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Was bleibt vom Leben, wenn man alles verloren hat?
Eine Frau Anfang fünfzig hält Rückschau auf ihr Leben: Es sind nur drei Tage, die sie im einstigen Ferienhaus ihrer Familie verbringt, um Abschied zu nehmen, weil das Haus verkauft worden ist. Doch in diesen drei Tagen stürzt das ganze Drama ihrer Existenz über sie herein, und ihre Erinnerungen an die glücklichen Tage der Kindheit weichen einem immer bedrohlicheren Strudel der Verzweiflung ...
Eine Frau Anfang fünfzig fährt für ein Wochenende an den Strand. Das Ferienhaus ihrer Familie, an der Atlantikküste nördlich von Lissabon gelegen,
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Produktbeschreibung
Was bleibt vom Leben, wenn man alles verloren hat?

Eine Frau Anfang fünfzig hält Rückschau auf ihr Leben: Es sind nur drei Tage, die sie im einstigen Ferienhaus ihrer Familie verbringt, um Abschied zu nehmen, weil das Haus verkauft worden ist. Doch in diesen drei Tagen stürzt das ganze Drama ihrer Existenz über sie herein, und ihre Erinnerungen an die glücklichen Tage der Kindheit weichen einem immer bedrohlicheren Strudel der Verzweiflung ...

Eine Frau Anfang fünfzig fährt für ein Wochenende an den Strand. Das Ferienhaus ihrer Familie, an der Atlantikküste nördlich von Lissabon gelegen, ist verkauft worden, und sie möchte Abschied nehmen, ihren Erinnerungen an die Kindheit, an die gemeinsamen Sommer dort nachhängen. Doch die Vergangenheit bricht regelrecht über sie herein, und der Kurzurlaub gerät ihr zur Rückschau auf ihr Leben, zur Abrechnung über ihr Leben. Da ist die gar nicht glückliche Ehe ihrer Eltern, deren Gefühlskälte die Kinder geprägt hat; da sind die drei Brüder mit ihren unterschiedlichen Schicksalen: einer von Geburt an taubstumm, einer gezeichnet von seinem Einsatz im Kolonialkrieg, der dritte und älteste stürzte sich im Alter von achtzehn Jahren von einer Klippe. Und nun ist sie allein in dem leeren Haus. Ihr Mann hat sie schon lange verlassen, sie ist kinderlos, und ihr Beruf als Lehrerin füllt sie nicht mehr aus. Ihr Dasein, erkennt sie, ist ihr mit den Jahren mehr und mehr zur Last geworden. Am Ende führt ihr Weg sie zur Klippe über dem brausenden Ozean, wo sie das Lächeln ihres Bruders evoziert ...
Autorenporträt
António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen, zuletzt dem Camões-Preis, ausgezeichnet und ist in vierzig Sprachen übersetzt.

Maralde Meyer-Minnemann, geboren 1943 in Hamburg, erhielt 1992 den "Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen", 1997 den Preis "Portugal-Frankfurt", 1998 den "Helmut-M.-Braem-Preis" und wurde 2005 für den "Preis der Leipziger Buchmesse" nominiert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Für Eberhard Geisler ist Antonio Lobo Antunes unbestritten ein Meister der inneren Verstörung, der Niedergang, Trauma und die Wehrlosigkeit des Ichs konsequent in Szene setze. Doch mit diesem Roman verliert er den Rezensenten als Leser. Wenn der portugiesische Romancier von einer Familie erzählt, deren Mitglieder allesamt durch Krankheit oder widriges Schicksal gestorben, versehrt oder verloren sind, sieht Geisler sich mit einem "eruptiven Erzählen" konfrontiert, dessen disparate Detailliertheit ihn nur noch erschöpft. Dass Lobo Antunes ein solch "pathogenes Stimmengwirr" auf ihn niederprasseln lässt, hätte sich Geisler vielleicht noch gefallen lassen, doch dass Lobo Anunes dem nichts entgegensetzt, verdirbt dem Rezensenten die Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2015

Strandhaus,
später
In seinem neuen Roman erzählt António Lobo Antunes
die Geschichte eines Abschieds vom Leben
VON MEIKE FESSMANN
Es ist eine merkwürdige Finte des Bewusstseins, sich in Zeiten der Bedrohung auf sich selbst zurückzuziehen. Als könnte der Zuspruch, den die Außenwelt nicht bietet, aus dem eigenen Inneren kommen. Verzweifelt sucht es im Gedächtnis nach stabilisierenden Erfahrungen. Was aber nützt die Vergangenheit? Ist sie überhaupt noch da? Ist sie greifbar? Die rätselhaften Wege des Bewusstseins erkundet der große portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes seit vielen Jahren. Als junger Militärarzt in Angola erlebte er äußerste Brutalität. Zugleich ließ er sich vom ruhigen Fluss eines Zeitmaßes faszinieren, das die Zeit, den weiten Landschaften angepasst, eher als Nebeneinander denn als Nacheinander imaginiert.
  Die isolierende Macht des Schmerzes beobachtete er später auch als Psychiater und Chefarzt einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Die Isolation durch Schmerz und Trauer wurde neben der Gleichzeitigkeit, mit der sich im Bewusstsein Vergangenes und Gegenwärtiges durchdringen, zum Stilprinzip seiner Romane. António Lobo Antunes, 1942 in Lissabon geboren, ist der Meister eines höchst vertrackten Bewusstseinsstroms. Keineswegs fließt dieser ruhig dahin oder wird mit der Eleganz einer Virginia Woolf in geordnete Bahnen gelenkt. Er staut sich und stockt, springt von Kopf zu Kopf und will immer in die Breite.
  In manchen Romanen, etwa in „Fado Alexandrino“, muss der Leser mit den schwarzen Gedanken von gleich fünf abgehalfterten Kriegsveteranen zurechtkommen, in „Anweisungen an die Krokodile“ mit der geballten Wut von vier Frauen, deren Männer in rechtsterroristische Attentate verwickelt sind. Der neue, vor drei Jahren im portugiesischen Original erschienene und wie stets von Maralde Meyer-Minnemann mit fulminanter Ausdauer übersetzte Roman ist vergleichsweise übersichtlich. „Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben“ – so heißt er nach einem Vers von René Char – , wird bis auf wenige Passagen aus der Perspektive einer 52-jährigen Lehrerin aus Lissabon erzählt. Für drei Tage verkriecht sie sich im Strandhaus der Familie. Es wurde verkauft und sie will Abschied nehmen. Nicht nur vom Haus, wie sich herausstellt, auch von ihrem Leben.
  Wie man es von António Lobo Antunes erwartet, dessen Werk das portugiesische Lebensgefühl der Saudade in denkbar reiner Form verkörpert und der vor der Auszeichnung seines Landsmannes José Saramago alljährlich als Nobelpreis-Kandidat gehandelt wurde, presst er die ganze Trostlosigkeit und Vergeblichkeit des Lebens auf engem Raum zusammen. Zugleich durchschießt er das Erzählgeflecht mit Sehnsuchtsfäden. So gelingt ihm das Kunststück, uns stets beides zugleich wahrnehmen zu lassen: Wie die Kindheit in der sehr bedrängten Lage der Erzählerin zum Hort der Zuflucht wird, und wie alles, was wir über diese Kindheit erfahren, uns mitteilt, dass sie unglücklich gewesen sein muss. Für eine subjektive Erzählhaltung ist das eine wahre Glanzleistung. Es ist, als ob man der Erinnerung bei der Verklärungsarbeit zusehen dürfte: als eine Art Spion, der das Material im Rohzustand erkennt, bevor es umgedeutet wird.
  Meist geschieht das durch die Überlagerung von Bildern, wie in einer Passage über die Erinnerung, in der Schrecken und Behaglichkeit miteinander verschmelzen: „Das Gedächtnis ist schon etwas Unglaubliches, was wir verloren glauben, findet sich plötzlich mit erschreckender Deutlichkeit wieder, Details, die sich blitzschnell aneinanderreihen, präzise, vollständig, wie die Katze im Fenster, die, wenn sie die Augen schloss, sich ganz in sich selber im Inneren des Fells verschloss.“
  Eine Mutter, die ihre Kinder, wenn nicht hasste, so doch zumindest als Last empfand, ein Vater, der trank und womöglich, es gibt Andeutungen, die einzige Tochter missbrauchte, ein ältester Bruder, der mit achtzehn von der Klippe sprang, um sich dem Militärdienst zu entziehen, ein anderer, der in Angola kämpfte und verstört zurückkam, und schließlich ein von Geburt an tauber Bruder, Spross eines Seitensprungs, dessen Erzeuger die Mutter lebenslang hinterhertrauerte: So sieht die Herkunftsfamilie der 1959 geborenen Heldin aus. Auch später meint es das Leben nicht gerade gut mit ihr. Ein Kind verliert sie in der Frühschwangerschaft und wird unfruchtbar. Mit Ende vierzig bekommt sie Krebs, sie muss sich eine Brust amputieren lassen. Trotz aller Beteuerungen, dass das nichts ändere, wird sie von ihrem Mann verlassen. Immerhin spendet eine ältere Kollegin Trost und Zärtlichkeit.
  Während sie über all das nachdenkt und es in steten Schleifen wiederholt – mit jenen spezifischen kleinen Veränderungen, die das Bewusstsein bei jeder Reaktivierung einer Erinnerung vornimmt –, kommen auch die Bilder ans Licht, die ihre Sehnsucht nach der Kindheit nähren. Gab es etwas Schöneres, als beim großen Bruder auf der Querstange des Fahrrads zu sitzen und mit ihm durch die Gegend zu brausen? War es nicht wunderbar, wenn er sie zärtlich „Kleine“ rief? Und durfte sie nicht manchmal auf den Schoß der Mutter, sobald sie die Arme ausstreckte und „Schoß“ verlangte – oder täuscht die Erinnerung? Wie gern sie, das Kopfkissen hinter sich herziehend, zu den Eltern ins Bett kroch!
  „Kleine“, der Kosename des Bruders, verbindet sich auf fast schon paradoxe Weise mit der immer mal wieder aufblitzenden Erkenntnis, dass sie wohl das gewesen sein müssen, was man „kleine Leute“ nennt. Die wohlhabende Freundin aus dem benachbarten Strandhaus durfte nur im Freien mit ihr spielen. Sie begegnet ihr ausgerechnet als Ärztin jenes Krankenhauses wieder, in dem man ihr die Brust abnimmt. Von gemeinsamen Erinnerungen will die Überlegene nichts wissen – auch das eine Art Amputation.
  „Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben“ erzählt von der allmählichen Enteignung des Körpers durch Krankheit und Alter, vom vernichtenden Gefühl sozialer Deklassierung und von den Strategien der Verklärung, die nahezu jede Kindheit im Nachhinein zu einer glücklichen machen. Im Vergleich zu seinen großen, die Geschichte Portugals ausmessenden Werken wie „Portugals strahlende Größe“ oder „Die Rückkehr der Karavellen“ ist der neue Roman ein typisches Alterswerk. Er hat nicht mehr ganz die Stärke und Strahlkraft früherer Romane, es fehlt ihm deren gewaltige innere Spannung. Sie entspringt der enormen Kraft einer sprachlichen Ausdauer, die das Bewusstsein der Figuren bis an die Grenze des Möglichen dehnt – indem sie es nicht nur mit persönlichen Konflikten belädt, sondern auch mit politischen und historischen Widersprüchen.
In diesem Roman kann man
der Erinnerung bei der
Verklärungsarbeit zuschauen
        
António Lobo Antunes: Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben. Roman. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Verlag, München 2015. 576 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Seit vielen Jahren erkundet der studierte Psychiater und große portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes die rätselhaften Wege des Bewusstseins. Unser Bild entstand 2010 in Lissabon.
Foto: Pedro Loureiro/Getty Images
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"António Lobo Antunes, 1942 in Lissabon geboren, ist der Meister eines höchst vertrackten Bewusstseinsstroms." Meike Fessmann / Süddeutsche Zeitung