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Max Frisch ist der meistgelesene Schriftsteller der Schweiz, in Deutschland verkaufen sich seine Bücher in Millionenauflage. Nun zeichnet die bisher gründlichste Biographie Frischs Aufstieg bis in die Mitte der fünfziger Jahre seines Jahrhunderts nach. Julian Schütt, einer der besten Kenner von Leben und Werk des Schweizer Autors, wertet dafür erstmals alle zugänglichen Quellen aus, darunter zahlreiche bislang unbekannte Briefe, Notate und Dokumente, und er hat mit vielen Zeitgenossen und Weggefährten des Dichters gesprochen. Lebendig und anschaulich erzählt er, wie Max Frisch zum Weltautor…mehr

Produktbeschreibung
Max Frisch ist der meistgelesene Schriftsteller der Schweiz, in Deutschland verkaufen sich seine Bücher in Millionenauflage. Nun zeichnet die bisher gründlichste Biographie Frischs Aufstieg bis in die Mitte der fünfziger Jahre seines Jahrhunderts nach. Julian Schütt, einer der besten Kenner von Leben und Werk des Schweizer Autors, wertet dafür erstmals alle zugänglichen Quellen aus, darunter zahlreiche bislang unbekannte Briefe, Notate und Dokumente, und er hat mit vielen Zeitgenossen und Weggefährten des Dichters gesprochen. Lebendig und anschaulich erzählt er, wie Max Frisch zum Weltautor wurde.
Beide Weltkriege suchen ihn heim, auch wenn seine Heimat, die Schweiz, verschont bleibt. Der erste Krieg trübt die eigene Kindheit, beschädigt das Familienleben, der zweite zertrümmert sein schriftstellerisches Selbstverständnis. Fortan setzt er sich verschiedensten Realitäten aus, solange sie noch "glühende Objekte" sind: den Ruinen der kriegs versehrten Länder genauso wie der Liebe. Er holt das exakte Beobachten nach, sodaß er bald auffällt und die Beobachteten irritiert. Es entstehen längst zu Klassikern gewordene Werke wie "Graf Öderland", das "Tagebuch 1946-1949" und "Stiller". In ihnen zeigt Max Frisch auf einzigartige Weise, daß Politik und Literatur keine Gegensätze sein müssen dabei geht er, der große Identitätssucher, stets vom Ich und oft vom eigenen Ich aus, obwohl er es jedesmal als Glück empfindet, wenn er sich fremd ist.
Autorenporträt
Schütt, Julian
Julian Schütt, geboren 1964, war Literaturredakteur der Weltwoche und Redakteur der Kulturzeitschrift Du. Er konzipierte die große Max-Frisch-Ausstellung 1998, ist Herausgeber der Bände Max Frisch. Jetzt ist Sehenszeit (Suhrkamp 1998) sowie jetzt: max frisch (Suhrkamp 2001) und arbeitet als freier Journalist und Autor in Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011

In jeder Nullstunde fühlt er sich in seinem Element

Vom Aufstieg eines Frühbegabten zum Großschriftsteller: Gleich mehrere Bücher erinnern an Max Frisch, der im Mai hundert geworden wäre - und der Biographen stets misstraute.

Von Wolfgang Schneider

Biographien fixieren Lebenslinien; sie bringen das Werden und Wirken eines Menschen auf den Begriff. Niemand aber verabscheute die Festlegung so heftig wie Max Frisch. Die Sehnsucht, immer wieder ein anderer zu werden, ist sein Thema, seine Angst vor Routinen und Gewöhnung notorisch. Dem von Zuschreibungen umstellten Menschen den Ausweg aus einer Welt zu zeigen, die mit jedem Tag enger wird - das sah er als Aufgabe der Literatur. Wie Canetti manisch gegen den Tod anschrieb, so Frisch gegen die Versteinerung zu Lebzeiten.

Weil er dabei vom Autobiographischen ausging, misstraute er den Biographen zusätzlich: Das "Übelriechendste, was es unter Menschen gibt", sei jenes "köterhafte Geschnüffel nach der Privatesse, womit man die Dinge, die einer aus dem Persönlichen aufhebt, wieder dahin zurückdrückt." Schönen Dank, mag der Biograph denken. Und seine Lehre daraus ziehen. Julian Schütt legt jetzt eine Lebensbeschreibung vor, die sich als Aufbruch ins Offene versteht - weil sie 1954 abbricht, als Frisch mit dem "Stiller" den Durchbruch feiert. "Das war ein Anfang, den ließ er gelten" - mit diesem Satz endet die Biographie. Das hätte dem Autor des immer neuen Anfangs gefallen.

Und dies ist der erste Satz: "Noch in der liebevollsten Erinnerung seiner Freunde hat er plötzlich ein Messer in der Hand." Da weiß man gleich: Dieser Biograph ist der Richtige. Er schildert den oft zu milde verstandenen Frisch als Menschen und Schriftsteller, der den scharfen Schnitt nicht scheut und die kleine Stichelei nicht verschmäht. Der Untertitel "Biographie eines Aufstiegs" scheint eher auf die Karrieredynamik eines Unternehmers zu passen. Frischs Laufbahn wird ja meist als Geschichte einer Verzögerung wahrgenommen: abgebrochenes Germanistikstudium, einige Zeit Journalismus, dann vermeintlich unreife, verschwärmte Frühwerke, schließlich die Absage an die Schriftstellerei samt theatralischer Manuskriptverbrennung. Dann das seriöse Studium der Architektur, Jahre als Soldat in Bereitschaft, Jahre im Brotberuf, bevor endlich der Schriftsteller Max Frisch vollgültig in Erscheinung tritt. Aber so war es nicht. Tatsächlich vollzog sich, von Stufe zu Stufe, der Aufstieg eines Frühbegabten zum Großschriftsteller. Schnell wurde seine Ausnahmebegabung erkannt; schon mit Anfang zwanzig stand ihm das Feuilleton der "Neuen Zürcher Zeitung" offen.

Vielleicht wird Schütt den Band über die Jahre, die wir (besser) kennen, irgendwann nachliefern. Aber auch als Torso ist seine Biographie von großem Reiz, weil sie sich auf fünfhundert Seiten den Jahrzehnten widmet, die in anderen Darstellungen eher als Pflichtübungen behandelt werden. Und sich mit Geduld den Werken zuwendet, die sonst bloß als Vorspiele gelten. Allzu oft wurde Frischs Selbstkritik am eigenen Frühwerk als Lizenz zur Erledigung verstanden. Die von ihm verurteilten und verdrängten Texte bieten jedoch viele Aufschlüsse. Schon die frühen Feuilletons sind erstaunlich in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit von Landschaft und Natur, ihren atmosphärischen Qualitäten. Und "gerade an unfreiwillig komischen Stellen wird es interessant", schreibt Schütt. So entdeckt er im "Enthaltsamkeitsthema" des Debütromans "Jürg Reinhart" die Problematik einer Generation, die sich nach Bindungen sehnte, andererseits die Beziehungslosigkeit kultivierte. Eigentlich wieder ein heutiges Problem.

Wo liegen die Anfänge? Es war der frühe Tod des Vaters 1932, den Frisch als Befreiung empfand und der ihn zum Schreiben für Zeitungen zwang. Auch der Vater war Architekt, ein Autodidakt, der am Ende die Familie mangels Aufträgen in der Wirtschaftskrise kaum noch ernähren konnte. "Zur Verteidigung des Vaters ist zu sagen: Von ihm stehen noch deutlich mehr Bauten als von seinem Sohn." Historismus, Neorokoko und Heimatstil prägten seine Bauten: Formsprachen, die Adolf Loos als "rustikales Gejodel" bezeichnete und die Max Frisch bald als verlogen empfand. Seine Moderne ist auch eine Antithese zum Vater; und dass Stiller am Ende in einem Schwyzerhüsli "hinlebt" geradezu hämische Ironie.

Rückblickend beklagte Frisch seine politische Unreife, das Lavieren im Verhältnis zu Nazideutschland - aber wer sein literarisches Handwerk lernen wollte, musste sich in den dreißiger Jahren erst einmal vor dem Zangengriff des Politischen in Sicherheit bringen. Frischs individualistischen Kunstbegriff und die Emphase des Allgemeinmenschlichen versteht Schütt nicht nur als politisches Versäumnis, sondern auch als Strategie der Selbstbehauptung, Verweigerung gegenüber dem grassierenden Kult der Gemeinschaft.

Selbst einen Roman wie "Antwort aus der Stille" von 1937, für Frisch später bloß noch ein "Schmarrn", liest man mit verblüffenden Wiedererkennungseffekten. Unter einer dünnen Schmierschicht von zeitgenössischem Bergsteigerpathos findet man lauter authentische Frisch-Motive, die später in den großen Romanen weiterentwickelt und in zunehmend gebrochene Formen gebracht werden: das Leiden an der Durchschnittlichkeit, die Angst vor der Bindung, die Selbstüberforderung, der Drang, endlich "Absichten" durchzusetzen statt "Rücksichten" zu nehmen. Figuren des Ungenügens und eine ambitionierte Psychologie der Geschlechter, schon hier. Und die Sehnsucht des Helden Balz Leuthold nach der "männlichen Tat" wird, so Schütt, von der Erzählung durchaus mit Ironiesignalen konterkariert. Das übersieht, wer bei der Lektüre zwanghaft auf Stereotypen, Schlacken der Zeit und einzelne verkitschte Sätze fixiert ist.

Die Biographie zeichnet nach, wie es sich um 1939 in der Schweiz lebte, umgeben von hochgerüsteten, zähnefletschenden Diktaturen. Ein panisches Lebensgefühl muss geherrscht haben; bedrückend die Angst vor einem deutschen Einmarsch. Als Soldat in Bereitschaft hatte Frisch mit dem Leben beinahe abgeschlossen. Verrenkungen der Neutralität gingen einher mit einem Nationalisierungsschub. Auch Frisch leistete seinen Beitrag zur "geistigen Landesverteidigung", bevor er in diesem Klima Atemnot bekam, bevor ihm die Schweizer Immunisierung gegen die Kriegswirklichkeit und die selbstzufriedene Verschontheit immer verdächtiger vorkamen und er sich als kritischer Intellektueller neu erfand. "Er lernte seine Landsleute als erbärmliche Kriegsprofiteure kennen." Und wurde allergisch gegen Harmonisierungen.

Zu den Qualitäten der episodenreichen und pointiert geschriebenen Biographie gehört es, dass sie Frischs menschliches Umfeld ausleuchtet. Frühe Wegbegleiter und Mentoren werden porträtiert, anstrengende Freunde wie Werner Coninx, der Frisch das Architekturstudium finanzierte, weil er dessen Schriftstellerei als Irrweg empfand, Feuilletonfürsten wie Eduard Korrodi, wohlgesinnte Germanisten wie Emil Staiger (mit beiden verkrachte sich Frisch später). Und die Frauen. Bei all den Liebschaften, die der Erotiker in zwei Jahrzehnten vor, neben und nach der ersten Ehe ansammelte, verliert man fast den Überblick. Er heiratete 1942 ins Züricher Großbürgertum ein; zumindest war Trudy von Meyenburg keine Wahl der Leidenschaft. "Man könnte meinen, ein Arzt habe sie ihm gegen seine viel zu leicht erregbare Eifersucht empfohlen", schreibt Schütt. Auch als Architekt kam er voran, er gewann einen wichtigen Wettbewerb und bekam den Auftrag für einen Millionenbau. Er hätte ein gefragter Schwimmbad-Architekt werden können. Und er hörte keineswegs auf mit dem Schreiben. Nebenbei entstanden bedeutende Werke wie der Roman "Die Schwierigen" und die "Blätter aus dem Brotsack." Es ging voran.

Literarisch war Frisch ein Nachkriegsgewinnler. Als 1945 die Abgeschlossenheit der Schweiz aufbrach, konnte er endlich seinen Welthunger befriedigen. Er inspizierte zunächst das zerstörte Deutschland: "Jetzt ist Sehenszeit." In jeder Nullstunde fühlte er sich in seinem Element, so auch hier. In den Ruinen von Berlin blühte er auf, nicht zuletzt dank einer begleitenden Liebschaft. Welthaltigkeit strömte nun wie durch jäh geöffnete Schleusen in Frischs Schreiben ein; das Tagebuch diente als erstes Auffangbecken. Der wichtigste Aufbruch war das Stipendiumsjahr in Amerika und die Reise nach Mexiko. Er saugte Eindrücke auf wie ein Schwamm, sammelte das Material für "Stiller" und "Homo Faber".

Unangestrengt verbindet Schütt Leben und Werk, ohne dass der Eindruck unvermeidlicher Determinierungen entsteht. Vieles hätte anders kommen können, etwa wenn der Vater länger gelebt oder Carl Zuckmayer 1951 das Rockefeller-Stipendium bekommen hätte. Diese Biographie ist die wichtigste Neuerscheinung zum Frisch-Jubiläum. Sehr lesenswert ist aber auch der kleine Essay-Band von Beatrice von Matt mit persönlichen Erinnerungen an Frisch und klugen Reflexionen über Leben und Werk, etwa über den Schimmel als Symbol gestockter Zeit oder die "Erneuerungsbefehle" der Moderne. Ein Meisterstück ist der zweite Essay, in dem das Meer-Motiv verfolgt wird, Frischs "existentielle Ozeanographie", die Sehnsucht nach fernen Küsten. Das Meer ist "angeschaute Transzendenz", und bei Frischs grandiosen Beschreibungen hat man den Eindruck, dass ihm leichthändig gelang, woran sich ein Robert Musil qualvoll abmühte: Darstellungen eines mystischen "anderen Zustands".

Der von Daniel de Vin herausgegebene Tagungsband "Max Frisch - Citoyen und Poet" beschäftigt sich mit den New Yorker Poetik-Vorlesungen 1981. Malewitschs "Schwarzes Quadrat" wird Frisch hier zum Referenzwerk einer abbildverweigernden Kunst; die Sprache der Literatur definiert er als "Gegen-Position zur Macht". Und macht sich eine Forderung Walter Benjamins zu eigen: "die Kunst als Statthalterin der Utopie". Das ist ein Satz, der einmal einen großen Horizont hatte und aus dem heute alles Leben gewichen ist - poetologisches Totholz.

Für das berühmte Bildnis-Verbot gibt es eine biographische Urszene: der erste bewusste Blick des Kindes in den Spiegel. "Schreck, ein Gesicht zu haben: bestimmt, begrenzt, geprägt sein, gefangen sein, geboren sein." Man versteht, dass Fotografiertwerden nicht zu Frischs bevorzugten Vergnügen gehörte; er haderte mit seinen hängenden Augenlidern und der "asiatisch kleinen Nase". Wer sich trotzdem oder gerade deshalb ein Bild von ihm machen möchte, sollte zu Volker Hages schöner Foto-Biographie greifen. Der mit Originalzitaten angereicherte Band bietet dreihundert Abbildungen, kanonisches Material, aber auch unbekannte Schnappschüsse. Im Anhang gibt es die Interviews, die Hage Anfang der achtziger Jahre mit dem Autor führte. Frisch als entspannter Plauderer: "Der Umgang mit ihm ist schwierig, es geht eigentlich gar nicht. Er hat eine schroffe Art", sagt er über Peter Handke. Und über Ingeborg Bachmann, die Geliebte der Jahre um 1960: "Sie war damals das Hätschelkind der deutschen Literatur. Das habe ich mitgemacht, ich bin auch einer von den Weiheknaben gewesen." Da ist er wieder: Max Frisch mit dem Messerchen in der Hand.

Julian Schütt: "Max Frisch". Biographie eines Aufstiegs.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 592 S., geb., 24,90 [Euro].

Beatrice von Matt: "Mein Name

ist Frisch".

Begegnungen mit dem Autor und seinem Werk.

Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2011. 156 S., geb., 15,90 [Euro].

Daniel de Vin (Hrsg.):

"Max Frisch - Citoyen und Poet".

Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 128 S., geb., 19,90 [Euro].

Volker Hage: "Max Frisch - Sein Leben in Bildern und Texten".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 257 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2011

Das Ende der Gemütlichkeit
Zum hundertsten Geburtstag von Max Frisch: In seiner Biographie erforscht Julian Schütt die Schweizer Wurzeln des Kritikers der Schweiz
Hat man nicht schon alles über ihn gehört? Zuerst durch ihn selbst, dank seinem Hang zum autobiographisch grundierten Schreiben, und jetzt durch die sich häufenden Biographien zu seinem 100. Geburtstag am 15. Mai? Man erinnert sich beim Wort „Geburtstag“: war da nicht die Stelle in „Montauk“, in der Max Frisch kühl anmerkt: „die schlichte Nachricht, dass ein Kind gezeugt wurde, hat mich gefreut, der Frau zuliebe“. Der Satz hat, neben vielen braven Leserinnen und Lesern, auch Frischs erste Tochter Ursula schockiert.
Jetzt liest man in einem Brief, den der junge Frisch an seinen Freund und Mäzen Werner Coninx schreibt, der ihm von der „Belastung“ geklagt hatte, Vater zu werden: „Für uns ist es eine wirkliche Freude, und wenn ich nicht annehmen müsste, dass ich Dich an eine Last erinnere, würde ich am liebsten davon erzählen! Trudy geht es immer gut, der Kleinen auch, und ich könnte sie, obschon sie noch wenig und nur ganz bescheiden in meinen Alltag eingreift, nicht mehr vermissen.“
Wer war Max Frisch? Wen diese Frage interessiert, der wird an der nun erschienen Lebensbeschreibung von Julian Schütt, die seit Jahren ein Versprechen war, nicht vorbeikommen. Noch ist es „nur“ die „Biographie eines Aufstiegs“ geworden. Sie reicht bis ins Jahr 1955, bis zum Erscheinen von „Stiller“, Frischs erstem Welterfolg. Doch das Warten hat sich gelohnt. Man kann jede der bislang erschienenen Biographien aus dem einen oder anderen Grund empfehlen, aber durch seine umfassenden Kenntnisse setzt Schütt ganz neue Maßstäbe.
Zeiten und Menschen, die bisher gern global abgehandelt wurden, werden genauer ausgeleuchtet. Etwa Frischs Vater, der es vom Bauzeichner zum Architekten brachte – er baute in genau jenem opulenten Historismus, den Frisch später kritisierte. Schütt zeigt, dass dieser dicke Mann, dem Frischs Mutter im Alter die Schuhe binden musste, durchaus Karriere machte, bis er durch den Ersten Weltkrieg und die anschließende Wirtschaftskrise zu einer ärmlichen Makler-Existenz gezwungen war, in der die münzgefütterte Stromuhr bestimmte, wie warm das Essen auf den Tisch kam. Noch heute jedoch stehen, so Schütt, vom Vater mehr Bauten als vom Sohn. Etwa das prunkvolle Schattenbad einer Fabrikanten-Villa – nicht weit von Max Frischs einziger architektonischer Großtat, dem Schwimmbad Letzigraben.
Schütt informiert detailliert, formuliert zügig und sehr gut lesbar. Seine Spannung zieht das Buch aus der Anzahl neuer Erkenntnisse, die es bietet. Auch was Frischs schillernde politische Position in den dreißiger Jahren betrifft. Schütt führt überzeugend vor, dass der junge Frisch weniger durch die nationalsozialistische Ideologie gefährdet war, als in den letzten Jahren angenommen – dass jedoch seine, dem nationalistischen Zeitgeist in ganz Europa entsprechende, betont „schweizerische“ Haltung, ihn oft mit Blindheit schlug. Seine intensive Beziehung zur jüdischen Berlinerin Käte Rubensohn, die Schütt in allen Facetten darstellt, bewahrte Frisch seltsamerweise nicht davor, der polnisch-jüdischen Frau seines Chemiker-Bruders Franz mit Unverständnis zu begegnen, wenn sie, mit Nachrichten aus Polen, zunehmend „schwierig“ wurde.
Bleibend skandalös ist auch Frischs seit einigen Jahren bekannter Brief an den jüdischen Karikaturisten Gregor Rabinovitch. Nach einem Cartoon Rabinovitchs in der Satirezeitschrift Nebelspalter teilt Frisch ihm am 4. August 1938 brieflich mit, Rabinovitchs Spott über Nazi-Deutschland und die anpassungsfreundliche Schweiz sei „Ressentiment“, „nicht das, was unser schweizerisches Wollen ist“. Geradezu karikaturhaft widmete sich der junge Frisch der „geistigen Landesverteidigung“: eine Überidentifikation, die eine „Teufelsaustreibung“ nach sich zog und Frisch zu einem der wirkungsmächtigsten und meistangefeindeten Schweiz-Kritiker des zwanzigsten Jahrhunderts werden ließ. Wie vor ihm kein Frisch-Forscher, zeigt Schütt jedoch auch den Hintergrund der politischen Stimmung.
Man konnte noch nicht vom vergleichsweise gemütlichen Schweizer Überdauern von nationalsozialistischer Bedrohung und Krieg ausgehen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs war klar, dass Grenzen nicht respektiert würden. Als Frisch Hitlers Berliner Sportpalast-Rede vom 26. September im Radio hört und 20 000 Zuhörer skandieren: „Führer befiehl, wir folgen“, schreibt er seinem Bruder: „Für uns, die wir als letzte Deutschstämmige noch über ein gewisses Denkvermögen verfügen, gibt es dazu keinen Kommentar. Ich war sehr niedergeschlagen, dass der Mensch, wenn er in der Masse ist, so bedingungslos im Tierischen aufgeht.“ Frisch erwartete Krieg „Als Tscheche würde ich auf jeden Fall kämpfen. Auch dann, wenn es aussichtslos ist, wie man meint.“
Erst als die Bomben der Alliierten Teile Deutschlands zerstören, bemüht sich Frisch um „Objektivität“. Bei einer Reise ins Nachkriegsdeutschland sieht er einen amerikanischen Gefangenentransport, und konstatiert die Beschämung: „wenn man ‚Menschen umzäunt sieht, gepfercht, verfrachtet wie Vieh“. Schütt lässt das kommentarlos stehen, aber man muss wohl anmerken, dass es einen Unterschied macht, wohin man transportiert wird und was dort geschieht.
Die Beschränkung auf die Zeit vor der Beziehung zu Ingeborg Bachmann, zu der Unterlagen gesperrt sind, führt auch dazu, dass Constanze (Trudi) von Meyenburg zum ersten Mal wichtig genommen wird: Frischs erste Frau, eine Architektin. Auch mit ihr hat Schütt noch geredet. Die Tochter eines vermögenden Zürcher Pathologie-Professors gebar Frisch drei Kinder, aber eine glückliche Ehe war es nicht. Zuerst hatte er Affären, dann wohl auch sie, worauf er im Notizheft gegen „Frigide“ loszog, die es „mit jedem“, aber eigentlich „mit keinem“ können. Er liebe Frauen, die sich nicht „wie eine Puppe“ berühren lassen, einem Begehren nicht nur „freundschaftlich entgegenkommen“.
Frisch hatte vor der Heirat eine leidenschaftliche Affäre mit der Westschweizer Sprachlehrerin Madelon Robert, die den freien Journalisten, der kaum eine Flasche Wein mitbringen konnte, schließlich für einen Fabrikanten verließ. Die anschließende Aufnahme in die Familie von Meyenburg (der Schwiegervater wurde „Paps“ genannt) war für Frisch nicht mit dem Ende aller Finanzsorgen verbunden, aber man bezog eine standesgemäße Wohnung in der Zollikerstraße, wo auch der prominente Germanist Emil Staiger und der Waffenfabrikant Emil Bührle lebten.
Doch die Zivilisierung der Liebe schlug fehl. Frisch bewegte sich zwischen dem Untreue-Pathos, das er schon Käte Rubensohn brieflich mitgeteilt hatte („Ich glaube an die Gewalt der Liebe und der Untreue . . .“) und intensiver Eifersucht, nicht erst bei Ingeborg Bachmann. Und nicht nur bei Madelon Robert stand er unten am Fenster, um Nachfolger auszuspähen. Einmal nahmen in zwei Polizisten in ihre Mitte.
Nein, Max Frisch war kein einfacher, ruhiger Bürger, auch wenn er es manchmal gern gewesen wäre. Einerseits wollte er sich bei seiner Hochzeit nicht blamieren, terrorisierte den Bruder, dessen Frau und seine Mutter mit Garderobevorschriften, drängte darauf, dass der Bruder, gerade im Wehrdienst, in Galauniform erscheine. Andererseits stand dieser in sich zerrissene Kleinbürgersohn für dauernden Aufbruch. Versteinerung war mit diesem Ungeduldigen nicht drin.
Sein Werk, so dachte mancher in den letzten Jahren, die spätexistentialistische Auseinandersetzung mit den Zwängen, denen ein Ich ausgesetzt ist, sei durch die zunehmende Liberalisierung und Individualisierung überholt. Heute kann man ohne großes Risiko prophezeien, dass in einer Zeit, in der im lesenden Teil der Gesellschaft von „neuer Bürgerlichkeit“ die Rede ist und Debatten über alte Werte neu geführt werden, die Werke von Max Frisch wieder Bestandteil der Gegenwart werden können.
HANS-PETER KUNISCH
JULIAN SCHÜTT: Max Frisch. Biographie eines Aufstiegs. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 592 Seiten, 24,90 Euro.
Der junge Max Frisch war ein
rabiater Befürworter der
„geistigen Landesverteidigung“
Frisch bewegte sich zwischen
früh bekundetem Untreue-Pathos
und intensiver Eifersucht
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Es gibt noch mehr Neuerscheinungen zum Frisch-Jubiläumsjahr, zum Beispiel die Essays von Beatrice von Matt oder einen Bildband Volker Hages. Aber Julian Schütts Biografie über die Jahre bis 1954 ragt für Andreas Isenschmid eindeutig heraus. Höchst eindringlich preist er Schütts Quellenkenntnis, mehr noch seinen Umgang damit, der auf die Nuance aus sei, auf die Pointe dennoch nicht verzichte und vor allem immer zu Bändigung im Sinne eines lesbaren Erzählrhythmus finde. Einiges hat Isenschmid aus der Biografie gelernt, etwa über nicht so eindeutigen Nazi-Sympathien der frühen Jahre, über das schwierige Vaterverhältnis, das in Frischs eigener Deutung immer auch in Zusammenhang mit seinen Suizidgedanken stand, über seine Hassliebe zur Schweiz, zu deren moralischer Instanz Frisch wurde, und immer wieder, ganz nebenbei, über seine großartige Prosa. Eine eindeutige Empfehlung!

© Perlentaucher Medien GmbH
»Schütt kennt die Archive, die Briefe, die Zeugen, und er setzt vieles in neues Licht. Er schreibt elegant, fassbar, diskret.« Andreas Isenschmid DIE ZEIT 20110512