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Lois Hechenblaikner fotografiert seit zwanzig Jahren die Fans der volkstümlichen Musikszene Österreichs und Südtirols. Dafür hat er weit mehr als einhundert Volksmusik-Feste und Open-Air-Konzerte besucht und an Fanwanderungen teilgenommen. Nicht den Musikern gilt sein Hauptaugenmerk, sondern den Menschen, die sich oft auf weite Reisen begeben und keinen Aufwand scheuen, um ihren Idolen nahe zu sein. Im Publikum der volkstümlichen Musikszene spiegelt sich eine soziale Flora, die der Soziologe Gerhard Schulze als »Harmoniemilieu« beschreibt: Die Sehnsucht nach einer heilen Welt wird zur…mehr

Produktbeschreibung
Lois Hechenblaikner fotografiert seit zwanzig Jahren die Fans der volkstümlichen Musikszene Österreichs und Südtirols. Dafür hat er weit mehr als einhundert Volksmusik-Feste und Open-Air-Konzerte besucht und an Fanwanderungen teilgenommen. Nicht den Musikern gilt sein Hauptaugenmerk, sondern den Menschen, die sich oft auf weite Reisen begeben und keinen Aufwand scheuen, um ihren Idolen nahe zu sein. Im Publikum der volkstümlichen Musikszene spiegelt sich eine soziale Flora, die der Soziologe Gerhard Schulze als »Harmoniemilieu« beschreibt: Die Sehnsucht nach einer heilen Welt wird zur stärksten und einzigen Triebkraft. Es geht um Geborgenheit und darum, zumindest für ein paar Stunden all den Problemen und Niederlagen des Lebens zu entkommen.In dieser Werkserie lässt Lois Hechenblaikner mit den Möglichkeiten der Großformatfotografie eine Typologie des Publikums der volkstümlichen Musikszene entstehen. Er dokumentiert Gesichtsausdrücke, Gestik und Kleidung der verschiedenen Protagonisten, fängt reichlich skurrile Momente ein, jedoch stets, ohne die Fotografierten zu verunglimpfen. In ihrem Detailreichtum machen die Fotografien Mentalitäten sichtbar und erzählen ganze Lebensläufe.
Autorenporträt
Hechenblaikner, LoisLois Hechenblaikner was born in 1958 in Tyrol where he lives and works today. After nearly two decades working in Asia as a travel photographer, Hechenblaikner returned to Tyrol and began exploring the impact of tourism on its landscape. His work has been shown in numerous solo and group exhibitions, most recently in Venice at the Arte Laguna Prize 2016. Steidl has published Hechenblaikner's Winter Wonderland (2012) and Hinter den Bergen (2015).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2019

Was sind denn das für Typen?
Kritik der zynischen Vermarktung: Lois Hechenblaikner porträtiert Fans volkstümlicher Musik

In der Szenencollage "BÖsterreich" von Nicholas Ofczarek und Robert Palfrader kommt Tirol besonders schlecht weg. Ein Einheimischen-Casting muss veranstaltet werden, weil der Bürgermeister dem Schnalzerwirt erklärt, dass in beider Heimatort zwar jährlich mehr als 27 Millionen Gäste übernachteten und 4,5 Milliarden Umsatz erzeugten, dass aber nur noch elf Einheimische hier lebten, "Spaghettifresser mitgerechnet" - also Südtiroler. Eine Satire, die sich den Umstand zunutze macht, dass Tirol wie kein anderes österreichisches Bundesland auf Expansion setzt, wenn es um die Schaffung immer neuer touristischer Attraktionen geht.

Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner hat sich in den Bänden "Off piste" (2009), "Winter Wonderland" (2012) und "Hinter den Bergen" (2015) mit den Auswüchsen dieses Umgangs mit der Natur auseinandergesetzt - schaurige Bilder der Verwüstung, die Menschenmassen hinterlassen, wenn die sie Bergwelt konsumieren. Nun überrascht er mit einem Band, der die Summe aus einem Vierteljahrhundert Beschäftigung mit dem Thema Volksmusik zieht. Aus einem Bestand von dreitausend Bildern hat Hechenblaikner hundert ausgewählt - und eine Themaverfehlung im Titel riskiert. Denn um echte Volksmusik geht es bei Hansi Hinterseer, den Zillertalern, den Kastelruther Spatzen keineswegs. Diese spielen volkstümliche Musik, die sich geschickt zeitgenössischer Strömungen bedient und deshalb als Quotenbringer auch von den Öffentlich-Rechtlichen geschätzt wird.

Der Band setzt ein mit Bildern von Massenaufläufen wie dem Hansi-Hinterseer Fan-Wochenende, dem Kastelruther Spatzenfest, dem Schürzenjäger Open Air oder dem Marc Pircher Fest. Mit Ausnahme von Hinterseer verzichtet der Fotograf auf eigene Bilder der Stars, er porträtiert stattdessen in klassischer August-Sander-Methode die Fans, meist paarweise. Sie kommen aus Österreich, der Schweiz, Norditalien, Bayern und Baden-Württemberg, aber auch aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen. Schotten sind darunter, Holländer, Amerikaner und sogar eine Israelin.

Wie sie sich kleiden, das hat mit Tracht kaum etwas zu tun, ein wirres Crossover aus Lederhosen, Minidirndl, Ethnoklimbim, Jeans und Basecap. Bis hin zum Phantasiekostüm: drei Hessinnen tragen Spitzhüte und Flickenschürzen, sie sehen so unglücklich aus, als kämen sie von der Resterampe der Walpurgisnacht. Zu sehen sind Berufskraftfahrer, Metzger, Industriereiniger, Pflasterer, Schlosser, Rentner, Justiz-Fachangestellte, Friseurinnen.

In einem begleitenden Aufsatz macht sich Wolfgang Ullrich Gedanken, ob diese Heile-Welt-Inszenierung womöglich eine sozialpolitische Bedeutung habe - indem sie für die temporäre Heilung jener Schicht sorgt, die im täglichen Leben vielleicht nicht viel Anlass zur Freude hat. Handelt es sich also um einen Fall von Seelsorge, wo Kirchen nicht hinkommen, der Staat zu kurz springt? Oder doch eher um zynische Geschäftemacherei einer Musik- und Fanartikel-Industrie, die Schrott unters Volksmusikvolk bringt? Hechenblaikners Bilder haben sich entschieden, die Antwort dem Betrachter zu überlassen. Er denunziert seine Gegenstände nicht. Die Porträts entstanden jeweils nach kurzen Gesprächen, unter Angabe von Vorname, abgekürztem Nachnamen, Herkunft und Beruf. So stehen die Fans da und fordern vom Betrachter nur eines - ernstgenommen zu werden.

HANNES HINTERMEIER

Lois Hechenblaikner: "Volksmusik".

Steidl Verlag,

Göttingen 2019. 152 S.,

120 Abb., geb., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2019

REISEBUCH
Fröhlich
sein
Volkstümliche Musik als
großes, touristisches
Geschäft im kritischen Blick
eines Tiroler Fotografen
VON HANS GASSER
Führt er sie vor? Oder bildet er nur ab? Wer die Fanporträts des Tiroler Fotografen Lois Hechenblaikner aus seinem neuen Buch „Volksmusik“ betrachtet, kann es sich leicht machen: arme Teufel, die sich von einer geldgierigen, volkstümlichen Musikindustrie abzocken lassen und es nicht mal merken.
Auf den zweiten, intensiveren Blick aber und nach Lektüre der guten, analytischen Texte lohnt es sich, das eigene Klischeebild vom volkstümlichen Kitsch kurz zu überdenken. Was bringt Zehntausende Menschen dazu, sich im Kitzbüheler Skigebiet mit Hansi Hinterseer auf Fanwanderung zu begeben, auf der ihr Idol ihnen wie der Heiland von einem Floß auf dem Schneekanonen-Speichersee aus zuwinkt? Warum kommen so viele Menschen seit Jahrzehnten zum alljährlichen Kastelruther Spatzenfest, kleiden sich wie ihre Helden in Trachtenwams, Stiefel und Lederhose und geben für all das ihre Ersparnisse aus?
Weil es sie sehr glücklich macht, ist die Antwort des Medientheoretikers Wolfgang Ullrich. Er sieht in solchen Events „eine letzte Gelegenheit, in einem trostlosen Leben doch noch ein bisschen Glück zu finden“, schreibt ihnen gar „eine soziale, therapeutische Rolle“ zu. Es gelte deshalb, die Beweggründe dieser Fans ernst zu nehmen. Denn viele seien überfordert von der Komplexität der Welt, abgehängt in der Leistungsgesellschaft, kulturell entwurzelt und oftmals emotional extrem bedürftig. Wenn ein solches Angebot diesen Mangel also zumindest zeitweise ausgleiche, sei dagegen nichts zu sagen. Es sei denn, die Produzenten dahinter würden sich selbst in zynischer Weise über ihre Anhänger lustig machen und nur auf maximalen Profit aus sein.
Ob und in welchem Grad das der Fall ist, beantworten die seit den 90er-Jahren entstandenen Bilder Lois Hechenblaikners nicht. Zwar zeigt er auch Merchandisingshops oder hochprofessionell organisierte Massenevents wie etwa das Open-Air-Konzert der Zillertaler Schürzenjäger, die es längst nicht mehr gibt. Doch darüber, ob die Stars ihre Fans aufrichtig ernst nehmen, deren Liebe also erwidern, kann man nur mutmaßen.
Der Volksmusiker Hans Well von den „Biermösl Blosn“ lässt in seinem Gastkommentar hingegen keinen Zweifel an den Absichten: „Die volkstümliche Musikszene lebt vom Bedürfnis nach Illusionen, nach heilen Scheinwelten (in denen Scheine eine große Rolle spielen).“ Der volkstümliche Anstrich, so Well, täusche darüber hinweg, „dass es sich bei diesen lustigen Musikanten um ziemlich ausgefuchste Geschäftsleute handelt, die ihre Kundschaft mit ausgeklügelten Merchandising-Methoden abzocken“. Ob das nun ehrenrühriger ist, als wenn Klassikfans ihren Stars hinterherreisen und sich deren Souvenirs kaufen, setzt Wolfgang Ullrich dem als berechtigte Frage entgegen.
Vielleicht liegt der maßgebliche Unterschied darin, dass die volkstümlichen Musiker stets suggerieren, ihre Musik sei mit der Region, aus der sie kommen, eng verbunden, es handle sich also um eine Fortschreibung der volksmusikalischen Tradition. Das ist natürlich meistens eine Lüge, die auch die Tourismusbranche gerne erzählt, weil sie davon profitiert.
Lois Hechenblaikner: Volksmusik. Steidl Verlag, Göttingen 2019. 152 Seiten, 120 Abb., 38 Euro.
Ist das ehrenrühriger, als wenn
Klassikfans ihren Stars
nachreisen und sie verehren?
Messias auf dem Schneekanonensee: Hansi Hinterseer bei einer
seiner Fanwanderungen. Die Anhänger der volkstümlichen Stars verschreiben
sich oft inwendig wie äußerlich ihren Idolen.
Fotos: Lois Hechenblaikner
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