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Tar , der unscheinbare Angestellte einer PR-Agentur, träumt sich immer wieder aus der lästigen Realität in eine imaginäre Welt. Die Bekanntschaft mit einer Nachbarin, der Mangazeichnerin Nishi, verändert nicht nur seine Sicht auf die Umgebung und das geheimnisvolle hellblaue Haus, das bald für beide ein Objekt ihrer Begierde ist. Das Haus und der Garten mit ihrer Beständigkeit werden zu einem Sehnsuchtsort, zumal das Apartmenthaus, in dem sie wohnen, zum Abbruchhaus verkommt.

Produktbeschreibung
Tar , der unscheinbare Angestellte einer PR-Agentur, träumt sich immer wieder aus der lästigen Realität in eine imaginäre Welt. Die Bekanntschaft mit einer Nachbarin, der Mangazeichnerin Nishi, verändert nicht nur seine Sicht auf die Umgebung und das geheimnisvolle hellblaue Haus, das bald für beide ein Objekt ihrer Begierde ist. Das Haus und der Garten mit ihrer Beständigkeit werden zu einem Sehnsuchtsort, zumal das Apartmenthaus, in dem sie wohnen, zum Abbruchhaus verkommt.
Autorenporträt
Shibasaki Tomoka, geboren 1973 in Osaka, verfasste schon während ihrer Schulzeit erste literarische Texte. Nach ihrem Studienabschluss schrieb sie weiter und kam 1998 auf die Shortlist für den Bungei-Preis. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie ihr erstes Buch (»A day on the Planet«), dessen Verfilmung drei Jahre später zum Kinohit wurde. Shibasaki erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2014 den Akutagawa-Preis für »Frühlingsgarten« (»Haru no niwa«).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2019

Eine Wildnis mitten in Tokio
Der Kühlschrank heult im hellblauen Haus: Tomoka Shibasakis Roman "Frühlingsgarten" erzählt von der Melancholie des digitalen Zeitalters

Die 1973 geborene Tomoka Shibasaki beschwört in Werken wie "Heute, in dieser Stadt", dem verfilmten Buch "A day on the planet" bis zum hier vorliegenden preisgekrönten "Frühlingsgarten" aus dem Jahr 2014 Einsamkeit, Malaisen, Neurosen und die digitale Moderne der Metropolen. Der letztgenannte Roman schildert im vorolympischen Tokio - 2020 ist es so weit - einen organisch wuchernden, sich in Bautätigkeit und Immobilienspekulation neu erfindenden gesichtslosen und geschichtsvergessenen Großstadtdschungel. Er handelt vom Alltag der nach und nach ausziehenden Mieter im zum Abriss bestimmten Haus "View Palace Saeki III".

Hauptfiguren der Solidargemeinschaft im Abbruchhaus sind der Angestellte Tarô, ein verträumter Single, und die taffe Manga-Autorin Nishi. Der geschiedene Tarô und das Scheidungskind Nishi sind typische digital natives im entgrenzten Zeitalter von Internet und 24-Stunden-Läden. Der parzellierte Boden Tokios evoziert die Schizophrenien der Gegenwart.

Sehnsüchte der Protagonisten richten sich auf von Bauwahn und Zeitfluss unbehelligte Orte. Ein solcher locus amoenus ist das 1964, im Jahr der ersten Olympischen Spiele von Tokio, im eklektischen Stil erbaute "hellblaue Haus" in der Nachbarschaft. Früher wurde es von einem Promi-Paar aus der Unterhaltungsbranche bewohnt, das sich im Bildband "Frühlingsgarten", der Nishis Interesse weckt, inszeniert und Einblicke in den Garten und das Interieur des Hauses gewährt hat. Tarôs Sehnen gilt fernab von Beton-Brutalismus dem "japanischen Zimmer" und der Taktilität von Tatami.

Vor der Folie des Großstadtorganismus und in der Tradition der japanischen Jahreszeitenlyrik thematisiert Shibasakis Roman die überalterte Gesellschaft, vegetative Existenzen von Angestellten, Bauruinen und Beziehungstrümmer. Augenfällig ist das Motiv der amöbenhaften Stadt. Expressive Bilder zeigen uns den Leerstand der Häuser und Lecks im überhitzten System sowie die Rückeroberung des Stadtraums durch die Natur - nur Mäuse haben durch Lüftungslöcher noch Zugang zu Wohnungen, oder Krähen wissen besser als Tarô, an welchen Tagen brennbarer Müll abgeholt wird. Diese Fauna trägt wie der als Verwandlungskünstler bekannte Marderhund "Tanuki" und eine "Geisterkatze" mythische Züge.

Ähnlich dem ewigen Provisorium Tokio, verharren die beiden Protagonisten im Moratorium erweiterter Jugend. Zwischen den Zeilen sinniert der Roman über Medienrealität und Wirklichkeit, wenn der Himmel über Tokio "wie ein verpixelter Bildschirm" aussieht, oder ferngesteuertes Sein. Die Passivität der Großstädter kontrastiert mit belebter Objektwelt (Nishis "einäugige" Spiegelreflexkamera und Tarôs aufheulender Kühlschrank) und reger Bautätigkeit. Während die der Verdrängung der Vergangenheit dient, erweist sich Shibasaki als Archäologin historischer Sedimente und seelischer Tiefenschichten der Japaner: "Wenn es Blindgänger gab, mussten auch Teile der Häuser und der Dinge darin, die damals verbrannt waren, unter der Erde begraben sein. Noch viel früher war dieses Gebiet von Wäldern und Äckern überzogen gewesen."

Die geschichtsferne Stadt geht mit privatem Identitätsverlust und Rückzugsverhalten einher, wenn Tarô sein Zimmer mit Sofas vollstopft und den Mörser und Stößel, mit dem er "die unvorstellbar harten Knochen" seines Vaters zu Pulver zermahlen und im Meer zerstreut hatte, in einer Vitrine aufbewahrt, aus Angst, er könnte seinen Vater und dessen Tod vergessen. Der Kokon und die Komfortzone des Alltags ersetzen ihm die verpasste Zweisamkeit mit seinem alkoholkranken Vater. In Shibasakis Stadtprosa wiederum gibt es allenfalls Inszenierungen des Privaten und Illusionen von Teilhabe und Kommunikation.

Indem sie Freundschaft mit den aktuellen Mietern schließen, erhalten die Protagonisten Zugang zu dem geheimnisvollen hellblauen Haus und unter einem Vorwand gar zu einem mysteriösen Bad. Während Tarô den Verdacht hegt, ob er "dieses Haus nicht vielleicht überschätzt" habe, macht sich die Künstlerin Nishi Gedanken darüber, wie sie den kurzzeitig erblickten Traumraum als Momentaufnahme des Glücks in die Ewigkeit der Malerei überführen könnte. Tarôs zweite symbolische Bestattung des Vaters, als er den Mörser und Stößel im "healing garden" des hellblauen Hauses heimlich vergräbt, versinnbildlicht das Aufgehen im Kreislauf der Lebewesen und Zeitschichten. Vergehen und Werden, Erwachsenwerden bis zum "letzten Umzug" werden im vorolympischen Tokio gespiegelt. "Frühlingsgarten" ist eine Parabel über urbane Brachlandschaften der Empathie, verpasste Chancen und nur in seiner Flüchtigkeit nachhaltiges Glück.

STEFFEN GNAM

Tomoka Shibasaki: "Frühlingsgarten". Roman.

Aus dem Japanischen und mit einem Nachwort von Daniela Tan. be.bra Verlag, Berlin 2018. 208 S., geb., 22,- [Euro].

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