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Unser Körper ist eine ganze Welt: Billionen Mikroorganismen bevölkern ihn. Sie gestalten unsere Organe mit, schützen uns vor Krankheiten, steuern unser Verhalten und bombardieren uns mit ihren Genen. Diese winzigen Gefährten verfügen über den Schlüssel zum Verständnis für das gesamte Leben auf der Erde, wie es begann, wie es sich fortentwickelte.Ed Yong öffnet uns die Augen für diese unsichtbare Welt. Er erzählt von den erstaunlichen Symbiosen, die Korallen dazu bewegen, mächtige Riffe zu bauen, oder es Zwergtintenfischen ermöglichen, ihre eigenen Umrisse mit einem diffusen Licht zu tarnen, um…mehr

Produktbeschreibung
Unser Körper ist eine ganze Welt: Billionen Mikroorganismen bevölkern ihn. Sie gestalten unsere Organe mit, schützen uns vor Krankheiten, steuern unser Verhalten und bombardieren uns mit ihren Genen. Diese winzigen Gefährten verfügen über den Schlüssel zum Verständnis für das gesamte Leben auf der Erde, wie es begann, wie es sich fortentwickelte.Ed Yong öffnet uns die Augen für diese unsichtbare Welt. Er erzählt von den erstaunlichen Symbiosen, die Korallen dazu bewegen, mächtige Riffe zu bauen, oder es Zwergtintenfischen ermöglichen, ihre eigenen Umrisse mit einem diffusen Licht zu tarnen, um sich vor Jägern zu schützen. Wir erfahren, wie Mikroben Viren in Schach halten, Einfluss auf unsere Emotionen und unser Wesen nehmen und sogar unsere genetische Veranlagung verändern können. Wir lernen die Wissenschaftler kennen, die mit ansteckender Begeisterung diese winzigen Begleitererforschen - sehr zu unserem Nutzen. Mit überraschendem Witz, großer Kenntnis und Anschaulichkeit lässt Ed Yong auf dieser Entdeckungsreise in den Kosmos der Mikrobiologie das Unsichtbare und Winzige sichtbar und groß werden.
Autorenporträt
Ed Yong, geb. 1981, ist Wissenschaftsjournalist und schreibt für The Atlantic. Seine Artikel und Reportagen sind außerdem u.a. im National Geographic, New Yorker, Wired, Nature, New Scientist, Scientific American erschienen. Der New York Times-Bestseller Winzige Gefärten ist sein erstes Buch. Er lebt derzeit in Washington DC.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.06.2018

Natur ist kein Co-Working-Space
Populäre Wissenschaftsbücher lesen sich oft wie politische Plädoyers. Ed Yongs Buch
„Winzige Gefährten“ aber handelt auf erfreuliche Weise einfach nur von Bakterien
VON BIRTHE MÜHLHOFF
Kaum größer als der Punkt am Ende des Satzes: So klein ist die Spinnmilbe. Trotzdem richtet das Tierchen weltweit großen landwirtschaftlichen Schaden an, weil die meisten Pestizide gegen diesen Schädling wirkungslos sind. Für die Wissenschaft ist die Spinnmilbe aber noch aus einem anderen Grund besonders interessant: Viele Pflanzen schütten Blausäure aus, wenn sie angeknabbert werden, ein klassischer Abwehrmechanismus. Die Spinnmilbe aber kann das wegstecken, und lange wusste man nicht, wie sie das macht. Blausäure wird in der Regel durch ein Enzym unschädlich gemacht, das von Bakterien erzeugt wird. Man sollte also meinen, dass die Spinnmilbe mit einem Bakterium in Symbiose lebt, das bei der Verdauung von blausäurehaltigen Pflanzen mitwirkt. Eine ganze Reihe von Schädlingen macht das so.
Im Falle der Spinnmilbe aber ist es, und damit sind wir mittendrin im Thema „Symbiose”, noch viel vertrackter. Man fand heraus, dass die Spinnmilbe, statt Bakterien gegen Kost und Logis in ihrem Verdauungstrakt mit der Enzymherstellung zu beschäftigen, die Spinnmilbe das Enzym selbst herstellen kann – das entsprechende Bakterien-Gen wurde vor Urzeiten in ihre DNA eingebaut, als Relikt aus einer symbiotischen Beziehung, aus der das Bakterium schließlich verschwand. Oder wegrationalisiert wurde. Als es sein Gen an die Spinnmilbe abtrat, verlor es für diese wohl auch sämtlichen Nutzen.
Das Beispiel der Spinnmilbe führt der britische Wissenschaftsjournalist Ed Yong in seinem Buch „Winzige Gefährten“ an. Es zeigt, dass man sich symbiotische Lebensverhältnisse in der Natur komplizierter vorstellen muss als eine hippieske Partnerschaft, in der sich alle wunderbar ergänzen und wechselseitig am Leben halten. Symbiose, so positiv das Wort klingen mag, ist immer auch Konflikt, schreibt Yong.
Die Versuchung ist groß, das Buch hier als gesellschaftspolitische Analogie zu lesen, als Plädoyer für klare Hierarchien und Unterscheidungen, als Essay über die Frage, wer wem wie genau etwas nützt oder ob man den blinden Passagier getrost über Bord werfen kann, wenn er nichts anzubieten hat. Populäre Wissenschaftsbücher bieten diese gesellschaftspolitische Lesart neuerdings gern an. Es geht immer auch um Fragen wie: Was heißt das: zusammenleben? Wie soll das aussehen, Gesellschaft? In seinem Überraschungserfolg „Das geheime Leben der Bäume“ beschreibt Peter Wohlleben, wie Bäume, unterirdisch durch das Myzel von Pilzen verbunden, miteinander kommunizieren, Freundschaften pflegen und andere Bäume – bevorzugt aber die eigenen Artgenossen – mit nährstoffreichen Solidaritätszuschlägen unterstützen.
Stadtbäume bezeichnet Peter Wohlleben als „Straßenkinder“. Sie stopfen sich in der prallen Sonne per Fotosynthese mit Süßigkeiten voll und gehen hoffnungslos unvernünftig mit ihrer Energie um. „Falls Sie nicht bemerkt haben: diese Bäume haben dieselben Probleme wie Junkies und Penner“ kommentierte der Rezensent Jedediah Purdy in der New Yorker Zeitschrift n+1. „Es ist gar nicht so leicht zu sagen, welche politische Haltung dahintersteckt: eine christdemokratische oder neoliberale?“
Auch in einem Buch des australischen Wissenschaftsphilosophen Peter Godfrey-Smith, das demnächst bei Matthes & Seitz auf Deutsch erscheint, ist die Frage des Zusammenlebens zentral. Warum haben die Oktopusse und Tintenfische, die ähnlich viele Neuronen besitzen wie Menschen – das Buch trägt im Original den Titel „Other Minds“ –, keine Zivilisation entwickelt? Antwort: Weil ihr Leben zu kurz ist und sie als Einzelgänger leben. Wer auf eigene Faust durch die Weiten des Ozeans streift, mag noch so clever sein – das einmal erworbene Wissen kann er schwerlich weitergeben.
Man könnte nun fragen: Was für eine politische Haltung steckt im Buch von Ed Yong? Eine realpolitische, in der Gut und Böse situationsabhängig sind, weil es eben kompliziert ist? Oder eine postfaktische, in der Gut und Böse als Kategorien gleich ganz über Bord geworfen werden? Yong will aber auf etwas anderes hinaus: Die Vielgestaltigkeit und stete Veränderlichkeit symbiotischer Beziehungen führt dazu, dass Begrifflichkeiten wie „Wirt“, „Parasit“ oder „Mutualist“ für eine festgelegte Identität nicht taugen. „Eigentlich sind sie keine Substantive, sondern Adjektive und Verben: Sie beschreiben, in welchem Verhältnis zwei Partner zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort zueinander stehen.“ Auch das gehört zur Komplexität des symbiotischen Lebens hinzu: Eindeutig gute und schlechte, nützliche und unnütze Akteure gibt es nicht. So sehr fokussiert sich das Buch auf die Frage des Zusammenlebens, dass man darüber, wie man sich Bakterien eigentlich vorstellen muss, gar nicht so viel erfährt. Wie genau ein Lebewesen also aussieht, das nur aus einer oder aus wenigen Zellen besteht, muss man sich trotz des Bildmaterials woanders anschauen. Andererseits: Ausführlich beschreibt Yong, warum es auch für Wissenschaftler heute gar nicht mehr notwendig ist, die Gestalt der verschiedenen Bakterienarten zu untersuchen. Um zu bestimmen, um welches Bakterium es sich bei einem Exemplar handelt, oder um neue Stämme zu entdecken, müssen sie sich mit der aufwendigen Morphologie nicht länger aufhalten.
Seit der Entwicklung der Gen-Sequenzierung in den Nullerjahren lässt sich gleich an der DNA ablesen, mit welchen Exemplaren man es zu tun hat, und beobachten, wie sich ein Stamm Bakterien verändert. Das kann, wie die Resistenz gegen Antibiotika zeigt, rasend schnell vonstatten gehen. Wird die genetische Information beim Menschen nur vertikal vererbt (von den Eltern zu den Kindern), können Bakterien ihre DNA auch horizontal untereinander austauschen. „Sex“ bei Bakterien ist also eine noch etwas intimere Angelegenheit als beim Menschen. Statt Körperflüssigkeiten werden quasi gleich ganze Persönlichkeitsmerkmale ausgetauscht.
Und: Ihre DNA lässt sich auch zielgerichtet verändern. In jüngster Zeit wurden Bakterien von Forschern erstmals so genetisch umprogrammiert, dass man sie zur Bekämpfung anderer Bakterien und Krankheitserreger im wahrsten Sinne des Wortes „ins Feld führen“ kann. Beängstigend findet Ed Yong diese neuen Ansätze in der Medizin nicht, sind doch Medikamente, die auf den gesamten Körper wirken, regelrechte Kahlschlagmethoden dagegen. Trotzdem haben Bakterien immer noch ein schlechtes Standing. Seit ihrer Entdeckung mithilfe des Mikroskops wurden unsere „winzigen Gefährten“ vor allem als „winzige Gefahren“ wahrgenommen, weil einige Arten Krankheiten auslösen, darunter die Pest, Malaria und Tuberkulose.
Insgesamt aber gibt es weniger als hundert Bakterienarten, die dem Menschen gefährlich werden können, während allein in unserem Darm viele Tausende Arten leben, die im Normalfall vollkommen harmlos sind. Im Normalfall. Wenn die Symbiose in Unordnung gerät – eine Dysbiose entsteht –, kann auch das zu Krankheiten führen. Aus „nützlichen“ Bakterien werden gefährliche, wenn sie am falschen Ort oder in zu großer Anzahl vorkommen.
In dem Buch steckt vor allem die Sorge, dass es politisch gelesen werden könnte. Ein Buch über Symbiose passt gut in unsere Zeit, in der das gesellschaftlichen Zusammenleben zumindest in den USA eindeutig in einer Krise steckt. Was im American Dream radikaler Individualismus hieß, sieht heute eher aus wie radikale Vereinzelung, wovon die „Incels“ nur das jüngste irrsinnige Phänomen sind. So vorsichtig und detailliert Ed Yong also über Labore, Forschungsergebnisse und faszinierende Wissenschaftler berichtet, so verfriemelt und zusammengesucht wirkt das Buch dann aber auch. Gesellschaftliche Großthesen gibt es hier nicht, dafür lernt man einfach nur erfreulich viel. Ganz gleich, ob man sich für die Wirksamkeit von probiotischem Joghurt interessiert oder für neue Aspekte in der Evolutionstheorie.
Ed Yong: Winzige Gefährten. Wie Mikroben uns eine umfassendere Ansicht vom Leben vermitteln. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. 443 S., 28 Euro.
Symbiose klingt rundum positiv,
bedeutet in der Natur aber
immer auch Konflikt
Seit es die Gen-Sequenzierung
gibt, kann man Veränderungen
direkt in der DNA ablesen
Von der Natur können wir vieles lernen. Wie wir unser gesellschaftliches Zusammenleben organisieren, jedoch eher nicht.
Foto: Dr. Arthur Siegelman/Visuals
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Birthe Mühlhoff lernt viel mit dem Buch des Wissenschaftsjournalisten Ed Yong. Auch wenn es dem Autor nicht so sehr um die Gestalt von Bakterien geht und er keine Großthesen vorstellt, sondern eher detailliert gefasstes Kleinteiliges zum Thema, kann die Rezensentin folgen. Über die tatsächliche Komplexität von Symbiosen in der Natur erfährt sie Wissenswertes, ohne nach einer politischen Botschaft hinter der Darstellung schielen zu müssen. Dem Autor, so Mühlhoff, geht es um etwas anderes. Um die Vielgestaltigkeit und Veränderbarkeit symbiotischer Beziehungen nämlich, die den Begriff der Identität in diesem Kontext fragwürdig erscheinen lassen. Symbiose ist immer auch Konflikt, lernt sie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2018

Kann es wirklich sein, dass sie alles mitbestimmen?

Goldrausch im wilden Gewimmel der Keime: Ed Yong taucht in die Welt der Mikroben ein und beschreibt sie als Quertreiber und Architekten unseres Daseins.

Die erste Reaktion ist - hört das denn gar nicht auf? Muss man Mikroben unbedingt auch noch ins Herz schließen, wo sie im Darm als "Superorganismus" schon gefühlt Jahrzehnte ihren Charme spielen lassen? Müssen wir es wirklich ertragen, wenn Autoren wie der junge Brite Ed Yong, die vollständig auf dem Fundament der aktuellen Forschung stehen, uns Kapitel über Kapitel vom "Lieblingsbakterium" vorschwärmen und die Herrschaftsstrategien der Mikroben über die lebendige Welt zum evolutionären, quasidarwinistischen Paradigma der Lebenswissenschaften stilisieren?

Die Antwort ist: Ja, sehr wohl, die Beschäftigung mit dem Mikrobiom-Hype ist alles, nur keine verschwendete Zeit. Und das gilt nicht nur für den sensiblen, am besten erforschten Bereich, wo es um unsere Gesundheit geht, sondern eben auch weit darüber hinaus. Ed Yong ist ein bekennender Mikrobenbewunderer, der die Erkenntnisse der mikrobiellen Forschung der letzten beiden Dekaden als pars pro toto nennt und ganz weit ausholt: "Es ist an der Zeit, im Großen zu denken."

Die Zahlen und Fakten, die dafür stehen, sind in der Tat atemberaubend. Viele mögen zuerst an die Billionen von Bakterien denken, die unseren Körper besiedeln, drinnen im Darm und den Schleimhäuten und draußen auf der Haut, wo sie zusammengenommen die Zahl unserer sehr viel größeren Körperzellen weit übersteigen. Kiloweise Keime, die unseren Körper ausfüllen und zusammenhalten - buchstäblich nicht nur bauen, sondern auch am Laufen halten. Oder eben nicht, sollte das Mikrobiom gestört sein.

Hunderte von wissenschaftlichen Publikationen haben wir in den vergangenen Jahren gelesen und Tausende übersehen, die diese physiologischen und medizinischen Mirakel des Zusammenwirkens mit diesen mikroskopischen Existenzen zu erklären versuchen.

Wir können, wie Ed Yong im ersten Teil seines Buches ausführlich und hochaktuell darlegt, die unterschiedlichen Körper-Geist- und Mikroben-Achsen bis in molekulare Details verfolgen. Aber schon in diesem höchst alltagsrelevanten Teil, in dem er etwa die mutmaßliche Bedeutung von Probiotika für Krankheiten - Autismus beispielsweise - ebenso wie für unsere Gesunderhaltung beschreibt, wird eines deutlich: Noch immer stecken wir ganz früh in der Sammelphase der Mikrobenjäger fest. Es wirkt wie ein Goldrausch im wilden Gewimmel der Keime, die uns genauso Freund wie sie uns Feind sind. Man könnte an dieser Dutzende, ja Hunderte Beispiele für diese Mikrobeneuphorie aufzählen, die Ed Yong sehr lebendig und entlang der großen und kleinen Entdeckergeschichten aufschreibt. Man bleibt dennoch oft im Staunen stecken. Kann es wirklich sein, dass die Mikroben alles mitbestimmen - Yong spricht oft gar vom "Steuern" der Lebensprozesse: von der Entwicklung unseres Gehirns bis zu der Wirkung oder eben dem Versagen von Medikamenten und Nahrungsmitteln?

Die empirischen Belege dafür sind in der Breite noch dünn, und dennoch: Genau so interpretiert der in Washington lebende Wissenschaftsjournalist den Strom an Daten und Befunden, die aus den Laboren an die Öffentlichkeit dringen. Es ist kein Fetisch für eine Organismengruppe, die Yong offensichtlich antreibt, vielmehr eine Euphorie, wie man sie vor sechzig Jahren in der Molekularbiologie und vor dreißig oder vierzig Jahren durch den Aufbruch ins ökologische Zeitalter spüren konnte: die Erkenntnis nämlich, dass hinter den vermeintlich einfachen linearen Verkettungen in der Natur, ein komplexes, hochdynamisches und für Überraschungen immer wieder gutes Netzwerk steckt, das für sein Funktionieren viele Mitspieler braucht. Für Yong heißt das, kurz gesagt: Bazillen sind die Quertreiber und Architekten unseres Daseins.

Zu den Überraschungsfunden hat die Mikrobiologie in der Tat eine ganze Menge beigetragen. Yong ist da auch nicht kleinlich in seinen Bewertungen. Er freut sich mit den Forschern diebisch, dass aus der "Hinterhofwissenschaft" eine Art Reise zum "Mittelpunkt des Universums" wird. Menschliche Seinsfragen inklusive. "Wie können wir angesichts dessen, was wir wissen, überhaupt ein Individuum definieren?", fragt Yong eingedenk der Masse und Macht, die Mikroben auf die Körper sämtlicher Lebewesen und deren Verhalten - und eben auch auf unseren Geist - ausüben. Anatomisch betrachtet, jedenfalls sind Mikroben nicht bloß Trittbrettfahrer, sie sind nicht nur parasitisch oder symbiotisch unterwegs, sie sind in den Augen des Autors schlichtweg konstitutiv für das gelingende Leben. Wir teilen nicht nur den Raum mit ihnen, sie sind gewissermaßen wir selbst.

Solche Interpretation kann man geistesgeschichtlich als philosophisches Dilettieren ignorieren, man kann darüber ebenso hinwegsehen, wie man über die unbestreitbar mächtige Rolle der Gene für das menschliche Verhalten gerne hinwegsieht, weil man die Freiheit unseres Willens, unser Schöpfertum oder unsere moralische Überlegenheit zu schützen vorgibt. Doch wäre es fatal, die Konsequenzen der Mikrobiomforschung für die Zukunft damit gleichzeitig zu unterschätzen. Oder sie auch nur kleinzureden, weil es vermeintlich um natürliche Gleichgewichte, um Lebensvielfalt in Parallelwelten oder um mikrobielle Stabilität und Ökoschwärmerei geht.

Nein, Yong hat durchaus einen entscheidenden Punkt. Sein Ansatz, die zentrale Rolle des Mikrobioms für das Leben auf diesem Planeten auf die Größe eines darwinistischen Paradigmenwechsels aufzublasen, trifft nämlich einen harten humanen Kern, der in anderen Büchern zum Thema selten so klar - amerikanisch explizit - vorkommt: Mit den Mikroben, die nie nur gut und nie nur böse sein können, kommt eine grundsätzlich neue, jedenfalls übersehene soziale wie biotechnologische Komponente in unsere Lebens- und Umweltgestaltung.

Die Architektur ist so ein Beispiel: In dem Kapitel über die Welt von morgen beschreibt Yong, wie er sich die nicht mehr von fatalen Zufällen geprägte Koexistenz zwischen Mensch und Mikrobe vorstellen könnte - oder wie sie inzwischen einflussreiche Leute wie der chinesischstämmige Ingenieur Luke Leung propagieren. Leung hat als Ingenieur unter anderem den Burj-Khalifa-Turm in Dubai, das höchste Gebäude der Welt, und den Finanzdistrikt von Peking gestaltet.

Seit er den Mikrobiologen Jack Gilbert aus Chicago kennengelernt hat, entwirft er Pläne, Mikroben gezielt in die Häuser auszusäen. Und nicht nur Häuser: auch Krankenhäuser, Betriebe, Studentenwohnheime. Man ahnt, wohin das gehen soll: Reißt die Fenster auf, lasset der Natur ihren Lauf, weg mit Domestos. Yong berichtet von Mikrobiom-Initiativen, die sich inzwischen länderübergreifend gebildet haben und einen mikrobiologischen Perspektivwechsel einfordern.

Sein wissenschaftliches Gespür ist ausgeprägt genug, auf die Lückenhaftigkeit hinzuweisen, mit der die mikrobielle Steuerung der Umwelt begründet wird. Vielleicht kann man ihm vorwerfen, zu wenig Material zusammenzutragen, um auf die Risiken großskaliger Eingriffe und die Vorläufigkeit der bisherigen Erkenntnisse hinzuweisen. Andererseits findet man wenige fundierte Autoren, die sich wie er auf den Flügeln der Begeisterung für die Mikrobenjagd so weit, nämlich rund um die Welt und quer durch sämtliche Wissenschaftsdisziplinen, tragen lassen.

JOACHIM MÜLLER-JUNG

Ed Yong: "Winzige Gefährten". Wie Mikroben uns eine umfassendere Ansicht vom Leben vemitteln.

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Antje Kunstmann Verlag, München 2018.

448 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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