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Die deutsche Vergangenheit vor Gericht
Im Winter 1963 begann vor den Augen der Weltöffentlichkeit der erste Auschwitz-Prozess, die größte und wichtigste juristische Aufarbeitung des Holocaust. Devin Pendas erzählt auf Basis umfangreicher Quellenforschung die Geschichte dieses Verfahrens, das die Öffentlichkeit spaltete und bei dem nicht nur 22 NS-Täter, sondern auch die deutsche Vergangenheit vor Gericht standen.
Viele Jahre mussten vergehen, bis eine deutsche Staatsanwaltschaft nach dem Krieg erstmals umfassende Ermittlungen gegen die Verbrechen einleitete, die im Vernichtungslager
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Produktbeschreibung
Die deutsche Vergangenheit vor Gericht

Im Winter 1963 begann vor den Augen der Weltöffentlichkeit der erste Auschwitz-Prozess, die größte und wichtigste juristische Aufarbeitung des Holocaust. Devin Pendas erzählt auf Basis umfangreicher Quellenforschung die Geschichte dieses Verfahrens, das die Öffentlichkeit spaltete und bei dem nicht nur 22 NS-Täter, sondern auch die deutsche Vergangenheit vor Gericht standen.

Viele Jahre mussten vergehen, bis eine deutsche Staatsanwaltschaft nach dem Krieg erstmals umfassende Ermittlungen gegen die Verbrechen einleitete, die im Vernichtungslager Auschwitz begangen worden waren. Es sollte der größte Strafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte werden. Angeklagt waren SS-Ärzte und Lager-Aufseher. Hunderte von Zeugen wurden vernommen. Verhandelt wurde auch über die Unterstützung Hitlers durch weite Kreise der deutschen Bevölkerung, über Verdrängen und Erinnern - und nicht zuletzt über das schwierige Leben derjenigen, die den Holocaust überlebt hatten.

Devin Pendas zeigt, wie die bundesdeutsche Gesellschaft in diesem Prozess mit dem Holocaust konfrontiert wurde. Sein Buch berichtet eindrücklich aus dem Frankfurter Schwurgerichtssaal, Täter wie Opfer erhalten durch seine detailreiche Darstellung ein Gesicht. Ein Stück deutscher Geschichte, bei dem das Recht an seine Grenzen stieß.

Autorenporträt
Devin O. Pendas ist Professor für Geschichte am Boston College. Seine Forschungsschwerpunkte sind deutsche Geschichte, Rechtsgeschichte und die Geschichte von Kriegen und Völkermord. In zahlreichen Publikationen hat er sich mit den Prozessen gegen NS-Täter und der juristischen Aufarbeitung von Massenverbrechen auseinandergesetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2013

Von Erbsenzählern und Pflichtmenschen
Der Auschwitz-Prozess war eine Sternstunde der Aufklärung, doch Devin Pendas sieht vor allem Fehler
George Preston aus Delaware, einst als Jude in Auschwitz inhaftiert, nutzt seine Chance, um im Zeugenstand vorzuführen, wie er damals behandelt wurde. Er erhebt sich, geht ein paar Schritte, stellt sich vor den Angeklagten. Das Jackett ist geöffnet, die Daumen hat er unter die Weste geschoben. „Du fettes Schwein“, sagt er, den Angeklagten nachäffend.
  Der Angeklagte Emil Bednarek erstarrt darauf „wie unter einem Keulenschlag“, wie der Gerichtsreporter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , Bernd Naumann, am 5. März 1965 notiert, „klein, geduckt, gedemütigt, wortlos“. Noch einmal wendet sich der Zeuge dem Angeklagten zu, einem ordinären Schläger, von dem es im Urteil später heißen wird, er habe in Auschwitz eine „unnatürliche Freude“ am Töten entwickelt, und noch einmal spricht er dessen zwanzig Jahre alten Satz laut nach: „Du fettes Schwein.“
  Theater? Nein, das war kein Theater. Das Drama, das da vor riesigem Publikum in Frankfurt am Main gegeben wurde, war echt, mitsamt allen qualvollen Tiefpunkten. Aber es wurde auf einer großen und, zumindest für die Verhältnisse der deutschen Justiz, auch durchaus theatralischen Bühne gezeigt: Als der Vorhang aufging am 20. Dezember 1963, da präsentierten die Staatsanwälte eine Gruppe von nicht weniger als zwanzig Auschwitz-Angeklagten, repräsentativ ausgewählt für das gesamte System des Vernichtungslagers, angefangen beim mächtigen SS-Lageradjutanten Robert Mulka und bis hinunter zu einem Häftlings-Kapo.
  Eingeladen war die Weltpresse, und sie kam zahlreich, in einen 120 Meter langen Saal, der eigens gemietet worden war. Zur gleichen Zeit präsentierten die Ankläger ihre Ermittlungen auch noch in Form einer Ausstellung in der Paulskirche. Sie versorgten Schriftsteller und Theatermacher mit Material. Sie gingen im großen Stil an die Öffentlichkeit, zu einer Zeit, als andere Staatsanwälte in Deutschland sich bloß im Kleinen zu NS-Prozessen drängen ließen, wenn überhaupt.
  Es hat wohl erst dieser großspurigen Inszenierung bedurft, um die Deutschen zum Hinsehen zu zwingen. Die Sechzigerjahre: Das war ja die Zeit, als die Verdrängung der Vergangenheit fast schon als abgeschlossen galt, der Blick war starr nach vorn gerichtet. Der Auschwitz-Prozess mit all seinem Drama war dann für niemanden zu übersehen, das war das Verdienst der Ankläger, und das trug dazu bei, dass doch noch etwas in Bewegung geriet in dem Land: Kinder konfrontierten ihre Eltern, Studenten ihre Professoren. Der in Boston lehrende Historiker Devin O. Pendas hat die Geschichte dieses Prozesses in seinem 2006 erschienenen Buch „Der Auschwitz-Prozess“ dokumentiert. Jetzt ist die deutsche Übersetzung erschienen.
  Pendas versucht etwas Ambitioniertes. Sein Blick richtet sich nicht nur auf die Juristen, die Auschwitz vor Gericht brachten, sondern auch auf die Zeitungsleute, die Politiker, die Zeugen: Alles, was da in der westdeutschen Gesellschaft aufplatzte Mitte der Sechzigerjahre, ist sein Thema. Die juristischen Aspekte beschäftigen den Autor durchaus ausführlich. Durch das Hin- und Herübersetzen zwischen Deutsch und Englisch sind die betreffenden Passagen leider nicht eingängiger geworden. So wurde beispielsweise aus der schlichten deutschen „Rückwirkung“ jetzt das umständliche Wort „Ex-post-facto-Wirkung“. Die deutschen Kriminalkommissare laufen nach der Rückübersetzung aus dem Englischen jetzt unter der falschen, aber coolen Bezeichnung „Polizeidetektive“.
  Aber Pendas’ eigentlicher Fokus liegt auf der Gesellschaft. Er hält den Frankfurter Richtern vor, sie seien nicht sensibel genug mit den Auschwitz-Überlebenden umgegangen, und den Anwälten, sie seien zu schroff gewesen, den Journalisten, sie hätten sich zu sehr aufs Anekdotische konzentriert. Den Staatsanwälten, die diesen Prozess immerhin gegen große politische Widerstände im Nachkriegsdeutschland erkämpft hatten, kreidet er an, sie seien nur Erbsenzähler gewesen und das Verfahren für sie ein „Selbstzweck“. Ihre erklärte Absicht bestand zwar darin, der deutschen Bevölkerung für alle Zeit klarzumachen, dass es Verbrechen von einer solchen Schwärze gibt, dass kein staatliches Gesetz und kein militärischer Befehl je etwas an ihrem Unrechtsgehalt ändern kann. Doch für Pendas ist das nur „legalistisch“.
  Gnade in den Augen des Wissenschaftlers findet nicht einmal der weißhaarige jüdische Opferanwalt Henry Ormond, der während des Auschwitz-Prozesses sagte: „Systematisch appellierte der nationalsozialistische Unrechtsstaat von oben nach unten (. . .) an die schlechtesten Instinkte im Menschen, und der Appell fand reichlichen Widerhall.“ Auch darauf findet der Autor eine Erwiderung: „Können wir wirklich von der Hand weisen, dass zumindest manche NS-Täter aus höheren Motiven gehandelt hatten, z.B. – worauf sie selbst immer wieder hinwiesen – aus Pflichtgefühl?“ Pendas’ Stärke ist, dass sein Blick in alle Richtungen geht; seine Schwäche aber, dass er auch mit seiner Kritik in jede Richtung galoppiert, und das weit.
  Bevor man sich recht fragen kann, ob Pendas denn ernsthaft das „Pflichtgefühl“ der Auschwitz-Täter ein moralisch achtenswertes Motiv nennen will, nur um den Opferanwalt Ormond einer unehrlichen Argumentation überführen zu können (denn diesen Vorwurf erhebt er tatsächlich), hat er auch schon seinen nächsten Kritik-Galopp beendet, in eine leicht veränderte Richtung, und an dessen Ende steht dann das Gegenteil. Die deutsche Presse, so klagt der Autor nur 31 Seiten später, habe die Auschwitz-Angeklagten verniedlichend als „typisch deutsch“ apostrophiert, „besonders wegen ihrer Neigung, Befehlen zu gehorchen. Doch dieser Gehorsam war falsch, denn er war einem ungeheuerlichen Verbrecherregime entgegengebracht worden, das kaum den Namen ,Regierung‘ verdiente.“ So viel zum „Pflichtgefühl“.
  So ähnlich haben es ja auch die Richter festgehalten, in ihrem monumentalen Urteil von August 1965, 900 Seiten Aufklärung, das den Holocaust-Leugnern den Boden entzog. An diesem Urteil bemängelt Devin O. Pendas einerseits, die Richter hätten zu wenig auf die Einzelperspektiven der Opfer gegeben, umgekehrt aber genauso, sie hätten zu sehr auf Einzelfälle geschaut und „den Holocaust fragmentiert, anstatt ihn begrifflich zu organisieren“. Man suche es sich aus.
RONEN STEINKE

Devin O. Pendas : Der Auschwitz-Prozess: Völkermord vor Gericht. Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Klaus Binder. Siedler Verlag, 2013. 432 Seiten, 24,99 Euro.
Die großspurige Inszenierung
war nötig, um die Deutschen
zum Hinsehen zu zwingen
Das Urteil war monumental:
Auf 900 Seiten entzog es den
Holocaust-Leugnern den Boden
Devin Pendas kritisiert am Auschwitz-Prozess praktisch alles. Die Richter: nicht sensibel genug im Umgang mit den Opfern. Die Anwälte: zu schroff. Die Staatsanwälte: Erbsenzähler. Die Presse: Sie habe die Täter zu gut wegkommen lassen. FOTO: FRANKLIN MCMAHON / CORBIS
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein kritisches Bild zeichnet der amerikanische Historiker Devin Pendas von den Auschwitzprozessen, die der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1963 gegen 22 mutmaßliche NS-Täter anstrengt hatte, darunter den stellvertretenden Lagerkommandanten Robert Mulka. Wie die Rezensentin Sabine Fröhlich darstellt, legt Pendas den Schwerpunkt seiner Argumentation darauf, dass in dem Verfahren nur die persönliche Schuld der Angeklagten behandelt wurde, nicht der Völkermord als historisches Verbrechen Dabei seien weder die Radikalität noch die Systematik des Holocausts deutlich geworden. Auch wenn Fröhlich die Leistung Fritz Bauers angesichts der bis dahin gänzlich fehlenden Aufarbeitung viel höher einschätzt als der Autor, nämlich historisch, nennt sie die Studie fundiert.

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»Pendas diskutiert in einer fundierten Studie Bedeutung und Grenzen dieses unbestritten historischen Prozesses.« Neue Zürcher Zeitung