15,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Früher war Deutschland kleiner, und auch die deutsche Hauptstadt war von deutlich zurückhaltender Anmutung als das sich im eigenen Schmuddelglamour sonnende Berlin. Bonn ist bodenständig, sachlich und vielleicht ein bisschen zu leer. Vieles dort scheint zu groß geraten für das bescheidene Flair. Bonn ist das Museum der jungen Bundesrepublik. Dieses Buch versammelt Erinnerungen an diesen märklinhaften Zaubergarten, und zugleich taucht es ab in die Schattenwelt unter dem Heiligen Hügel. Damals in Bonn: Es gab Telefonapparate, Nachkriegstraumata und eine große starke SPD. Joachim Bessing und…mehr

Produktbeschreibung
Früher war Deutschland kleiner, und auch die deutsche Hauptstadt war von deutlich zurückhaltender Anmutung als das sich im eigenen Schmuddelglamour sonnende Berlin. Bonn ist bodenständig, sachlich und vielleicht ein bisschen zu leer. Vieles dort scheint zu groß geraten für das bescheidene Flair. Bonn ist das Museum der jungen Bundesrepublik. Dieses Buch versammelt Erinnerungen an diesen märklinhaften Zaubergarten, und zugleich taucht es ab in die Schattenwelt unter dem Heiligen Hügel. Damals in Bonn: Es gab Telefonapparate, Nachkriegstraumata und eine große starke SPD. Joachim Bessing und Christian Werner porträtieren in Wort und Bild die Schaltzentrale eines versunkenen Lands, seine Vergangenheit, Träume und Aussichten - nostalgisch, wo es angemessen, und bissig, wo es nötig ist.
Autorenporträt
Joachim Bessing, 1971 in Bietigheim am Neckar geboren, wurde bekannt mit seinen Kolumnen und zahlreichen Büchern, darunter Tristesse Royale, Rettet die Familie! und Untitled. Er lebt als Autor und Übersetzer in Berlin. Bei Matthes & Seitz Berlin erschien Bonn. Atlantis der BRD (2019) mit Christian Werner.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2019

West-Nostalgie
Christian Werner und Joachim Bessing zu Besuch in der alten Bundesrepublik: „Bonn. Atlantis der BRD“
Die Frage ist ja, warum das alles gar so lange her scheint. Die Zeit der Telefonstrippen und Eurocheques, als Bundeskanzler noch Helmut hießen. Frontalunterrichtepoche, Fassbinderdeutschland, Raucherland: „Die Welt der einstigen Bundeshauptstadt liegt unter dem Dunst von Milliarden von Zigarren, Tabakspfeifen und Zigaretten versunken“, schreibt Joachim Bessing in dem Essay „Bonn. Atlantis der BRD“. Der gehört zu einem kleinen Band mit Bildern, auf denen der Berliner Fotograf Christian Werner das heutige Bonn wie eine Versteinerung aus einem Land vor unserer Zeit aussehen lässt (Fotos:  Christian Werner / Matthes & Seitz).
Bessing erzählt dazu von seiner Kindheit und Jugend in Baden-Württemberg, von Bonn also erst mal nur im übertragenen Sinn, als Geisteszustand oder Zeitkolorit. Geschichten von in den Siebzigerjahren geborenen Jungs, die frisch gewaschen den Gong der „Tagesschau“ und die Ortsmarke der kleinen Hauptstadt hören, sind ja, siehe Generation Golf, ein westdeutsches Genre der Behaglichkeit. Bessing sticht daraus insofern hervor, als er die latente Gewalt miterzählt, die eine Kindheit in den Siebzigerjahren noch der Nachkriegszeit zuteilte: Lehrer, die ihren Schülern mit dem „Geigenbogen einen neuen Scheitel ziehen“, und der Großvater „hatte mir ausgerechnet am ersten Weihnachtsfeiertag nach dem Klavierspiel beibringen wollen, wie man einen Polen mit dem Klappspaten erschlägt“.
Später kommt der Junge zum Wehrersatzdienst nach Stuttgart, dann nach Hamburg zu Zeiten der Hamburger Schule. In den Osten, gibt er zu, sei man nie gefahren, „wir kannten dort niemanden“. Bis alle nach Berlin weiterziehen, aber da sind Bonn und der Osten schon Geschichte.
Bessings Essay enthält wertvolle Beobachtungen wie diese: „Es zeichnete sich damals schon ab, dass man auf dem Land in der Zukunft sozusagen städtisch leben müsste – mit viel Herumgefahre und anonym, und in den Städten dagegen dörflich, wie früher, also mit Märkten und persönlichem Kontakt.“ In dem Text und den Fotografien vom „Atlantis der BRD“ steckt eine ähnliche Dialektik. Die Provinzialisierung der kleineren Republik und ihre Konservierung als versunkener Ort hat etwas Mondänes: als reiste man an einen mythischen Ort, als wäre dies ein großzügiges Land, in dem ein paar Identitätsreste vergessen herumliegen, ohne dass die gleich jemand aufräumt und sauber macht. In der neuen Hauptstadt dagegen kommen die Regierungsbauten dem Autor „überdimensioniert“ vor, eigentlich eine Eigenschaft von Einkaufszentren auf dem platten Land.
Das erste Mal in Bonn ist Bessing dann „im langen, ersten Sommer der Sozialdemokratie“, also 1999, dem Jahr, in dem „Tristesse Royale“ erschien, der von Bessing initiierte Gesprächsband des „popkulturellen Quintetts“ mit Christian Kracht und anderen. Vor ein paar Jahren hat er außerdem den Blog waahr.de mit aufgesetzt, in dem sich eine nüchtern-poetische Form des Journalismus selbst kanonisiert. Dort protokolliert er in einem Tagebuch die Gegenwart. Er gehört zu diesen Autoren der siebziger Jahrgänge, die es schaffen, aus der allgemeinen Geschäftigkeit die Stasis herauszupräparieren. Politisch gesehen sind sie Bewohner von Atlantis, werden wahrscheinlich zwischen den revolutionären 68ern und den klimabewegten Millennials zur vergessenen Generation absinken. Ihr Stil, ihre Kühle und Klarheit, die Fähigkeit, komisch ohne witzig zu sein, auch in dem „Bonn“-Essay zu bewundern, ist für immer unübertroffen.
MARIE SCHMIDT
Joachim Bessing: Bonn. Atlantis der BRD. Mit 24 Fotografien von Christian Werner. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 123 Seiten, 15 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr