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Gershom Scholems Name steht über die Fachgrenzen der Jüdischen Studien hinaus für die Geschichte der jüdischen Mystik und des jüdischen Messianismus. Weniger bekannt ist, dass er zeitlebens intensiv mit Dichtungen und Übersetzungen sowie mit philologischen sprachtheoretischen Fragen befasst war. Die Edition zeigt diese literarische Seite des bekannten Religionswissenschaftlers. Sie gibt erstmals umfassend und systematisch Einblick in die Arbeit des Literaten und Übersetzers, des Intellektuellen und Kritikers, indem sie Scholems Poetica in sechs Abteilungen versammelt und die einzelnen Texte…mehr

Produktbeschreibung
Gershom Scholems Name steht über die Fachgrenzen der Jüdischen Studien hinaus für die Geschichte der jüdischen Mystik und des jüdischen Messianismus. Weniger bekannt ist, dass er zeitlebens intensiv mit Dichtungen und Übersetzungen sowie mit philologischen sprachtheoretischen Fragen befasst war. Die Edition zeigt diese literarische Seite des bekannten Religionswissenschaftlers. Sie gibt erstmals umfassend und systematisch Einblick in die Arbeit des Literaten und Übersetzers, des Intellektuellen und Kritikers, indem sie Scholems Poetica in sechs Abteilungen versammelt und die einzelnen Texte ausführlich kommentiert.
Gerschom Scholem erscheint hier als engagierter Intellektueller Israels, der sich in zeitgenössische Debatten um Autoren im Lande und um solche in der Diaspora einschaltete und intervenierte, so analytisch wie aufgeregt.
Autorenporträt
Scholem, GershomGershom Scholem (1897-1982) begründete mit seinen Werken einen neuen Forschungszweig: die wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Mystik, die ein neues Verständnis des Judentums und der jüdischen Geschichte eröffnet hat.

Weigel, SigridSigrid Weigel ist Professorin am Institut für Literaturwissenschaft der Technischen Universität Berlin und Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2019

Das deutsch-jüdische Gespräch, eine Illusion?
Gershom Scholem rang sein Leben lang darum, verkörperte es: die "Poetica", vorzüglich kommentiert

Als Gershom Scholem, 1897 in Berlin geboren, 1923 ausgewandert nach Jerusalem, im Jahre 1964 seine Polemik "Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch" in das allzu illusorische Klima von Versöhnung und Brüderlichkeit warf, entzündete er eine jahrelange Auseinandersetzung, und sie ist im Grunde bis heute nicht verstummt. Hatte es so etwas überhaupt je gegeben, also ein "Gespräch" im tieferen, gegenseitigen Sinne, einen wirklichen Austausch zwischen jüdischer und deutscher Kultur? Oder war es nicht so, "daß die Deutschen, wo sie sich überhaupt auf ein Gespräch (in einem nicht verwaschenen Sinne) mit den Juden eingelassen haben, dies unter der Voraussetzung taten, daß die Juden bereit seien, sich in immer fortschreitendem Maße als Juden aufzugeben"?

Liest man staunend und ergriffen die umfassende Sammlung von Scholems Schriften zu Literatur, Sprache, Poesie und Übersetzung, begreift man erst recht, was es ihn gekostet hat, die Idee eines "im Kern unzerstörbaren deutsch-jüdischen Gesprächs" zu einer "mir unfaßbaren Illusion" erklären zu müssen. Denn wenige, das spricht aus fast jeder Seite dieses großen Buches, verkörperten wie dieser bedeutende Gelehrte auch nach der Vernichtung des europäischen Judentums noch jenen deutsch-jüdischen Geist, der jetzt nur noch gescheiterte, zerstörte Geschichte war. Steht Scholem als später Nachfahre in einer Reihe, die über Moses Mendelssohn bis Hermann Cohen und Franz Rosenzweig reicht, gehört er jedoch zwangsläufig zu jener neuen Generation, die das Ende dieser deutsch-jüdischen Tradition im Massenmord von nun an mit jedem einzelnen Gedanken mitdenken musste.

Und doch, diese literarischen Schriften lassen noch stärker erkennen, wie sehr Scholems Werk trotz allem seiner Herkunft verbunden blieb - wie konnte es auch anders sein? Sein Denken war von Anfang an ein Denken in und mit der Sprache, das zeigen seine Tagebücher nicht anders als die frühen Briefwechsel mit Walter Benjamin oder Werner Kraft. Und das Deutsche blieb für Scholem, der auf Hebräisch oder Englisch publizierte, stets jene aus der Kindheit stammende Sprache, in der er am tiefsten mit der poetischen, expressiven Dimension des Schreibens vertraut war - obwohl er sich lebenslang auch mit hebräischen Autoren wie Samuel Agnon und Chaim Bialik beschäftigte.

Scholems inniges Verhältnis zu Literatur und Poesie ist bekannt, aus Aufsätzen, Tagebüchern und Briefen, ganz besonders natürlich aus der Korrespondenz mit Walter Benjamin, wo die Literatur ein dauernder Fixpunkt ist. Doch erst jetzt wird es in seiner ganzen Dimension nachvollziehbar. Die vorzüglich kommentierten "Poetica" sammeln ein breites Spektrum: Essays und Rezensionen zur deutschen und hebräischen Literatur, Abhandlungen zu Sprach- und Übersetzungstheorie, Übersetzungen religiöser und poetischer Texte, bis hin zur Tagespolemik gegen Philip Roth und sein Bild vom amerikanischen Judentum. Am Schluss steht eine Auswahl eigener Gedichte; das alles von einer sachlichen Breite und gedanklichen Tiefe und Originalität, dass es sich jeder schnellen Zusammenfassung entzieht.

Scholem nämlich war nicht einfach einerseits ein Judaist und Historiker, der sich andererseits auch für Literatur interessiert; bei allen Differenzierungen gehörte für ihn die Dichtung zu der gleichen intellektuellen Sphäre, in der es um Erkenntnis geht, um Wahrheit im wesentlichen philosophischen Sinn. Deshalb richtete sich seine Aufmerksamkeit von Anfang an besonders auf solche Autoren und solche Texte, die sowohl aus religiöser als auch aus poetischer Perspektive zu lesen sind. Ganz früh gilt das Interesse des Studenten Scholem der Klage und dem Klagelied, und zwar gerade deshalb, weil hier beides sich unauflöslich verschränkt: Poesie und Theologie. Das ganz Eigentümliche seiner Beschäftigung liegt in dieser Vielfalt: Scholem schreibt über ein mittelalterliches Klagelied, über Hiobs Klage, Kohelet und Jesaja, analysiert Luthers deutsche Übersetzungen, aber er stellt neben die Theorie dann seine eigenen deutschen Versionen, in denen die Interpretation selbst zur Nachschöpfung wird.

Der Schritt zur eigenen Dichtung war da nicht weit. Scholems Gedichte stehen fast ganz exterritorial zur zeitgenössischen Lyrik, am ehesten noch vergleichbar der Gedankenlyrik von Karl Kraus oder Ludwig Strauß. Unter vielen Gelegenheitsversen finden sich staunenswerte Gebilde, manche schon aus den Briefen an Benjamin bekannt; der "Gruß vom Angelus", eine Meditation über Paul Klees "Angelus Novus", der wiederum Benjamin zu seiner geschichtsphilosophischen These über den "Engel der Geschichte" angeregt hatte, oder ein Widmungsgedicht in Benjamins "Einbahnstraße". In engster Verbindung steht damit das "theologische Lehrgedicht" auf Kafkas "Prozess", denn Kafka war zugleich das intensivste Thema zwischen Benjamin und Scholem, bei dem theologische und profane Interpretation einander ausdauernd widersprachen und ergänzten. Scholems spekulative Deutung von Kafkas "Prozess" aus dem Geist des Buches Hiob ist wahrhaft einzigartig und steht denen seines Freundes Benjamin gleichwertig, wenn auch ganz entgegengesetzt zur Seite.

Zur gleichen Zeit, da Scholem sich mit dem jüdischen Klagelied beschäftigt, finden sich im Tagebuch eineinhalb wahrhaft staunenswerte Seiten über ein "ungeheures Buch", das der junge Forscher gerade liest, den "Anton Reiser" von Karl Philipp Moritz. Scholems Bemerkungen zählen zum Tiefsten, was je über Moritz gesagt worden ist, und zwar gerade weil es ihm möglich wird, diesen so ganz und gar deutschen Bildungsroman zugleich als etwas völlig anderes zu lesen: als Ausdruck einer metaphysischen Trauer, als ungeheure Klage, ja "Anklage gegen das messianische Reich selber, um das der, der es erduldet hatte, eine Ewigkeit belogen worden ist". In dieser Konstellation, also mit einem ganz eigenen jüdischen Blick auf deutsche Tradition, zeichnet sich das ab, was für Scholem eine Illusion bleiben musste, nämlich eine tatsächlich fruchtbare, schöpferische Begegnung von jüdischem und deutschem Geist.

Scholem hat der deutschen Literatur und Kultur ungeheuer viel gegeben, nicht nur für das Verständnis vom Judentum, sondern gerade auch für das Verständnis der deutschen Tradition. Er selbst wäre das große Beispiel für das gewesen, was die deutsche Kultur von der jüdischen hätte empfangen können, hätte sie nicht von den Juden verlangt, "sich in immer fortschreitendem Maße als Juden aufzugeben". Dass etwas von dem Versäumten in diesen "Poetica" jetzt wieder ans Licht kommt, ist wenigstens eine kleine Wiedergutmachung.

WOLFGANG MATZ

Gershom Scholem: "Poetica". Schriften zur Literatur, Übersetzungen, Gedichte.

Hrsg. und kommentiert von Herbert Kopp-Oberstebrink, Hannah Markus, Martin Treml und Sigrid Weigel unter Mitarbeit von Theresia Heuer. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 783 S., geb., 58,- [Euro].

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»Poetica so wird man nach der Lektüre sagen müssen, ist ein eigener Erdteil in der Welt Scholems. Einer, der bislang halb unter Wasser lag und jetzt seine volle Schönheit entfalten kann. Mit dem Band ist den Herausgebern zudem eine Verlebendigung dieses großen Gelehrten gelungen, die man gar nicht mehr zu erhoffen wagte.« Thomas Meyer DIE ZEIT 20190828