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Unsere Vorstellungen von Klima und Klimawandel stammen aus Bildern - Bildern, mit denen Wissenschaften ihre Erkenntnisse sichtbar machen. Diese Bilder müssen gedeutet und kritisiert werden, um ihre Aussagekraft und Intentionen offenzulegen. Genau dies unternimmt Birgit Schneider in dieser politisch brisanten medienkritischen Untersuchung, die sie ausgehend von Alexander von Humboldts Wetterwissen zum heutigen Begriff des Klimas führt. Sie untersucht, wie die mit wissenschaftlichen Methoden erhobenen Daten um ihrer Operationalisierbarkeit willen vor allem in Kurven-Grafiken visuell aufbereitet…mehr

Produktbeschreibung
Unsere Vorstellungen von Klima und Klimawandel stammen aus Bildern - Bildern, mit denen Wissenschaften ihre Erkenntnisse sichtbar machen. Diese Bilder müssen gedeutet und kritisiert werden, um ihre Aussagekraft und Intentionen offenzulegen. Genau dies unternimmt Birgit Schneider in dieser politisch brisanten medienkritischen Untersuchung, die sie ausgehend von Alexander von Humboldts Wetterwissen zum heutigen Begriff des Klimas führt. Sie untersucht, wie die mit wissenschaftlichen Methoden erhobenen Daten um ihrer Operationalisierbarkeit willen vor allem in Kurven-Grafiken visuell aufbereitet werden. Die Kenntnis dieser und anderer Darstellungsmittel ist nicht zuletzt wichtig, um die Argumentationen derjenigen zu entkräften, die Klimawandel vorsätzlich und fälschlich noch immer als "offene Frage" inszenieren.
Autorenporträt
Birgit Schneider, 1972 geboren, arbeitete von 2000 bis 2007 in der Forschungsabteilung Das technische Bild der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute lehrt sie als Professorin für Medienökologie am Institut für Kunst und Medien der Universität Potsdam. Seit einigen Jahren liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf Bildern und Wahrnehmungsweisen von Umwelt und Klimawandel, insbesondere auf Diagrammen, Datengrafiken und Karten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2018

Wie werden Klimadaten zu eindrucksvollen Bildern?

Ohne visuelle Rhetorik kommt die Forschung nicht aus, will sie öffentliche Wirkung erzielen: Birgit Schneider untersucht die Karten und Diagramme der Klimawissenschaft.

Als vor einigen Wochen die amerikanische Ostküste einen heftigen Kälteeinbruch erlebte, entblödete sich Donald Trump nicht, einen Tweet in die Welt zu schicken, in dem er um etwas mehr Erderwärmung bat. Einen Spaß wollte er sich erlauben, doch das zugrundeliegende Denkmuster entsprach exakt dem, das die demagogisch erprobten Klimaleugner in immer wieder neuen Varianten auftischen: ein lokales Wetterereignis, also frostige Temperaturen, wird als Evidenz gegen den anthropogenen Klimawandel angeführt. Schaut man sich auf den entsprechenden Websites um, müssen nicht selten Fotografien als vermeintliche Beweismittel herhalten: verschneite und vereiste Landschaften oder auch einzelne Gletscher, die größer werden, anstatt zu schrumpfen.

Bilder prägen die öffentlichen Diskussionen um die Klimakatastrophe. Bilder werden aber nicht nur von den Leugnern, sondern auch von der internationalen Gemeinschaft der Klimawissenschaftler benutzt, um ihre Forschungsergebnisse verständlich und glaubwürdig darzustellen. Einige dieser Bilder haben beinahe ikonischen Status erlangt: die Hockeyschlägerkurve des Paleoklimatologen Michael E. Mann, die den Temperaturverlauf der letzten tausend Jahre auf der Nordhalbkugel der Erde rekonstruiert und einen drastischen Temperaturanstieg seit 1850 aufweist; oder die globale Erwärmungskarte aus dem Bericht des Weltklimarats von 2014. Hier wird die Erdkugel in einem simulierten Worst-case-Szenario für das Ende des 21. Jahrhunderts in apokalyptisch wirkendem Rot dargestellt.

Wenn visuelle Rhetorik, die mehr ist als reine Informationsvermittlung, auch den wissenschaftlichen Klimabildern nicht fremd ist, stellen sich einige Fragen: Wie sind solche Bilder gemacht, welches Wissen enthalten sie, wer benutzt sie, wie wirken sie und in welchen historischen und ikonographischen Kontexten sind sie zu verstehen? Solche Fragen sind kulturwissenschaftlich motiviert, und indem sie zeigen, wie sich Wissen und Ästhetik, kalte Erkenntnis und sinnliche Suggestionskraft dieser Bilder zueinander verhalten, können sie einen wertvollen Beitrag zur Debatte um das Klima leisten. Das gilt umso mehr, wenn man der Ansicht ist, dass die Bilder der Klimaforscher zuverlässige, wenn auch stets irrtumsanfällige Repräsentationen ihrer Forschungen sind, während die Bilder der Klimaleugner mehr oder weniger plumpe Manipulationen ohne ernstzunehmenden wissenschaftlichen Hintergrund darstellen.

Dieser anspruchsvollen Aufgabe hat sich die in Potsdam lehrende Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider gestellt, indem sie die gegenwärtig relevanten Klimabilder in die Geschichte der Klimavisualisierungen einordnet, die im späten achtzehnten Jahrhundert beginnt. Damit hat die Autorin eine glückliche Entscheidung getroffen, denn zum einen werden die vor über zweihundert Jahren erhobenen Klimadaten nach wie vor von der aktuellen Forschung verwendet, die den Verlauf des Klimawandels untersucht. Und zum anderen wurde damals mit den Kurvengrafiken eine Bildform entwickelt, die sich längst zum Standard der Klimaforschung entwickelt hat.

Jegliche Beschäftigung mit den frühen Klimavisualisierungen kommt an Alexander von Humboldt nicht vorbei. Humboldt konzipierte ganz im Geiste der Goethezeit das Klima noch als Gegenstand sinnlicher Wahrnehmung, sah aber keinen Widerspruch darin, mittels verschiedener Messinstrumente die Grundlage für breite Datenerhebung, statistische Bearbeitung und Visualisierung in Karten und Diagrammen zu schaffen. Humboldts berühmte Klimakarte von 1817, der Schneider eine minutiöse Untersuchung widmet, steht am Beginn eines neuen Blickregimes, das ein "grenzenloses Wissen" suggerierte, indem es - lange bevor die Apollo-8-Mission uns 1968 das suggestive Bild des Blauen Planeten bescherte - potentiell die ganze Erde zum Erkenntnisgegenstand machte. Die Idee eines solchen "Totaleindrucks" war von der Physiognomik Johann Caspar Lavaters inspiriert, ließ sich für Humboldt aber nur durch Zuhilfenahme von Daten und Kurven realisieren.

Eine genaue Betrachtung der Humboldtschen Visualisierungsstrategien ist deswegen so interessant, weil sie mit ihrer Hinwendung zur Diagrammatik den Weg zu einer "operativen Bildlichkeit" weisen, die den modernen Wissenschaften eigen ist. Dabei ist der für Humboldt so wichtige Aspekt der sinnlichen Fassbarkeit beziehungsweise Sichtbarkeit zugunsten einer abstrahierenden Visualisierung von Daten aufgegeben worden. Insofern lässt sich das Bildprojekt Humboldts als gescheitert ansehen, doch damit entgeht einem die Pointe, dass im frühen 21. Jahrhundert die Klimawissenschaftler mit ebendiesem Problem konfrontiert sind: Bilder zu produzieren, die auf Messungen, Statistiken, Modellen und Simulationen basieren, gleichzeitig jedoch eine sinnliche Anschauung oder - wenn man so will - einen Totaleindruck der drohenden Klimakatastrophe vermitteln sollen. Indem diese Bilder sich an die Öffentlichkeit und speziell an politische Entscheidungsträger richten, um sie zum ökologisches Umdenken zu bewegen, sind sie Gegenstand ganz unterschiedlicher Deutungsinteressen.

So ist es kein Wunder, dass die Klimabilder immer wieder zur Zielscheibe der Klimaleugner geworden sind, dass ihnen Alarmismus oder gar Verfälschung vorgeworfen wird. Die unselige Wirksamkeit solcher Attacken ist nicht zuletzt Ausdruck einer unreflektierten Bildgläubigkeit, die sich in einer Überbeanspruchung der Aussagekraft von Bildern manifestiert. Jeder Klimaforscher weiß, dass zuverlässige wissenschaftliche Erkenntnis sich nie in einem oder auch mehreren Bildern dokumentieren lässt. Visualisierungen sind immer nur ein Teil des Forschungsprozesses. Indem jedoch bestimmte Bilder im öffentlichen Raum zu Emblemen wissenschaftlicher Wahrheit erhoben werden, ist die Gefahr gegeben, dass falls sich solche Bilder als fehlerhaft oder korrekturbedürftig herausstellen, damit die ganze dahinterstehende Forschung diskreditiert wird. Auf solche Gelegenheiten lauern die Klimaskeptiker, die, notabene, bislang keine einzige wissenschaftlich fundierte Untersuchung und also auch keine belastbaren Klimabilder hervorgebracht haben.

Aus Birgit Schneiders Buch kann man nicht nur lernen, wie fundamental sich die Bildstrategien der Klimawissenschaftler und der Leugner voneinander unterscheiden. Die Autorin zeigt auch mit bewunderungswürdiger Sachkenntnis, in welchen ikonographischen, wissenschaftlichen und kulturellen Traditionen sich die Klimabilder bewegen, auch wenn sie auf hochkomplexen Computersimulationen basieren. Natürlich sind diese Bilder konstruiert und keine Eins-zu-eins-Abbildung der Wahrheit. Natürlich enthalten sie Unsicherheiten, potentielle Fehler und können nicht exakt die Zukunft voraussagen, aber es handelt sich um die bislang einzigen vertrauenswürdigen Aussagen über die manifesten und absehbaren Konsequenzen menschlichen Handelns für das globale Klima.

Das bedeutet nicht, dass diese Bilder außerhalb jeder Diskussion stehen sollten. So gibt die Autorin mit plausiblen Argumenten zu bedenken, ob nicht manche wissenschaftlich erzeugten Bilder von der Zukunft als Katastrophe unbeabsichtigt jenen "Schockbildern" (Roland Barthes) nahekommen, die beim Betrachter ein Gefühl von Unvorstellbarkeit, Ohnmacht und Resignation hervorrufen. Solche Bilder erregen große Aufmerksamkeit, führen aber nicht zu den eigentlich erwünschten Handlungen. Die in diesem Buch vorgeschlagenen Wege zum besseren Verständnis der Komplexität und Mehrdeutigkeit der Klimabilder sind die Voraussetzung dafür, womöglich sinnvollere, angemessenere, bessere Bildstrategien zu entwickeln. Im Sinne eines wohlverstandenen Engagements von citizen science dürfen die Klimawissenschaften mit dieser Aufgabe nicht alleingelassen werden, denn ein sorgfältiger Umgang mit Bildern gehört ebenso zur Raison d'être der Zivilgesellschaften wie die Bekämpfung der Kloaken, die sich in den sozialen Netzen ausgebreitet haben.

Mit ihrem Buch ist Birgit Schneider ein glänzender kulturwissenschaftlicher Beitrag zur aktuellen Klimadebatte gelungen, der zugleich Aufklärung in der einzig sinnvollen Weise bietet, indem nicht nur Kriterien für die Unterscheidung von Vernunft und Obskurantismus an die Hand gegeben werden, sondern auch die Vernunft über ihre eigenen Bedingungen und Konsequenzen aufgeklärt wird.

MICHAEL HAGNER

Birgit Schneider: "Klimabilder". Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018. 300 S., Abb., geb., 30,- [Euro].

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