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Die russische Gesellschaft hat einen alten Traum - den Traum von Freiheit. Sie träumt ihn immer völlig unabhängig von ihren jeweiligen Herrschern. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist heutefreier als je zuvor, auch wenn es ungerecht im Land zugeht. Doch der Anschein, dass sich die Gesellschaft widerstandslos vom Staat beherrschen lässt, war und ist falsch. Warum, das erklärtdieser brillante Essay.Wie so vieles in Russland ist auch der russische Traum widersprüchlich. Auf der einen Seite erwartet die Gesellschaft Unterstützung vom Staat im sozialen Bereich. Auf der anderen Seite fordern die…mehr

Produktbeschreibung
Die russische Gesellschaft hat einen alten Traum - den Traum von Freiheit. Sie träumt ihn immer völlig unabhängig von ihren jeweiligen Herrschern. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist heutefreier als je zuvor, auch wenn es ungerecht im Land zugeht. Doch der Anschein, dass sich die Gesellschaft widerstandslos vom Staat beherrschen lässt, war und ist falsch. Warum, das erklärtdieser brillante Essay.Wie so vieles in Russland ist auch der russische Traum widersprüchlich. Auf der einen Seite erwartet die Gesellschaft Unterstützung vom Staat im sozialen Bereich. Auf der anderen Seite fordern die Menschen, dass sie selbst über ihr Schicksal bestimmen können. Dazu bedarf es einer Freiheit, die oft rücksichtslos ist und vor der Freiheit des Anderen nicht haltmacht. Seit Peter dem Großen ist der Staat des größten Landes der Welt in Maßen bereit, diesem Willen des Stärkeren stattzugeben - sofern politische Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt. Wer Russland verstehen will, muss dieses Buch lesen.
Autorenporträt
Reinhard J. Krumm, Dr. phil., geb. 1962, leitet das Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden in Europa der Friedrich-Ebert-Stiftung. Davor leitete er die FES-Büros in Zentralasien und in der Russischen Föderation, berichtete als dpa-Korrespondent aus Riga und als SPIEGEL-Korrespondent aus Moskau. Er ist Lehrbeauftragter für osteuropäische Geschichte an der Universität Regensburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.09.2020

Jenseits von
Putins Beliebtheit
Zwei sehr verschiedene Russland-Bücher
Schon länger ist Matthias Platzeck als ein Politiker bekannt, der für eine nachsichtigere Russlandpolitik eintritt. Seine Position hat er nun – allerdings lange vor dem Fall Nawalny – ausführlich in einem Buch dargelegt, in dem er eine „neue Ostpolitik“ mit „Russland als Partner“ schon im Titel fordert. Mit seiner neuen Ostpolitik meint der frühere Ministerpräsident von Brandenburg und kurzzeitige SPD-Vorsitzende aber nicht nur das Verhältnis Deutschlands und allgemein Europas zu Russland, sondern er wirbt auch für mehr Verständnis seitens der Westdeutschen für die oft schmerzhaften Erfahrungen der Ostdeutschen in den 1990er-Jahren.
Vielem von dem, was Platzeck über Russland schreibt, kann man nur zustimmen. Einen Krieg mit Russland darf es auf keinen Fall geben, und nur, weil die meisten Menschen in der Europäischen Union seit Jahrzehnten keinen Krieg erfahren haben, dürfen wir nicht denken, dass Kriege nicht erneut am Ende von Eskalationsspiralen stehen könnten. Bei den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie etwa dem Klimawandel wird es internationale Verständigung auch mit Russland geben müssen. Genauso ist es richtig, dass in Russland – ganz im Gegensatz zum westdeutschen Wirtschaftswunder – die Zeit der politischen Demokratisierung und der wirtschaftlichen Liberalisierung in den 1990er-Jahren mit Chaos, Besitzverlust, Orientierungslosigkeit und Gewalt einherging. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass in Russland die Demokratie als politisches Modell einen schweren Stand hat.
Trotzdem bleibt Platzecks Buch letztlich eine unbefriedigende Lektüre. Während er immer wieder Empathie für Ostdeutsche und Russen fordert, hat er selbst offenbar wenig Empathie für die politischen Perspektiven von Ukrainern und den ostmitteleuropäischen EU-Staaten. Die Transformationserfahrungen der Ostmitteleuropäer seien gegen die der Russen zu vernachlässigen, und die inneren Entwicklungen in der Ukraine in den 1990er- und 2000er-Jahren werden gleich ganz ignoriert. Dafür geht es viel um Deutschland, die Nato und Russland. Immer wieder wirbt er für eine Erneuerung der Ostpolitik in der Tradition Willy Brandts und Egon Bahrs, ohne darüber zu reflektieren, dass im Unterschied zu den 1970er-Jahren der Kalte Krieg zu Ende und Europa und die Welt unübersichtlicher geworden sind. Die Antwort, wie eine kluge neue Ostpolitik genau aussehen könnte, die die Interessen Ostmitteleuropas mitberücksichtigt, bleibt Platzeck letztlich schuldig. Auch die Folgen der aggressiven Innen- und Außenpolitik Putins finden kaum Beachtung jenseits der Floskel, dass Platzeck sich auch gelegentlich darüber „ärgere“. Stattdessen wird variationsreich das Schlagwort von einem „Dialog auf Augenhöhe“ auf vielen Seiten ständig wiederholt. Auch die These, dass Putin ein Garant für Stabilität sei, ist fragwürdig. Es gibt genug Beispiele dafür, dass eine vermeintliche Stabilität, die an einer Person festgemacht wird, sich mittel- oder langfristig als Illusion erweist.
Wer also auf der Suche nach einem Buch ist, das im besten Sinne Russland verstehen möchte, dem sei nicht Platzeck, sondern das kleine, aber sehr feine Buch von Reinhard Krumm empfohlen. Auf nicht einmal 150 Seiten gelingt dem Autor ein eleganter Parcours durch die russische Geschichte, in der er aber nicht den Staat in den Mittelpunkt seiner Analyse stellt, sondern die Gesellschaft. Überzeugend gegen das Klischee einer stets passiven russischen Gesellschaft argumentierend, zeigt Krumm, wie diese sich zu unterschiedlichen Zeiten – etwa gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zarenreich oder während der „Tauwetter“-Periode unter Chruschtschow – immer wieder Freiräume erkämpfte. Auch heute habe, so Krumm, die Gesellschaft etwa in den Provinzen immer wieder ihre Fähigkeit zur politischen Partizipation unter Beweis gestellt, und in vielen Fällen gelinge es der Gesellschaft auch heute, dem Staat Zugeständnisse abzuringen.
Sicher gibt es auch Gegenargumente zu einigen Thesen Krumms. So behauptet er, dass es der heutige ungeschriebene Vertrag zwischen Gesellschaft und Staat vorsehe, dass der Staat die Politik monopolisiert, dafür aber die Grundsicherung des Gesundheitssystem und der Renten garantiert und sich außerdem aus dem Privatleben zurückzieht. Dies mag für die heteronormative Mehrheitsgesellschaft stimmen, für Homosexuelle gilt dieser Gesellschaftsvertrag indes nicht. Sie sehen sich in den letzten Jahren massiven, staatlich geschürten Aggressionen und Repressionen ausgesetzt, in Tschetschenien werden ihre Menschenrechte systematisch verletzt. Trotzdem aber ist Krumms Buch eine willkommene Abwechslung zu den vielen Stimmen, die – wie es im Übrigen auch bei Matthias Platzeck anklingt – die heutige russische Gesellschaft auf die vermeintlich hohen Beliebtheitswerte des Präsidenten Wladimir Putin reduzieren.
FRANZISKA DAVIES
Matthias Platzeck und
Reinhard Krumm wählen
unterschiedliche Perspektiven
Matthias Platzeck:
Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Russland als Partner. Propyläen-Verlag, Berlin 2020.
256 Seiten, 22 Euro.
Reinhard Krumm:
Russlands Traum. Anleitung zum Verständnis einer anderen Gesellschaft. Verlag J.H.W Dietz Nachf., Bonn 2020.
133 Seiten, 16,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kerstin Holm stellt irritiert fest, dass bei Reinhard Krumm zivilgesellschaftliche Initiativen in Russland und ihre Verdienste sowie auch Alexej Nawalnyi gar nicht vorkommen. Der Versuch des Autors, Geschichte und soziale Struktur Russlands von innen zu erklären und das Freiheitsstreben der russischen Gesellschaft zu belegen, bleibt für Holm so leider unvollständig. Als gut lesbarer, mit Literaturhinweisen ausgestatteter "Kurzlehrgang" über die Russen taugt ihr das Buch aber schon.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2020

Atomisierte Individualisten
Reinhard Krumm erklärt die Russen

Russland ist für die meisten Europäer nicht das Land, wohin man reist, sondern eines, das als außen- und sicherheitspolitischer Störfaktor auftritt. Wobei nicht wenige Experten und Emigranten die russische Gesellschaft als passiv und gegenüber ihrer Staatsmacht allzu dienstfertig abtun. Dem widerspricht der Historiker Reinhard Krumm, der lange als Journalist und Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Russland gearbeitet hat, in einem Essay, der die Geschichte und soziale Struktur des Landes gleichsam von innen erklärt.

Diese "andere" Gesellschaft, wie sie der Untertitel nennt, strebe nach Freiheit und Gerechtigkeit, freilich in einem Umfeld, in dem der Staat stets der Entwicklungsmotor war, ja, angesichts der Modernisierungsrückstände sein musste. Er betrachtete die Bevölkerung als Reservoir für die Armee und die innere Kolonisierung. Das zusammengebrochene Zarenreich beerbten die Bolschewiken mit Hilfe von systematischem Terror. Doch ihnen gelangen auch Modernisierungssprünge, von der Frauenemanzipation bis zum sozialen Wohnungsbau. Zugleich wurde es Tradition, dass fast alle Teile der Gesellschaft sich schlecht behandelt fühlen und das durch Beziehungen zu Problemlösern - die allgegenwärtige Korruption - abzufedern versuchen. Krumm betont, dass die Russen angesichts mangelnder Rechtsstaatlichkeit zum Improvisieren gezwungen und daher atomisierte Individualisten seien.

Das schmale Bändchen ist ein gut lesbarer Kurzlehrgang, gewürzt mit griffigen Zitaten, historische wie aktuelle Debattenlinien werden skizziert und weiterführende Literatur empfohlen. Der Autor dürfte immer noch recht haben mit seinem Befund, dass die Russen in ihrer Mehrheit loyal zu Präsident Putin stehen. Er erinnert daran, dass nach 1991 die Insiderprivatisierung und Oligarchenherrlichkeit die wohlklingende Vokabel Liberalismus rasch in ein Schimpfwort verwandelt hatten. Und dass die Menschen private Freiräume haben wie nie zuvor in ihrer Geschichte.

Doch dass zivilgesellschaftliche Initiativen in dem Essay nur am Rande vorkommen, muss bei diesem Experten irritieren. Zwar erwähnt Krumm einige Erfolge bei Kommunalwahlen und Nichtregierungsorganisationen, die mit dem Schandtitel "Ausländische Agenten" drangsaliert werden, allerdings ohne ihre Profile und Verdienste zu erwähnen. Noch flüchtiger streift er die vielfältigen Proteste gegen Wahlbetrug, die für viele eine Frage der Würde waren und vorigen Herbst, als das Büchlein erschien, wieder einmal eskalierten. Umso bezeichnender, dass die Figur des Korruptionsbekämpfers Alexej Nawalnyj, der seit Jahren sowohl für die Protestbewegung als auch für die Kommunalwahlerfolge eine Schlüsselrolle spielte, bei Krumm - genau wie im russischen Staatsfernsehen - überhaupt nicht vorkommt.

KERSTIN HOLM

Reinhard Krumm:

"Russlands Traum". Anleitung zum Verständnis einer anderen Gesellschaft.

Dietz-Verlag, Bonn 2019. 136 S., br., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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