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Als »Barrikadenpianist« hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker - Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter.
Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am Null-Meridian ist
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Produktbeschreibung
Als »Barrikadenpianist« hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker - Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter.

Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am Null-Meridian ist Schluss. Dort sendet sein »Radio Nacht« rund um die Uhr Musik, Poesie und Geschichten in die sich verfinsternde Welt.

Radio Nacht, in der Ukraine 2020 erschienen, ist nicht nur ein sprachliches Feuerwerk, sondern ein Gegenwartsroman von eminenter Aktualität. Klimaproteste, Pandemie, die Bedrohung durch Russland - er handelt von einer Zeit, in der die Hoffnungen auf radikale Veränderungen begraben werden.
Autorenporträt
Juri Andruchowytsch, geboren 1960 in Iwano-Frankiwsk/Westukraine, dem früheren galizischen Stanislau, studierte Journalistik und begann als Lyriker. Außerdem veröffentlicht er Essays und Romane. Andruchowytsch ist einer der bekanntesten europäischen Autoren der Gegenwart, sein Werk erscheint in 20 Sprachen. 1985 war er Mitbegründer der legendären literarischen Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu (Burlesk-Balagan-Buffonada). Mit seinen drei Romanen Rekreacij (1992; dt. Karpatenkarneval, 2019), Moscoviada (1993, dt. Ausgabe 2006), Perverzija (1999, dt. Perversion, 2011), die unter anderem ins Englische, Spanische, Französische und Italienische übersetzt wurden, ist er unfreiwillig zum Klassiker der ukrainischen Gegenwartsliteratur geworden.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein faustisches Spiel ist "Radio Nacht" des Ukrainers Andruchowytsch für Rezensentin Christiane Pöhlmann, aber leider eines, das in ihren Augen nicht so recht aufgehen mag. Der Protagonist Josip Rotsky schildert in seiner Radioshow sein bewegtes Leben, auch an der Seite Meph(isto)s in einem nicht näher bezeichneten Land, das klar als die Ukraine zu erkennen ist, und übt Kritik am Regime und den politischen Umständen. Das sei zwar an sich kurzweilig, aber bietet der Rezensentin doch zu wenig Einblicke und Erkenntnisse, um wirklich überzeugen zu können.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2022

In der Virtuosenfalle
“Radio Nacht”, der neue Roman von Juri Andruchowytsch
Längst gibt es Veteranen auch im zivilen Leben. Viele Rockmusiker gehören dazu, manche ihrer Fans auch. In seinem neuen Roman „Radio Nacht“ setzt der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch einen alternden Keyboarder vor das Mikrofon eines Amateursenders, der auf einer namenlosen Insel stationiert ist, irgendwo dort, wo der Nullmeridian sich dem Nordpol nähert. Wo auch immer es ist, es ist eine letzte Zuflucht, ein Ort des Exils, von wo aus Josip Rotsky seine Botschaften in die Nacht schickt, Erzählungen aus seinem Leben, die Musik seiner Playlist.
Er ist ein Generationsgefährte seines 1960 in Iwano-Frankiwsk in der Westukraine geborenen Autors. Seit seinen Teenagerjahren liebt er das Radio, anders als die jungen Leute kennt er noch die Verzweiflung der Siebzigerjahre, „wenn das Radiogerät, der allerliebste Freund, nur noch kalt zischt und gurgelt, weil die Spezialorgane den subversiven ausländischen Sender stören“. Die Band Dr. Tahabat, der Josip Rotsky angehörte, war nach einer sinistren Intellektuellenfigur, einem bösen Genius in einem ukrainischen Avantgarderoman der 1920er-Jahre benannt. Ihre Musik war ein wüster Stilmix, und zusammengemixt ist auch der Name Josip Rotsky. Trotzki klingt darin an, den der stalinistische Geheimdienst zur Strecke brachte, der Dichter Joseph Brodsky, der als Opfer der Repression aus der Sowjetunion emigrierte, und Brody, die Geburtsstadt des aus Galizien stammenden Erzählers und Journalisten Joseph Roth. In diesem Dreiklang sind Gewalterfahrung und Poesie aneinander gebunden. Die Dritte im Bunde, die Melancholie, hat Andruchowytsch mit einer Figur aus dem „Gothic“-Fundus besetzt, dem Raben aus der Ballade von Edgar Allan Poe. Als Wappenvogel eines Romans, in dem das realistische Erzählen keine Chance hat, sitzt er dem Helden auf der Schulter. Sein „Nevermore“-Refrain ist aufgeladen mit zeitgeschichtlicher Trauerenergie. Denn der Roman spielt zwar in einem ungenannt bleibenden Land in Osteuropa (mit einem Abstecher nach Westeuropa in die Schweiz), aber dieser anonyme Schauplatz zwischen Ukraine und Belarus kennt Diktatoren, Autokraten und Repressionsmaschinerien, die denen der Realgeschichte ähneln. Bei einem Besuch in Berlin, als er seinen Roman im Suhrkamp-Verlag vorstellte, hat Andruchowytsch vor Kurzem berichtet, wie die Idee zur Figur des nächtlichen Radiomoderators schon kurz nach der Orangen Revolution 2004 entstand. Fertig geschrieben war der Roman bereits im Frühjahr 2020, vor den ersten Corona-Wellen, aber auch vor der gewalttätigen Niederschlagung der Proteste gegen die Wahlfälschung in Belarus. Er nimmt die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in sich auf, vor allem die der entfesselten staatlichen Gewalt während des Maidan 2014.
Josip Rotsky ist auf dem „Poschtowa-Platz“ der anonymen Hauptstadt maskiert unter dem Namen „Aggressor“ als Straßenpianist aufgetreten. Man hat ihm nach der Verhaftung die Finger gebrochen, darum kann er seine Musik nur noch hören und moderieren. Klaus Nomis Staccato-Version des „Cold Song“ aus Purcells „King Arthur“ aus dem Jahr 1981 gehört dazu, „This Place is empty“ von den Rolling Stones, Procul Harums „Beyond the Pale“, und nach der Erzählung vom Tod des Gitarristen Machatsch durch die Kugel eines Polizeischarfschützen legt Josip Rotsky „Wild Wind“ von David Bowie auf.
Andruchowytsch hat diese der Musik zugewandte, akustische Dimension seines Romans durch einen in das Buch hineingedruckten QR-Code hervorgehoben, der den Zugang zu Rotskys Playlist eröffnet. Das ist eine Geste der Treue zur eigenen Biografie, auch zu den eigenen literarischen Ursprüngen, zur tragenden Rolle der Rockmusik in seinem Romandebüt „Karpatenkarneval“, das im Herbst 1990 entstand. Diese Feier der Durchdringung von politischer und ästhetischer Opposition ist der Kern des Buches. Sie gilt einer Konstellation, die auch das Werk des Friedenspreisträgers Serhij Zhadan prägt.
Was auch immer auf der Tonspur läuft, die Technik des Romans ist literarischer Natur, ein Karneval der Stile. Es gibt ein Attentat auf den vorletzten osteuropäischen Diktator im Schweizer Hotel „Paradies“, in dessen Folge der zum Barpianisten mutierte Rotsky kurzfristig in ein Schweizer Gefängnis gerät. Mal wird ein Theaterstück eingestreut, mal grüßen Tätowierungen in Richtung japanischer Comic, mal findet eine Episode als spätmittelalterliche Quest um 1500 statt. Durch alle Maskenspiele und Turbulenzen hindurch bleibt ein gutes altes Requisit der Rockmythologie unbeschädigt, die überbordende sexuelle Ausstrahlung des Rockstars. Ob für ihren nicht nachlassenden Vitalismus eine Art Turbo-Ironie verantwortlich ist oder nicht doch eine sentimentale Affirmation, bleibt unklar. Klar ist nur ihr Fundament. Rotsky hat in jungen Jahren sein Geld als Pornodarsteller verdient.
Jedenfalls überwindet die sexuelle Virtuosität alle Generationsgrenzen und führt, gepaart mit musikalischer Virtuosität, Rotsky deutlich jüngere Geliebte zu, für die mittelalterliche Quest wie für den Thriller. Sie bringt auch schwächere Passagen hervor wie eine nach Schnittmuster gezeichnete Satire auf die Verrechtlichung des Sex durch Freiwilligkeitsvereinbarungen. Juri Andruchowytsch ist ein Virtuose des karnevalistischen Schreibens.
Manchmal erliegt er der Virtuosengefahr, etwas nur zu machen, weil er es beherrscht. Die schwächeren Passagen können aber dem Erfahrungskern des Romans, aus dem der Rabe und sein „Nevermore“ hervorgehen, wenig anhaben. In den Reminiszenzen an die Niederschlagung der Revolution, im wiederkehrenden Bild der Vermischung von Blut und Schnee auf dem „Poschtowa-Platz“ der Hauptstadt ist er geborgen.
LOTHAR MÜLLER
Die Feier der Durchdringung
von politischer und ästhetischer
Opposition ist hier der Kern
Juri Andruchowytsch: Radio Nacht. Roman. Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.
472 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022

Teil von jener Kraft

Juri Andruchowytschs Parforceritt durch jüngere Geschichte und ältere Literatur: "Radio Nacht".

Von Christiane Pöhlmann

Ob er - der zwielichtige Meph - stets das Böse will, sei dahingestellt. Dass er in vielerlei Hinsicht Gutes schafft, steht außer Frage. Viel verneint wird ebenfalls, ganz sicher aber nicht, weil alles, was entsteht, auch wert ist, dass es zugrunde geht. Der Faust'sche Pakt und die Umtriebe eines Mephistopheles sind beliebte Versatzstücke der modernen Literatur. Zu denken ist an Bulgakows grandiosen Roman "Der Meister und Margarita", der wiederum in Salman Rushdies "Satanischen Versen" Spuren hinterlassen hat.

Der Meph im neuen Roman des Ukrainers Juri Andruchowytsch (geboren 1960) ist wie stets der ewige Dritte, dabei aber ein treuer Geselle. "Wenn Gott unser Vater ist, dann ist der Teufel unser Busenfreund." Mit diesen Worten beginnt der eigentliche Protagonist, Josip Rotsky, nächtens sein Radioprogramm. Er sendet von einer Insel irgendwo auf "dem Null-Meridan". Hinter Rotsky liegt ein Leben als Keyboarder, DJ, Revolutionär, politischer Attentäter, Häftling in der Schweiz, Flüchtling, Mafia-Gejagter und Gefährte eines Raben, der selbstverständlich Edgar heißt. Sein Busenfreund Meph hat ihm wiederholt aus der Patsche geholfen. Mehr muss über die Fabulier-, Zitier- und Tempofreude Andruchowytschs wohl nicht gesagt werden.

Über den Sender schildert Rotsky sein Leben, das ein weiterer Ich-Erzähler parallel im deutlich umfangreicheren zweiten Strang für das "Internationale Interaktive Biografische Komitee" rekonstruiert. Rotsky kommt aus einem Land, das namenlos bleibt, aber von Oranger Revolution und Euromaidan geprägt ist. Staatschef ist einer der unehelichen Söhne des "vorletzten Diktators Europas", ein "TV-Comedian". Der Roman beschreibt ein Scheitern dieser Bewegungen, aktuelle Bilder lassen ihn aber wie einen Kommentar auf Verhältnisse in einem anderen namenlos bleibenden Land wirken, das gerade "weg von sich fährt - immer schneller und schneller".

Die Nullerjahre dienten nur noch "der Generierung von gigantischem, kosmisch unendlichem Zaster". Lakonisch wird dem geschichtlichen Umbruch eine Absage erteilt: "Tatsächlich gab es zwar den Zerfall, aber das Imperium blieb erhalten", weshalb allerorten "Altregimeplüsch" die "unerhört hörigen Partnerinnen" einlädt. Andruchowytsch scheut keine Kalauer, doch einen Mann vom Geheimdienst lässt er sagen: Systemkritiker "verfrachteten sie in den winterlichen Wald und ließen sie dort verenden, mit Flaschen vergewaltigt und nackt". Niemand sollte es sich bei der Lektüre vorschnell im Altregimeplüsch gemütlich machen.

Das führt zur Schwäche des Romans. Mit überbordender Phantasie und reicher Sprache gestaltet Andruchowytsch Volte um Volte, dies so gut, dass er beinahe über das fehlende Romankonzept hinwegtäuscht. Der Text ist kurzweilig, wer wollte, könnte ihn in ein, zwei Nächten lesen, was im Deutschen auch Sabine Stöhr und ihrer guten Übersetzung zu danken ist. Er bleibt aber eine Ansammlung von Episoden. Um die Hälfte gekürzt, wäre er vermutlich genauso gut.

Phantasie und Absurdität sind keineswegs die falschen Mittel, um einer Beschreibung der Realität zu Leibe zu rücken. Gerade in repressiven oder dikatorischen Systemen halten fiktionale Texte dieser Art der Gesellschaft oft einen glänzenden Spiegel vor. Voraussetzung dafür ist eine textimmanente Logik. Warum sucht Rotskys Biograph nach Spuren - wenn Rotsky sein Leben im Radio schildert? Oder wird die Sendung, wie der Schluss suggeriert, aus dem Jenseits übertragen? Selbst dann bliebe Rotsky freilich höchst auskunftsfreudig.

Ein tieferes Verständnis für die Entwicklungen der letzten Jahre in der Ukraine vermittelt "Radio Nacht" kaum. Die Szenen sind zwar Lektüreleckerbissen, als mehrszeniges Menü wird der Roman aber nicht unbedingt zum Schmaus. Zu wenig Futter für die Gehirnzellen bietet er.

Juri Anruchowytsch: "Radio Nacht". Roman.

Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 472 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die heterogenen Handlungselemente, ach: die aberwitzigen Wendungen des Geschehens werden durch phantastische Schlenker und hanebüchene Motive miteinander verbunden ... Die Rockmusik und der Sex, der Schotter und die Liebe - Radio Nacht hebt die unverkennbar spätpubertären Züge seiner Hauptperson durch Beschleunigung und postmoderne Ironie auf ein sehr unterhaltsames karnevalistisches Niveau.« Jörg Plath Neue Zürcher Zeitung 20221122