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Forschungen mit psychedelischen Stoffen erleben derzeit eine Renaissance. Jahrzehntelang als Protestdroge der Beatniks und Hippies verpönt, werden LSD und Psilocybin erneut als Hoffnungsträger der Medizin gehandelt. Doch wie gelangte Mutterkorn als landwirtschaftlicher Ausgangsstoff von LSD überhaupt in die Laboratorien der Pharmaindustrie? Und wie wurde aus einem potenziellen Medikament der Psychiatrie eine Ikone der Gegenkultur?Das Buch von Beat Bächi stellt nicht abermals die hinlänglich bekannten Orte und Akteure - Harvard, San Francisco oder Timothy Leary - ins Scheinwerferlicht.…mehr

Produktbeschreibung
Forschungen mit psychedelischen Stoffen erleben derzeit eine Renaissance. Jahrzehntelang als Protestdroge der Beatniks und Hippies verpönt, werden LSD und Psilocybin erneut als Hoffnungsträger der Medizin gehandelt. Doch wie gelangte Mutterkorn als landwirtschaftlicher Ausgangsstoff von LSD überhaupt in die Laboratorien der Pharmaindustrie? Und wie wurde aus einem potenziellen Medikament der Psychiatrie eine Ikone der Gegenkultur?Das Buch von Beat Bächi stellt nicht abermals die hinlänglich bekannten Orte und Akteure - Harvard, San Francisco oder Timothy Leary - ins Scheinwerferlicht. Stattdessen nimmt es seinen Anfang beim Anbau des Mutterkorns im Emmental und im Luzerner Hinterland und setzt deutlich früher ein als die geläufigen Hippie-Erzählungen. Der Weg von den Schweizer Äckern über die Laboratorien des Chemie-Unternehmens Sandoz hin zur Psychiatrie und in die Gegenkultur ist weit und erklärungsbedürftig. Um als Hoffnungsträger einer antikapitalistischen Bewegung wirken zu können, musste der Stoff erst mit mexikanischen Zauberpilzen in Kontakt treten, die als »Fleisch der Götter« der Azteken gehandelt wurden. Bei der Verwandlung dieser Zauberpilze in die chemische Substanz Psilocybin spielten Staudammprojekte, indigene Gemeinschaften, Anthropologen, Missionarinnen, Flugzeuge, Lasttiere und Banker eine zentrale Rolle.Im Zentrum von »LSD auf dem Land« stehen die Verflechtungen zwischen der Praxis der Mutterkornkultur in der Schweiz mit der anthropologischen, missionarischen, linguistischen, biologischen und mykologischen Feldarbeit in der Sierra Mazateca. Erst die Fokussierung auf die Produktionsgeschichte und die Materialität dieser Stoffe macht deutlich, wie wandelbar Psychotropen waren und immer noch sind: als Heilmittel in der Psychiatrie, als indigene Medizin, als Hippie-Drogen oder auch als militärische Kampfstoffe.
Autorenporträt
Beat Bächi war u.a. Postdoc an der Universität Bielefeld sowie Mitarbeiter am Archiv für Agrargeschichte und am Institut für Medizingeschichte der Universität Bern, wo dieses Buch entstand. Für LSD auf dem Land konnte er erstmals den Nachlass von Albert Hofmann umfassend auswerten und mit Archivrecherchen in Firmen, Forschungseinrichtungen und persönlich geführten Interviews verknüpfen. Im Sommer arbeitet Beat Bächi als Bauer in den Schweizer Bergen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2021

Die Verwandlungen der Zauberpilze
Beat Bächi wirft Licht auf bisher wenig beachtete Facetten der Geschichte psychotroper Stoffe

Im Mai 1957 veröffentlichte der amerikanische Banker und Hobby-Mykologe Gordon Wasson im "Life Magazine" einen Artikel mit dem Titel "Seeking the magic mushroom". Er berichtete in ihm von seinen Erfahrungen während eines Mazateken-Rituals im mexikanischen Örtchen Huautla de Jiménez: "Ich fühlte, dass ich jetzt klar sah, während das gewöhnliche Sehen uns eine unvollkommene Sicht vermittelt." Wasson hatte psychoaktive Pilze eingenommen, Teonanacatl, das "Fleisch der Götter", das die Mazateken als spirituellen Mittler verwendeten. Durch dieses einschneidende Erlebnis, von Wasson wie eine Offenbarung poetisiert, wähnte er sich am Ziel einer langen Reise. Mit seiner Frau Valentina, einer russischen Kinderärztin, hatte er in den Jahren zuvor nach den Ursprüngen von Religion gesucht, den sie nun in den durch die Fungi ausgelösten Ekstasen vermuteten.

Beat Bächi widmet sich in seinem Buch ausführlich den Expeditionen der Wassons ins mexikanische Hinterland. Lässt sich doch an ihrem Vorhaben ablesen, was passiert, wenn indigenes Wissen auf westliche Denkweise und wissenschaftliche Neugier trifft. "Die Pilze mussten aus ihrem spirituell-medizinischen Zusammenhang, dem sie im Süden Mexikos, namentlich bei den Mazateken, ihr soziales Leben verdankten, herausgelöst und in die westliche Körper-Geist-Dichotomie eingepasst werden, wobei ihnen christliche Versatzstücke eingehaucht werden", schreibt Bächi. Es finden also Transformationsprozesse statt, und um die geht es in dem akribisch recherchierten und neue Perspektiven auf psychedelische Substanzen öffnenden Buch.

Diese Substanzen eignen sich offensichtlich dazu, mit beliebiger Bedeutung aufgeladen zu werden. Durch den "Life"-Artikel und die Recherchen des Ehepaars Wasson verzweigte sich der Weg der mexikanischen Zauberpilze. Zum einen befeuerte der Bericht des Bankers das Interesse der Gegenkultur und akademischer Kreise an psychedelischen Jenseitsreisen. Timothy Leary, damals noch Harvard-Professor, später LSD-Papst, probierte das "Fleisch der Götter" 1960 in Mexiko und sprach danach "von der tiefgreifendsten religiösen Erfahrung seines Lebens".

Der Pilz zog also spirituelle Schlieren in die rationalen Seelen des Westens. Zum anderen fand er seinen Weg in die pharmakologische Sphäre und über Umwege zu Sandoz in der Schweiz. Dort hatte der Chemiker Albert Hofmann dreißig Jahre zuvor durch Zufall LSD entdeckt. Mit seiner Geschichte befasst sich Bächi in der ersten Hälfte seines Buchs; aber weniger mit den Umständen des bahnbrechenden Funds, sondern mit den Voraussetzungen, die ihn erst möglich machten.

Hier betritt Bächi ein Feld, das bisher kaum beachtet wurde. Denn Sandoz begann ab 1930 massiv mit dem Anbau von Mutterkorn. Die Dauerform des parasitären und giftigen Mutterkornpilzes, ein bis zu sechs Zentimeter langer, dünner, dunkler Zapfen, befällt vor allem Roggen. Schon seit dem Mittelalter wurde Mutterkorn als Wehen- und Abtreibungsmittel verwendet, führte aber auch zu Vergiftungen ganzer Dorfgemeinschaften, wenn der Pilz Brotmehl unbemerkt verunreinigt hatte. Sandoz gewann aus den Alkaloiden des Pilzes Medikamente, etwa Gynergen (Ergotamin), das schon 1921 auf den Markt kam und unter anderem zur Linderung von Migräne eingesetzt wurde.

Für die sich immer weiter ausdifferenzierenden Versuchsreihen und die Produktion von Heilmitteln brauchte der Konzern gewaltige Mengen Mutterkorn. Auf immer größeren Flächen impften Schweizer Bauern deshalb im Auftrag von Sandoz Roggenähren mit dem Pilz. Zudem züchtete der Pharmakonzern selbst Roggensorten, die sich besonders für den Anbau des Parasiten eigneten, lieferte den Bauern Saatgut und dazu gleich Spritzmittel, damit nur Mutterkorn das Getreide befiel.

Bächi spricht von einer "Materialschlacht", die Sandoz letztlich zu einem "global agierenden Akteur im Saatgut-Geschäft, der Agrochemie und Biotechnologie" verwandelte und zur "Verankerung der Industriegesellschaft im ländlichen Raum" führte. Und sie ermöglichte LSD. Denn Albert Hofmann arbeitete als junger Chemiker bei Sandoz an einem Syntheseverfahren für Ergobasin, ein Mutterkorn-Alkaloid, und stellte währenddessen Derivate der Lysergsäure her, darunter eben Lysergsäurediäthylamid, LSD.

Hofmann wollte eigentlich eine Kreislauf- und Atmungsstimulans erzeugen. Doch in ersten Tierversuchen bewirkte die Substanz nichts außer Unruhe. Sandoz legte sie zur Seite. Fünf Jahre später, 1943, experimentierte Hofmann noch einmal mit LSD und atmete wohl kleine Mengen ein, was zu einem leichten Rausch führte. Am 19. April kam es dann zu seinem berühmten Selbstversuch inklusive irrer Fahrradfahrt durch Zürich und Horrortrip. Bächi betont zu Recht, dass die auf Hofmanns Erfahrung folgenden Versuche mit LSD keinesfalls aufgenommen worden wären, wäre das wertvolle Mutterkorn nicht in großer Menge vorhanden gewesen.

Die spätere Hippie-Droge basiert also auf einer durchrationalisierten, profitorientierten Industrieproduktion und war zuerst einmal ein Medikament, das ab 1949 bis 1966 unter dem Namen Delysid in der Psychiatrie zur Untersuchung von Psychosen und in der Psychotherapie zur "seelischen Auflockerung" eingesetzt wurde. Aus den Praxen und Anstalten entwich es dann in die Gesellschaften Amerikas und Europas.

Die Zauberpilze gingen den umgekehrten Weg, von der spirituellen Verwendung ins Labor. Albert Hofmann synthetisierte aus ihnen den psychedelischen Wirkstoff Psilocybin. Anfang der sechziger Jahre brachte ihn Sandoz unter den Namen Indocybin auf den Markt, um etwa Zwangsneurosen zu behandeln. Es ist ein großes Vergnügen zu verfolgen, wie Beat Bächi die verschiedenen Zuschreibungen an diese so schwer greifbaren Substanzen entfaltet. LSD war schon Medikament, potentielles chemisches Kampfmittel für das Militär, Wahrheitsserum für Geheimdienste, Trigger für Gegenkultur, Quelle für Kreativität, was wird wohl noch kommen?

Psilocybin jedenfalls verwandelt sich gerade erneut. Wasson, ganz Mann des Geldes, sagte schon nach seinem ersten Trip voraus, dass das "Fleisch Gottes" eine hervorragende kommerzialisierbare Ware sein könnte. Bei Sandoz' Indocybin hat es damals nicht geklappt. Mittlerweile gibt es aber mehrere Magic-Mushroom-Start-ups, die Psilocybin-Therapien für Süchtige und Depressive entwickeln und auf die baldige Legalisierung der Substanz und Profite hoffen. Vor ein paar Wochen erlaubte Kanada einigen Ärzten, mit Pilzen zu experimentieren. Die Aktienkurse der Start-ups stiegen daraufhin um bis zu hundert Prozent.

BENEDIKT SARREITER.

Beat Bächi: "LSD auf dem Land". Produktion und kollektive Wirkung psychotroper Stoffe.

Konstanz University Press, Göttingen 2020. 346 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Benedikt Sarreiter lässt sich von Beat Bächi die Geschichte der Droge LSD und von den Forschungsreisen des Mykologen Gordon Wasson zu den Götterfleisch-Pilzen Mexikos erzählen. Was geschieht, wenn magisches Wissen auf westliches Profitdenken trifft, wird dabei für den Rezensenten sichtbar. Das Buch scheint ihm gründlich recherchiert und dazu geeignet, die ein oder andere Wissenslücke zum Thema zu schließen, etwa, was die Voraussetzungen der Entdeckung von LSD als Bestandteil des Mutterkorns betrifft.

© Perlentaucher Medien GmbH
»a highly readable book« (Heiko Stoff, European Journal for the History of Medicine and Health, 78/2021)