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Eine Provinzkneipe irgendwo in Norddeutschland, es ist der Sommer 1989. Herbert - genannt Hawk - sitzt beim dritten Bier, als sein roter Alfa Romeo in Flammen aufgeht. Nach Jahren im Knast und einer gescheiterten Liebe zu Lu, Königin der Hafenkneipe 'Les fleurs du mal', hatte er dem Hamburger Kiez den Rücken gekehrt. Endlich eine trittsichere Existenz ohne krumme Touren, endlich raus aus dem Milieu - und bloß keine Gefühle mehr. Doch irgendjemand ist ihm auf den Fersen. Nur wer? Hawk macht sich auf die Suche nach seinem Verfolger - und wird von seiner Vergangenheit eingeholt, bis zurück ins…mehr

Produktbeschreibung
Eine Provinzkneipe irgendwo in Norddeutschland, es ist der Sommer 1989. Herbert - genannt Hawk - sitzt beim dritten Bier, als sein roter Alfa Romeo in Flammen aufgeht. Nach Jahren im Knast und einer gescheiterten Liebe zu Lu, Königin der Hafenkneipe 'Les fleurs du mal', hatte er dem Hamburger Kiez den Rücken gekehrt. Endlich eine trittsichere Existenz ohne krumme Touren, endlich raus aus dem Milieu - und bloß keine Gefühle mehr. Doch irgendjemand ist ihm auf den Fersen. Nur wer? Hawk macht sich auf die Suche nach seinem Verfolger - und wird von seiner Vergangenheit eingeholt, bis zurück ins St. Pauli der sechziger Jahre und weiter in die Kindheit auf einem abgeschiedenen Hof im Süden Deutschlands.Sonja M. Schultz entwirft in ihrem Debütroman ein Drama um Liebe und Männlichkeit, um vererbte Schuld und alte Wut, und geht der Frage nach, wie sehr uns die eigene Herkunft prägt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2019

Wie man mit einer Banane das Vergehen der Zeit misst
Hamburgs dreckige Seiten: Sonja M. Schultz demonstriert in ihrem Debüt Verständnis für verkrachte Existenzen

"Man pfeift nicht am Hafen. Das bringt Sturm auf See." Alte Hafenarbeiterweisheit. Hawk muss es wissen, der kam in den sechziger Jahren als Tramper nach Hamburg, noch grün hinter den Ohren, schlief unterm Dach einer Kneipe und schleppte und wuchtete am Hafen. Aber irgendjemand pfeift doch immer, und schon steht das Elend ins Haus.

Ein fischiges, ein heruntergekommenes Hamburg stellt die Kulisse für "Hundesohn", mit im Krieg zerbombten und nie wieder aufgebauten Ruinen. Das passt. Die Leute, die verloren in den Kneipen hocken, trinken und den rauf und runter dudelnden Liebesschnulzen lauschen, hat ja auch keiner wieder aufgebaut. Man kann angesichts dieses von Archetypen bevölkerten Milieus kaum umhin, Vergleiche zu Heinz Strunks "Der Goldene Handschuh" zu ziehen. Aber Strunk gibt den literarischen Verwalter, er verzeichnet, scheint fast zu dokumentieren. Sonja M. Schultz' Debüt hingegen ist von Empathie geprägt, von tiefem Verständnis für ihre Figuren, für verkrachte Existenzen und Eigenbrötlerei.

Hawk ist so ein einsamer Wolf. Dem Hamburger Kiez und seinen Eskapaden hat er eigentlich längst abgeschworen, als ihn die Vergangenheit im Sommer 1989 wieder einholt, mehr noch, ihm mit voller Wucht in den Rücken boxt. In dramaturgisch wirkungsvoll plazierten Flashbacks dröselt die Autorin seine Geschichte auf. Das fühlt sich bis zu etwa einem Dreiviertel der Geschichte an, als lese man noch immer den Prolog einer mindestens eintausendseitigen Saga. Bis Schultz' Prosa es einem im Endspurt einflüstert: Was da steht, ist schon Drama genug.

Immer erst durch die Hintertür offenbart sie die ganze Bitterkeit all der kleinen Schnörkel in ihrer Geschichte, der Anekdoten ihrer Figuren. Corned Beef auf Brot mit Erdnussbutter, der Gipfel des Genusses, besinnt sich Hawk auf die Care-Pakete der Amerikaner, und man wähnt sich in einer warmen Kindheitserinnerung. Bis Schultz den Grund für die unorthodoxe Kombination hinterherschiebt: Es galt sich zu beeilen, alles gleichzeitig zu vertilgen, bevor der jähzornige Vater in seinem verletzten Stolz alles in die Tonne warf.

So intensiv, zuweilen auch actionreich es in "Hundesohn" auch zugeht - die ganze Wirkung, das Bewusstsein für die volle sprachliche Varianz der Autorin entfaltet sich erst nach und nach. In einem Kapitel erzählt Schultz von Hawks Mutter. Flink, gewitzt ist die Sprache, die sie für die unterforderte junge Frau aus Kansas findet, die alles hinter sich lässt, um als Armeesekretärin ins Land der Besiegten zu gehen. Zackiger die Sprache des deutschen Vaters, passiv aggressiv, vom totalitären Denken geformt.

Aber Hawk ist das eigentliche Kunststück. Für ihn vermag die Autorin Sätze zu formulieren, die so schlicht, so knapp sind, wie er spricht - und zugleich so sensibel und phantasievoll, wie er denkt. Das Leben scheint ihn so sehr zu elektrisieren, wie es ihn überfordert, sein Blick auf die Welt erzeugt diesen Eindruck einer kindlich naiven Wahrnehmung, beinahe synästhetisch funkender Synapsen. Die fortschreitende Zeit misst er anhand der nachdunkelnden Flecken auf einer Banane, und seine Bewunderung für Lu, die Besitzerin seiner Stammkneipe "Les fleurs du mal", bringt er anhand zärtlicher Beschreibungen ihrer Tattoos von wogenden Wellen, Fischen, Meerjungfrauen zum Ausdruck: "Unter ihrem schwarzen T-Shirt liegt das Meer."

Lu öffnet Hawks Perspektive, weg von seiner Vergangenheit, weg von seiner Gegenwart, in der ihm jemand an den Kragen will, seine Wohnung verwüstet und - viel schlimmer - seinen geliebten roten Alfa Romeo in Flammen aufgehen lässt. Am Ende einer durchwachten Konzertnacht sitzen die beiden auf einer Anhöhe, von der aus sie die gerade erwachende Stadt besehen wie zwei in der letzten Reihe eines Bahnhofskinos Gestrandete: "Lustig, jetzt klingeln bei den Soliden die Wecker Sturm. Kannst du's hören? Jetzt quälen sie sich aus ihren Betten. Und wir gucken einfach zu. Siehst du, wie die Stechuhr wartet? Aber nicht auf mich."

Das Verknüpfen persönlichen Elends mit deutscher Schuld, die daraus resultierende Rebellion gegen alles Bürgerliche, wie sehr uns die eigene Herkunft prägt und wie viel davon wir weitervererben - das alles sind keine neuen Gedankengänge. Besonders ist, wie Sonja M. Schultz die roten Fäden in "Hundesohn" zwischen den Wendepunkten des zwanzigsten Jahrhunderts aufspannt, sie im kriminellen Unterbauch der Großstadt verknotet - all das unter der Kutte eines dreckigen kleinen, nur scheinbar schnell verdauten Kiezkrimis.

KATRIN DOERKSEN.

Sonja M. Schultz: "Hundesohn". Roman.

Kampa Verlag, Zürich 2019. 320 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Wie man mit einer Banane das Vergehen der Zeit misst
Hamburgs dreckige Seiten: Sonja M. Schultz demonstriert in ihrem Debüt Verständnis für verkrachte Existenzen

"Man pfeift nicht am Hafen. Das bringt Sturm auf See." Alte Hafenarbeiterweisheit. Hawk muss es wissen, der kam in den sechziger Jahren als Tramper nach Hamburg, noch grün hinter den Ohren, schlief unterm Dach einer Kneipe und schleppte und wuchtete am Hafen. Aber irgendjemand pfeift doch immer, und schon steht das Elend ins Haus.

Ein fischiges, ein heruntergekommenes Hamburg stellt die Kulisse für "Hundesohn", mit im Krieg zerbombten und nie wieder aufgebauten Ruinen. Das passt. Die Leute, die verloren in den Kneipen hocken, trinken und den rauf und runter dudelnden Liebesschnulzen lauschen, hat ja auch keiner wieder aufgebaut. Man kann angesichts dieses von Archetypen bevölkerten Milieus kaum umhin, Vergleiche zu Heinz Strunks "Der Goldene Handschuh" zu ziehen. Aber Strunk gibt den literarischen Verwalter, er verzeichnet, scheint fast zu dokumentieren. Sonja M. Schultz' Debüt hingegen ist von Empathie geprägt, von tiefem Verständnis für ihre Figuren, für verkrachte Existenzen und Eigenbrötlerei.

Hawk ist so ein einsamer Wolf. Dem Hamburger Kiez und seinen Eskapaden hat er eigentlich längst abgeschworen, als ihn die Vergangenheit im Sommer 1989 wieder einholt, mehr noch, ihm mit voller Wucht in den Rücken boxt. In dramaturgisch wirkungsvoll plazierten Flashbacks dröselt die Autorin seine Geschichte auf. Das fühlt sich bis zu etwa einem Dreiviertel der Geschichte an, als lese man noch immer den Prolog einer mindestens eintausendseitigen Saga. Bis Schultz' Prosa es einem im Endspurt einflüstert: Was da steht, ist schon Drama genug.

Immer erst durch die Hintertür offenbart sie die ganze Bitterkeit all der kleinen Schnörkel in ihrer Geschichte, der Anekdoten ihrer Figuren. Corned Beef auf Brot mit Erdnussbutter, der Gipfel des Genusses, besinnt sich Hawk auf die Care-Pakete der Amerikaner, und man wähnt sich in einer warmen Kindheitserinnerung. Bis Schultz den Grund für die unorthodoxe Kombination hinterherschiebt: Es galt sich zu beeilen, alles gleichzeitig zu vertilgen, bevor der jähzornige Vater in seinem verletzten Stolz alles in die Tonne warf.

So intensiv, zuweilen auch actionreich es in "Hundesohn" auch zugeht - die ganze Wirkung, das Bewusstsein für die volle sprachliche Varianz der Autorin entfaltet sich erst nach und nach. In einem Kapitel erzählt Schultz von Hawks Mutter. Flink, gewitzt ist die Sprache, die sie für die unterforderte junge Frau aus Kansas findet, die alles hinter sich lässt, um als Armeesekretärin ins Land der Besiegten zu gehen. Zackiger die Sprache des deutschen Vaters, passiv aggressiv, vom totalitären Denken geformt.

Aber Hawk ist das eigentliche Kunststück. Für ihn vermag die Autorin Sätze zu formulieren, die so schlicht, so knapp sind, wie er spricht - und zugleich so sensibel und phantasievoll, wie er denkt. Das Leben scheint ihn so sehr zu elektrisieren, wie es ihn überfordert, sein Blick auf die Welt erzeugt diesen Eindruck einer kindlich naiven Wahrnehmung, beinahe synästhetisch funkender Synapsen. Die fortschreitende Zeit misst er anhand der nachdunkelnden Flecken auf einer Banane, und seine Bewunderung für Lu, die Besitzerin seiner Stammkneipe "Les fleurs du mal", bringt er anhand zärtlicher Beschreibungen ihrer Tattoos von wogenden Wellen, Fischen, Meerjungfrauen zum Ausdruck: "Unter ihrem schwarzen T-Shirt liegt das Meer."

Lu öffnet Hawks Perspektive, weg von seiner Vergangenheit, weg von seiner Gegenwart, in der ihm jemand an den Kragen will, seine Wohnung verwüstet und - viel schlimmer - seinen geliebten roten Alfa Romeo in Flammen aufgehen lässt. Am Ende einer durchwachten Konzertnacht sitzen die beiden auf einer Anhöhe, von der aus sie die gerade erwachende Stadt besehen wie zwei in der letzten Reihe eines Bahnhofskinos Gestrandete: "Lustig, jetzt klingeln bei den Soliden die Wecker Sturm. Kannst du's hören? Jetzt quälen sie sich aus ihren Betten. Und wir gucken einfach zu. Siehst du, wie die Stechuhr wartet? Aber nicht auf mich."

Das Verknüpfen persönlichen Elends mit deutscher Schuld, die daraus resultierende Rebellion gegen alles Bürgerliche, wie sehr uns die eigene Herkunft prägt und wie viel davon wir weitervererben - das alles sind keine neuen Gedankengänge. Besonders ist, wie Sonja M. Schultz die roten Fäden in "Hundesohn" zwischen den Wendepunkten des zwanzigsten Jahrhunderts aufspannt, sie im kriminellen Unterbauch der Großstadt verknotet - all das unter der Kutte eines dreckigen kleinen, nur scheinbar schnell verdauten Kiezkrimis.

KATRIN DOERKSEN.

Sonja M. Schultz: "Hundesohn". Roman.

Kampa Verlag, Zürich 2019. 320 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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