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Konrad Adenauer und Ludwig Erhard - zwei »ungleiche Gründerväter« der Bundesrepublik Deutschland, die gemeinsam eine Ära prägten, sich dann aber über die Ausrichtung der Europapolitik zerstritten und einen erbitterten »Kampf ums Kanzleramt« lieferten, der in völliger Zerrüttung endete. Neben diesem großen Drama verblasst ein wenig die Tatsache, dass ihre alltägliche Zusammenarbeit vor allem von den Fachfragen des Wirtschaftsressorts bestimmt wurde. Genau hierauf richtet die neue Adenauer-Erhard-Edition in der »Rhöndorfer Ausgabe« ihr Augenmerk, indem sie Briefe, Memoranden und…mehr

Produktbeschreibung
Konrad Adenauer und Ludwig Erhard - zwei »ungleiche Gründerväter« der Bundesrepublik Deutschland, die gemeinsam eine Ära prägten, sich dann aber über die Ausrichtung der Europapolitik zerstritten und einen erbitterten »Kampf ums Kanzleramt« lieferten, der in völliger Zerrüttung endete. Neben diesem großen Drama verblasst ein wenig die Tatsache, dass ihre alltägliche Zusammenarbeit vor allem von den Fachfragen des Wirtschaftsressorts bestimmt wurde. Genau hierauf richtet die neue Adenauer-Erhard-Edition in der »Rhöndorfer Ausgabe« ihr Augenmerk, indem sie Briefe, Memoranden und Gesprächsaufzeichnungen versammelt, die sich auf die Wirtschaftspolitik im engeren Sinne beziehen. Behandelt werden ordnungspolitische Grundsatzfragen wie die Kartellgesetzgebung, die Mitbestimmung und die Regelung der Sozialpartner-Beziehungen. Die Dokumente geben aber auch Aufschluss über praktische und prinzipielle Aspekte der Konjunkturpolitik - etwa die Maßnahmen zur Sicherung des Wachstums, die Einhegung der Lohn- und Preisentwicklung sowie die Debatte um die gesellschaftlichen Folgen des Konsums. Es zeigt sich, wie das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft in der politischen Praxis ausgehandelt wurde. Somit wirft die Edition nicht nur einen neuen Blick auf das Verhältnis zwischen Adenauer und Erhard, sondern erschließt aus deren Perspektive auch die Frühgeschichte der bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik.
Autorenporträt
Prof. Dr. Dominik Geppert ist seit Oktober 2018 Professor für Geschichte des 19./20. Jahrhun-derts"an der Universität Potsdam. Von 2010-2018 war er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Peter Schwarz (1934-2017) war von 1966 bis 2000 Professor für Poli-tikwissenschaft und Zeitgeschichte an den Universitäten Osnabrück, Hamburg, Köln und Bonn und seit 1983 Mitherausgeber der "Rhöndorfer Ausgabe".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2020

Erhard und die Moral
Blick in Frühgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft

Dass die Zusammenarbeit zwischen Konrad Adenauer und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard von politischen und zwischenmenschlichen Spannungen überschattet war, ist seit langem bekannt. Nun verdeutlicht ein kürzlich veröffentlichter Quellenband zum Schriftwechsel zwischen Adenauer und Erhard, wie sehr sich diese Konflikte auch auf die normativen Grundlagen der Wirtschaftspolitik erstreckten, bis tief hinein in das jeweilige Menschenbild.

Ludwig Erhard ist seinen Zeitgenossen nicht nur als "Vater des Wirtschaftswunders" in Erinnerung geblieben, sondern zugleich durch seine Maßhalteappelle. So forderte er die Bundesbürger und vor allem Interessengruppen wie Gewerkschaften und Industrieverbände immer wieder auf, ihre Ansprüche in Grenzen zu halten, um die Leistungsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft nicht zu überfordern und keine inflationären Tendenzen heraufzubeschwören.

Der Quellenband verdeutlicht, welches normative Grundverständnis den Maßhalteappellen des Ministers zugrunde lag. So glaubte Erhard offensichtlich daran, nicht nur den Einzelnen, sondern auch Interessengruppen durch moralische Überzeugungsarbeit beeinflussen zu können. Sein grundsätzlich optimistisches Menschenbild brachte ihn dazu, "Moral Suasion" als Instrument der Wirtschaftspolitik einzusetzen. So äußerte er sich im Januar 1956 gegenüber dem Bundeskanzler: "Bisher habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass ein starker und entschlossener Wille und eine moralische Haltung, die um das Ganze weiß, gegenüber einer egoistischen Politik zuletzt obsiegt."

Diese Grundeinstellung brachte ihn jedoch regelmäßig in Konflikte mit Adenauer, der - auch bedingt durch seine Erfahrungen in der Weimarer Republik und der NS-Zeit - ein zutiefst pessimistisches Menschenbild vertrat. Adenauer misstraute allen Versuchen, Menschen oder gar organisierte Gruppen durch Überzeugungsarbeit zu bessern. Stattdessen sah er die Notwendigkeit, menschlichen Egoismus zu akzeptieren und - im Idealfall - politisch zu instrumentalisieren. So betrachtete er eine expansive Konjunkturpolitik als wichtiges Wahlkampfinstrument und witterte Gefahr, wenn sein Wirtschaftsminister im Vorfeld von Wahlen zum Maßhalten aufrief. Auch ergab es aus seiner Sicht keinen Sinn, frisch geweckte Konsumwünsche durch Maßhalteappelle wieder zu drosseln: "Jetzt plötzliche Zurückhaltung und Enthaltsamkeit zu predigen, halte ich für völlig aussichtslos."

Auch Adenauer propagierte jedoch keineswegs unbegrenztes Konsumdenken. Vielmehr vertrat auch er eine Idee des "rechten Maßes", die nicht zuletzt durch seine Kontakte zur katholischen Soziallehre bestimmt war. Ein solches "Maßhalten" äußerte sich jedoch gerade nicht in Form von Appellen an einzelne Akteure, sondern vielmehr als grundsätzliche Relativierung ökonomischer Ziele im Vergleich zu anderen Politikfeldern. So betrachtete er die Wirtschaftspolitik als Teil einer umfassenden Gesellschaftspolitik, bei der es nicht ausschließlich um die Steigerung des Sozialproduktes ging. Gerade weil Menschen in Marktprozessen unabdingbar egoistisch handelten, sollte der Markt aus Adenauers Sicht nicht alles regeln.

Daher hatte Adenauer im Gegensatz zu Erhard keine Probleme damit, insbesondere im Bereich der Daseinsfürsorge marktwirtschaftliche Instrumente gegenüber anderen Ansätzen zurückzustellen. Ein Beispiel dafür war die Dynamisierung der Renten ("Schreiber-Plan") im Jahr 1957 mit Hilfe der SPD, bei der Adenauer die Warnungen seines Wirtschaftsministers vor einer "falschen Sozial-Romantik" ignorierte.

Doch zurück zum Quellenband der "Rhöndorfer Ausgabe": Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie Erhard mit seiner moralischen Überzeugungsarbeit bereits in den fünfziger Jahren ins Hintertreffen geriet. Nicht nur Adenauer, sondern auch breite Teile der Öffentlichkeit brachten seinen Appellen an die Eigenverantwortung von Interessengruppen kein Verständnis entgegen. So kann es nicht verwundern, dass Erhard später als Bundeskanzler mit seinem Entwurf einer "Formierten Gesellschaft" (1965) noch größeres Unverständnis erntete, was letztlich zu seinem Scheitern beitrug. Seine Vorstellung, Gewerkschaften, Unternehmensverbände und Lobbygruppen würden eigenverantwortlich auf die Begehrlichkeiten ihrer Mitglieder einwirken, passte offensichtlich nicht zur bundesdeutschen Realität. Hier zeigt sich nicht zuletzt die Tragik eines Politikers, der die Verantwortungsbereitschaft von Bürgern, Unternehmen und Verbandsvertretern überschätzt hatte.

Der Band liefert somit nicht nur wertvolle Einblicke in die Genese der Sozialen Marktwirtschaft, sondern verdeutlicht zugleich grundlegende ethische Dilemmata der Wirtschaftspolitik: So führt wirtschaftlicher Erfolg eher zu einer Ausweitung von Ansprüchen als zu saturierter Mäßigung, und Eigenverantwortung erweist sich zumeist als knappe Ressource. Daher gerät Ordnungspolitik, die Eigeninitiative ermöglicht und Anreize zur Schaffung von Wohlstand setzt, regelmäßig in einen Konflikt mit anderen sozial- und gesellschaftspolitischen Zielen, der zumeist nur situativ entschärft, aber kaum endgültig gelöst werden kann. Aus diesem Grund wird die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft nicht zuletzt davon abhängen, dass es - wie von Müller-Armack mit dem Begriff der "irenischen Formel" angedeutet - gelingt, unterschiedliche Interpretationen des "rechten Maßes" immer wieder neu zu versöhnen.

CHRISTIAN HECKER

Dominik Geppert / Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft, Rhöndorfer Ausgabe, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn et al. 2019, 1216 Seiten, 129 Euro.

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