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Über die Macht der Emotionen von der Antike bis in unsere Zeit
Wie verändern sich Moral und Ehre im Laufe der Zeit, was bedeutet Vertrauen in der Wirtschaftsgeschichte, was richtete die sprichwörtliche »German Angst« im 20. Jahrhundert an, und wieso befinden wir uns im sogenannten therapeutischen Zeitalter?
Gefühle schreiben Geschichte, sie bestimmen Macht und Politik. Triebe, Affekte und Leidenschaften sind kulturspezifi sch, zeitlichem Wandel unterworfen und für den Lauf der Geschichte von immenser Bedeutung. Wenn Menschen lieben oder hassen, wenn sie ehrgeizig, rachsüchtig oder stolz
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Produktbeschreibung
Über die Macht der Emotionen von der Antike bis in unsere Zeit

Wie verändern sich Moral und Ehre im Laufe der Zeit, was bedeutet Vertrauen in der Wirtschaftsgeschichte, was richtete die sprichwörtliche »German Angst« im 20. Jahrhundert an, und wieso befinden wir uns im sogenannten therapeutischen Zeitalter?

Gefühle schreiben Geschichte, sie bestimmen Macht und Politik. Triebe, Affekte und Leidenschaften sind kulturspezifi sch, zeitlichem Wandel unterworfen und für den Lauf der Geschichte von immenser Bedeutung. Wenn Menschen lieben oder hassen, wenn sie ehrgeizig, rachsüchtig oder stolz sind, wenn sie Freude, Mitleid, Zorn oder Schuld empfinden - dann hat das Einfluss auf ihr Handeln. Diese scheinbar banale Erkenntnis eröffnet völlig neue Perspektiven auf vergangene Zeiten und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart.

Gut erzählt und mit zahlreichen Beispielen aus der Vergangenheit führt Jan Plampers Buch in das boomende Forschungsgebiet der Emotionsgeschichte ein. Zugleich warnt er vor voreiligen Schlüssen und leichtfertigen Anleihen bei den Neurowissenschaften, die viele aktuelle Debatten - wie zum Beispiel die Frage nach der Willensfreiheit - bestimmen.
Autorenporträt
Jan Plamper, geboren 1970, ist Professor für Geschichte, Goldsmiths, University of London. Nach dem Studium an der Brandeis University und der Promotion in Berkeley war er Wissenschaftlicher Assistent in Tübingen sowie von 2008-2012 Dilthey Fellow im Forschungsbereich »Geschichte der Gefühle« des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Sein vielbeachtetes Buch »The Stalin Cult: A Study in the Alchemy of Power« erschien 2012 bei Yale University Press.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2013

Wut, Hass und Liebe
im Wandel
Jan Plamper erkundet die Geschichte der Emotionen
In der wissenschaftlich betriebenen Geschichtsschreibung geht es um vergangene Ereignisse und Strukturen, um Interessen und Ideen, seit einiger Zeit auch um Wahrnehmungen und Konstruktionen, Symbole und Zeichen. Gefühle stehen eher selten im Blickfeld des Historikers, höchstens bei Biografen, die sich jedoch vor dem Vorwurf des Psychologismus hüten müssen. Dabei wurzelt die bürgerliche Gesellschaft, wie wir seit Kant wissen, auf Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht, also affektbeladenen Neigungen und menschlichen Eigenschaften, die sich auch im großen Ganzen menschlichen Zusammenlebens – Ehre, Gewalt, Geld – durchgesetzt haben.
  Doch haben Gefühle überhaupt Geschichte? Sind Angst, Wut, Freude, Zorn universale Konstanten des Menschen oder verändern sie sich abhängig von Zeit und Raum? Sind Gefühle biologische Konstanten oder eher Software, sozial und kulturell konstruiert? Und welche Möglichkeiten haben Historiker schließlich die Rolle von Gefühlen für vergangene Wirklichkeiten zu bestimmen und sie zu erforschen? Ja, was ist überhaupt Emotion?
  Jan Plamper, einer der zahlreichen hervorragenden deutschen Historiker, die nach Großbritannien ausgewandert sind, hat eine Einführung in die Emotionsgeschichte geschrieben, die diesen Fragen nachgeht und eine Synthese bestehenden Wissens bietet, eine Sondierung dessen, was Natur- und Kulturwissenschaften über Gefühle in der Vergangenheit zu sagen hatten, mit der Absicht, einer Geschichte der Gefühle auf die Sprünge zu helfen.
  Plamper stellt uns die Erkenntnisse der Emotionsgeschichte, der Ethnologie und der Lebenswissenschaften vor. Er ordnet seine Wissenschaftsgeschichte entlang der Pole Universalismus und Sozialkonstruktivismus, die wiederum der dichotomen Denkfigur „Natur versus Kultur“ entspringt. In seinen Überlegungen, welche Perspektiven eine Emotionsgeschichte hat, erhebt er den Anspruch, diese Dichotomie von nature versus nurture zu überwinden. Herausgekommen ist ein lehrreiches, erhellend und glänzend geschriebenes Buch. Wie jedoch eine solche Geschichte der Gefühle konkret aussehen könnte, bleibt letztendlich vage.
  Warum erscheint ein solches Buch gerade jetzt? Warum interessieren sich Historiker für die „emotionale Wende“ (Ruth Leys)? Die Antwort liegt in einer Gemengelage von gesellschaftlichem Bedarf, ökonomischem Erfolg und politischem Zeitgeist. Gerade die Neurowissenschaften haben in den vergangenen Jahren den vakanten Platz der Großintellektuellen à la Sartre eingenommen, weil sie versprechen, die wirklich großen Fragen der Menschheit zu klären. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat man an die Essenz wie Rasse geglaubt. Die Essenz wurde dann von der Struktur abgelöst, was wiederum von den Poststrukturalisten kritisiert wurde. Doch die postmodernen Kulturwissenschaften haben den Sozialkonstruktivismus zu weit getrieben, indem sie alles Biologische in Kultur und Sozialisation aufgelöst haben. Die Essenz hat mittlerweile zurückgeschlagen, am sichtbarsten im Hirndeterminismus. Denn es ist ein Unterschied, wie Plamper gut beobachtet, ob man über die Moderne zur Postmoderne gekommen ist oder in der Postmoderne aufgewachsen ist und sich nach Essenz sehnt.
  Plamper erweist sich als Kritiker der Neuromode – allerdings nicht der Neurowissenschaften an sich, deren Erkenntnisse er für die Geschichtswissenschaften relevant machen möchte, denn Erkenntnisse aus der Hirnforschung können ja durchaus Auswirkungen über unsere Vorstellungen von Geist, Kultur und Geschichte haben. Im Visier der Kritik stehen ihre Popularisierer wie Antonio Damasio, Stephen Hawkins oder Giacomo Rizzolatti, zudem die Wissenschaftsjournalisten und Literaturagenten auf dem neuen Neuromarkt.
  Geradezu bestürzt zeigt sich Jan Plamper, wie längst innerfachlich kritisierte und widerlegte spektakuläre und kühne neurowissenschaftliche Thesen von inkompetenten Geistes- und Gesellschaftswissenschaftlern adaptiert worden sind. Plamper sieht am Gehirn- und Gefühlsboom viel Modisches, aber keine reine Modeerscheinung, an der man achtlos vorbeigehen sollte.
  Er selbst betrachtet sich als Grenzgänger jenseits der Gräben von Natur- und Kulturwissenschaft, aber auch von Universalismus und Sozialkonstruktivismus. Es ist beeindruckend, wenn Historiker wie er in der Lage sind, sich in andere Wissenschaftsdisziplinen, zumal der Naturwissenschaften, einzuarbeiten, ohne in Spezialismus zu verfallen. Und es ist gewinnbringend, wenn neue und ungewöhnliche Untersuchungsfelder konturiert werden, wenn Zugänge zur Geschichte jenseits der klassischen Säulen Politik, Gesellschaft und Kultur erprobt werden. „Geschichte und Gefühl“ ist ein solches Buch. Mit seinem Motiv, die Grundlagen der Emotionsgeschichte zu finden, bewegt er sich allerdings unverschuldet auf dünnem Eis.
  Mit Emotionen tun sich Historiker schwer, das ist schon an den quantitativen Aufteilungen in Plampers Buch ersichtlich. Sein Kapitel über die Geschichte der Emotionsgeschichte umfasst gerade mal 35 Seiten, die Kapitel über die Ethnologie und die Lebenswissenschaften haben dagegen 92 und 120 Seiten. Plampers abschließende Perspektiven der Emotionsgeschichte zeigen die dürftige Grundlage des Projektes. Es gibt einen wegweisenden Klassiker, der als Fluchtpunkt dient: William Reddys „The Navigation of Feelings: A Framework for the History of Emotions“ (2001), dem offenbar in den vergangenen zehn Jahren kein weiteres vergleichbares Werk gefolgt ist. Es gibt einen erweiterten Kreis an Quellen von Formen körperlichen Fühlens, die man bislang wenig berücksichtigt hat. Und es gibt Felder, in denen Emotionen offensichtlich eine bedeutende Rolle spielen, man denke nur an die Börse, deren Funktionieren Psychologen vermutlich besser erklären können als Wirtschaftswissenschaftler.
  Die eigentliche Perspektive von Emotionsgeschichte liegt wohl eher in dem, was Plamper bereits selbst geleistet hat, nämlich zu historisieren, was Menschen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten zu Gefühlen geforscht, gedacht, behauptet haben, also in der Wissensgeschichte. Und hier sind viele Vertiefungen möglich und wichtig, vor allen Dingen im Bereich der Naturwissenschaften. Daneben gilt: Emotionsgeschichte ist weniger ein Feld als eine Perspektive auf Geschichte, eine Aufmerksamkeitsstruktur. Unser Wissen von Gefühlen und unsere Vorstellungen über sie beeinflussen den Blick auf Menschen, die in der Regel im Mittelpunkt stehen, wenn wir vergangene Zeiten und Räume zu rekonstruieren und zu verstehen suchen. Und bei diesem Blick in die Vergangenheit sind die Gefühle immer mit an Bord. Eine Reflexion über die emotionale Lage des Historikers gegenüber seinem Gegenstand gehört in jede erkenntnistheoretische Vorrede. Geschichte ohne Gefühle gibt es nicht. Schon deshalb ist „Geschichte und Gefühl“ ein notwendiges Buch. Zu einer Geschichte der Gefühle ist es jedoch noch ein weiter Weg.
JÖRG SPÄTER
  
  
  
  
Jan Plamper: Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte. Siedler Verlag, München 2012. 480 Seiten,
29,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Hannah Lühmann ist das Buch des deutschen Historikers Jan Plamper nicht weniger als ein interdisziplinäres Friedensangebot gegen die Grabenkämpfe zwischen Neurowissenschaft und naturgeschichtlichen Fächern, das auch Fragestellungen aus Ethnologie, Soziologie, Pädagogik, Psychologie, Kunst- und Literaturwissenschaft zulässt. Was eine Geschichtswissenschaft der Emotionen noch sein kann, erfährt Lühmann bei Plamper in Form einer methodischen Grundlegung, indem der Autor etwa skizziert, was zum Gefühlsleben bereits geforscht wurde, bei Marc Bloch und Lucien Febvre zum Beispiel. Dass der Autor dabei konsequent geschichtlich zu denken bemüht ist, ohne jedoch zu vergessen, dass Gefühle im Körper entstehen, rechnet die Rezensentin ihm hoch an.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2013

Die Leidenschaften einst und jetzt

Wie lässt sich die Geschichte des Ausdrucks von Gefühlen schreiben? Der Historiker Jan Plamper kartiert das Terrain einer Emotionsgeschichte.

Dass wir Menschen fühlen, dass wir Angst haben, Freude empfinden und Trauer, erscheint als eine der grundlegenden Gegebenheiten unseres Daseins, weitgehend unabhängig von geographischen und geschichtlichen Umständen. Doch schwankt die Art und Weise, wie Menschen mit Gefühlen umgehen, von Kultur zu Kultur erheblich, lachen die Menschen auf Tahiti beim Besuch einer Sterbenden, scheinen die Bewohner des Ifaluk-Atolls Zorn als individuelles Wutgefühl nicht zu kennen. Manch ein Ethnologe des letzten Jahrhunderts kam zu dem Schluss, dass Gefühle kulturell produziert und keineswegs anthropologische Konstanten seien.

Diesem sozialkonstruktivistischen Zugang steht, vereinfacht gesprochen, eine Haltung gegenüber, die Gefühle als immergleiche körperliche Vorgänge begreift, welche auf evolutionär ererbten Reiz-Reaktions-Schemata beruhen: Wir fürchten die Schlange, weil die Schlange für unsere Vorfahren gefährlich war. In einem solchen Verständnis mag es zwar kulturelle Besonderheiten im Umgang mit Gefühlen geben, aber letzten Endes lassen sie sich aufs Körperliche, auf Neuronenfeuer und Hormonausschüttungen, reduzieren.

Der deutsche Historiker Jan Plamper will die Wandelbarkeit menschlichen Fühlens in den Horizont der Geschichtswissenschaft rücken. Plamper lehrt am Goldsmiths Institute der University of London. Sein letztes Buch "The Stalin Cult. A study in the Alchemy of Power" (F.A.Z. vom 23. Mai 2012) ist bisher nur auf Englisch erschienen - sein neues hat er jedoch auf Deutsch geschrieben: "Geschichte und Gefühl - Grundlagen der Emotionsgeschichte". Aber was genau ist das eigentlich, eine Geschichtswissenschaft der Emotionen? Beispiele, die von der kulturbedingten Verschiedenheit emotionalen Erlebens zeugen, stammen ja eher aus der Ethnologie denn aus der Geschichtswissenschaft.

Emotionsgeschichte, das wäre Plamper zufolge zunächst einmal eine Geschichtswissenschaft, welcher die Fotos einer angstgespannten Angela Merkel angesichts von Vladimir Putins riesiger Labradorhündin und das maliziöse Machtlächeln des russischen Präsidenten ebenso Gegenstand sind wie Napoleon Bonapartes Liebesbriefe an Joséphine. Bestes Beispiel sind wohl Plampers eigene Forschungen, in denen er sich der Geschichte der Angst bei russischen Soldaten im Ersten Weltkrieg widmet. "Geschichte und Gefühl" ist aber auch eine geschichtliche Untersuchung des wissenschaftlichen Nachdenkens über Gefühle - und es ist der Versuch einer methodischen Grundlegung, denn "Emotionsgeschichte" muss sich als Disziplin erst noch etablieren, sich ihren Stoff aus den Nebensträngen der Wissenschaftsgeschichte zusammensuchen.

In der Forschungsgruppe "Geschichte der Gefühle" des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, in der Plamper mitarbeitete, bündeln sich die Stränge der mit dem Thema "Emotionen" befassten geistesund lebenswissenschaftlichen Disziplinen: Ethnologie, Soziologie und Pädagogik, Psychologie natürlich, aber auch Kunst- und Literaturwissenschaften. Dass in der Geschichtsschreibung auch emotionale Strukturen und Praktiken berücksichtigt werden, ist freilich nicht ganz neu. Bereits Lucien Febvre, mit Marc Bloch Begründer der "École des Annales", forschte zum "Gefühlsleben früherer Epochen". Die Spuren dieses Umdenkens in der Geschichtswissenschaft ziehen sich durch das gesamte zwanzigste Jahrhundert.

Plamper trägt dieses Wissen skizzierend zusammen. Insofern ist "Geschichte und Gefühl" nicht nur Grundlagenwerk, es ist Begriffsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte und nicht zuletzt Geschichte der Wissenschaftskritik. Denn die mitlaufende Frage lautet immer: Wie kann man historisch etwas erforschen, das als konstitutiver Bestandteil unseres menschlichen Daseins eine Bedingung für das Entstehen von Kultur überhaupt ist, das jeden Bereich unseres Lebens durchdringt und gleichzeitig restriktiven Darstellungscodes unterworfen ist? Die große Aufgabe einer Geschichtsschreibung der Gefühle ist es, Emotionen konsequent geschichtlich zu denken, ohne in eine Denkweise zurückzufallen, die im Versuch, die soziale Konstruiertheit von Emotionen zu denken, ihr Entstehen im Körper zu vergessen scheint.

Plamper hat nun aber eben kein Manifest für einen radikalen Sozialkonstruktivismus geschrieben. Er will eine methodische Grundlage entwerfen, auf der ein Forschen zu Gefühlen jenseits des alten Scheingegensatzes "nature versus nurture" möglich ist. So ist "Geschichte und Gefühl" in großen Teilen auch eine gut fundierte und nie polemische Auseinandersetzung mit den sich seit den achtziger Jahren rasant entwickelnden Neurowissenschaften, welche derzeit die Deutungshoheit über den Bereich des Emotionalen zu übernehmen scheinen - beispielsweise mit bildgebenden Verfahren, deren attraktives Versprechen einer Lokalisierbarkeit von Gefühlsvorgängen im Hirn meist gar zu vereinfacht beim nicht fachlich geschulten Publikum ankommt. Man denke nur an die zahlreichen Forscher, die, auch unter dem Druck der Verlage, Bücher auf den Markt bringen, welche die Entschlüsselung des menschlichen Bewusstseins oder eine Aufklärung über den genauen Entstehungsort eines Gefühls versprechen. So werden einzelne Stränge der Forschung zu welterklärenden Modellen aufgebauscht.

Tatsächlich leuchten bei bildgebenden Verfahren auf kartographierten Durchschnittshirnen Areale auf, die während der Gefühlsregung des Probanden "aktiv" sind - was nur bedeutet, dass zeitverzögert die Spuren eines erhöhten Sauerstoffverbrauches bestimmter Nervenzellen festgestellt werden können. So kommt es dann zur Vorstellung, dass "die Angst" in "der Amygdala" sitze - obwohl es viele Amygdalae gibt, die schwer vom restlichen Gehirngewebe abzugrenzen sind, und obwohl viel dafür spricht, dass das ganze Gehirn, nicht nur ein bestimmter Teil, bei einem komplexen Phänomen wie "Angst" ins Spiel kommt. Was Plamper fordert, ist nicht der Verzicht auf die Einbeziehung neurologischer Erkenntnisse in das wissenschaftliche Nachdenken über den Menschen als Gefühlswesen - es ist eine Neurowissenschaft, die sich ihrer eigenen Grundlagen bewusst ist.

Vor allem aber wendet sich Plamper gegen die "leichtsinnigen Anleihen", welche etwa eine "Neuroliteraturwissenschaft" oder eine "Neurogeschichte" bei der neuen Leitwissenschaft machen. Sachlich fächert er die Argumente auf, die vergegenwärtigen, dass die Geisteswissenschaften fundierte Kritik an diesem vulgären Verständnis menschlicher Emotionen üben müssen. Er verwendet dabei Einsichten, die aus der kritischen Neurowissenschaft stammen - ein interdisziplinäres Friedensangebot. Das weckt die Hoffnung auf ein Verständnis des emotionalen Menschen, das ihn weder auf sein Gehirn reduziert noch sein naturgeschichtliches Erbe beiseite setzt.

HANNAH LÜHMANN.

Jan Plamper: "Geschichte und Gefühl". Grundlagen der Emotionsgeschichte.

Siedler Verlag, München 2012. 480 S., geb., 29,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein lehrreiches, erhellend und glänzend geschriebenes Buch." Süddeutsche Zeitung
»Mit diesem anschaulichen Sachbuch liefert Plamper einen faszinierenden Einblick in die Welt der Emotionen und ihrer Erforschung. Obwohl er selbst Historiker ist, gelingt es ihm, nicht nur geistes- und sozialwissenschaftliche, sondern auch naturwissenschaftliche Analysen fundiert darzulegen.«