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BRD, 1965. Auf einem Fortbildungslehrgang für Journalisten lernen sich zwei junge Männer kennen, die gleich spüren, daß sie Großes miteinander vorhaben. Doch noch bremst der Muff der Zeit: Die Schlammstrecke der allgemeinen Wehrpflicht will durchrobbt sein, der dahinter liegende Morast aus bürgerlicher Paarbeziehung und Provinzreporterdasein ebenso. Dann aber geht es Schlag auf Schlag: nach Düsseldorf, ins Beuys-Umfeld, die beiden Freunde gründen eine Hippie-Gartenlaubenfirma, in durchwachten Nächten wird das erste discoreife Stroboskop-Blitzlicht gebaut, Premiere in Hamburgs coolstem…mehr

Produktbeschreibung
BRD, 1965. Auf einem Fortbildungslehrgang für Journalisten lernen sich zwei junge Männer kennen, die gleich spüren, daß sie Großes miteinander vorhaben. Doch noch bremst der Muff der Zeit: Die Schlammstrecke der allgemeinen Wehrpflicht will durchrobbt sein, der dahinter liegende Morast aus bürgerlicher Paarbeziehung und Provinzreporterdasein ebenso. Dann aber geht es Schlag auf Schlag: nach Düsseldorf, ins Beuys-Umfeld, die beiden Freunde gründen eine Hippie-Gartenlaubenfirma, in durchwachten Nächten wird das erste discoreife Stroboskop-Blitzlicht gebaut, Premiere in Hamburgs coolstem Psychedelic-Club, euphorische Verzückung, weiter zu den Essener Songtagen, Frank Zappa, Freakout-Pfingsten, fette Aufträge und der Traum vom antikapitalistischen Betrieb im Kapitalismus - das "Geschäftsjahr 1968/69" kommt in Fahrt.

Mit präziser Lakonie zeigt Bernd Cailloux die 68er in grellem, aber um so realistischerem Licht: nicht als Polit-, sondern als Start-up-Unternehmen, dessen Visionen, Illusionen, Drogen- und Finanzcrashs unvermutet an die Neunziger erinnern - wie das Technoflimmern an die Flickershows der Sixties.

Autorenporträt
Bernd Cailloux, Jahrgang 1945, lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Blitzchen der Subversion
Bernd Cailloux macht Geschäfte / Von Heinz Ludwig Arnold

Es hatte mit einer Spielerei begonnen. "Die Jungs aus der Werkstatt" hatten "aus purem Spaß . . . die Miniatur eines der starken Lichtblitzgeräte" gebaut, ein "Flashlight im Kleinstformat". Und drei junge Männer, Anfang Zwanzig und von unterschiedlichen Interessen geleitet, aber alle gemeinsam in der Aufbruchsstimmung, etwas ,machen' zu wollen, sind so fasziniert von dieser Maschine, die "rasante Wechsel von der Finsternis ins Überhelle" produziert und damit ins Zentrum der menschlichen Doppelnatur trifft, daß sie mit ihrer Herstellung das begründen, was man heute ein Start-up nennt: Andreas Büdinger organisiert das Ganze, Bekurz ist der Elektrotechniker, und der namenlose Ich-Erzähler liefert den kritischen ideologischen Überbau - später wird er das so beschreiben: "Eigentlich hatten wir nichts Böses vor, nichts Kommerzielles wie Massenproduktion oder Werbeshows, wir wollten etwas völlig anderes, die radikale permanente Veränderung, jedenfalls keinen bürgerlich profitorientierten Laden, Teil von etwas Neuem sein, dafür wollten wir das passende Licht machen, ursprünglich war das Ganze revolutionär gedacht, nach außen und nach innen - eine Undergroundfirma, wenn du so willst."

Doch das liegt weit zurück, und aus der Undergroundfirma, die sie einst "Muße-Gesellschaft" nannten, wurde ein florierendes Unternehmen, das freilich den Gesetzen einer kapitalistisch organisierten Ökonomie nicht entkommen ist und alle abgestoßen hat, die diesen Gesetzen nicht folgen wollten oder konnten. So wurde aus der einstigen "Muße-Gesellschaft" gleichsam eine kapitalistische Muß-Gesellschaft.

Zu denen, die dabei auf der langen Strecke blieben, gehört auch ihr Erzähler. Aber mit der Bilanz, die er hinterläßt, ist seinem Autor, Bernd Cailloux, etwas Seltenes gelungen: die Geschichte einer ganzen Generation an Hand von ein paar Figuren mitzuteilen und ihren Realismus ins Bild einer großen Metapher zu fassen, die mit dem Titel "Das Geschäftsjahr 1968/69" präzise benannt ist.

Bilanziert wird ex post: der Erzähler, den sein Billigflieger von Ibiza nicht nach Hamburg, sondern nach Düsseldorf bringt, braucht Geld und ruft den alten Kumpel Büdinger an; in Düsseldorf hatte man sich an die vierzig Jahre zuvor auch erstmals getroffen, im Herbst 1965 bei einem Fortbildungslehrgang am Institut für Publizistik. So werden schon im Anfang mit ein paar Strichen die Positionen der Protagonisten eingezeichnet. Und drum herum malt Cailloux das Bild der sechziger Jahre farbig aus: Bundeswehrdienst, erste Liebe, Hippietime und Songs, und mit Beuys rückt auch jene künstlerische Szene ins Bild, die auf diese neue Bühne gehört.

Als dann das kleine Gerät mit den blitzartigen Leuchteffekten auftaucht, wird es unter der Hand zur Metapher für eine gesellschaftliche Erleuchtung, die damals durch viele junge Köpfe zuckte. Und seine drei Produzenten wollten mit ihrer Muße-Gesellschaft "ein unabhängiges, aus sich selbst heraus bestimmtes" Unternehmen schaffen, "jenseits hergebrachter Modelle, jenseits der Autoritäten" - es sollte so etwas wie eine "fünfte Kolonne in der Gesellschaft" werden, integriert und trotzdem den eigenen Vorsätzen treu, und jeder sollte denselben Lohn bekommen. Und: "Wir hatten über die Beuyssche Freiheitslehre nicht nur geredet, wir hatten sie als soziale Kleinplastik realisiert" - als Erleuchtungsmaschine. Mit ihr verbanden sie eine Botschaft, wollten "die Verhältnisse in jeder Hinsicht zum Tanzen bringen". Doch den Kunden, die sie damit beliefern, "fehlte jedes ästhetisch-politische, sozusagen muße-gesellschaftliche Bewußtsein" - der "Blitz zitterte als bloßer Effekt auf ihrer Netzhaut und schlug nicht bis ins Bewußtsein durch". Doch Büdinger kümmerte das nicht.

Und so wird mit der Zeit das, was da eben noch so lebendig zuckte, zum bloß noch plakativen Programm; und aus dem "Flashlight im Kleinstformat" macht die "Muße-Gesellschaft" eine profitable Maschine, die nicht nur Bühnen, Bars und Tanzsäle, sondern dann auch Bordellbetriebe und Werbeshows beflackert. "Offenbar bestätigte sich Swetis ironischer Kommentar, dem zufolge diejenigen am schnellsten vorankommen, die am erfolgreichsten so tun, als seien sie am Erfolg gar nicht interessiert."

Die Bilanz des Geschäftsjahres 1968/69, die Geschichte der Muße-Gesellschaft also, setzt sich - von Cailloux auch nahezu stroboskopisch erzählt - zusammen aus den Geschichten ihrer Teilhaber: Büdinger mit seinem im Grunde rein ökonomischen Interesse, der von seinem technischen Wissen besessene Bekurz, der Drogen-Spezi Sweti, Roland, Martin, Chris, die später hinzukommen, und mit ihnen ihre Mädchen und Frauen - und vor allem bindet der Erzähler die vielen Einzelbilder zusammen, er, der sie alle irgendwie repräsentiert, der seinen Idealismus billig verludern ließ, der mit seiner Liebe scheiterte und der den Drogen schließlich seine Hepatitis verdankt.

Der 1945 geborene Bernd Cailloux erzählt in den Geschichten seiner Figuren die Geschichte seiner Generation: von ihren Idealen und deren Vergehen und Verkommen; von ihren Abenteuern in der Liebe, mit der Sexualität, mit Drogen; vom Mißlingen ihrer Solidarität, auf die sie sich immer nur beriefen, ohne für sie zu kämpfen. Sein Erzähler resümiert schließlich selbstkritisch die Gründe für ihr gemeinsames Versagen: "Nicht Büdinger, sondern ich war der Konfrontation ausgewichen, ich war es, der einknickte und die Dinge weiterlaufen ließ, anstatt die Gesellschaft dorthin zu steuern, wo sie hingehörte. Ein schrecklicher Moment, in den Rumpelkammern des Bewußtseins die eigene Korruptheit zu entdecken, unversehens in die verschwiegenen Grenzbereiche einer Abgezocktheit vorzustoßen, die nur Heuchler als gesunden Selbsterhaltungstrieb ausgaben."

Der Traum vom "dritten Weg, niemanden beherrschen zu wollen und selbst nicht beherrscht zu werden", war schließlich ausgeträumt. Das Unternehmen, das mit einem künstlerischen und darin gesellschaftlichen Erleuchtungsprogramm begonnen hatte, war jedenfalls damit gescheitert, einen "dritten Raum zwischen Kunst und Kommerz zu schaffen". Es wurde aber erfolgreich auf dem Markt, und Büdinger bootet die alten Kompagnons schließlich aus, die in ihren Geschichten verlorengehen.

Der Erzähler erinnert sich ihrer in den zwei Stunden seines Düsseldorfer Treffens mit Büdinger. Als er wieder zu Hause ist, nachts am Schreibtisch, "saust" ihm noch immer "die Geschichte der Muße-Gesellschaft durch den Kopf . . . Damals hatten wir es in der Hand, das Bessere, das Richtige zu machen: Wir haben es vermasselt. Und trotzdem gab es nichts zu bedauern - denn letztlich war etwas Brauchbares dabei herausgekommen" -, ebenjener kleine Würfel "mit dem proustschen Blitzchen der Subversion". Und sein Licht "erinnerte an die unvergängliche Sehnsucht nach der großen gemeinschaftlichen Tat", also doch nur wieder an die längst vergangene Zeit, da das Wünschen noch geholfen hatte - aber ebenjener Würfel war ja schon am Anfang da, ein spielerisches Produkt, entstanden aus reinem Jux, er war ja der Beginn von allem gewesen, und wurde zum Katalysator, der das Scheitern der mit ihm verbundenen Idee dokumentiert.

Im Grunde ist Cailloux' Erzählen selbst dieser Katalysator: und sein Ergebnis die skeptische, weil unbestechliche Bilanz des mit der Jahreszahl 1968/69 verbundenen Unternehmens, diese große Metapher einer Rebellion, die sich in Geschichte und Gesellschaft nicht verloren, sondern darin aufgelöst und beide gesäuert hat.

Bernd Cailloux: "Das Geschäftsjahr 1968/69". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 254 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2005

Afri-Cola-Rausch in der Gruga-Halle
Das wichtigste Instrument eines Enthemmungsassistenten ist das blitzeschleudernde Stroboskop: In seinem Roman „Das Geschäftsjahr 1968/69” zieht Bernd Cailloux eine flackernde Bilanz des psychedelischen Wirtschaftswunders
Von Christoph Bartmann
Gegen die Essener Songtage im September 1968, konzipiert von Rolf-Ulrich Kaiser, dem genialischen Rock-Impresario jener Jahre, nimmt sich Woodstock ein bisschen phantasielos aus. Wann und wo sonst hat man je Frank Zappa, Tuli Kupferberg, Tangerine Dream, Hanns Dieter Hüsch, Tim Buckley, Bernd Witthüser, Alexis Korner, Peter Brötzmann, Tangerine Dream, Franz Josef Degenhardt, Amon Düül und Julie Driscoll in ein und demselben Programm erleben können?
Die Songtage trugen ihren Namen nicht von ungefähr: kühn hatten sich die Veranstalter in den Kopf gesetzt, nicht nur die internationale Avantgarde der Rockmusik zu präsentieren, sondern parallel dazu das gesamte heimische Spektrum aus subversiven Wandervögeln, linken Bänkelsängern und esoterischen Klangfricklern - eine verwegene Mischung, deren gemeinsamer Nenner ein recht gedehnter Begriff vom „Song” sein sollte. Obwohl oder weil das Ereignis jeden Song-Rahmen sprengte, sind die Essener Songtage 1968 zur Legende geworden; „a day I will always remember” auch für Bernd Cailloux, denn am 28. September 1968 fing für ihn und seine Freunde von der „Muße-Gesellschaft” das unvergessliche „Geschäftsjahr 1968/69” an. Von diesem Jahr erzählt sein gleichnamiger Roman, der den Großteil der 68er-Belletristik in den Schatten stellt - schließlich sieht sich ja sein Erzähler als einer der „untergegangenen Erfinder des Blitzes”. Cailloux, dessen Namen kaum ein Literaturlexikon nennt, hat den längst fälligen Roman des Afri-Cola-Rauschs geschrieben, genauer den seiner technischen Erzeugung durch flackerndes Licht.
„Wir waren beauftragt”, erzählt Cailloux, „beim Abschlussfest der Internationalen Songtage in der Gruga-Halle mit unseren Geräten mitzuwirken. Ein vielversprechender Auftrag, auf den wir seit langem hingearbeitet hatten, eine neue Dimension”. Das Gerät, das an diesem Abend beim Zappa-Konzert seinen ersten Härtetest erleben wird, ist ein Stroboskop, aber nicht irgendeines, sondern „das stärkste weltweit je entworfene (...) Eine Supernova, deren Leuchtkraft nur in dieser einen Nacht erstrahlen würde - mitten im Ruhrgebiet”. Tatsächlich wird der „Trip to Asnidi”, wie die jungen Bastler die Fahrt nach Essen getauft haben, zum Triumph.
Cailloux’ Roman erzählt vom Schicksal einer Geschäftsidee, die für die Jahre um 1968 nicht untypisch ist. Ein paar junge Männer, der eine ein Bastler, der andere ein Organisator, der dritte ein Verkaufstalent, haben dem bürgerlichen Leben den Rücken gekehrt, um mit der „Muße-Gesellschaft” ihre Vision vom selbst bestimmten Wirtschaften zu verwirklichen. Das ist keine „old economy” und sicher auch keine „new economy”, denn nichts kann diese Jungunternehmer in größeren Schrecken versetzen als der Erfolg, die dauerhaft steigende Rendite oder, mit einem Wort von damals, der „Kommerz”. Weil sie aber auch den Misserfolg nicht ertragen und überdies für ihn zu tüchtig sind, läuft ihre Geschäftstätigkeit auf ein Dilemma zu. Die „Muße-Gesellschaft”, angetreten zum Zweck der Subversion des bürgerlichen Wirtschaftslebens, kommt im Lauf des turbulenten Geschäftsjahres 1968/69 zusehends unter die Räder ihres eigenen Erfolgs. Will man den kapitalistischen Durchbruch oder gibt man sich damit zufrieden, als realisierte „soziale Kleinplastik” die Lehren von Joseph Beuys zu beherzigen? Andere Firmen haben ähnlich experimentell angefangen, nicht alle sind gescheitert. Die „Muße-Gesellschaft” jedoch hat am Ende des Geschäftsjahres und ihres Romans die Zukunft schon hinter sich. Und das, obwohl Geschäftsidee noch immer brauchbar wirkt. „Wir sind Enthemmungsassistenten”, formuliert es einer aus der Firma gelegentlich. „Wir helfen Leuten, aus sich herauszukommen”.
Jahrzehnte später geht dem Erzähler die Geschichte dieses Jahres wieder durch den Kopf und man sieht, dass für ihn die Stroboskop-Zeit nichts von ihrer Blitze schleudernden Zauberkraft verloren hat. „Damals hatten wir es in der Hand, das Bessere, das Richtige zu machen” resümiert er trotzig. „Wir haben es vermasselt. Und trotzdem gab es nichts zu bedauern - denn letztlich war etwas Brauchbares dabei herausgekommen.” Das Brauchbare steht am Anfang und am Ende des Romans auf einem Schreibtisch und funktioniert nicht nur als Stroboskop, sondern als „das Proustsche Blitzchen der Subversion”. Von diesem kleinen Ding scheint der ganze Roman erhellt und erleuchtet. Es braucht nur diesen kästchengroßen „Jumping Jack Flash”, damit die „mémoire involontaire” des Erzählers in Gang kommt.
Sein Roman erzählt nicht nur von einem technischen Gerät, er demonstriert dessen bewusstseinserweiternde Effekte an sich selbst. Das Stroboskop, das seinem Namen zufolge eine drehende oder wirbelnde Betrachtung erzeugt, die durch die regelmäßige Abfeuerung von Lichtblitzen hervorgerufen wird, setzt die gesamte Szenerie des Romans in eine grelle, flackernde Beleuchtung, und auch der Erzählfluss scheint wie abgehackt durch eine scharfe und fugenlose Abfolge von Einzelbildern. Dabei wirkt nichts an Cailloux’ Sprachgebrauch artifiziell oder retro-avantgardistisch.
Vielmehr herrscht in ihm ein mittlerweile ernüchterter, nur noch hier und da in Restekstasen nachglühender Realismus vor. „Lakonisch” nennt man diesen Stil gern, aber an Cailloux’ Lakonie ist nichts Wortkarges. Trocken ist seine Sprache, lässig, abgebrüht, aber wann immer ihm danach ist, gelingt es ihm, mit einer präzise funkelnden Wendung den psychedelischen Irrsinn seines Geschäftsjahres ins Bild zu bannen („in der Inhalierphase eine Spur zu drahtbürstig im Rachen” sei der schwarze Afghan gewesen, urteilt er im Stil eines Weinverkosters). Vor allem aber in den Beschreibungen der stroboskopischen Effekte zeigt Cailloux sich als Virtuose, dem noch heute die Lichtgewitter von einst vor dem inneren Auge nachzittern: „Er streckte und reckte und warf die Glieder von sich, säte, segnete, mähte Gras, schlug schwungvoll die Fäuste in die Luft, ging blitzartig in die Knie und wieder in die Höhe - und alle schauten hin wie auf ein Strawinsky-Ballett oder einen neuen Sport.”
Der Mann, der da das Tanzen unter Blitzlichteinfluss neu erfindet, ist Büdinger, der Kompagnon. Mit Büdinger, den der Erzähler 1965 auf einem Weiterbildungkurs für Journalisten kennen gelernt hat, wird der erste Plan für die „Muße-Gesellschaft” geschmiedet. Später, inzwischen hat man sich in der Beuys-Stadt Düsseldorf wieder getroffen, kommt der Tüftler Bekurz hinzu, ein paar mehr oder minder taugliche Hilfskräfte schließen sich an und die Stroboskop-Fertigung nimmt ihren Lauf.
Schon bald freilich entpuppt sich Büdinger als Machtmensch und „Büronaturbursche”, dem die politisch-subversive Mission der Firma herzlich egal ist - zwanzig Jahre später wird der Erzähler ihm als Immobilienmakler wieder begegnen. Aber nicht nur politische Richtungskämpfe bedrohen den Erfolg der Firma; als nicht weniger geschäftsschädigend erweisen sich Drogen aller Art, und schließlich breitet sich in den Kreisen der „Muße-Gesellschaft” die von einem Indienfahrer mitgebrachte Gelbsucht aus. Den Erzähler zieht es, auch um Büdingers diktatorischen Allüren zu entkommen, nach Hamburg, wo er eine Filiale gründet und sich - ganz etwas Neues für diesen Männer- und Bastlerbund - in Régine, eine WG-Genossin, verliebt. Einige Jahrzehnte später streift er durch dieselbe Gegend, Hamburg, Milchstraße und erinnert sich an das Geschäftsjahr 1968/69, dessen Ende er hier in einem Souterrain erlebte. Noch immer kann er sich nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass die „Muße-Gesellschaft” gescheitert ist. Nichts an ihren Prämissen scheint ihm durch den Fortgang der Entwicklung widerlegt.
„Noch immer schwebte mir eine lose Gruppierung, eine Firma im Schwebezustand vor, ein improvisierter, spielerischer Betrieb, ähnlich dem einer Band als der Höchstform für Teams und aus der Lamäng hingeschlackert - eine Firma als Tarnkappe auch bei der Suche nach besseren Lebenszwecken.” Aus der Lamäng so hingeschlackert wie die „Muße-Gesellschaft”, wie Grateful Dead oder wie dieser Roman? Daran ist noch immer nichts verkehrt.
Bernd Cailloux
Das Geschäftsjahr 1968/69
Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 254 Seiten, 10 Euro.
Die Hüfte ist das Zentralorgan der Jugendbewegung.
Foto: Brigitte Hellgoth
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ohne jeden Zorn" blickt Bernd Cailloux zurück auf die 68er-Generation, stellt Joseph von Westphalen fest. Wunderbar sei die Sprache des Romans "Das Geschäftsjahr 1968/69", "komisch und liebenswert" die Zeit, von der berichtet wird, und wenn von den "linken Hoffnungen" heute auch nichts übrig geblieben ist: wie Cailloux mit der "Stupidität" der Bundeswehr und der "niederträchtigen Psychologie des Gehorchens" abrechnet - das entlockt dem Rezensenten ein leises Jauchzen der Begeisterung, auch weil es so "schön trocken" erzählt wird. Ein großes Aufräumen stellt in Westphalens Perspektive dieser Roman dar, keine Abrechnung, aber eine Relativierung - denn es gab ja, stellt der Rezensent fest, unter den 68ern auch "schräge und großspurige Vögel", die lieber Drogen nahmen als Marx lasen. Wie es diesen "Hippie-Businessmen" erging, dass stelle Cailloux gekonnt dar, in dem er die Illusionen aller Seiten auf die Wirklichkeiten prallen lässt. Ein "intellektueller Roman", so das Fazit des Rezensenten, der gleichwohl "Anteilnahme" erweckt.

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