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Von der Staatsgrenze bis zum allgegenwärtigen Populismus in der Politik, von der Emanzipation des Randes vom Zentrum am Beispiel des grassierenden Separatismus bis zum Grenznutzen in der Ökonomie reichen die scharfsinnigen Überlegungen von Francesco Magris. Geboren in der Grenzstadt Triest, spürt er die Unterschiede auf, ohne die weder der Einzelne noch die Gesellschaft überlebensfähig wären. Anhand von Herman Melville, Franz Grillparzer, Charles Bukowski u.a. zeigt Magris den Anspruch auf die listig-anarchische Freiheit, selbstbewusst Grenzen zu überschreiten - nicht nur in der Literatur. Ein…mehr

Produktbeschreibung
Von der Staatsgrenze bis zum allgegenwärtigen Populismus in der Politik, von der Emanzipation des Randes vom Zentrum am Beispiel des grassierenden Separatismus bis zum Grenznutzen in der Ökonomie reichen die scharfsinnigen Überlegungen von Francesco Magris. Geboren in der Grenzstadt Triest, spürt er die Unterschiede auf, ohne die weder der Einzelne noch die Gesellschaft überlebensfähig wären. Anhand von Herman Melville, Franz Grillparzer, Charles Bukowski u.a. zeigt Magris den Anspruch auf die listig-anarchische Freiheit, selbstbewusst Grenzen zu überschreiten - nicht nur in der Literatur. Ein fundamentaler Essay des Ökonomen Francesco Magris über Grenzen und ihre Überschreitungen.
Autorenporträt
Magris, FrancescoFrancesco Magris wurde 1966 in Triest geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in Italien, Belgien und Cambridge und ist heute Professor für Ökonomie an der Universität von Tours, Frankreich. Die Grenze ist sein erstes Buch auf Deutsch.

Kopetzki, AnnetteAnnette Kopetzki, 1954 in Hamburg geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft und arbeitete viele Jahre als Universitätsdozentin und Journalistin in Italien. Sie übersetzte u.a. Pier Paolo Pasolini, Erri De Luca und Alessandro Baricco. 2019 wurde sie mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2019

Vergessen sei auch nicht der Bilderrahmen
Francesco Magris flicht Assoziationsgirlanden zum Thema Grenze

"Draw a distinction, and a world comes into being", lautet das Mantra, das der britische Mathematiker Georges Spencer-Brown den verschiedenen Spielarten des Konstruktivismus und der Systemtheorie aufgegeben hat. Wer eine Grenze zieht, bringt eine Welt hervor. Es gibt jetzt Innenwelt und Außenwelt, System und Umwelt. Die Welten von Kunst, Recht, Politik, Wirtschaft, Gender, Religion und Wissenschaft entstehen. Man kann mit der Ziehung oder der Aufgabe von Grenzen seine psychische Gesundheit wiederherstellen und verlieren, Politik machen, Wissenschaften erfinden. Man kann, wie Niklas Luhmann, Grenzen und Grenzziehung dazu benutzen, ein Lebenswerk zu erschaffen, das die Gesamtheit der Gesellschaftssysteme erklärt.

Man kann mit Grenzen aber auch ganz anders umgehen. Etwa, indem man ein Brainstorming zu allem macht, was einem zum Begriff "Grenze" einfällt - Grenznutzentheorie, Flüchtlingskrise, Triest, die Europäische Union, die Berliner Mauer, literarische Grenzen von Torquato Tasso bis Dostojewski, wissenschaftliche Grenzziehungen von Foucault bis Michail Bachtin, Facebook, die Moderne. All das kann man zu eingängigen Assoziationsgirlanden aufreihen und hinzufügen, was einem dazu wiederum einfällt. Zum Beispiel Einsichten wie die folgenden: "Der Rahmen bedeutet, dass das Wesentliche im Bild liegt, er begrenzt es nicht nur, sondern schützt es auch und ermöglicht seinen Transport" oder "Die heutige Welt ist ein Pulverfass, ein schwelender Herd teilweise entsetzlich blutiger Konflikte, die in den unterschiedlichsten Gegenden der Welt ausbrechen".

Dinge also, denen man zustimmen kann, weil man sie sich zur Not auch selber hätte denken können. Dem solcherart entstandenen Manuskript kann man einen Titel geben, diesen zum Beispiel: "Die Grenze. Von der Durchlässigkeit eines trennenden Begriffs". Wenn man ein gebildeter Mensch ist, wie etwa der Ökonomieprofessor Francesco Magris, dann entsteht durch diese Operationen eine Welt, in der es ein Buch mit dem Titel "Die Grenze" von Francesco Magris gibt.

In seinem Buch "Essay - BRD" postuliert der Literaturwissenschaftler Georg Stanitzek die Gattung des "apodeiktischen Essays", eine Art literarischen Festvortrag, in dem jene Gedanken, die jedem im Kopf herumgehen, in elaborierter Prunkrhetorik unter allgemeinem Beifall feierlich ausgesprochen werden: pro bono, contra malum. Unmittelbar einleuchten soll er, der apodeiktische Essay, und als literarisches Spitzenprodukt imponieren.

So nähert man sich hoffnungsvoll dem wichtigsten inhaltlichen pièce de résistance in diesem Buch: Magris' Polemik gegen die ökonomische Grenznutzentheorie. Er bezeichnet sie als ein "Interpretationsmodell, das sich eher für die Dynamiken totalitärer Regime eignet als für demokratische Systeme". Das mag wahr sein oder auch nicht. Jedenfalls ist die Grenznutzentheorie ein Wissensgebiet, über das man von einem Ökonomen einige Aufschlüsse erwarten könnte, zum Beispiel darüber, was sie eigentlich behauptet.

Francesco Magris jedoch vernichtet unsere Hoffnungen auf substantiellen Wissenserwerb mit Sätzen wie den folgenden: "Der ausgehend vom Konsum einer Ware bewertete Grenznutzen, also eine variable Größe subjektiver Natur, trägt dazu bei, den Marktwert festzulegen. Nimmt man die Beziehung, die sich zwischen Preis und Grenznutzen eingespielt hat, als Ausgangspunkt, lässt sich nämlich die Nachfrage nach einer bestimmten Ware bei jedem Konsumenten ermitteln, und man gelangt schließlich zum Nachfrageaggregat, indem man einfach die individuellen Nachfragen aggregiert, die natürlich sinken, wenn der Preis steigt." Natürlich. "Einfach" die individuellen Nachfragen "aggregieren", alles klar. Über die Grundprinzipien der ökonomischen Grenznutzenschule informiert man sich besser bei Wikipedia als bei Francesco Magris.

Man ist geradezu erleichtert, wenn man im letzten Kapitel wieder Dinge erfährt wie die Vermutung, "dass der Wohlfahrtsstaat wegen der derzeitigen Krise in naher Zukunft schwer zu erhalten" sein dürfte. Auch wenn man gern erfahren hätte, wie die "nahe Zukunft" mit der "derzeitigen Krise" zusammenhängt und wie man die Ansteckung der nahen Zukunft durch die derzeitige Krise (welche eigentlich genau?) möglicherweise verhindern könnte. Aber es ist einem dann auch schon alles eins.

Magris verwendet Grenzziehungen nicht als Methode scharfer Unterscheidung, sondern als Thema eines apodeiktischen Essays vulgo Festvortrags in Buchlänge. Auf Festvorträge reagiert man, den Regeln gebildeter Gesellschaft folgend, mit kräftigem, wenn auch insgeheim erleichtertem Beifall. Das Büfett ist eröffnet.

STEPHAN WACKWITZ.

Francesco Magris: "Die Grenze". Von der Durchlässigkeit eines trennenden Begriffs.

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Carl Hanser Verlag, München 2019. 128 S., geb., 18,- [Euro].

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"Magris arbeitet heraus, warum sich die Grenznutzentheorie so gut als Interpretationsmodell für die Dynamiken totalitärer Regime eignet und warum die Akzeptanz von Rändern, also Minderheiten, für die Demokratie überlebensnotwendig ist." Georg Renöckl, Falter, 20,03.19