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Inzwischen hat Johannes ein neues Leben: eine eigene Wohnung, einen Job und Giulia, eine Kollegin, deren Familie ihm die seine ersetzt. Nur was aus David geworden ist, weiß er nicht. Dabei wollten die beiden doch gemeinsam gehen, und gehen heißt: ihr Land verlassen, aus Ceau?escus Rumänien fliehen, ihren Familien den Rücken kehren. Um die Donau durchschwimmen zu können, haben sie beide einen drückend heißen Sommer lang trainiert, und was dabei zwischen ihnen vorgefallen ist, ist ein weiteres Geheimnis, das sie teilen. Doch irgendwann war David verschwunden, und Johannes ist ohne ihn gegangen,…mehr

Produktbeschreibung
Inzwischen hat Johannes ein neues Leben: eine eigene Wohnung, einen Job und Giulia, eine Kollegin, deren Familie ihm die seine ersetzt. Nur was aus David geworden ist, weiß er nicht. Dabei wollten die beiden doch gemeinsam gehen, und gehen heißt: ihr Land verlassen, aus Ceau?escus Rumänien fliehen, ihren Familien den Rücken kehren. Um die Donau durchschwimmen zu können, haben sie beide einen drückend heißen Sommer lang trainiert, und was dabei zwischen ihnen vorgefallen ist, ist ein weiteres Geheimnis, das sie teilen. Doch irgendwann war David verschwunden, und Johannes ist ohne ihn gegangen, um neu anzufangen. Bis ihn eines Tages die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht und ihn zur Rückkehr zwingt. Die Gelegenheit, sich endgültig zu verabschieden, wird für Johannes zugleich eine Chance, noch einmal nach David zu suchen.Mit großer Ruhe, eindringlich und berührend, dabei klar und souverän erzählt Nadine Schneider von den kleinen Erschütterungen der großen Geschichte und den feinen Rissen, die sie in den Biografien von Menschen hinterlässt. Menschen, die auf unsicherem Grund stehen, weil ihre Geschichte an Orte zurückreicht, wo die Vergangenheit noch nicht vorbei ist.
Autorenporträt
geboren 1990 in Nürnberg, studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. Ihr erster Roman Drei Kilometer (2019) wurde u.¿a. mit dem Hermann-Hesse-Förderpreis und dem Literaturpreis der Stadt Fulda ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2021

Ein Ohr kann man reparieren
Das Banat als Lebensthema: Nadine Schneiders Roman "Wohin ich immer gehe"

Was eine simple Wortumstellung nicht alles auszudrücken vermag. Trüge Nadine Schneiders neuer Roman den Titel "Wohin immer ich gehe", drückte das Gleichgültigkeit des Ichs gegenüber seinem Ziel aus. Doch der Roman heißt "Wohin ich immer gehe", und das bedeutet genau das Gegenteil: Es gibt für dieses Ich nur ein einziges Ziel.

Im Buch selbst gibt es indes gar kein Ich - ganz anders als in Nadine Schneiders vor zwei Jahren mit großer Aufmerksamkeit und mehreren Literaturpreisen bedachtem Debüt "Drei Kilometer". Darin erzählt eine Ende der Achtzigerjahre im Banat nahe - eben drei Kilometer - der jugoslawischen Grenze lebende junge Rumäniendeutsche vom steten Zögern in ihrer Generation, ob man nach Deutschland fliehen oder bleiben soll. Am Schluss des psychologisch grandios gearbeiteten Romans entscheidet sich die junge Frau fürs Bleiben, aber da sind wir auch schon in der Endphase des Ceau escu-Regimes, und dem Leser ist es überlassen, sich im Wissen um die künftige Erleichterung des Weggangs das weitere Schicksal der Protagonistin vorzustellen. Dieses erzählende Ich ließ einen jedenfalls nicht mehr los.

Mit ihrem zweiten Roman wechselt Nadine Schneider, die selbst zwar Kind einer rumäniendeutschen Familie ist, aber 1990 schon in Nürnberg zur Welt kam, nun nicht das Thema, jedoch die Perspektive und auch das Geschlecht der Hauptfigur. "Wohin ich immer gehe" erzählt auktorial von einem jungen Mann namens Johannes Seeler, der es anders gemacht hat als die Frau aus "Drei Kilometer". Er hat 1987 die Donau durchschwommen und ist aus Jugoslawien nach Deutschland gelangt, wo er sich in Nürnberg als Hörgeräteakustiker verdingt. Das darf man einen in der Literatur exotischen Beruf nennen, aber er ist hier biographisch eng verwoben mit einer in Johannes' Familie erblichen Schwerhörigkeit - im väterlichen Zweig, der pragmatischer mit der Lage im rumänischen Sozialismus umgegangen ist als die mütterliche Hälfte. Und Johannes ist in ein Land gelangt, "in dem man reden darf" - also auch zuhören. Doch: "Er hatte es hundertmal und keinmal erzählt. Wie es gewesen und nicht gewesen war, was er mitbekommen hatte und was nicht. Was passiert war und was nicht . . . Er erzählte das alles und es war alles gelogen. Obwohl er wusste, dass es so passiert war, dass sich vieles davon genau so zugetragen hatte, fühlte es sich für ihn nicht wie die Wahrheit an." Damit gibt die Geschichte selbst den Grund dafür an, warum Nadine Schneider diesmal die Ich-Perspektive meidet.

Johannes ist in mehrfacher Hinsicht Außenseiter, als Flüchtling und als Homosexueller, der gemeinsam mit seinem Jugendfreund David hatte fliehen wollen, in den er verliebt war. Dessen Verschwinden ist lange das große Geheimnis des Romans und die große Verstörung für Johannes auch noch in Deutschland. Hat die Großmutter den Freund ihres Enkels verraten? Der Roman lässt Leerstellen, weil es endgültige Klarheit nur um den Preis von Aussprachen geben kann, die sowohl geographisch als auch emotional schwer möglich sind.

Johannes lebt in Deutschland, aber gelöst hat er sich von Rumänien nie. Die Nachricht vom Tod seines Vaters zwingt ihn nach Jahren zu einer Rückkehr, längst waren da die Grenzen offen. Wieder stellt sich für die Hauptfigur eines Romans von Nadine Schneider die Frage, gehen oder bleiben, nur handelt es sich diesmal um zurückgehen oder wegbleiben. Es ist die Grunderfahrung derselben Generation wie in "Drei Kilometer", nur eben deren anderer Hälfte, der geflohenen. Insofern ist "Wohin ich immer gehe" ein denkbar aktueller Roman, auch wenn die letzte große Aussiedelungswelle aus dem Banat und Siebenbürgen mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt. Wir haben das Glück, mit Herta Müller, Iris Wolff und nun Nadine Schneider gleich drei bemerkenswerte Autorinnen zu haben, die aus jeweils unterschiedlichen Lebensaltern und somit Erfahrungshorizonten auf dieses Thema blicken können. Alle ihre Bücher beruhen auf dem, was die Essenz rumäniendeutscher Literatur ausmacht: das Erzählen von der alten Heimat.

In "Wohin ich immer gehe" ist allerdings im Vergleich zum Debüt eine große Distanz der Autorin gegenüber ihrer Hauptfigur spürbar; mit Johannes macht sie es uns nicht leicht. Er ist durch Flucht- und dreifache Verlusterfahrung (Heimat, Familie und Liebe) gebrochen. Man atmet freier, wenn eine lebenspraktische Kollegin namens Giulia ihre Auftritte hat. Aber Johannes wird klar, wohin ihn sein Weg führen muss. Und dort endet das Buch dann auch, bewusst hellhörig. Fertig mit dem Banat ist Nadine Schneider damit sicher nicht. ANDREAS PLATTHAUS

Nadine Schneider: "Wohin ich immer gehe". Roman.

Verlag Jung und Jung, Salzburg 2021. 237 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Christoph Schröder findet es ungerecht, dass Nadine Schneider es mit ihrem eleganten Wettbewerbsbeitrag nicht auf die Ingeborg-Bachmann-Preis-Shortlist geschafft hat. Die Autorin mit rumänischen Wurzeln hat einen neuen Roman geschrieben, in dem sie die Flucht des Protagonisten Johannes, in der Gegenwart in Nürnberg wohnend, aus Rumänien beschreibt, der seinen ursprünglich geplanten Mitgeflohenen zurücklassen muss, denn dieser ist verschwunden, erklärt Schröder. Dass die Frage nach dem Verbleiben des Freundes nicht geklärt wird, sei kalkuliert, meint der Rezensent. Obwohl Schneider die Geschichte in der dritten Person erzählt, hat Schröder das Gefühl, durch assoziative und chronologische Sprünge in Johannes Bewusstsein schauen zu können. Am eindrucksvollsten findet der Rezensent die Rückkehr-Passagen, deren unangenehme und feindselige Atmosphäre er als gut eingefangen beschreibt. Was für ein Glück, dass es diesen Roman gibt, schließt Schröder zufrieden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2021

Über Wasser
bleiben
Nadine Schneiders Roman
„Wohin ich immer gehe“
Nadine Schneiders Texte entfalten ihre Wucht auf unspektakuläre Weise. Auf den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt las die 1990 geborene Schriftstellerin einen eleganten Wettbewerbsbeitrag, schaffte es unverdientermaßen aber nicht einmal auf die Shortlist für den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Die Eltern der Autorin kamen 1989 aus dem rumänischen Banat in die Bundesrepublik. Schneiders bemerkenswertes und mehrfach ausgezeichnetes Debüt „Drei Kilometer“ ist ein Dorfroman aus der Endphase des Ceaușescu-Regimes, in dem die Erschütterungen der in Osteuropa einsetzenden Revolution bei der Landbevölkerung in sanften Wellen ankommen. Wie fein ihr Sensorium für untergründige Verstörungen ist, beweist sie nun auch in ihrem zweiten Roman: „Wohin ich immer gehe“. Johannes, der Protagonist des neuen Romans, trägt, das ist von Beginn an deutlich spürbar, eine persönliche Last mit sich herum, die historisch determiniert ist und die sein Denken und Handeln bestimmt.
Im Jahr 1987 hat Johannes, mit dieser Szene eröffnet das Buch, an einer der engsten und für die Schifffahrt gefährlichsten Stellen der Donau im Grenzgebiet von Rumänien zu Serbien, den Fluss durchschwommen und ist über Umwege schließlich in Nürnberg angekommen. Geplant war ursprünglich eine Flucht zu zweit, doch David, Johannes’ bester Freund, ist verschwunden. Mit ihm hatte er den ganzen Sommer im Dorfweiher trainiert; die Flucht war Davids Idee. Ob er für diese Idee bezahlt hat, ist eine der kalkulierten Leerstellen des Romans.
Nadine Schneider erzählt in der dritten Person, aber stets nah am Bewusstsein ihres Protagonisten und dementsprechend auch in assoziativen, chronologischen Sprüngen. In der Gegenwart lebt Johannes in einer kahlen Wohnung in Nürnberg. Er absolviert eine Ausbildung zum Hörgeräteakustiker, ein Beispiel dafür, wie sorgfältig Schneider ihre Motivketten durch den Roman auslegt: Die Schwerhörigkeit ist ein Leiden, das gleich mehrere Mitglieder ihrer Familie getroffen hat. Johannes erinnert sich, wie ihm der Vater einst das Schwimmen beibringen wollte und ihn unversehens in den Dorfweiher stieß, wobei Johannes mit dem Ohr auf die Wasserfläche prallte. Bis in die Gegenwart lebt er in dem Glauben, ebenfalls schwerhörig zu werden. Die Last und das Erbe der Familie lassen sich nicht einfach ablegen, auch nicht mit räumlicher Distanz. Das Schwimmen und das Überwasserbleiben zieht sich als Metapher für den Selbsterhaltungskampf in der Diktatur durch den Roman.
Im März 1993 erreicht Johannes die Nachricht, dass der Vater gestorben sei. Zum ersten Mal nach seiner Flucht reist er ins Banat. Die Passagen, die von dieser Rückkehr erzählen, sind die eindrucksvollsten des Romans, weil sie das unabweisbare Unbehagen dieser Heimkehr, das Lauernde, das unausgesprochen Feindselige atmosphärisch einfangen. Und weil sich zudem aus Johannes’ Erinnerungspartikeln eine unselige Familiengeschichte bruchstückhaft zusammensetzt: Da ist der brutale Vater, um den jetzt scheinheilig getrauert wird. Da ist eine Reihe von Selbsttötungen, allen voran Johannes’ Bruder, der sich im Gemüsegarten erschossen hat. Und da ist die Mutter des Vaters, eine wunderbar ambivalent gezeichnete Figur, die ihr Parteibuch wie eine Reliquie aufbewahrte.
All diese oft gegensätzlichen Strömungen und Suchbewegungen choreografiert Schneider auf engem Raum. Auch sechs Jahre nach seiner Flucht und vier Jahre nach dem Ende des Ceaușescu-Regimes ist die Lücke in Johannes’ Existenz noch immer nicht geschlossen: Die alte Heimat ist ein abgestorbenes Terrain, für das es in der neuen Heimat kaum Worte gibt. Dafür aber, glücklicherweise, diesen Roman.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Nadine Schneider: Wohin ich immer gehe. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg/Wien 2021.
236 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Schneiders Sprache ist durchsetzt und grundiert von poetisch aufgeladenen Beobachtungen und Beschreibungen, doch bleibt der Blick der Erzählerin stets auf die engen Verhältnisse fokussiert. Es zählt das, was gerade ist.Christoph Schröder, Die Zeit