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Klaus Wagenbach ist einer der letzten aus einer Generation von unabhängigen,eigenwilligen und leidenschaftlichen Verleger; ein linker, aber undogmatischerKopf, der nicht vor den Konsequenzen politischen Handelns zurückschreckt;und ein früher und bis heute unerschütterlicher Liebhaber Italiens.Außerdem: ein heiterer Geschichtenerzähler, ein eifriger Vorwortschreiber,ein freudig erwarteter Festredner, aber auch einer der gern widerspricht, wenndie öffentliche Meinung jemanden moralisch und politisch gar zu korrektschlachten will.Der Band sammelt Texte Klaus Wagenbachs über Italien…mehr

Produktbeschreibung
Klaus Wagenbach ist einer der letzten aus einer Generation von unabhängigen,eigenwilligen und leidenschaftlichen Verleger; ein linker, aber undogmatischerKopf, der nicht vor den Konsequenzen politischen Handelns zurückschreckt;und ein früher und bis heute unerschütterlicher Liebhaber Italiens.Außerdem: ein heiterer Geschichtenerzähler, ein eifriger Vorwortschreiber,ein freudig erwarteter Festredner, aber auch einer der gern widerspricht, wenndie öffentliche Meinung jemanden moralisch und politisch gar zu korrektschlachten will.Der Band sammelt Texte Klaus Wagenbachs über Italien (einschließlich Kunstgeschichte),Politik, das Leben und die Zukunft der Bücher und über einzelneAutoren (u. a. Fried, Hermlin, Celan, Jandl, Grass, Pasolini). Ein Großteil derTexte ist bisher nicht veröffentlicht, wichtige Zeitdokumente wie die Grabredefür Ulrike Meinhof wurden jedoch ebenfalls aufgenommen.Und schließlich erst jüngst entstandene biographische Geschichten: Vom gegendie Nazis rebellierendenGroßvater, der reformbewegten Mutter, dem Vater,der nur Latein, Griechisch und Hebräisch konnte; darüber, wer und wie nachdem Krieg die Demokratie aufbaute, warum Kollektive träumen und Frauen besserkommunizieren können.
Autorenporträt
Klaus Wagenbach, 1930 in Berlin geboren, Gründer des gleichnamigen Verlags, ist Autor und Herausgeber zahlreicher Anthologien wie "Lesebuch" oder "Tintenfisch".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2010

Macht die blaue Blume bunt!
Anarchie, Geschichtsbewusstsein, Hedonismus und zwei- bis dreihundert Käsesorten: Erinnerungen, Festreden und Seitenhiebe von Klaus Wagenbach in einem neuen Band
Es ist gar nicht so leicht, Klaus Wagenbach mit Franz Kafka zusammenzudenken – den von Anekdote zu Anekdote brillierenden Berliner Verleger mit dem sich klein und kleiner machenden Prager Versicherungsangestellten, dessen nachts in existentieller Einsamkeit hingekritzelten Prosastücke von mächtigen Männern handeln, denen man rettungslos ausgeliefert ist und die „mit ihrem Lachen allein sein“ wollen. Klaus Wagenbach aber will alles andere als mit seinem Lachen allein sein! Sein Lachen ist gemeinschaftsstiftend, es hilft offenkundig selbst über ärgste persönliche und politische Krisen hinweg. Und doch war es Kafka, der Anfang der fünfziger Jahre dem jungen Hilfsbuchhalter die Augen für Literatur erst so richtig öffnete.
Es ist gar nicht so leicht, Klaus Wagenbach mit Paul Celan zusammenzudenken. Und doch hat er, kaum dreißig Jahre alt, als Lektor mit ihm zusammengearbeitet und früh eine maßgebliche Celan-Anthologie für die Schule herausgegeben. Oder Günter Grass! Hier der durch und durch sozialdemokratische Moralist, dessen Positionen unverrückbar scheinen, dort der unberechenbare Freigeist Wagenbach, der behende von Position zu Position springt und mit allem spielt, was ihm an Denkmöglichkeiten in den Kopf kommt. Doch ausgerechnet dieser Springinsfeld war derjenige, der das beste Buch von Grass, die „Hundejahre“, lektorierte, und der dem Nobelpreisträger bei jener unseligen SS-Debatte sofort zu Hilfe eilte und den nötigen Befreiungsschlag landete.
Wenn der Wagenbach-Verlag nun zum achtzigsten Geburtstag seines Gründers einen dickleibigen Band mit dessen „Erinnerungen, Festreden, Seitenhieben“ vorlegt, ist klar, dass fast alle unübersehbaren, unüberschaubaren Facetten seines Wesens vorkommen. Die „Kafka-Witwe“ ist genauso präsent wie der linke Kommunarde der sechziger Jahre, dessen „Grabrede für Ulrike Meinhof“ in politisch extrem aufgeladener Zeit ein erstaunliches Zeugnis für intellektuelle Unbestechlichkeit darstellt. Der unabhängige Westberliner, der als erster Verleger nach dem Bau der Mauer programmatisch ein gesamtdeutsches Profil anstrebt und mit Johannes Bobrowski einen Jahrhundertlyriker entdeckt, kommt genauso ins Blickfeld wie der listige Italiensucher, der mit Pasolinis „Freibeuterschriften“ im Jahr 1978 mitten in die Kakophonie der bundesdeutschen Linken einen Paukenschlag setzt und einen ungeahnten Rhythmuswechsel einleitet.
Das Buch überrascht aber auch dadurch, dass es nicht einfach ein „Best of“-Kompendium ist, das bereits gedruckte und herausragende Beiträge noch einmal repräsentativ versammelt. Wagenbach hat zu dem aktuellen Anlass eine Reihe autobiographischer Notizen verfasst, wunderbar elliptisch und einzelne Augenblicke bannend. Sie ergeben natürlich kein geschlossenes Ganzes, erfassen aber in ihrem fragmentarisch schillernden Charakter sehr genau die Eigentümlichkeiten seiner Biographie. Dies ist kein getragenes deutsches Lebensrund, sondern etwas Pointillistisches, Leichtes, das gerade dadurch sehr aufschlussreiche zeitgeschichtliche Einblicke ermöglicht. Das fängt mit dem Großvater mütterlicherseits an, der während der NS-Zeit einen Spruch über der Eingangstür seines Hauses hängen hatte: „Etsi omnes ego non“ (Und wenn alle, ich nicht). Dass die Parteichargen von ihm verlangten, diesen Spruch zu entfernen, überraschte ihn nicht: die Buchstaben waren aus Messing, und als er sie aus dem Putz zog, war der Text immer noch zu lesen. Nach dem Krieg brachte er sie wieder an, und wie sein Enkel dies kommentiert, verrät einen gewissen identifikatorischen Sog: „Das war er sich schuldig, der alte Querkopf.“
Der Vater war ein Mann der „Zentrums“-Partei, der gleich nach der Versetzung vom Westerwald nach Berlin im dortigen preußisch-protestantischen Umfeld eine katholische Dependance aufmachte. Das Katholische hat seinem Sohn vermutlich ganz gut getan. Bald nach Kriegende fuhr der junge Klaus Wagenbach mit dem Fahrrad nach Italien, wo er die verwirrenden Erscheinungsformen des alltäglichen Lebens dort noch unvermittelt wahrnehmen durfte und dies als bleibendes Geschenk erfuhr. Und beim Hersteller des „Suhrkamp-Verlags vormals S. Fischer“, Fritz Hirschmann, lernte er die diversen Möglichkeiten von Papier und Schrift, Grammgewicht und Laufrichtung, Palatino und Aldus und Melior. Nur die Lieblingsfarbe seines Lehrers, „sandfarben“, mochte er nicht: „Ich begann mit schwarz, später wurde bunt meine Lieblingsfarbe.“
Die Dissertation über Franz Kafka, die bis heute unübertroffene Biographie der Jugend des Autors, führte Wagenbach Mitte der fünfziger Jahre nach Israel und in die sozialistische Tschechoslowakei – rechtzeitig genug, um noch unschätzbare Quellen und Dokumente aus erster Hand zu finden. Dies tritt atmosphärisch genauso dicht vor Augen wie die politische Radikalisierung, die sich an einzelnen Stationen exemplarisch verfolgen lässt: Trennung vom Verlag S. Fischer (wegen unterschiedlicher Haltung zur DDR) und Gründung des eigenen Verlags 1964, Wahlkampf für Willy Brandt 1965, Verleger von Erich Fried („und vietnam und“, eine Schlüsselschrift für die 68er-Bewegung) und von Ulrike Meinhof. Zur Tagung der Gruppe 47 in Princeton/USA im Jahre 1966 fuhr Wagenbach wegen Flugangst mit dem Schiff, zusammen mit dem Ehepaar Grass. Grass trug den Abschnitt über diese Reise bei der offiziellen Vorfeier von Wagenbachs 80. Geburtstag am 20. Juni im Berliner Ensemble vor, und das hatte Stil: „Grass fuhr erste Klasse, ich dritte, in der zweiten trafen wir uns zum Skatspielen.“
Dies klingt wie die Idealform eines rotgrünen Bündnisses, und tatsächlich: Wagenbach ist stolz darauf, der grünen Partei mit Pasolinis „Freibeuterschriften“ wenigstens zum Teil den Boden bereitet zu haben. Im Jahr 1978 sei die deutsche intellektuelle Linke endlich bereit gewesen, das aufzunehmen, was Pasolini bereits Ende der sechziger Jahre thematisiert hatte: „Vereinzelung, Untergang der bäuerlichen Welt, Zerstörung der Identität durch Konsumismus.“ Die dogmatischen Verkrustungen, die Dekadenz der politischen Aufbruchszeit nach 1968 hatten sich allerdings zunächst auch im Wagenbach-Verlag gezeigt. Die zermürbenden Auseinandersetzungen um den Begriff des „Kollektivs“ werden zwangsläufig auch im vorliegenden Jubiläumsbuch über „Die Freiheit des Verlegers“ thematisiert. Ende der siebziger Jahre erlebte Wagenbach eine tiefe persönliche und politische Krise. Im Kapitel „Zwei Miesnickel“ skizziert Wagenbach Personen, die paradigmatisch für Enttäuschungen stehen – Wolf Biermann und F. C. Delius. Biermann wurde von Wagenbach entdeckt und großgemacht: der Band „Die Drahtharfe“ aus dem Jahr 1965 war genauso wie die Wagenbach- Platte „Chausseestraße 131“ eines der Kultobjekte der damaligen Politszene. Dass Biermann Wagenbach aber sofort den Rücken kehrte, als er kapitalistische Morgenluft und schnöden Mammon witterte, verzeichnet der Verleger genau. Und Delius ist der herausragende Protagonist des „Rotbuch“-Kollektivs, das sich dem Zeitgeist entsprechend von Wagenbach abspaltete und für die heftigsten Zerwürfnisse in der Verlagsgeschichte sorgte.
Verhärtet, humorlos, fanatisch-fahl war Wagenbach nie. Es ist bezeugt, wie er Ende der siebziger Jahre in süddeutschen Universitätsstädten für totale Verwirrung sorgte. Um Unterstützung für seinen Verlag zu finden, bereiste er die linken Buchhandlungen im Land, und seine Vorstellungen vom Sozialismus umriss er so: Er wolle nicht nur zwei oder drei Käsesorten wie in der DDR, sondern zweihundert oder dreihundert wie in Italien. Dieser Gedanke, so fremd und abwegig er zunächst schien, bewegte einiges. Und es ist kein Zufall, dass Wagenbach von Erich Fried nicht nur die politischen Vietnam-Texte veröffentlichte, sondern auch „Liebesgedichte“. Dies allein wird seinen Verlag noch für mindestens ein Jahrzehnt am Leben erhalten.
Der Verleger nennt drei Begriffe, die seine Absichten bezeichnen: Anarchie, Geschichtsbewusstsein, Hedonismus. Und er fügt hinzu, dass dies nicht traditionell „linke“ Kategorien seien, „sondern zum Teil bürgerliche, was damit zusammenhängt, dass die deutsche Linke – im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern Europas – deswegen nicht auf begrenzte Bündnisse mit einem radikal liberalen oder konservativen Bürgertum zählen kann, weil es so gut wie nicht existent ist.“ Wagenbach steht für ein linkes, liberales Bürgertum im Geist des französischen Citoyen, dessen Parolen von „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit“ er nicht müde wird einzufordern. Dieses Bürgertum hat mit der aktuellen Hinwendung zu adäquatem Krebs- und Hummer-Besteck und dünkelhaftem Konservativismus nicht das Geringste zu tun. Klaus Wagenbach ist ein deutsches Vorbild. Und wenn er heute in seinem italienischen Zweit- respektive Erstwohnsitz auf seinen Geburtstag anstößt, sind bestimmt etliche Käsesorten dabei. HELMUT BÖTTIGER
KLAUS WAGENBACH: Die Freiheit des Verlegers. Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010. 348 Seiten, 19,90 Euro.
Das Lebensbild von diesem
Springinsfeld hat etwas
Leichtes, ja Pointillistisches
Ein deutsches Vorbild ist
Wagenbach, weil er nie verhärtet,
humorlos oder fanatisch war
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2010

Der hat sich eingeschlichen

Klaus Wagenbach hat Literatur- und Kulturgeschichte geschrieben. Zu seinem achtzigsten Geburtstag blickt der selbsternannte Verleger für wilde Leser zurück.

Von Sandra Kegel

Die Macht der Leser bekam Klaus Wagenbach schon als Schüler zu spüren, als er mit Freunden das Feuilleton des "Eppsteiner Boten" übernahm. Den Kulturteil des Blatts, das in einer Auflage von achthundert Stück erschien, bestückten die Jungredakteure hauptsächlich mit einem Roman: "Dornen" von Thea Schröck-Beck, den sie irgendwo gefunden und hemmungslos gekürzt hatten. Und als es ihnen langweilig wurde, ließen sie den Helden sterben. Anderntags wurde die Druckerei von empörten Abonnenten gestürmt. Wie seine "wilden Leser" hat auch Klaus Wagenbach, dieser laut Selbstbeschreibung "politische Knurrer von hemmungslosem Optimismus", den Sturm auf die Paläste nie gescheut. Im Gegenteil verweist er heute, da ihm das Alter eine gewisse Milde erlaubt, mit Stolz darauf, der meistvorbestrafte lebende deutsche Verleger zu sein.

Die Prinzipien, auf die er 1964 seinen Verlag gründete - Hedonismus, Anarchie, Geschichtsbewusstsein - sind ihm nach wie vor heilig. Denn aller Italienleidenschaft zum Trotz, die sich im Klaus Wagenbach Verlag seit vielen Jahren niederschlägt, hat der Begründer der Toskana-Fraktion und notorische Rote-Socken-Träger ja eine sehr deutsche und also politische Vergangenheit. Darüber gibt jetzt ein Sammelband vielfach Auskunft, den der Verlag zu Wagenbachs achtzigstem Geburtstag am morgigen Sonntag in gewohnt bibliophiler Manier mit rotem Leineneinband und händisch aufgeklebtem Foto des Jubilars herausbringt: "Die Freiheit des Verlegers". Das Buch bündelt Schriften aus dem Leben des Verlagsgründers und zur Geschichte des Hauses und liest sich als Rückblick auf mehr als sechs bewegte Jahrzehnte. Es ist ein schillerndes Konvolut zur kulturellen und geistigen Geschichte der Bundesrepublik.

Auf früheste Kindheitserinnerungen aus Kriegstagen, erste Begegnungen mit Amerikanern, auf den Übergang von der alten Ordnung in die neue und die beginnende Adenauerzeit, die Wagenbach in Oberhessen verbringt, wo sein Vater Landrat ist und mit einem Adler-Triumph durch die Gegend braust "und die Demokratie aufbaut" und er eigentlich Chemiker werden will, folgen Lehrjahre bei Suhrkamp und S. Fischer in Frankfurt. 1964 kommt es zum ersten Bruch in Wagenbachs Vita, als er, inzwischen zum Lektor avanciert, bei S. Fischer fristlos gefeuert wird, nachdem er gegen die Verhaftung eines DDR-Verlegers auf der Buchmesse protestiert hatte. Da keimt in dem jungen Mann die Idee eines "gesamtdeutschen Verlags", und zwar in Berlin, der Stadt also, die zu jener Zeit verloren schien, wie Wagenbach schreibt. Der Verkauf einer Wiese im Taunus, die er dem Vater abtrotzt, bildet das Startkapital. Aber ein Jahr später macht ihm die DDR den Traum zunichte, zunächst mit Einreise-, dann mit Durchreiseverbot.

Diesseits der Mauer hingegen wird der junge Berliner Verlag rasch nicht nur zur literarischen Heimat junger deutschsprachiger Autoren wie Günter Grass, Ingeborg Bachmann, Peter Rühmkorf und Erich Fried, sondern als linke Institution von einer ganzen studentenbewegten Generation entdeckt und vereinnahmt. In den Siebzigern dann, als die Schriften der APO, von Dutschke, Mao sowie Ulrike Meinhofs "Bambule" bei Wagenbach erscheinen, ist es nur einem pfiffigen Anwalt, Otto Schily, zu verdanken, dass der Verlag im Strudel von Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren und verlorenen Prozessen nicht untergeht. Viele Linke hielten es für selbstverständlich, erinnert sich Wagenbach, "im Verlag arbeiten zu können. Oder zu volontieren. Oder zu übernachten. Oder wenigstens zu fotokopieren. Und jedenfalls gehörte mein Auto der Bewegung." Für ein halbes Jahrzehnt verwandelt sich das Haus in eine Nachrichtenbörse, ein Nachtlager und Mittagstisch, kurz: in einen Dienstleistungsbetrieb für wütende Studenten. Wie ernüchternd das Erwachen aus dem Traum vom Kollektiv war, zeigt sich 1973, als es zur Spaltung zwischen Wagenbach und Rotbuch kommt.

Mit Leidenschaft ist Wagenbach immer dann bei der Sache, wenn es ums Handwerk des Verlegers geht. Eine Begabung nennt er das, "was auf Blättern geschrieben da ist, auf einem ganzen Konvolut von Blättern, in eine plastische Gestalt zu übersetzen, in die Buchgestalt". Drei Definitionen fallen ihm als Voraussetzung fürs Büchermachen ein: Enthusiasmus, Zufall und technische Besorgnisse. Allen inhaltlichen Häutungen zum Trotz - dass der gelernte Verlagsfachmann von Büchern etwas versteht, sieht man seiner Produktion bis heute an. Da hält er es mit seinem einstigen Meister, dem Herstellungsleiter bei Fischer, Fritz Hirschmann, der ihm einbleute, "dass Bücher nicht nur billig, sondern auch schön zu sein hätten". Von ihm bekam Wagenbach damals ein schäbig gedrucktes Buch in die Hand gedrückt: "Bub, schätz das mal!" Und als er begann, die Zeilen zu zählen, entdeckte er einen Autor, von dem er bis dahin nichts gelesen hatte und der ihn nach einer Promotion sowie vielen weiteren Publikationen bis heute nicht losgelassen hat: "Kafkas dienstälteste lebende Witwe" nennt Wagenbach sich deshalb selbst gern.

Über seine Grand Tour nach Italien auf dem Fahrrad gibt er ebenso beredt Auskunft wie über die Forschungsreisen auf Kafkas Spuren nach Israel und in die Tschechoslowakei, wo er als Reisezweck den offiziösen Egon Erwin Kisch angab, um den verbotenen Kafka zu finden. Was Wagenbachs ersten Auftritt bei der Gruppe 47 angeht, so erinnerte sich später Hans Werner Richter, dass er, als er ihn da sitzen sah, bloß dachte: "Wie kommt denn der Junge hierher, ein Abiturient, vielleicht ein Pfadfinder, ein Sohn von Hans Mayer konnte es nicht sein, Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger waren zu jung, um als Mütter in Betracht zu kommen. Der hat sich eingeschlichen."

Mit Rührung schreibt Wagenbach zum Tod des Dichters Erich Fried. Und hält auch nicht mit Wut und Enttäuschung zurück, etwa über Wolf Biermann, den er noch zu dessen DDR-Zeit publizierte und der dann nach der Ausbürgerung den Verlag wechselte, ohne Wagenbachs Verlagsräume je betreten zu haben. F. C. Delius trägt er nach, dass der einst zur Revolte gegen den Verleger aufrief. Bis heute ist er der unverwüstliche, leidenschaftliche und unabhängige Verleger geblieben, der mit seinem Meinungsverlag um Bücher kämpft, als gäbe es keine Konzerne. Ein Dogmatiker ist er nicht: Dass er in seiner Grabrede für Ulrike Meinhof 1976 die von RAF-Terroristen Ermordeten aufrechnete gegen die durch die Polizei bei der Fahndung Getöteten ist ihm heute "peinlich", wie er kürzlich im "Spiegel" gestand: "Ich wusste eigentlich damals schon, wie verrückt das alles war."

Klaus Wagenbach hat als Verleger Literatur- und Kulturgeschichte geschrieben. Dabei ist ihm zuletzt noch das Kunststück gelungen, woran viele seiner Kollegen scheitern, nämlich die eigene Nachfolge rechtzeitig zu klären. Während die einen ihren Nachkommen juristische Knobelaufgaben mit auf den Weg geben und andere lieber dichtmachen, als den Verlag fremden Händen zu überlassen, hat Klaus Wagenbach sein Haus frühzeitig und ohne Drama seiner Frau Susanne Schüssler übergeben. Er selbst kommt als Altlektor im Nebenzimmer an der Schreibmaschine allenfalls noch als Feuerwehrmann zum Einsatz - bei empfindsamen Übersetzern, älteren Autoren, beleidigten Lesern. Er weiß: So viel List muss ein Verleger lebenslang angesammelt haben, um sich als Pensionär nützlich machen zu können.

Klaus Wagenbach: "Die Freiheit des Verlegers". Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe. Wagenbach Verlag, Berlin 2010. 350 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Wie viel Intelligenz mit Witz zu tun hat, oder zumindest zu tun haben sollte, ist den hier gesammelten, größtenteils bislang unveröffentlichten "Erinnerungen, Festreden, Seitenhieben" des Berliner Verlegers Klaus Wagenbach zu entnehmen. Sicher, manches davon, wie zum Beispiel die Grabrede auf Ulrike Meinhof, ist heute wohl selbst in den Augen von Klaus Wagenbach kein Dokument geistiger Unabhängigkeit von den einstigen Zeitströmungen. Doch das meiste, was sich in diesem Buch findet, ist beneidenswert souverän, scharfsinnig und in einem so schlanken Stil geschrieben, dass die Pointen scheinbar wie von alleine aufs Papier plumpsen. Vor allem die Porträts aus dem Literaturbetrieb haben mir ausnehmend gut gefallen: Von Johannes Bobrowski bis Günter Bruno Fuchs, von Stephan Hermlin bis Wolf Biermann, von Erich Fried bis Michael Krüger fängt Wagenbach sie alle mit sicherem Blick, präzisem Ton und viel Sinn für wirkungsvolle Anekdoten ein. Der Band ist ein Geschenk, das ihm sein Verlag zum 80. Geburtstag am 11. Juli gemacht hat. Doch Freude an dieser Festgabe hat nicht nur der Jubilar, sondern vor allem auch der Leser.

Wsk

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Leben und Werk des linken Verlegers Klaus Wagenbach, wie es in den eher kleinen als großen Konfessionen dieses Bandes sich darstellt, erzählt die Rezension Sandra Kegels im wesentlichen nur nach. Von der entscheidenden Begegnung mit den Texten Franz Kafkas, über die erste Italienreise mit dem Rad, die nicht unwichtig war für die spätere Entstehung der Toskana-Fraktion, über die wilden Siebziger, in denen es zur Abspaltung des Rotbuch-Verlags kam bis zur friedlichen Übergabe des Verlags in die Hände seiner Ehefrau. Über "Enttäuschungen" (Wolf Biermann vor allem) schreibt Wagenbach ebenso sehr wie mit "Leidenschaft" über die handwerkliche Seite des Büchermachens. Die Texte aus mehreren Jahrzehnten lesen sich, so Kegel, als "schillerndes Konvolut", aus dem man sehr viel über die Geschichte Nachkriegsdeutschlands erfährt.

© Perlentaucher Medien GmbH