20,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Woran erkennt man auf dem Bild einer Straße, um welche Stadt es sich handelt, auch wenn kein bekanntes Wahrzeichen zu sehen ist? An den kleinen, aber charakteristischen Objekten: den Brunnen (Berliner Pumpen, Römische Nasone-Brunnen, Pariser Wallace-Brunnen), den Baumscheiben, Pollern, Stadtmöbeln, aber auch am Belag, Trottoir oder den Kanaldeckeln.Lampugnani betrachtet die Geschichte dieser Objekte, hat 22 repräsentative herausgesucht und erzählt ihren Werdegang: beginnend mit ihrem ersten Auftreten (oft schon in der Antike), ihrer Vernachlässigung (meist im Mittelalter), ihrer neuen Blüte…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Woran erkennt man auf dem Bild einer Straße, um welche Stadt es sich handelt, auch wenn kein bekanntes Wahrzeichen zu sehen ist? An den kleinen, aber charakteristischen Objekten: den Brunnen (Berliner Pumpen, Römische Nasone-Brunnen, Pariser Wallace-Brunnen), den Baumscheiben, Pollern, Stadtmöbeln, aber auch am Belag, Trottoir oder den Kanaldeckeln.Lampugnani betrachtet die Geschichte dieser Objekte, hat 22 repräsentative herausgesucht und erzählt ihren Werdegang: beginnend mit ihrem ersten Auftreten (oft schon in der Antike), ihrer Vernachlässigung (meist im Mittelalter), ihrer neuen Blüte oder ihrem erstmaligen Erscheinen (in der Stadt der Neuzeit) bis hin zu ihrer Verlotterung und Verhässlichung in der Gegenwart.Was entsteht, sind nicht nur kenntnisreiche Einblicke in bisher unterschätzte Elemente der Stadt und amüsante Anekdoten aus der Geschichte des Städtebaus und einzelner Städte. En passant erzählt Lampugnani auch, was eine Stadt schön, individuell und unverwechselbar macht. Und was wir heute manchmal leichtfertig aufs Spiel setzen.Für die Taschenbuchausgabe wurde der Text umfassend überarbeitet, erweitert und neu bebildert.
Autorenporträt
Vittorio Magnago Lampugnani, geboren 1951 in Rom, ist einer der international bedeutendsten Stadtwissenschaftler. Nach Stationen in Stuttgart, Harvard, Berlin und Frankfurt am Main lehrte Lampugnani als Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich. Von 1990 bis 1994 war er Direktor des Deutschen Architektur-Museums und konzipierte zahlreiche wichtige Ausstellungen in Washington, Berlin, Mailand und Venedig. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei den Grundlagen zu Geschichte und Theorie der Architektur und des Städtebaus. Bei Wagenbach erschien u.a. seine große dreibändige Geschichte des Städtebaus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2019

Unser Bedürfnis nach Pavillons

Anleitung zum Stadtstreunen: Vittorio Magnago Lampugnani widmet sich den kleinen Dingen urbaner Architektur.

E ist ein Stadtliebhaber, der keine Marginalisierung duldet - möge das urbane Leben die Sinne überfluten. Der Architekturtheoretiker Vittorio Magnago Lampugnani findet die nötige Distanz, um den übersehenen Mehrwert von Verkehrsampeln und Schachtdeckeln zu erkennen.

"Berlin hat mich im höchsten Grade überrascht", schrieb Mark Twain nach seinem fünfmonatigen Aufenthalt. 1892 kehrte er nach Chicago zurück. Aber das hauptstädtische Straßensystem ließ ihn nicht mehr los. In seinen Erinnerungen wunderte er sich darüber, dass sich der Straßenname zuweilen mitten in der Häuserreihe änderte. Die Numerierung war ohnehin nicht nach seinem Geschmack. Man startete am innerstädtischen Ende einer Straße und numerierte die Häuser fortlaufend. Erst am Ende nahm man sich die andere Straßenseite vor und kehrte zurück. Das Ergebnis: Am Straßenanfang begegnete die niedrigste Nummer der höchsten. Als wäre dies nicht verwirrend genug, gesellte sich zu dem Hufeisenverfahren bald das französische Zickzacksystem. Das Nebeneinander veranlasste Twain zu einer Schimpftirade: "Zunächst denkt man, dies sei das Werk eines Idioten, aber dafür ist die Sache zu abwechslungsreich. Ein Idiot könnte sich nicht so viele Methoden ausdenken, Konfusion zu schaffen . . .".

Diese Meinung teilten offenbar auch die Nationalsozialisten. Ihre zukünftige Welthauptstadt Germania durfte nicht im Ziffernchaos versinken. Hier und da schafften sie tatsächlich Ordnung. Die Friedrichstraße blieb trotzdem weiterhin fortlaufend numeriert. Und auch der Kurfürstendamm präferiert bis heute das Hufeisen. Aber steht Berlin mit diesem strukturellen, von seinen Bewohnern kaum wahrgenommenen Problem allein da? Keineswegs, wie Vittorio Magnago Lampugnani in seinem neuen Buch zu erzählen weiß. In Florenz und Genua sorgt eine Numerierung mit schwarzen Ziffern für Wohnhäuser und mit roten für Geschäfte für Kopfschütteln bei Nichtansässigen. In Tokio bekommen Häuser gar eine Nummer in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Ganz zu schweigen von der Gestaltung der Hausnummern, die nicht selten den Hauseigentümern überlassen wurde.

Das Paris der Jahrhundertwende trieb es mit skulptural blühenden Schildern eines Hector Guimard, auf dessen Konto auch die filigranen Métro-Eingänge gehen, besonders bunt. Für Lampugnani übertreffen sie die schlimmsten Albträume jedes Stadtliebhabers. Er wünscht sich, natürlich begleitet von einem Augenzwinkern, jene souveräne Ruhe im öffentlichen Raum zurück, "die seit jeher eine seiner eminenten Qualitäten war".

Der Architekt, emeritierter Professor an der ETH Zürich und Städtebautheoretiker, 1951 in Rom geboren, hat mit seiner Studie "Die Stadt im 20. Jahrhundert" (2010 bei Wagenbach) einen Klassiker geschrieben, nicht nur für Architekturhistoriker. Von ihm stammt der Satz: "Architektur und Stadt können keine Wegwerfprodukte sein; sie müssen dauern." Und das gilt bei Lampugnani auch für die unscheinbaren Details wie Mülleimer, Poller, Sitzbänke, Kioske oder Stadtuhren, deren Geschichte er sprachlich gewandt nachzeichnet.

Gerade diese kleinen Dinge sind es, glaubt er, an denen man die Ästhetik einer Stadt, das unverwechselbare Flair jenseits ihrer Wahrzeichen erkennt. Ohne sie wäre der Stadtraum ein anderer. Man denke nur an den Bedeutungsverlust von Wasserpumpen, die ihre hygienische und auch soziale Funktion mit dem Aufkommen der Wasserleitungen verloren. Oder das Verschwinden der roten Telefonzellen in London. Dass die Berliner Fernsprecher in den zwanziger Jahren an ihrer Hinterseite Briefmarken und Postkarten "spendeten", ist heute ohnehin nur noch als ein Kuriosum aussterbender Kulturtechniken abgespeichert.

Zweiundzwanzig bedeutsame Belanglosigkeiten" listet der akribische Flaneur auf, durchleuchtet die Etappen ihrer Entstehung und spannt den Bogen bis in die Gegenwart, die aus Kostengründen das Fortbestehen dieser "Mikroarchitekturen" gefährdet. Nicht so die öffentliche Toilette. Selbstverständlich nimmt Lampugnani auch diese Institution ins Visier, die im neunzehnten Jahrhundert Architekten veritable Pavillons mit allem Komfort entwerfen ließ, darunter auch das Berliner "Café Achteck", das zum Treffpunkt von Homosexuellen avancierte.

Anekdotenreichtum und ein bewundernswert weit verzweigtes Wissen gehen in dieser Anleitung zum bewussten Stadtstreunen Hand in Hand. Dass Karl Phillipp Moritz etwa die neapolitanischen Stadträume mit Wohnräumen verglich und Goethe den Bodenbelag aus schwarzen Lava-Steinen schätzte, dürfte beim nächsten Besuch der Stadt am Vesuv eine andere Blickrichtung bescheren.

Und weil das Auge immer mitspaziert, garniert Lampugnani seine Exkursionen mit Abbildungen von alten Stichen, Skizzen und Postkarten. Beim Stichwort "Schaufenster" ist es der Maler August Macke, der mit dem Gemälde "Frau mit Sonnenschirm vor Hutladen" in das Jahr 1914 entführt. Die "Reklame" illustriert eine Fotografie von Erich Mendelsohns "Kaufhaus Schocken". Man kann sich nicht zuletzt auch an dieser zeitlich hin und her springenden visuellen Schatztruhe nicht sattsehen.

ALEXANDRA WACH

Vittorio Magnago

Lampugnani: "Bedeutsame Belanglosigkeiten". Kleine Dinge im Stadtraum.

Wagenbach Verlag,

Berlin 2019.

192 S., Abb., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2020

Flanieren über
Schweinebäuche
Vittorio Magnano Lampugnanis Buch
„Bedeutsame Belanglosigkeiten“ verändert den Blick
auf die Stadt und ihre kleinen Dinge
VON PETER RICHTER
Dies ist eins von den Büchern, die dafür sorgen, dass man nach der Lektüre mit anderen Augen durch die Welt geht, sofern diese Welt eine Stadt ist und in Europa liegt. Laternen, Haltestellen, Kioske, Briefkästen, Gullydeckel oder von einparkenden Autos aus dem Lot gedrückte Poller: Nichts, was wie selbstverständlich und immer schon im Stadtbild steht, steht da wirklich selbstverständlich und immer schon. Alles hat einen Grund und eine Funktion und eine Geschichte, die manchmal mehr über die Stadt und die Menschen darin erzählen kann als ihre großen und bedeutenden Bauten. Denn die stammen oft genug von großen und bedeutenden Baumeistern, die auch anderswo Großes und Bedeutendes errichtet haben. Die Kleinigkeiten und Details aber sind erstaunlich spezifisch und distinkt.
Kaum einer könnte vor einer beliebigen Säulenfront oder einer Glasfassade wirklich auf Anhieb sagen, ob die in Mailand, Paris, Wien oder Berlin steht. Aber jeder weiß zum Beispiel auf Anhieb, dass er nur in Paris sein kann, sobald er Metroeingänge sieht, die so tun als wären sie gusseiserne Blumengestecke. Meist sagen Form und Typografie der Straßenschilder schon alles. In Berlin reicht sogar nur der Blick aufs Pflaster. Denn den „bedeutsamen Belanglosigkeiten“, über die Vittorio Magnano Lampugnani hier schreibt, entkommt man danach nicht einmal mehr dann, wenn man bei einem Gang durch Berlin den Blick stur auf den Boden richtet.
Wer einmal weiß, dass die breiten Platten aus Granit in der Mitte des Bürgersteigs auch den Namen „Schweinebäuche“ tragen, bekommt das nur schwer wieder aus dem Kopf. Er weiß dann nämlich nicht nur, dass unter diesen auf der Unterseite bauchig geformten Platten frostsicher die Wasserleitungen liegen, und unter den leichter zu entnehmenden Pflastersteinen straßenseitig davon die Gas- und die Elektroleitungen. Die ganze komplexe Geschichte des Straßenpflasters einschließlich seiner Rolle als Wurfwaffe bei Demonstrationen liegt da unten vor einem, von der Frage einmal ganz zu schweigen, wo der berühmte Strich verläuft, auf den früher die sogenannten Bordsteinschwalben gingen.
Oder die Frage, warum es überhaupt Bürgersteig heißt. Eine ganze Geschichte der bürgerlichen Stadt mit ihren Prätentionen und Abgründen liegt dann auf einmal vor einem auf dem Boden, wo es nicht zuletzt auch die runden Schachtdeckel gibt, die oft mit einem numismatischen Aufwand gestaltet sind, als wären es in den Boden eingelassene Münzen. Und schließlich hilft es vielleicht auch zu wissen, dass die Bürgersteige in Berlin zu zwei Dritteln aus der damals neu eingeführten Hundesteuer finanziert wurden. Denn der sich in Berlin bekanntermaßen daraus bis heute ableitende Brauch, die Bürgersteige prominent und gern auch mittig mit Hundehaufen zu bestücken, ist ja einer der wesentlichen Gründe, warum man den Blick hier besser nach unten richtet. So erspart man sich zwar Malheurs, geht aber dafür beispielsweise viel zu achtlos an den vielen Wasserpumpen vorbei, die es ja in so gut wie jeder Berliner Innenstadtstraße noch gibt. Sollte sich verkehrspolitisch einmal ein Comeback der Reitpferde und Kutschen ergeben: Die deutsche Hauptstadt wäre jedenfalls immer noch gerüstet.
Vittorio Magnano Lampugnani hat sich als Architekturhistoriker einen Namen mit tiefen Blicken in die Geschichte der spezifisch europäischen Stadt gemacht, weshalb seine Beispiele auch vorwiegend aus Städten wie Rom, Mailand, London, Paris, Wien oder eben Berlin stammen. Es ist immer noch – oder noch einmal – die Stadterfahrung des klassischen Flaneurs, die er feiert, des Fußgängers mit Muße für die Erfassung der Kleinigkeiten. Für alles ab dem Moment, in dem die großen und die kleinen Architekturen der Stadt zunehmend auch auf die Wahrnehmung des Automobilisten umgestellt wurden, empfiehlt sich aus dem gleichen Verlag die materialikonologische Stadtstudie von Monika Wagner „Marmor und Asphalt“ über die „sozialen Oberflächen Berlins.“
Was sich bei Lampugnani fußläufig ansammelt ist aber streckenweise ebenfalls nicht weniger als eine Ikonologie des städtischen Lebens, die das Vertraute durch historische Unterfütterung ein bisschen weniger harmlos macht als es auf den ersten Blick scheint. Dass mit dem beliebten DDR-Ampelmännchen ausgerechnet ein stramm nach links marschierender Miniatur-Honecker den Siegeszug auch über Westberliner Straßen angetreten hat, ist dabei nur eine Volte.
Zu wissen, dass sich sowohl die Ausstattung der Straßen mit Namen als auch die der Häuser mit Nummern fast überall den Zugriffsinteressen der Steuer- und Militärbehörden verdankte, tröstet dann fast schon wieder darüber hinweg, dass sie in Berlin zwei verschiedene Nummerierungs-Systeme so kombiniert haben, dass man vorher nie sicher weiß, ob einen gegenüber der Hausnummer 1 die Hausnummer 2 erwartet oder die 278. Warum welche Nummeriersysteme in welcher Stadt in welche Richtung zur Anwendung kamen, warum die Straßenprofile erst konvex waren, bevor sie konkav wurden, dass die frühen Abfalltonnen der Pariser auch eine frühe Mülltrennung vorsahen (und zwar in Glas, Essensreste sowie Austernschalen), dass die nach dem Krieg überall gebauten Trinkhallen ähnlich wie die Hotdog-Stände in den USA vornehmlich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Kriegsveteranen waren, dass der Kiosk aus dem Persischen kommt und die Reklame vom italienischen Wort für „widersprechen“: Das mögen alles Fragen sein, die man sich selten oder nie gestellt hat, deren Antworten aber umso mehr bereichern.
Es ist bei all der Fülle der Dinge, die es in den Blick nimmt, natürlich auch ein melancholisches Buch, denn beschrieben wird wesentlich eine Welt im Verschwinden. Die Litfaßsäulen, deren Aufkommen es behandelt, werden in Berlin gerade überall abgebaut. Die Telefonzellen, von denen man lernt dass sie in England nach dem Vorbild der Grabanlage von Sir John Soane gestaltet waren, sind schon seit längerem verschwunden. Nachdem ihr freundliches Butterblumengelb in Deutschland vom kahlen Magenta-Grau der Telekom abgelöst worden war, fiel der Verlust zumindest nicht mehr ganz so schwer.
Lampugnani wäre sicher der letzte den man als Anwalt der autogerechten Stadt der Hochmoderne heranziehen könnte. Aber die Art von Stadtmodernisierung, die hinter die Funktionstrennungen der Moderne zurück will, kann auch und gerade dem passionierten Flaneur nicht geheuer sein: „Paradoxerweise bedrohen ausgerechnet jene Bereiche, in denen ein friedliches Miteinander von Fahrzeugen und Fußgängern angestrebt wird, die Existenz der Bürgersteige.“ Und: „Damit aber geht dem Fußgänger eine Zone verloren, in der er sich vorbehaltlos und auch symbolisch sicher fühlen kann.“
Vittorio Magnano Lampugnani: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 192 Seiten mit vielen Abbildungen, 30 Euro.
Es ist auch ein melancholisches
Buch, denn beschrieben wird
eine Welt im Verschwinden
In Kalkstein graviert: Ein Straßenschild in Paris.
Foto: Alamy Stock
Mehr als neunzig Bedürfnisanstalten und etwa 1800 Pissoirs gab es um 1900 in Berlin, so wie „Café Achteck“ am Chamissoplatz (oben).
Poller, schreibt Vittorio Magnago Lampugnani, sollten die Stadt, ihren Charakter, ihre Kultur bereichern. Tun dies diese Stahlbügel zum Fußgängerschutz in Mailand?

Fotos: Martin Prskawetz (oben) Vittorio Magnano Lampugnani/Wagenbach Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr