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Dieses Buch ist eine Erkundung der persönlichen und politischen Unruhen des frühen 21. Jahrhunderts. In einer Mischung aus lyrischer Meditation und autobiografischem Essay folgt Claudia Rankine den Spuren der Einsamkeit in unserer Gegenwart: Ein Nachdenken über das Wechselverhältnis von Tod und Fernsehen, die USA nach dem 11. September, Psychopharmaka und das rettende Potenzial der Sprache - poetisch und glasklar, voller Klugheit, intellektuellem Witz und Melancholie.Claudia Rankine, geboren 1963 in Jamaika, schreibt Lyrik und Theaterstücke. Sie ist Professorin für Lyrik an der Yale University…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch ist eine Erkundung der persönlichen und politischen Unruhen des frühen 21. Jahrhunderts. In einer Mischung aus lyrischer Meditation und autobiografischem Essay folgt Claudia Rankine den Spuren der Einsamkeit in unserer Gegenwart: Ein Nachdenken über das Wechselverhältnis von Tod und Fernsehen, die USA nach dem 11. September, Psychopharmaka und das rettende Potenzial der Sprache - poetisch und glasklar, voller Klugheit, intellektuellem Witz und Melancholie.Claudia Rankine, geboren 1963 in Jamaika, schreibt Lyrik und Theaterstücke. Sie ist Professorin für Lyrik an der Yale University und Stipendiatin des MacArthur Fellowships. Mit ihren Arbeiten gewann sie viele Preise und Auszeichnungen. 2018 erschien von ihr bei Spector Books bereits Citizen (Volte #5), das von der Kritik viel beachtet und auf die SWR-Bestenliste gewählt wurde.Uda Strätling lebt in Hamburg und hat unter anderem Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, Joyce Carol Oates und Aldous Huxley übersetzt.This book explores the personal and political unrest of the early twenty-first century. Claudia Rankine crafts a hybrid of autobiographical essay and lyrical meditation to track the loneliness that is prevalent today: a reflection on the interplay of death and television, the USA after 9/11, psychotropic drugs, and the redemptive potential of language-poetic and crystal clear, full of sagacity, intellectual wit, and melancholy.Claudia Rankine, born in Jamaica in 1963, writes poetry and plays. She is professor of poetry at Yale University and a MacArthur Fellow. Her work has won her numerous prizes and awards. In 2018, Spector Books published her critically acclaimed work Citizen (Volte #5), which was selected for the SWR Bestenliste.Uda Strätling lives in Hamburg and has translated such authors as Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, Joyce Carol Oates, and Aldous Huxley.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2021

In die Netzhaut
Claudia Rankines Langgedicht „Lass mich nicht einsam sein“
ist ein Close Reading des amerikanischen Fernsehprogramms
VON FELIX STEPHAN
In der berühmten Rede, die James Baldwin 1965 an der Cambridge University gehalten hat und die in ganzer Länge auf Youtube zu sehen ist, kommt er an einer Stelle auf John Wayne zu sprechen: Als Kind habe er wie jeder andere Amerikaner auch die Western mit John Wayne gesehen und wie jeder andere Amerikaner habe auch er gehofft, dass John Wayne die Indianer von ihren Pferden schießen werde. Erst später, als er sich seiner Hautfarbe und der Stellung der Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft bewusst wurde, sei ihm aufgegangen, dass er selbst in dieser Szene nicht John Wayne war, sondern die Indianer.
In ihrem Buch „Lass mich nicht einsam sein“ erzählt Claudia Rankine jetzt von einem ähnlichen Erlebnis: Als die US Army Saddam Hussein in einem Erdloch findet, verfolgt sie die erkennungsdienstliche Behandlung des irakischen Staatschefs im Fernsehen: „Irgendjemand mit Latexhandschuhen schiebt ihm einen Zungenspatel in den Mund. Der Mund sieht von innen sehr rot aus. Die Hand verweilt, weil das offenbar bedeutsam sein soll. Es soll quasi den Frieden bedeuten.“ Der Nachrichtensprecher kommentiert die Bilder mit der Bemerkung, sie bedeuteten „das Ende des Tötens im Irak“. Und obwohl der Beitrag sein Publikum als amerikanische Schicksalsgemeinschaft anspricht und sowohl Claudia Rankine als auch das lyrische Ich nominell dazugehören, ruft das Bild keine patriotische Behaglichkeit wach, sondern einen Loyalitätskonflikt. Ihre Identität als Amerikanerin kollidiert mit einem politischen Bewusstsein, das mit dem Irak-Krieg, mit George W. Bush, mit dem Orientalismus dieser Bildsprache eher bedroht wird. Dieser Loyalitätskonflikt hat nicht zwangsläufig mit der Hautfarbe zu tun, aber sicher auch.
Das Buch ist im Original schon 2004 erschienen, also noch vor dem ganz großen Durchbruch der Critical Race Theory, für die Rankine oft als Wegbereiterin und Stichwortgeberin genannt wird. Das liegt nahe: Ihre Arbeiten gehen den ethnischen Konfliktlinien auf den Grund, die die amerikanische Gesellschaft bis heute im Griff haben, gerade weil sie lange so beharrlich geleugnet wurden. In den Massenmedien und ihren Erzählformen, das legen Rankines Gedichte frei, sind sie allerdings deutlich sichtbar, wenn man genau hinsieht.
Diese Formanalyse ist auch das Vorhaben dieses Buches, man kann sich das Langgedicht als eine Art dekonstruktivistisches Fernsehtagebuch aus dem Jahr 2004 vorstellen, einer Zeit also, in der Krieg gegen den Terror gerade seine Flughöhe erreicht hatte. Die antiliberalen Kollateralschäden, die dieser Krieg nicht zuletzt in den USA selbst angerichtet hat, hat Rankine damals schon allesamt kommen sehen und vielleicht ist sie auch deshalb heute eine der am häufigsten ausgezeichneten Autorinnen der USA. Zu dem oft rigorosen Essenzialismus der Critical Race Theory gehen Rankines Prosagedichte andererseits insofern auf Distanz, als sie die Hautfarbe des lyrischen Ichs konsequent offen lassen. Dass ihr beim Anblick der Misshandlung Saddam Husseins übel wird, könnte also mit ihrer Hautfarbe zu tun haben oder aber auch einfach mit einer gewissen Empathiebegabung.
Am Anfang des Textes spricht das lyrische Ich einmal von der Trauer, die es empfindet, weil es sich an so viele Tote schon gar nicht mehr erinnern kann: „Trauer lebt fort in der Erkenntnis, dass ein Leben nicht-zählen kann. Oder, da es Milliarden Leben gibt, lebt meine Trauer mit der Erkenntnis, das Milliarden Leben nie gezählt haben.“ Dass diese Trauer nur einer Person zugänglich sei, die als Schwarze mitfühlt, davon ist jedoch an keiner Stelle die Rede. Einer ihrer Hausheiligen, der als eine Art persönlicher Empathieberater immer wieder zu Rate gezogen wird, ist der Dichter Paul Celan.
Die Wortfamilie „schwarz“ bildet das semantische Leitmotiv des Prosagedichts. Es geht um schwarze Trauerkleidung, um schwarze Protagonisten in den Romanen Coetzees, um einen schwarzen Einwanderer, der von New Yorker Polizisten mit einem abgebrochenen Besenstil vergewaltigt wurde und nach der erfolgreichen Schadensersatzklage von einem Reporter die Frage gestellt bekommt, „ob er sich jetzt glücklich schätze als reicher Mann“.
Zu den großen Stärken der Dichterin Rankine gehört es, aus der medialen Collage einen Text zu formen, in dem diese verstreuten Details, die für sich genommen jeweils wenig bedeuten, eine eigene Realität gewinnen. Sie formen das Bewusstsein, schleichen sich in die Träume, fressen sich buchstäblich in die Netzhaut ein. An einer Stelle berichtet die Erzählerin, dass sie nachts fernsieht, wenn sie nicht schlafen kann. Dabei begegnet ihr einmal ein Werbespot für das Antidepressivum „Paxil“, für den der Slogan lautet: „Your life is waiting“. Und als dieser Satz für mehrere Sekunden in weißer Schrift auf schwarzem Grund auf dem Bildschirm flimmert, schließt die Erzählerin die Augen und sieht ihn jetzt auf dem Inneren ihrer Augenlider hell leuchten.
Erfreuliche Mitteilungen hat das amerikanische Fernsehen nicht im Angebot, es wirkt bei Rankine eher wie eine Maschine zur seriellen Herstellung von Depression, Verzweiflung und Ungenügen. Die Erzählerin ist vierzig, erfährt aber aus dem Fernsehen, dass sie nicht aussehen will wie vierzig. Dank Botox-Spritzen aber „stünde es mir frei, mich zu sorgen, ohne auszusehen, als sorgte ich mich. (...) Ich könnte Lähmung kaufen.“ Die folgende Depression kann dann wiederum mit Prozac behandelt werden, einem Medikament, von dessen Vorteilen nur einen Werbeblock weiter die Rede ist. Von Cornel West zitiert Rankine eine Begriffsunterscheidung, die in dieser Hinsicht ungemein hilfreich ist: Hoffnung, schreibt West, sei etwas anderen als amerikanischer Optimismus.
„Trauer lebt fort in der
Erkenntnis, dass ein Leben
nicht-zählen kann“
Claudia Rankine:
Lass mich nicht einsam sein. Aus dem Englischen von Uda Strätling.
Spector Books,
Leipzig 2021.
168 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Verena Lueken trifft auf Gedanken über die Möglichkeiten von Sprache in Claudia Rankines Langgedicht von 2004, das nun übersetzt von Uda Strätling auf Deutsch vorliegt. Wie die Autorin hier Persönliches und Politisches miteinander verbindet, so die Erschießung des Schwarzen Amadou Diallo in New York und andere, sich wiederholende "Herrschaftsgesten" mit Erinnerungen an den Tod der eigenen Freundin, findet Lueken lesenswert, weil ihr die Notwendigkeit von Lyrik beim Lesen unmittelbar einleuchtet. Die wenngleich spät erscheinende deutsche Fassung des als "amerikanischer Refrain" untertitelten Gedichts hält Lueken für angebracht.

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