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Eileen Myles erzählt ungeschönt und unverblümt davon, wie es war - damals in New York - als alles möglich schien, als Warhol jedem 15 Minuten Berühmtheit versprach, als Allen Ginsberg noch zu deiner Buchpremiere kam, wenn du ihn einludst, als noch alle mit allen im Bett gelandet sind, und es immer irgendjemanden gab, der Alkohol oder Drogen dabei hatte. Doch nicht nur um wilde Eskapaden geht es, sondern auch um die katholische Erziehung in den Sechzigern, um das Aufwachsen mit einem alkoholkranken Vater, um zerbrochene Liebesbeziehungen, um Woodstock und um das Chelsea Hotel, um enttäuschte…mehr

Produktbeschreibung
Eileen Myles erzählt ungeschönt und unverblümt davon, wie es war - damals in New York - als alles möglich schien, als Warhol jedem 15 Minuten Berühmtheit versprach, als Allen Ginsberg noch zu deiner Buchpremiere kam, wenn du ihn einludst, als noch alle mit allen im Bett gelandet sind, und es immer irgendjemanden gab, der Alkohol oder Drogen dabei hatte. Doch nicht nur um wilde Eskapaden geht es, sondern auch um die katholische Erziehung in den Sechzigern, um das Aufwachsen mit einem alkoholkranken Vater, um zerbrochene Liebesbeziehungen, um Woodstock und um das Chelsea Hotel, um enttäuschte Hoffnungen, um das Schreiben an sich. Vor allem um das Schreiben über die eigene unmittelbare Umgebung, darüber, eine kraftvolle Stimme zu finden für eine damals als geradezu unerschrocken geltende lesbische Identität. Während sich jeden Tag die Frage stellte, wie man mit Gedichten allein überleben soll, schaffte es Eileen Myles nicht nur, eine neue literarische Form zu finden, sondern auch, sich selbst neu zu entwerfen, fernab von dem, was andere erwarteten.
Autorenporträt
Eileen Myles, geboren 1949, gilt als »Rockstar der Gegenwartslyrik«. Myles zog Mitte der 70er-Jahre nach New York, studierte am St. Mark's Poetry Project und übernahm zehn Jahre später dessen Leitung. Myles hat über zwanzig Bücher geschrieben, darunter Lyrik, Romane und Essays, und wurde dafür mit zahlreichen Auszeichnungen und renommierten Stipendien bedacht. Heute lebt Myles in Marfa, Texas, und New York City.  
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2020

Ein Satz ohne Droge ist kein richtiger Satz
In neuer Übersetzung: Wie bewährt sich Eileen Myles’ lesbisch-feministischer Siebzigerjahre-Roman „Chelsea Girls“ heute?
Eileen Myles wirft einen in der ersten Geschichte ihres bekanntesten Bandes „Chelsea Girls“ ins Geschehen wie eine Krabbe ins kochende Wasser. Das kochende Wasser ist hier voller polyamourös lebender lesbischer Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen in unterschiedlichen Konstellationen miteinander verkehren. Die Krabbe oder der Leser darf sich dieser Welt erfreuen, bis sie ihm zu heiß wird.
Die 1949 geborene Autorin zog 1974 von Boston nach New York, wo sie 1978 ihr erstes Buch, „The Irony of Leash“, veröffentlichte. „Chelsea Girls“ war ihre erste Kurzgeschichtensammlung. Sie erschien 1994. Myles hat gut zwei Dutzend Bücher veröffentlicht, darunter Gedichte, Romane, Erzählungen, Performancestücke. 1992 ließ sie sich als „offen weibliche“ Write-In-Kandidatin für die Wahl zur amerikanischen Präsidentin aufstellen. „Write-In“ bedeutet, dass sie nicht auf dem Wahlzettel auftauchte, aber man ihren Namen selbst drauf schreiben konnte. Es war ein Akt des Protestes. Beim Poesiefestival in Berlin stellte sie sich 2019 ironisch als „wütende weiße Lesbe“ vor.
Chris Kraus verglich Myles’ Schreiben mit dem Werk von Kathy Acker. Beide, so Kraus, schreiben „fragmentierte Autobiografien“, beide schreiben „Abenteuerbücher, in denen ihre gelebten Erfahrungen nicht das Objekt eines Narrativs, sondern der Motor sind“.
Nur lassen einen die Kurzgeschichten in „Chelsea Girls“, die nach Raymond Foye gern als „die prototypischen Memoiren der Lower East Side“ bezeichnet werden, eigentlich ganz froh sein, dass man nicht in den Siebzigern in New York gelebt hat. In der Geschichte „Bath, Maine“ etwa gilt: Ein Satz, in dem keine Droge vorkommt, ist kein richtiger Satz. In „Bath, Maine“ steigt man nicht einfach in ein Flugzeug, „man hat eine ordentliche Line Crystal reingezogen“ und steigt ins Flugzeug. In „Bath, Maine“ geht man nicht aufs Klo, sondern man „wirft ein paar Pillen ein“ und geht aufs Klo. Ohne die Drogen-Satzbausteine, die man eigentlich beliebig austauschen könnte, wär das Buch wohl um einiges kürzer. Noch kürzer wäre es, wenn man Myles’ Stream-of-Consciousness um ein paar Satzreste erleichtern würde, die entweder schlecht übersetzt sind oder auch im Original wenig Sinn ergeben.
Etwa steht die Ich-Erzählerin einmal hinten auf einem Pick-up, an einem Abend, der natürlich „legendär“ ist, und beschreibt das so: „Ich weiß noch, dass ich mehrmals duschte, einen Drink am Laufen hatte und ein Bier am Laufen hatte, mich ganz da oben befand und irgendwie hoffte, heute vielleicht gar nicht mehr runterkommen zu müssen.“ Sie hatte einen Drink am Laufen? Und ein Bier?
Oder das Ende dieses Absatzes: „Chris hörte nach ihrer Nacht in der Zelle mit dem Trinken auf. Sie musste aber noch vor den Richter, das war eine mittlere Katastrophe. Ich fand es herrlich, wenn sie nicht trank, sie wurde dadurch noch schöner, leuchtete geradewegs, und sie wurde den Bauch los, den das Bier ihr verschaffte. Der Unterschied, den das machte, war bei niemandem so gravierend wie bei ihr. Es war auch eine große Erleichterung.“
„Es“ war eine große Erleichterung? Was? Dass der Bauch weg war? Für wen? Für die Ich-Erzählerin? Für Chris? Für den männlichen Blick? Und warum „auch“? Nur die Abwesenheit des Bieres oder des Bauches oder noch zusätzlich etwas anderes? Was die Fehlübersetzung eines kleinen „it“ so anrichten kann.
Aber! Noch hat die Leserkrabbe Hoffnung. Vielleicht kommt die Erläuterung, wen hier was erleichtert, ja im Folgesatz? Nichts da. Es geht direkt weiter mit: „Eines Nachts war ich mit Judy in der Kiste und sie ging mit dem Brecheisen auf mich los. Ich werde dir den Scheitel neu ziehen, Arschloch. Wie beängstigend. Gegen ein starkes Licht von hinten konnte ich den Schatten ihres Kopfes, ihrer Hand und dieser Brechstange sehen.“ Wer? Warum? Was hat die Ich-Erzählerin Judy getan, dass die mit dem Brecheisen auf sie losgeht? So geht es immer weiter. Kaum hat man sich ein bisschen mit Judy und Chris und den Bäuchen und den Drogen arrangiert, ist die Geschichte schon wieder vorbei. Das wilde Leben. Wie gut, dass es einen zumeist verschont.
Es ist dem Verlag hoch anzurechnen, dass er sich lesbischer Erzählerinnen annimmt. Matthes & Seitz hat 2018 schon Anne Lister dem Vergessen entrissen. Es gibt so viel aufregende queere Literatur zu entdecken, von der Japanerin Nobuko Yoshiya etwa, Violette Leducs „Ravages“, die schon genannte Kathy Acker. Aber „Chelsea Girls“ liest sich stellenweise hart nach Google Translate. Dabei hat Matthes & Seitz etwa Chris Kraus’ „I Love Dick“ in einer sehr guten Übersetzung verlegt.
Die Übersetzung macht das Buch schwerer zugänglich, als es sein müsste. Was in dem Fall besonders schade ist, weil Eileen Myles neben Kathy Acker einer der Rockstars der lesbischen feministischen Literatur ist, und es hoch interessant gewesen wäre zu sehen, was ihre Literatur mit etwas Abstand vermag. Hat sich „Chelsea Girls“ verfangen in einem Klischee, das es selbst mit erschaffen hat? Wurde es bei der Renovierung stillgelegt wie die Wände des Hotels, nach dem es benannt ist? An manchen Stellen ja, an anderen sieht man die alten Details unter dem Putz. Etwa in der Kurzgeschichte „Meine Narbe“, in der Myles beschreibt, wie die Ich-Erzählerin als Kind beim Vernähen einer Wunde am Knie nur deswegen nicht weinte, weil der Mann im Nebenzimmer, der sich mit einem Rasenmäher die Zehen zerhäckselt hatte, so laut schrie.
JULIANE LIEBERT
Eileen Myles: Chelsea Girls. Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 252 Seiten, 22 Euro.
Es gibt so viel queere Literatur
zu entdecken: Nobuko Yoshiya,
Violette Leduc, Kathy Acker
Einer der Rockstars der lesbisch-feministischen Literatur: Eileen Myles, geboren 1949 in Cambridge, Massachusetts.
Foto: All mauritius images
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