifel trifft zunächst die autobiografischen Schriften, den erfolgreichsten Teil in Canettis Œuvre, dessen dokumentarischer Wert durch den radikalen Subjektivismus der Perspektive zumindest relativiert wird – was nicht dagegen spricht, dass so viel Besessenheit, die Bedeutung der eigenen Person betreffend, ein eigener literarischer Gegenstand sein kann.
Der Zweifel gilt aber auch den eher philosophischen Werken Canettis, allen voran seinem Hauptwerk „Masse und Macht“ (1960): „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes“, heißt etwa einer der zentralen Sätze dieser Schrift. Streng betrachtet, ist diese Behauptung schlichter Unsinn. Denn wenn man nicht weiß, wovor man sich fürchtet: Woher soll die Gewissheit kommen, dass man davon berührt wird? Der Leser, wohlwollend, wie er meistens ist, wird sich einiges hinzudenken müssen, Kellergeister zum Beispiel oder aus der Ferne ins Land drängende Flüchtlinge, um diesem Satz einen vagen Sinn abzugewinnen. Je mehr der Leser nun über Elias Canetti und den Extremismus der Eitelkeit weiß, desto mehr wird er geneigt sein, das offensichtlich Unklare auf einen Willen zur steilen These zurückzuführen und deren Ursprung also nicht in der Sache, sondern in der Person zu suchen.
„Deserteure der Neuzeit“ nannte der Medienwissenschaftler Norbert Bolz die „extremen Existenzen“ der Weimarer Republik, Menschen wie Walter Benjamin, Carl Schmitt oder auch Karl Kraus, die, jeder auf eine andere Art, davon überzeugt waren, allein auf sich gestellt einen finalen Kampf gegen die moderne Welt führen zu müssen – der eine in Gestalt eines politischen Missionarismus, der andere in Form der politischen Theologie, der dritte als letzter Ritter der Aufklärung mit den Mitteln der Sprachkritik. Es mag sein, dass man Elias Canetti, einen Philosophen, dem Macht offenkundig nicht nur theoretischer Gegenstand, sondern auch ein dringendes persönliches Anliegen war, nach der Veröffentlichung der Briefe zu diesen Deserteuren zählen sollte.
Für ihn gälte allerdings die Besonderheit, dass kaum jemand seine Werke gelesen hatte, als er 1938 ins englische Exil gehen musste, wo seine Motive, Gedanken und Gestaltungsmittel, abgeschnitten nicht nur von ihrem ursprünglichen Milieu, sondern auch von der Geschichte, gleichsam konserviert blieben. Als er dann, beginnend in den Sechzigern, ein größeres Publikum erreichte, kehrte mit ihm eine verloren geglaubte Vergangenheit zurück, lebendig geblieben und auf vitale Weise vom Alten erfüllt. Gewiss, es gibt Werke Elias Canettis, über die anders zu reden wäre – vor allem seine nachgelassenen Aufzeichnungen über den Tod (2003). Doch sind seine Briefe ein mehr als hinreichender Grund, sich einzugestehen, dass die Jahrzehnte, in denen sich eine solche unmittelbare Verbindung zum Wien zwischen den Kriegen geöffnet zu haben schien, längst selbst Vergangenheit sind.
Elias Canetti: Ich erwarte von Ihnen viel. Briefe 1932 – 1994. Herausgegeben von Sven Hanuschek und Christian Wachinger. Carl Hanser Verlag, München 2018. 866 Seiten, 42 Euro.
Den harten Urteilen stehen
Klagen über die eigene
Befindlichkeit gegenüber
Kaum jemand hatte die Werke
Canettis gelesen, als er 1938 ins
englische Exil gehen musste
Elias Canetti 1980 in München beim Signieren des Buches „Die Fackel im Ohr“, des zweiten Bandes seiner Autobiografie.
Foto: Isolde Ohlbaum
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Richard Kämmerlings lernt einen nicht eben sympathischen "monologisch veranlagten" Elias Canetti kennen in diesen von Sven Hanuschek herausgegebenen Briefen des Autors. Eine Handvoll Briefe aus den 30er Jahren und vor allem die nach nach 1960 entstandene Korrespondenz zeigt Kämmerlings die eher offizielle Seite Canettis, den Strippenzieher und Organisator der eigenen Karriere, aber auch den bösartigen Kollegen. Und noch etwas lernt Kämmerlings hier: dass Canettis Äußerungen, vor allem die Wehleidsbekundungen nicht selten fiktiv sind. Die Erschütterung des Rezensenten beim Lesen echter Trauerzeugnisse aus der Hand des Autors verringert das allerdings nicht. Der Leser komme Canetti hier in jedem Fall näher als über dessen Selbstcharakterisierungen, meint er.

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"Von der Lektüre dieser Briefe darf viel erwartet werden." Thomas Macho, Süddeutsche Zeitung, 02.01.2019

"Diese Briefe machen noch einmal nachvollziehbar, wie Elias Canetti nicht etwa seinen Zweifeln, sondern seiner zerstörerischen Zweifellosigkeit ein Jahrhundertwerk abgetrotzt hat." Richard Kämmerlings, Die Welt, 22.09.18