23,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Erst ist es nur ein Scherz, ein Streich, eine Schnapsidee. Lima 1904. José Gálvez und Carlos Rodríguez, zwei junge Möchtegern-Schriftsteller aus der peruanischen Oberschicht, wollen an ein signiertes Exemplar des neuesten Buches ihres Idols, des berühmten spanischen Dichters Juan Ramón Jiménez kommen und erfinden kurzerhand die junge und schöne Georgina Hübner, in deren Namen sie dem späteren Literatur-Nobelpreisträger schreiben - und tatsächlich: Der Meister, ganz verzaubert vom rätselhaften Mädchen aus Lima, antwortet. Immer mehr Briefe kreuzen den Atlantik und Juan Ramón verliebt sich. Eine…mehr

Produktbeschreibung
Erst ist es nur ein Scherz, ein Streich, eine Schnapsidee. Lima 1904. José Gálvez und Carlos Rodríguez, zwei junge Möchtegern-Schriftsteller aus der peruanischen Oberschicht, wollen an ein signiertes Exemplar des neuesten Buches ihres Idols, des berühmten spanischen Dichters Juan Ramón Jiménez kommen und erfinden kurzerhand die junge und schöne Georgina Hübner, in deren Namen sie dem späteren Literatur-Nobelpreisträger schreiben - und tatsächlich: Der Meister, ganz verzaubert vom rätselhaften Mädchen aus Lima, antwortet. Immer mehr Briefe kreuzen den Atlantik und Juan Ramón verliebt sich. Eine Leidenschaft, die kein glückliches Ende finden kann.Juan Gómez Bárcena erzählt diese berühmte Anekdote der spanischen Literaturgeschichte aus der Perspektive zweier junger Männer, die sich nach und nach ihrer Mittelmäßigkeit als Dichter schmerzlich bewusst werden. Um trotzdem als Lyriker gefeiert zu werden, wollen sie ihr Idol dazu verführen, ihnen Gedichte zu schicken. Sie erschaffen die perfekte Muse, die der Meister schon bald mit seiner Lyrik anhimmelt. Doch im Laufe ihrer Korrespondenz erliegen auch sie selbst der Anziehungskraft der von ihnen erfundenen Georgina, die zur abwesenden Hauptfigur des Romans wird.Was Juan Gómez Bárcena wie einen Schelmenroman beginnen lässt, wird vor dem Hintergrund der sich anbahnenden gesellschaftlichen Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem großen Roman über Freundschaft, Liebe und vor allem die Macht der Literatur.
Autorenporträt
JUAN GÓMEZ BÁRCENA (geb. 1984 in Santander) studierte Geschichte und Literaturwissenschaften in Madrid. Sein Band mit Erzählungen Los que duermen (Die, die schlafen) wurde 2012 von der spanischen Zeitschrift El Cultural als eines der besten Debu¿ts des Jahres ausgezeichnet. Er ist Herausgeber einer Anthologie mit Texten spanischer Autoren unter dreißig. Er lebt als Schriftsteller und Dozent fu¿r Kreatives Schreiben in Madrid.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2017

Der Dichter und die Leserin

Korrespondenz unter falschen Vorzeichen: Juan Gómez Bárcena erzählt in seinem glänzenden Debüt "Der Himmel von Lima" über eine Liebe aus dem Schattenreich.

Der spanische Dichter Juan Ramón Jiménez, der vor sechzig Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt (und ihn ebenso wenig persönlich entgegennahm wie Bob Dylan, wenngleich mit einer besseren Entschuldigung), ist im literarischen Gedächtnis des nördlichen Europas mausetot. Deshalb ist die erstaunliche Anekdote aus seinen jungen Jahren nicht allzu verbreitet, und man darf sie hier erzählen, zumal jedes Wort daran stimmt. Im Frühjahr 1904 erhielt der Lyriker, damals 23 Jahre alt, einen Brief aus Peru. Darin bat ihn eine junge Dame namens Georgina Hübner höflich darum, ihr doch seinen neuesten Gedichtband zu schicken. Die Leserin stellte sich als Verehrerin seiner Lyrik vor; leider habe sie keine Möglichkeiten, die Neuerscheinung des spanischen Poeten in den Buchhandlungen Limas aufzutreiben.

Don Juan Ramón, wie man ihn viel später nennen würde, antwortete "postwendend" - der Dampfer zwischen La Coruña und Buenos Aires dürfte für den Transport seines Briefes gut zwei Monate gebraucht haben - und sandte der jungen Peruanerin nicht nur seine neueste Produktion, sondern kündigte an, er werde Georgina Hübner alle seine künftigen Bücher schicken. Die spanische Höflichkeits- und Ergebenheitsformel am Ende, nach welcher er, der Poet, der Dame "die Füße küsse", ist nicht ganz wörtlich zu nehmen - aber ein bisschen eben doch. Anders gesagt, Juan Ramón befand sich im frühen Stadium der amourösen Entflammung. Ein Briefwechsel mit Georgina folgte, von dem heute nur noch wenige Blätter enthalten sind, doch sie geben Aufschluss darüber, dass recht bald die Barrieren von Fremdheit und räumlicher Distanz eingerissen wurden. Ob auch die Barrieren der Schicklichkeit, muss dem persönlichen Urteil der Nachgeborenen überlassen bleiben.

Was der Dichter nicht ahnte: Die Briefe der Georgina Hübner wurden in Wahrheit von zwei jungen Männern der peruanischen Oberschicht verfasst, die auf diese Weise die neuen Gedichte Don Juan Ramóns in die Hände bekommen wollten. Denn die beiden Männer - José Gálvez und Carlos Rodríguez Hübner - waren selbst Poeten. Keine guten, soweit die Quellen ein Urteil erlauben, aber von echtem dichterischen Feuer beseelt. Sie verehrten Juan Ramón Jiménez. Carlos, der Sensiblere der beiden, benutzte für das literarische Spiel den Namen einer ahnungslosen Kusine, die erst Jahre später erfuhr, wie und zu welchem Ende sie instrumentalisiert worden war. Beide jungen Männer waren wohlhabend geboren; Josés Familie hatte außerdem einen guten Namen, während der Vater von Carlos ein neureicher Kautschukbaron war, der sich offenbar nach jeder noch so flüchtigen Verbindung mit altem spanischen Adel sehnte, um den Geruch des Parvenüs abzuwaschen. Man kann sich ausmalen, wie die Korrespondenz mit dem Dichter, geführt hinter der Maske einer erfundenen Verehrerin, den müßigen Alltag der beiden Señoritos in Lima aufmischte.

Der spanische Schriftsteller Juan Gómez Bárcena, geboren 1984 in Santander, hat aus dieser realen Geschichte einen dreihundertseitigen Roman mit dem Titel "Der Himmel von Lima" gemacht. So viel gibt der Briefwechsel eigentlich nicht her. Es geht also um etwas anderes: um die beiden peruanischen Herrensöhnchen und ihre erfabelte Georgina, vor allem aber um das, was Worte vermögen, und damit um die Verwandlungskraft von Fiktionen, die ins Leben hinüberschwappen. Das passt wiederum gut zum Berufsprofil des nordspanischen Autors selbst, der in Madrid Kreatives Schreiben unterrichtet. Damit aber kein falscher Eindruck entsteht: "Der Himmel von Lima" ist das Gegenteil von dürrer Seminarliteratur. Gómez Bárcena hat das gesellschaftliche Umfeld der beiden Señoritos - hier die angeberischen Werte einer gedankenlosen Oberklasse, dort streikende Hafenarbeiter, hier die aufgeputzten Teezimmer der Bourgeoisie, dort die Märkte, Kaschemmen und Bordelle der aufstrebenden Metropole - effektvoll ausgeleuchtet und zum Mitspieler seines kleinen Dramas gemacht. Zuerst erzählt der Autor es als Komödie, anschließend als Liebesgeschichte, dann als Tragödie. Und am Ende steht ein Gedicht.

Im Herzen dieses Romans nistet das Mysterium, das die Handlung vorantreibt: was es bedeutet, Erfinder und "Sprecher" einer fiktiven Figur zu sein. Zunächst lassen die beiden jungen Männer sich von dem versoffenen Schreiber Cristóbal helfen, der für Analphabeten Heiratsanzeigen und romantische Liebesbriefe verfasst und ein paar tiefere Wahrheiten über das Schreibhandwerk auf Lager hat - über das Zeigen und Verhüllen, die Kunst des Indirekten und wie Sprache die Liebe nicht nur beschreibbar macht, sondern recht eigentlich erst herstellt. "Die Liebe", lehrt der Magister Cristóbal, "wurde von der Literatur erfunden, ebenso wie Goethe den Deutschen den Selbstmord schenkte. Nicht wir schreiben die Romane, sondern die Romane schreiben uns."

Lange geht das Spiel aber nicht gut, denn irgendwann mischen sich weitere Freunde ein. Angetrieben vom Alkohol und ohne jeden feineren literarischen Sinn, vergröbern sie den Ton. Die Briefe an den fernen Dichter werden feuriger, und Carlos, der die erfundene Figur besudelt sieht, zieht sich aus der Korrespondenz zurück. Am Ende kommt ihm Georgina realer vor als der Briefwechsel, den sie hervorruft, realer auch als die Prostituierte, die Carlos zur idealisierten Verkörperung einer literarischen Liebe erhebt und in deren Zimmer er keusch seine Nächte verdämmert. Das alles dürfte der spanische Autor frei erfunden haben. Unter der Hand entsteht so ein Drama um Sehnsucht, Klassendenken und sexuelle Identität, mit präzisen Strichen gezeichnet und doch wie durch einen Schleier gesehen, denn der eigentliche Antrieb des Romans bleibt eine sonderbare kleine Schwindelgeschichte, ein böser Spaß mit dem Zeug zur Tragödie.

Das Ende kommt abrupt. Als die jungen Männer ihrer Georgina eine gefährliche Krankheit andichten, schreibt Juan Ramón alarmiert, er werde jetzt sofort einen Dampfer besteigen und seine Verehrerin in Peru besuchen. Panisch schicken die Drahtzieher dem Dichter ein Telegramm, Georgina Hübner sei gestorben. Der erfundene Tod der erfundenen Leserin kitzelt bei Juan Ramón Jiménez eine wunderschöne dreiseitige Elegie heraus, betitelt "Brief an Georgina Hübner im Himmel von Lima". Man kann darüber lachen, wenn man will, man kann darüber weinen, man dürfte auch davon ergriffen sein, jede Emotion ist im Angebot. "Und wenn sich nirgends unsere Arme finden", heißt es darin, "welch törichtes Kind, Sohn des Hasses und des Schmerzes, / hat die Welt gemacht, als es mit Seifenblasen spielte?"

Später erfuhr Juan Ramón Jiménez, wie ihm da mitgespielt wurde. All das romantische Sehnen - für eine Gestalt aus Papier? Auf den Arm genommen und an der Nase herumgeführt worden zu sein, das Gefühl begleitete ihn noch lange. Doch all das ist Nachgeschichte, die schon nicht mehr in diesem hinreißend geschriebenen und von Steven Uhly mit Eleganz übersetzten Buch steht. Juan Gómez Bárcena weiß nicht nur, wann er sich aus seiner Geschichte zurückziehen muss, er wählt auch das richtige Wappentier: eine Ratte, die auf dem Dampfer zwischen Spanien und Lateinamerika die Weltmeere befährt und manche Briefe zernagt, andere dagegen nicht. So, nicht anders, entscheidet der Autor über den Ausgang seiner Geschichte: mit Tod und Himmelfahrt einer philanthropischen Ratte. Ein glänzender Debütroman. Für Herz und Kopf.

PAUL INGENDAAY

Juan Gómez Bárcena: "Der Himmel von Lima". Roman.

Aus dem Spanischen von Steven Uhly. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2016. 320 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr