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Von November 2009 bis Mai 2011 stand John (Iwan)Demjanjuk vor dem Landgericht München II - angeklagtder 27 900-fachen Beihilfe zum Mord, begangen 1943 imVernichtungslager Sobibór. War der in einem Kriegsgefangenenlagerrekrutierte Trawniki-Mann unbeteiligterWachsoldat, williger Handlanger der SS oder Mörder auseigenem Antrieb? Angelika Benz hat den Prozess vonAnfang bis Ende beobachtet. Sie rekonstruiert die Verhandlungen,porträtiert Angeklagten, Richter, Staatsanwalt,Verteidiger und Nebenkläger und stellt die historischenHintergründe dar. Momentaufnahmen aus dem Gerichtssaalgeben einen präzisen Einblick in den Prozessalltag.…mehr

Produktbeschreibung
Von November 2009 bis Mai 2011 stand John (Iwan)Demjanjuk vor dem Landgericht München II - angeklagtder 27 900-fachen Beihilfe zum Mord, begangen 1943 imVernichtungslager Sobibór. War der in einem Kriegsgefangenenlagerrekrutierte Trawniki-Mann unbeteiligterWachsoldat, williger Handlanger der SS oder Mörder auseigenem Antrieb? Angelika Benz hat den Prozess vonAnfang bis Ende beobachtet. Sie rekonstruiert die Verhandlungen,porträtiert Angeklagten, Richter, Staatsanwalt,Verteidiger und Nebenkläger und stellt die historischenHintergründe dar. Momentaufnahmen aus dem Gerichtssaalgeben einen präzisen Einblick in den Prozessalltag.
Autorenporträt
Lukas Hammerstein, geboren 1958 in Freiburg, studierte Jura und Philosophie. Romanveröffentlichungen. Darüber hinaus zahlreiche Radiofeatures und Essays zu Ästhetik und Politik. Er ist Träger des "Staatlichen Förderungspreises für junge Schriftsteller, Bayern" und erhielt das Förderstipendium Baden-Württemberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2011

Bühne
für Ambivalenzen
Die Bücher zum Demjanjuk-Prozess beschäftigen sich
mit der Suche nach Wahrheit und den Allüren von Juristen
Der Vorsitzende Richter setzte die Bemerkung gleich an den Beginn der Urteilsbegründung – sie war ihm offenbar wichtig. Das Gericht, das soeben einen 91 Jahre alten Mann wegen der Beihilfe zum Mord an 28 060 Juden im Jahr 1943 verurteilt hatte, „konnte keine moralischen und politischen Erwägungen anstellen, ob der Prozess zu führen war. Es sitzt kein Volk auf der Anklagebank, sondern ein Mann.“ Mit anderen Worten: Aus Sicht der Richter sollte hier gerade nicht die deutsche NS-Zeit aufgearbeitet werden. Und weiter: „Es wäre sicher interessant, ein Buch über die Geschichte des Angeklagten zu verfassen – aber das ist nicht die Aufgabe des Gerichts und es ist auch nicht bereit, dafür eine Bühne zu bieten.“
Die Buchautoren freilich saßen da schon seit 18 Monaten mit im Saal und hatten sich – einer weniger oft, eine andere sehr regelmäßig – seit Ende November 2009 eifrig Notizen gemacht und Statements eingesammelt. Knapp einen Monat nach dem Urteil gegen John Demjanjuk im vermeintlich letzten großen NS-Prozess in München sind nun zeitgleich zwei Bücher zu dem einzigartigen Fall erschienen – und sie könnten unterschiedlicher kaum sein.
Dieses erstaunliche Ergebnis liegt wohl maßgeblich an der Erwartungshaltung der Autoren und deren unterschiedlicher Profession. Die Historikerin Angelika Benz, mit dem Thema „fremdvölkischer“ NS-Helfer bestens vertraut, staunt über die sehr unterschiedliche Art der Wahrheitssuche in Justiz und Wissenschaft und schildert den Gerichtssaal als Bühne der Eitelkeiten. Der Journalist Heinrich Wefing, Politikredakteur der Zeit , wiederum beschreibt eher eine dramatische Geschichte über einen vom Schicksal gebeutelten alten Mann und die verzweifelte Suche nach später Gerechtigkeit. Er hat nichts weniger als einen historischen Krimi aus dem Demjanjuk-Prozess gemacht.
Ein Mann, seit 35 Jahren im Visier der Ermittler; zweimal wird ihm die US-Staatsbürgerschaft aberkannt, einmal wird er irrtümlich in Israel als „Iwan der Schreckliche“ aus dem Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt – und fünf Jahre später freigesprochen. Ein Mann, der eisern zu allen Vorwürfen schweigt, sich als Opfer einer Verschwörung von US-Justiz, mächtigen jüdischen Organisationen und vom KGB gefälschten Beweisen sieht, und sich nun 68 Jahre nach seinen Verbrechen als erster ausländischer NS-Helfer vor einem deutschen Gericht verantworten muss. Ein Verbrechen von unfassbarer Monstrosität in einem fast vergessenen Vernichtungslager und Dutzende Nebenkläger mit der Hoffnung darauf, ihren Vätern, Müttern und Geschwistern wieder einen Namen und ein Gesicht zu geben – all das sind in der Tat beste Voraussetzungen für einen Krimi über einen „bizarren Fall, der schon heute Rechtsgeschichte geschrieben hat“ (Wefing).
Doch die Sache ist noch viel verwickelter und mit so vielen Nebensträngen versehen – selbst ein gewiefter Thrillerautor wäre hier überfordert. Und so wird einfach vieles weggelassen, auf dass die Leser wenigstens halbwegs folgen können. Der ganzen Komplexität des Prozesses der Münchner Schwurgerichtskammer, die mehr als 100 Aktenordner und 70 000 Dokumente in einer Datenbank über Demjanjuk gesammelt und ausgewertet hat, wird keiner der Autoren gerecht. Über die juristische Beweiswürdigung kann man in beiden Büchern kaum etwas finden – die Richter am Bundesgerichtshof, die sich kommendes Jahr mit der Revision befassen müssen, werden aus der Lektüre wenig Nutzen ziehen können. Wer aber etwas über die Personen in Gerichtssaal A 101 erfahren will, ist bei beiden Autoren richtig.
Wefing verwebt als erfahrener Reporter geschickt die – wenigen – Höhepunkte des Prozesses mit der Vorgeschichte von John Demjanjuk. Den grauen (und langweiligen) Gerichtsalltag mit der Verlesung Hunderter Dokumente an Dutzenden Tagen blendet er gekonnt aus. Anders als ein Großteil der deutschen Presselandschaft artikuliert Wefing in jedem Kapitel ganz explizit seine Zweifel und sein Unbehagen über „blinde Flecken“, über „Ambivalenzen“, über „Gewissheiten, die sich nicht einstellen wollen.“ Erfreulich klar und präzise zeigt er einige Schwachstellen in der Anklage und im Urteil auf – leider oft in einer ermüdenden Abfolge zahlreicher Fragen. Immer wieder bemüht sich der Autor, Struktur in die verworrene Geschichte des John Demjanjuk zu bringen, meist landet er jedoch bei der Erkenntnis, dass es auf viele Fragen keine eindeutigen Antworten gibt. Manche Einordnungsversuche in dem spannend geschriebenen Bericht hingegen geraten allzu pathetisch, wenn Wefing immer wieder das „Schicksal“ oder das „Verhängnis“ des Angeklagten, der zwischen die „Mühlsteine der Geschichte“ geraten sei, beschwört.
Die Historikerin Angelika Benz dagegen blickt mit deutlichem Misstrauen auf die Arbeit der Juristen. Für die Autorin war die Verhandlung ein „Streit zwischen zwei Parteien, denen es einzig und allein ums Gewinnen geht.“ Sie selbst schreibt von „enttäuschten Erwartungen“ und darüber, wie unterschiedlich Juristen und Historiker nach der Wahrheit suchen. Hierbei lässt auch Benz ihre Zweifel an dem Urteil der Richter durchscheinen – obwohl der unpassende Titel „Der Henkersknecht“ anderes suggeriert. Die Autorin, die selbst im Prozess aus wenig nachvollziehbaren Gründen nicht als Sachverständige aussagen durfte, interessiert sich aufgrund ihrer Profession stark für Motive und Handlungsspielräume des Angeklagten – darum hätte sich jedoch keiner der Beteiligten im Prozess wirklich gekümmert. Allzu stark erscheinen ihr Juristen allein auf die Deutungshoheit über Fakten aus zu sein. Aus diesem Grund fallen leider die historisch fundierte Einordnung der Geschehnisse während der NS-Zeit und die Prozessbeschreibung deutlich auseinander. Aus dem Gerichtssaal referiert Benz allzu oft den Streit zwischen den Richtern, der Nebenklage und dem recht eigenwilligen Verteidiger Demjanjuks – meist als ausführliches Wortprotokoll zu eher nichtigen Themen. Es ist hier sehr deutlich das vielleicht naive Unwohlsein zu spüren, dass es so bei einem wichtigen NS-Prozess einfach nicht zugehen darf. Gleichwohl bleibt ihr das Verdienst, den oft grauen, nervenzehrenden Prozessalltag detailgetreu beschrieben zu haben.
Wenig geschickt ging der Historiker Matthias Janson vor, dessen kleine, faktenreiche Studie über den Fall bereits zur Halbzeit des Prozesses erschien. Er lieferte so immerhin den ersten Beitrag zur kleinen „Demjanjuk-Bibliothek“. Auch in den Niederlanden sind bereits zwei Bücher erschienen, und jüngst hat noch Verteidiger Ulrich Busch sein monumentales Schlussplädoyer – der Vortrag vor Gericht dauerte 17 Stunden – auf den Markt gebracht. ROBERT PROBST
ANGELIKA BENZ : Der Henkersknecht. Der Prozess gegen John (Iwan) Demjanjuk in München, Metropol, Berlin 2011, 240 Seiten, 19 Euro
HEINRICH WEFING: Der Fall Demjanjuk. Der letzte große NS-Prozess, C.H.Beck, München 2011, 231 Seiten, 19,95 Euro
MATTHIAS JANSON, Hitlers Hiwis. Iwan Demjanjuk und die Trawniki-Männer, Konkret, Hamburg 2010, 119 Seiten, 14 Euro
Der Fall ist so verwickelt,
dass selbst ein gewiefter
Thrillerautor überfordert wäre.
Die Scharmützel
zwischen Gericht und Verteidiger
füllen zahllose Seiten.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen kritischen Blick auf die Arbeit der Juristen attestiert Rezensent Robert Probst der Historikern Angelika Benz in ihrem Buch über den Prozess gegen John Demjanjuk in München. Deutlich wird seines Erachtens nicht nur die unüberschaubare Komplexität dieses Prozesses, sondern auch, wie unterschiedlich die Wahrheitssuche bei Juristen und Historiker sein kann. So schildere Benz den Gerichtssaal als eine "Bühne der Eitelkeiten", den Prozess als einen Streit zwischen den Parteien, bei dem jeder nur gewinnen will. Er unterstreicht das Interesse der Autorin an den Motiven und Handlungsspielräumen des Angeklagten. Etwas bedauerlich findet er, dass Benz' historische Einordnung der Geschehnisse während der NS-Zeit und ihre Prozessbeschreibung etwas auseinanderfallen. Auch berichtet sie für seinen Geschmack zu oft vom Streit zwischen Richtern, Nebenklage und Verteidiger. Nichtsdestoweniger scheint ihm das Buch verdienstvoll, beschreibt es doch detailliert den Prozessalltag.

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