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Als reinen Glücksfall bezeichnete Grace Paley das Erscheinen ihres ersten Erzählungsbands »Die kleinen Widrigkeiten des Lebens« im Jahr 1959. Bis zum Beginn der amerikanischen Frauen-, Friedens- und Bürgerrechtsbewegung hatte die selbstbewusste New Yorker Hausfrau und Mutter ausschließlich Gedichte geschrieben. Aber dann habe sie ihr Gehör für die Geschichten ihrer Mitmenschen entdeckt, beschrieb Paley den Wechsel zu dem Genre, für das sie berühmt wurde. Diese Erfahrungen gibt sie mit ihrem ganz eigenen, von der Sprache der jüdisch-osteuropäischen Einwanderer gefärbten Ton wieder: im Sound…mehr

Produktbeschreibung
Als reinen Glücksfall bezeichnete Grace Paley das Erscheinen ihres ersten Erzählungsbands »Die kleinen Widrigkeiten des Lebens« im Jahr 1959. Bis zum Beginn der amerikanischen Frauen-, Friedens- und Bürgerrechtsbewegung hatte die selbstbewusste New Yorker Hausfrau und Mutter ausschließlich Gedichte geschrieben. Aber dann habe sie ihr Gehör für die Geschichten ihrer Mitmenschen entdeckt, beschrieb Paley den Wechsel zu dem Genre, für das sie berühmt wurde. Diese Erfahrungen gibt sie mit ihrem ganz eigenen, von der Sprache der jüdisch-osteuropäischen Einwanderer gefärbten Ton wieder: im Sound ihrer Generation, in schlagfertigen Wortwechseln und Szenen urbanen Lebens.

'Grace Paley gehört zu einer seltenen Gattung von Schriftstellern mit einer Stimme, wie niemand sonst sie hat: komisch, traurig, bescheiden, energisch, genau', schwärmte Susan Sontag. Die Neuübersetzung der Erzählungen erschließt erstmals Paleys lakonische Genauigkeit, ihren eigenwilligen Witz und ihren ironisch unbekümmerten Blick auf die absurden Wendungen des Alltags: 'Einmal hat mir mein Mann zu Weihnachten einen Besen geschenkt. Das war nicht recht. Niemand kann mir erzählen, er hätte es nett gemeint.'
Autorenporträt
Grace Paley, 1922 als Tochter russisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren, war neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit in der Friedens-, Frauen- und Bürgerrechtsbewegung aktiv. Sie veröffentlichte zahlreiche Shortstorys und Gedichtbände und erhielt mehrere bedeutende Auszeichnungen und Preise für ihr Lebenswerk, das jetzt vollständig in Neuübersetzungen bei Schöffling & Co. erscheint. Grace Paley starb 2007 in Vermont.Sigrid Ruschmeier, geboren 1945, lebt in Berlin. Studium der Germanistik und Politologie, Verlagstätigkeit, seit 1988 Übersetzerin aus dem Englischen, u. a. von Sybille Bedford, Elizabeth Bowen, Bill Bryson, Jennifer Egan, Sebastian Haffner, Arthur Phillips, Gwendoline Riley, Rudolf Vrba und Fay Weldon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2013

Die Frau als Fremdling im eigenen Haushalt, dessen Gitterstäbe Kinderhände sind

Geschlechterkritik o.k., aber ist es auch Literatur? Für Grace Paley war diese Frage zu bejahen. In "Die kleinen Widrigkeiten des Lebens" ist ihre Kurzprosa zu entdecken.

Wenn das Politische in der Dichtung überhandnimmt, wird es bekanntlich schnell verbiestert. Ganz deutlich zeigt sich dies in der engagierten Literatur der sechziger bis achtziger Jahre. Der angestrengt alarmierte Tonfall der Friedens- und Ökolyrik; die überzeichneten Geschlechterstereotype in der feministischen Literatur; nicht zuletzt der fragwürdige Kult um das Authentische im Dokumentarismus. So berechtigt sich die politischen Impulse der Autoren zum Teil immer noch ausnehmen, so gering ist häufig ihr Bemühen um Sprachästhetik, um Unterhaltung gar, vermutlich, weil sie gleichermaßen unter Verblendungsverdacht stehen. Umso erfrischender ist es sich da, wenn das literarische mit dem politischen Anliegen tatsächlich einmal Hand in Hand geht.

Grace Paley, 1922 als Tochter ukrainisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren und 2007 als vielgerühmte Schriftstellerin im Bundesstaat Vermont verstorben, verkörpert die Verbindung von Literatur und Politik wie kaum eine andere Autorin der amerikanischen Literatur seit den sechziger Jahren. Als rastlose Aktivistin beteiligt sich Grace Paley in zahlreichen Foren der Bürgerrechts-, Friedens- und Frauenbewegung. Bei einer Sitzblockade auf der New Yorker Fifth Avenue gegen die Stationierung von Pershing-Raketen und Marschflugkörpern in Deutschland im Jahr 1966 sowie 1978 bei der Anbringung eines Anti-Atom-Banners auf dem Rasen des Weißen Hauses wird sie sogar kurzzeitig verhaftet.

Als Schriftstellerin, die ein eher schmales Werk hinterlässt, befasst sich Grace Paley in erster Linie mit dem zeitgenössischen Leben amerikanischer Frauen, jüdischer, in New York lebender Frauen zumal. Dass die Literatur gegenüber der Geschlechterkritik bei Grace Paley aber keineswegs ins Hintertreffen gerät, lässt sich auch an ihrer 1959 erstmals in Amerika veröffentlichten und nun von Sigrid Ruschmeier neu ins Deutsche übersetzten Kurzprosa erkennen.

Das Unbehagen der Geschlechter an- und miteinander umreißt hier Paley in immer neuen erzählerischen Kleinkonstellationen - psychologisch komplex, sprachlich frei von jeder Eitelkeit, immer wieder auch mit Komik. Dabei bewegen sich ihre Geschichten durchaus nicht jenseits der Geschlechterstereotype, stellen diese aber - eine der wichtigsten Einsichten der gender theory vorwegnehmend - als sprachlich geschaffene, gesellschaftlich hervorgebrachte und machtvoll wirksame Zuschreibungen aus.

Ihre Figuren verfügen indes nur selten über eine tiefer gehende Einsicht in die soziale Ordnung der Geschlechter. Die Storys erzählen eher vom Aushalten, vom Ertragen des Alltags im Amerika der fünfziger Jahre als von Bewusstwerdung, womöglich gar von Emanzipation. In einem Interview, das dem vorliegenden Band als Anhang beigegeben ist, belegte Grace Paley solche Zustände mit einem Leitbegriff der zeitgenössischen Kulturkritik: "Entfremdung".

Diese Entfremdung zeigt sich in der Erzählung "Ein Interesse am Leben" am Fall Virginias, einer mittellosen Mutter von vier kleinen Kindern, die von ihrem Mann mir nichts, dir nichts verlassen wird und sich daraufhin allein im New Yorker Großstadtleben behaupten muss. "Eine Frau zählt ihre Kinder und wird überheblich, als hätte sie das Leben erfunden", stellt sie an einer Stelle fest, "doch Männer müssen in der Welt Erfolg haben. Ich weiß, dass Männer sich durch Glücklichsein nicht einlullen lassen." Dieser Versuch, sich die Widrigkeiten des Lebens über die Natur der Geschlechter zu erklären, schreibt ein krass ungleiches Machtverhältnis fest: Weil "Daddy" ja schließlich gar nicht anders kann, als nach Erfolg zu streben und aus seinem kuhwarmen Heim in die Welt zu flüchten, und weil Virginia auf ihre Rolle als Gattin und Mutter geradezu verpflichtet ist, sitzt sie in ihrer schäbigen Wohnung und wartet - wartet auf ihn, auf seine Rückkehr, und träumt, wie sie ihm den Schlips aufknotet und ein kaltes Sandwich anbietet, während er ihr auf den Hintern klatscht, "mal gucken, wie elastisch er noch ist".

Die abgründige Ambivalenz dieser Szene besteht darin, dass den Lesern hier mitnichten von einer Angstvision, sondern vielmehr - und zwar entwaffnend ungebrochen - von einem Wunschtraum berichtet wird.

Die Antwort auf die Frage, wie und warum sich die Frauen in diese Zwangslage begeben, findet Grace Paley in der Kindheit, genauer: in der Beziehung von Mutter und Sohn, wie sie die Story "Das Eigentliche der Kindheit" umreißt. "Was ist der Mann, dass die Frau sich ihm zu Füßen legt und ihn anbetet", fragt sich Faith, Ehefrau und Mutter, und findet die Antwort eingekuschelt auf ihrem Schoß. Ihr jüngster Sohn, der sie eben noch mit lautstarken Befehlen herumkommandierte, liegt nun in ihren Armen, an seinem Daumen nuckelnd, die andere Hand mit gespreizten Fingern auf ihrer Brust, und er säuselt ihr zu: "Ich liebe dich, Mama."

Sich dieser Zärtlichkeit zu entziehen, ihr Kind gar von sich zu stoßen, das vermag Faith verständlicherweise nicht, im Gegenteil. Was soll sie machen? Sie schließt die Augen und schmiegt sich an seinen Kopf, während die Sonne durch das Fenster scheint, um ihr Bewusstsein zumindest für einen Moment zu erhellen: "Da leuchtete mein Herz durch die kurzen, knubbeligen Finger meines Sohnes in Streifen, für immer begraben, wie ein König in Alcatraz hinter schwarz-weißen Gittern." In diesem verschlungenen Neben- und Ineinander von Überlegenheit und Hinwendung, das für Faith Erniedrigung und Erhöhung, Erfüllung und Selbstverlust bedeutet, unterwirft sich die Mutter ihrem Sohn, und zwar körperlich wie auch seelisch - eine Art Urkonstellation, die sich im Erwachsenenleben der Männer und Frauen fortschreibt, wie die knapp ein Dutzend Geschichten dieses Bandes in immer neuen, überraschenden Variationen vorführen.

Tatsächlich gelingt es Grace Paley mit ihren Erzählungen, die Geschlechterrollen mit ihren vielschichtigen Machteffekten und komplizierten Unterwerfungstechniken präzise zu analysieren, ohne zugleich die Literatur zum Medium eines allzu offensiven Agitierens, Theoretisierens und Debattierens herabzustufen. Worin bestünde denn auch die "Emanzipation", die ihren Protagonisten anzuraten wäre? Immer wieder besitzen die Sätze der Erzählerin, die in den vierziger Jahren kurzzeitig bei dem Poeten W.H. Auden in New York studierte, sogar jene fast lyrische Qualität, für die sie Autoren wie Philip Roth, Susan Sontag und Uwe Johnson bewunderten. Es sind Sätze, die noch heute, in Zeiten eingeübter Kontroversen über Sexismus, gender mainstreaming und Postfeminismus, ihre Wirkung nicht verfehlen: "Mädchen leben ein Steinzeitleben in einer Höhle aus geblasenem Glas."

KAI SINA

Grace Paley: "Die kleinen Widrigkeiten des Lebens". Storys.

Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2013. 256 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen ungewohnten Blick auf die amerikanische Frau der 50er Jahre bieten die neuübersetzten, erstmals 1959 erschienenen elf Erzählungen von Grace Paley dem Rezensenten. Marius Nobach schätzt an den im New Yorker Mietshausmilieu spielenden, realistisch, aber variantenreich die Beziehungen zwischen Frauen und Männern auslotenden Texten vor allem ihre witzige, dabei komplexe Lebendigkeit, die nie offen politisch wirkt, dem Rezensenten aber dennoch engagiert erscheint, wenn es um Sozialkritik und Emanzipation geht. Für das Vorhaben einer Gesamtausgabe von Paleys Werk ist Nobach dem Verlag schon jetzt dankbar.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.07.2013

Keine Zeit, um nur zu schreiben
Grace Paley porträtierte in ihren Storys ganz gewöhnliche Frauen. Ihre poetischen Alltagsgeschichten sind nun wiederzuentdecken
Literaturhistorisch betrachtet war 1959 ein Jahr des Umbruchs. Junge Autoren sprengten mit gewagten formalen Experimenten traditionelle Erzählweisen, es war das Jahr, in dem unter anderem „Die Blechtrommel“ und „Mutmaßungen über Jakob“, „Naked Lunch“ und „Goodbye, Columbus“ herauskamen. Und auch die Werke der Postmoderne, die noch weiter gingen darin, Formen und Grenzen aufzulösen, kündigen sich bereits an.
  Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, dass 1959 beim New Yorker Großverlag Doubleday auch das Erstlingswerk einer unbekannten Autorin namens Grace Paley erschien, die zwar seit ihrer Kindheit kontinuierlich geschrieben, mit damals 37 Jahren zuvor aber noch so gut wie nichts veröffentlicht hatte. Bemerkenswert ist „The Little Disturbances of Man“ in dreierlei Hinsicht: Zunächst, weil Grace Paley darin elf Erzählungen vorlegt, die einem eher traditionellen Realismus verpflichtet und dem ganz normalen, unspektakulären Alltag abgeschaut sind – und dabei entgegen dem Zeitgeist auf jede formale Spielerei verzichten. Des Weiteren, weil die Storys, die fast ausschließlich im New Yorker Mietshausmilieu spielen, es wagen, durchschnittliche, aber selbstbewusste, zielstrebige und herrlich ironiebegabte Frauen in den Mittelpunkt zu stellen. Und zu guter Letzt, weil Grace Paley auf Anhieb den Beifall der Literaturkritik findet und bald Kollegen wie Philip Roth, Joyce Carol Oates und Christa Wolf zu ihren Bewunderern zählen kann.
  Trotz des Erfolgs kam es mit großer Verspätung erst in den Achtzigerjahren zu einer Übersetzung ins Deutsche, die damals vom Suhrkamp-Verlag veröffentlichten Ausgaben sind natürlich längst vergriffen. Glücklicherweise gibt es nun aber eine neue Gelegenheit, die Werke einer der meistgeschätzten amerikanischen Short-Story-Verfasserinnen auch auf Deutsch kennenzulernen. Mit einer Neuübersetzung des ersten Erzählbands unter dem Titel „Die kleinen Widrigkeiten des Lebens“ startet der Schöffling-Verlag das verdienstvolle Projekt einer Neuausgabe von Paleys Gesamtwerk in vier Bänden. Was tatsächlich die gesamte literarische Produktion von Grace Paley umfasst: Als sie 2007 starb, waren zu ihrem Debüt lediglich zwei weitere Bücher mit Storys und drei Gedichtbände dazugekommen. Denn die Tochter ukrainisch-jüdischer Einwanderer, die sich sehr viel Zeit genommen hatte, um ihre persönliche Erzählstimme zu finden, hatte sich auch nach ihrem Durchbruch nie vom Schreiben vereinnahmen lassen. Immer blieb sie überzeugt, dass andere Dinge mindestens ebenso wichtig seien. Zuerst nahm ihre Familie viel von ihrer Zeit in Anspruch, mit Beginn der Sechzigerjahre dann zunehmend ihr politischer Aktivismus: Paley setzte sich für die Rechte der Frauen ein, protestierte gegen Kriege und Atomwaffen, mehrmals wurde sie verhaftet.
  Wenn man bedenkt, dass die Storys immer irgendwie nebenher entstanden, ist besonders eindrucksvoll, wie überaus lebendig und unaufdringlich poetisch sie gestaltet sind. Die Sprache der Geschichten ist an mündlichen Vortragsweisen orientiert, was die Neuübersetzung von Sigrid Ruschmeier weitaus besser vermittelt als die oft etwas steife Übertragung aus den Achtzigern. Nun hat man als Leser wirklich wie im amerikanischen Original den Eindruck, unvermittelt zum Zeugen intimer Erzählsituationen zu werden, die einen als Außenstehenden eigentlich gar nichts angehen. Gleich in der ersten Erzählung „Auf Wiedersehen und viel Glück“ etwa, wenn Rose Lieber, eine alleinstehende alte Frau, die oft als wunderlich abgetan wird, ihr unkonventionelles Leben vor ihrer Nichte ausbreitet. Statt die Anfang des 20. Jahrhunderts erwartete Geschlechterrolle als Ehefrau und Mutter auszufüllen, geht sie den damals unerhörten Weg eines selbstbestimmten Lebens. Von der Kartenverkäuferin eines jiddischen Theaters steigt sie zur Komparsin und Geliebten des Hauptdarstellers auf, trennt sich aber alsbald von dem verheirateten Familienvater und widersteht auch sonst allen Verkupplungsversuchen ihrer Umgebung. Erst als der Schauspieler sich im hohen Alter noch von seiner Frau scheiden lässt, ist sie zur Heirat bereit – hauptsächlich, um auch das mal ausprobiert zu haben.
  Um Beziehungen zwischen Männern und Frauen geht es in fast allen der Storys, für deren Inhalt Grace Paley in den Straßen, den kleinen Geschäften und engen Mietshäusern der Bronx, in der sie seit ihrer Kindheit zu Hause war, reichlich Material fand. In immer neuen Variationen gelingt es ihr, auf sympathische, witzige und komplexe Weise davon zu erzählen, wie die Geschlechter aufeinanderprallen und trotz allen Unbehagens nicht ohne einander auskommen können. Die Nachteile des in den Fünfzigerjahren bestehenden sozialen Systems für die Frauen werden stets unterschwellig thematisiert, doch anders als es Paleys feministisches Engagement nahelegen würde, sind ihre Erzählungen nie offen politisch.
  Am ehesten wird die Kritik an der Vorherrschaft des männlichen Geschlechts in einer Neigung zur Stereotypisierung sichtbar: Die meisten von Grace Paleys männlichen Figuren sind ruhelos, unzuverlässig und lassen sich ohne großen Ehrgeiz durchs Leben treiben. Im Gegensatz dazu haben die Frauen klare Vorstellungen, was sie wollen – auch und gerade, was ihr Beziehungs- und Sexualleben angeht. Die Unzuverlässigkeit der Männer wird von vornherein einkalkuliert: In der Story „Ein Interesse am Leben“ wird die vierfache Mutter Virginia von einem Tag auf den anderen von ihrem Mann im Stich gelassen, als dieser ausgerechnet kurz vor Weihnachten genug vom Familienleben hat. Ihre Nachbarin umreißt sofort das Prozedere in solchen Fällen: „Sag es gleich bei der Fürsorge. Sag es auch der Polizei, sie bringen gern Spielzeug für die kleinen Kinder. Und vergiss nicht, beim Kaufmann Bescheid zu sagen. Dann ist er nicht so streng beim Bezahlen.“ Symptomatisch für Paleys seelisch gefestigte Frauen ist, dass Virginia trotz aller Not nicht den Lebensmut verliert. Als sich der verantwortungsbewusste Sohn der Nachbarin ihrer annimmt, kehrt sie bereitwillig in das Leben an der Seite eines Mannes zurück.
  Es hat bei Grace Paley nichts Resignatives, dass ihre Protagonistinnen nicht dauerhaft aus ihrer tradierten Rolle ausbrechen können. Entscheidend ist, dass sie selbst über ihr Schicksal bestimmen, und wenn sie es wirklich wollten, könnten sie sich auch jenseits von Küche und Kinderzimmer selbst verwirklichen – daran lassen die Storys keinen Zweifel. So bieten Paleys Geschichten einen ungewohnten und vielschichtigen Blick auf die Fünfzigerjahre und auf starke Frauen am Vorabend der Emanzipation.
MARIUS NOBACH
Philip Roth, Joyce Carol Oates
oder auch Christa Wolf gehörten
zu ihren Bewunderern
Starke Frauen am Vorabend
der Emanzipation
1959 veröffentlichte Paley ihren ersten
Erzählband und fand auf Anhieb
großen Beifall.
FOTO: GETTY IMAGES
      
    
  
Grace Paley: Die kleinen Widrigkeiten des Lebens. Storys. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013.
256 Seiten, 19,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Ihre Geschichten (...) erzählt die Tochter russisch-jüdischer Einwanderer mit einnehmender Leichtigkeit und charmantem Witz - der in der neuen Übersetzung von Sigrid Ruschmeier besonders Spaß macht.«
Almut Siefert, Stuttgarter Nachrichten