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"Vergesst die ganzheitlichen Entwürfe, scheint Gregor Hens zu sagen, es sind die Scherben, aus denen das Glück blitzt". FAZ Sommer 1989: Karl ist 25 Jahre alt und will seine unglückliche Jugend im Internat hinter sich lassen. Ein Job als Assistant Teacher in Columbia, Missouri, ist die ersehnte Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Dort verliebt er sich in Stella, eine seiner Studentinnen. Und aller Rationalismus relativiert sich angesichts der Gefühle, die sie in ihm auslöst. Die er ebenso wenig versteht wie ihre eigenartige Gabe, für kurze Zeit die Schwerkraft zu überwinden. Ist das Traum,…mehr

Produktbeschreibung
"Vergesst die ganzheitlichen Entwürfe, scheint Gregor Hens zu sagen, es sind die Scherben, aus denen das Glück blitzt". FAZ Sommer 1989: Karl ist 25 Jahre alt und will seine unglückliche Jugend im Internat hinter sich lassen. Ein Job als Assistant Teacher in Columbia, Missouri, ist die ersehnte Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Dort verliebt er sich in Stella, eine seiner Studentinnen. Und aller Rationalismus relativiert sich angesichts der Gefühle, die sie in ihm auslöst. Die er ebenso wenig versteht wie ihre eigenartige Gabe, für kurze Zeit die Schwerkraft zu überwinden. Ist das Traum, Einbildung oder das, was man Wirklichkeit nennt? Gregor Hens hat einen eindringlichen Roman über die Zeit im Leben geschrieben, in der die Weichen gestellt werden für alles, was kommt - und die Geschichte einer ersten großen Liebe, die im Scheitern unwiderruflich prägt. "Gregor Hens verwandelt die Gegenstände seiner Welt in Verstärker poetischer Kraft: summend, vibrierend und Funken sprühend." New Yorker
Autorenporträt
Gregor Hens, geb. 1965 in Köln, lehrte über zwei Jahrzehnte lang an verschiedenen amerikanischen Universitäten Sprach- und Literaturwissenschaften, zuletzt an der Ohio State University. Seit 2013 lebt er als freier Autor und Literaturübersetzer in Berlin. Er hat unter anderem Leonard Cohen, Jonatham Lethem und Kurt Vonnegut übersetzt. Für seine Übersetzung von Will Selfs Shark war er für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert.Zuletzt erschien von ihm Nikotin, das in sechs Sprachen übersetzt wurde.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Christoph Schröder erkennt die literarische Leistung von Gregor Hens an den schwebenden Sätzen in dessen neuem Roman. Das Thema der Entfremdung kann ihm der Autor in seinem Buch als generationstypisches Symptom erklären, indem er einen jungen Westdeutschen zur Zeit des Mauerfalls erst in ein Flugzeug in die USA setzt und dann einen Trip in die noch existente DDR unternehmen lässt. Liebesgeschichte und Generationenporträt in einem erzählt der Text laut Schröder von Ambivalenz und Indifferenz.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2019

Und als Soundtrack Lieder von Tom Waits
Nach Hause in den Mittleren Westen: Gregor Hens erzählt in seinem Roman "Missouri" die Geschichte einer Einwanderung

Der Name Stella ist in der Literatur nahezu gleichbedeutend mit der Idee von überirdischer Liebe. In Goethes gleichnamigem Schauspiel etwa wird die weibliche Hauptfigur als ein "Engel des Himmels" beschrieben, die allein durch ihre Anwesenheit den Geliebten von aller Sorge erlöst: "Wie vor ihrer Gegenwart alles heiter wird, alles frei!" Der Berliner Schriftsteller Gregor Hens geht in seinem Roman sogar noch einen Schritt weiter als Goethe, indem er Stella, die Geliebte seines Protagonisten Karl, in der Luft schweben lässt, und zwar ganz buchstäblich: Im Zustand des reinen Glücks hat sie die Fähigkeit zur Levitation, das heißt, sie vermag sich jener Sphäre anzunähern, der sie als Sternenwesen ohnehin angehört. "Es passiert mir einfach", so stellt sie gegenüber dem verstörten Karl fest, nachdem dieser sie das erste Mal in schwerelosem Zustand beobachtet hat.

Das Motiv der schwebenden Geliebten ist so augenscheinlich over the top, dass es sich nicht kurzerhand als Kitsch abtun lässt. Eher liegt es nahe, nicht nur den Namen Stella, sondern auch den Namen Karl aus der Literaturgeschichte heraus zu verstehen. Hens erzählt in "Missouri", dessen Handlung in den späten achtziger Jahren angesiedelt ist, von der Neuerfindung eines jungen Einwanderers in den Vereinigten Staaten. Der literarische Bezug liegt auf der Hand: In dem Namen "Karl" klingt der Name "Karl Roßmann" aus Kafkas Amerika-Roman "Der Verschollene" mit, dessen ungläubiges, überwältigtes Staunen in einer beständigen Verschiebung vom Realistischen zum Phantastischen zum Ausdruck kommt. Genau darin treffen sich Karl und Karl also: Die Wahrnehmung Amerikas als "Zauberland der unbeschränkten Möglichkeiten" (so eine doppelsinnige Formulierung Kafkas) artikuliert sich in der Überschreitung all jener vermeintlich unumstößlichen Regeln und Vorstellungen, die für die zwei Einwanderer bisher verbindliche Geltung hatten.

Schweben, Amerika und Leichtigkeit sind in Hens' Roman Synonyme. Die Herkunft Karls wird in scharfem Kontrast dazu geschildert. Die deutsche Sprache fühlt sich für den Dreiundzwanzigjährigen an "wie schweres, überflüssiges Gepäck", alles an Deutschland ist für ihn von "unheimlicher, ungeheurer Sachlichkeit". Diese Wahrnehmung ist zurückzuführen auf seine bisherige Lebensgeschichte, vor allem auf eine tief deprimierende Kindheit und Jugend in einem katholischen Internat im Rheinland. Karls Entschluss, als Assistant Teacher in den Mittleren Westen überzusiedeln, entspringt dem Wunsch, einem Leben, das "dunkel" gewesen war, "dunkel und ohne Zauber", zu entkommen.

Und tatsächlich braucht es nur wenige Monate, um jenes frühere Dasein gegen "ein anderes, helleres Leben" einzutauschen. Ein Leben, das bestimmt wird durch einen emotionalen Dreiklang, den Karl in den Vereinigten Staaten zum ersten Mal vernimmt, nämlich "Freundlichkeit, Wohlwollen, Güte". Hinzu kommt eine ländliche Umgebung, die geprägt ist von der wärmenden Einfachheit des "American Primitive", für dessen Beschreibung der ansonsten eher nüchterne, prätentionsfreie Erzähler einen bemerkenswert hohen Ton wählt: Das bescheidene, in einem "Ozean von frischer Krume, Präriegras und Blüten" gelegene Farmhaus, in dem Stella aufgewachsen ist, erscheint Karl geradezu unwirklich, ja "wie im Traum". Die in die Erzählung eingeflochtenen ausführlichen Erinnerungen an frühere Beziehungen und Erfahrungen in Deutschland, aber auch die Wahrnehmung der Wiedervereinigung sind demgegenüber allesamt in ein kaltes, kontrastloses Graublau eingefärbt. Der junge Mann aus Deutschland findet im Mittleren Westen kein neues, sondern erstmals ein Zuhause, und zwar im vollen, also romantischen Sinne dieses Wortes. Den Soundtrack dazu liefern die Songs von Tom Waits.

Damit ist die erzählerische Fallhöhe des Romans angezeigt, und so kommt es denn auch unweigerlich zum Sturz. Karl verrät Stella und die von ihr verkörperte transzendente Liebe (die Levitation wird in der christlichen Tradition oft den Heiligen zugesprochen), indem er sich auf die erotischen Annäherungsversuche ihrer Mutter Janet einlässt. Unfähig, sich Janets "Gewalt" zu entziehen, sieht Karl irgendwann nur noch die Möglichkeit, der hochkomplexen Situation - und damit der Beziehung zu Stella - zu entfliehen. Eine neue Stelle in Berkeley bietet ihm, dem emotional heillos Überforderten, dafür eine geeignete Möglichkeit. Damit, mit dem Scheitern des amerikanischen Liebestraums, endet der Roman.

"Missouri" bietet weniger eine handlungsstarke Geschichte des Erwachsenwerdens als eine erzählerische Reflexion über ein Amerika abseits der touristischen Metropolen, über die fremde Heimat Deutschland, schließlich über die Wahrnehmung Amerikas aus europäischer Sicht - einer Sicht, die immer schon vorstrukturiert ist durch ein unübersehbares Konglomerat an Projektionen, Fiktionen und Illusionen. Aber diesem Konstruktcharakter entkommt der Roman auch selbst nicht, im Gegenteil, er stellt ihn offensiv aus: In ihm begegnet der Leser keineswegs einem wahren Amerika, sondern dem Ergebnis eines intertextuellen Spiels, in dem, um nur die Hauptreferenzen zu nennen, Franz Kafka (eben mit dem "Verschollenen") und Laura Ingalls Wilder (mit ihren "Little House"-Büchern), Vladimir Nabokov (mit "Lolita") und Mike Nichols (mit dem Komödienklassiker "The Graduate") aufeinandertreffen. Das postmoderne Schlagwort von der "Fiktion Amerikas" (Jean Baudrillard) gewinnt bei Hens konkrete, nämlich literarische Kontur.

Dass hinter den Introspektionen dieses Romans ein jahrelanges Nachdenken über Fragen der transatlantischen Selbst- und Fremdwahrnehmung steht, ist unzweifelhaft, und es wird auch durch das Leben des Autors beglaubigt, der selbst über zwei Jahrzehnte an verschiedenen amerikanischen Universitäten gelehrt hat und als literarischer Übersetzer von Autoren wie Leonard Cohen, Kurt Vonnegut und Jonathan Lethem arbeitet. Gegen die heute in Europa und Deutschland verbreitete Reduktion der Vereinigten Staaten auf den Namen ihres 45. Präsidenten bildet "Missouri" einen blickfelderweiternden und darin hochwillkommenen Kontrapunkt.

KAI SINA

Gregor Hens: "Missouri". Roman.

Aufbau Verlag, Berlin 2019. 284 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2019

Dunkles Land ohne Zauber
Tief im Westen: Gregor Hens’ Deutschland-Roman „Missouri“
Am Morgen nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht sucht Karl seine Freundin Stella und findet sie schließlich auf einem dem Schlafzimmerfenster vorgelagerten Flachdach. Stella hat die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, den Kopf gesenkt; ihre Haare fallen nach vorne; ihr Nacken ist entblößt. Karl tritt von hinten an sie heran. Das Gegenlicht mag ihn möglicherweise etwas blenden, und doch ist er sich sicher, dass Stella einige Zentimeter über dem Boden schwebt: „Sie hing frei in der Luft.“ Dann bemerkt Stella Karl, landet sanft; er reicht ihr einen Kaffeebecher mit dem deutschsprachigen Aufdruck „Atomkraft, nein danke“.
Es ist einer der Schlüsselszenen von Gregor Hens‘ neuem Roman; eine Szene, in der sich wiederkehrende Grundmotive und die Eleganz des Erzählens verbinden: Die permanent leicht entrückte Atmosphäre, der Blick auf andere Menschen und die Frage, ob dieser Blick dem Gegenüber gerecht wird und tatsächlich Realität erzeugt oder bloß eine Illusion. Und nicht zuletzt der historische Hintergrund, der mehr ist als ein dekoratives Element. „Missouri“ trägt die USA im Titel, doch es ist in Wahrheit ein Deutschlandbuch, in dem das Land im Umbruch aus einer fernen, dem Gegenwartstaumel entrückten Perspektive in den Blick genommen wird.
Karl, der Ich-Erzähler des Romans, ist 23 Jahre alt, als er im Juli 1989 auf dem Flughafen von St. Louis, Missouri, ankommt. Karl wollte, nicht zum ersten Mal, weg aus Deutschland. Bereits als Vierzehnjähriger, so erzählt er es gleich zu Beginn, hat er ein halbes Jahr im Nordwesten der USA zugebracht; auf der Flucht vor einer heillosen Jugend, der Trauer um die verstorbene Mutter und vor dem rigiden System des katholischen Internats, in dem er zu dieser Zeit lebte. In St. Louis richtet Karl sich im universitären Milieu ein, findet im Haus eines Studienberaters und seiner portugiesischen Frau einen dezenten familiären Anschluss und gibt Deutschkurse am College. In einem dieser Kurse sitzt Stella. Wenn es so etwas gibt, wie eine Liebe auf den ersten, wenn auch verschleierten Blick, dann trifft sie Karl und die sphärische, die Welt wie durch eine hauchdünne Membran betrachtende Stella. Oder ist es Karl, der die Dinge in ein unscharfes Licht taucht?
Als dann im November 1989 die Berliner Mauer fällt, weitet sich der Blickwinkel auf die Welt zwangsläufig, und es wird deutlich, dass „Missouri“ keine privatistische Liebesgeschichte von einem fernen Kontinent erzählt, sondern über den Umweg eines in sich eingesponnenen, situativ geradezu narzisstisch anmutenden Bewusstseins das Porträt einer ganzen Generation entwirft. Entscheidend ist der Blick aus dem Westen: Karl ist am Niederrhein aufgewachsen. Gregor Hens selbst ist, wie auch die Schriftsteller Christoph Peters und Paul Ingendaay, Absolvent des Collegium Augustinianum in Gaesdonck. Weiter westlich geht es bis heute nicht in Deutschland, doch in der Bonner Republik markierte die rheinische Provinz erst recht die größtmögliche Ferne von der Schnittstelle des Kalten Kriegs. Hens‘ Protagonist kennt ein Deutschland ohne Mauer nur aus Büchern oder aus mündlichen Erzählungen der Verwandtschaft.
Dementsprechend unentschieden fällt Karls Reaktion aus, als er von der Grenzöffnung erfährt: Es ist die klassische Mischung aus Achselzucken und Abneigung, mit der sich Karl von der ihm bekannten BRD verabschiedet; von einem dunklen Land ohne Zauber, das es in seiner Jugend war; von dem Land, in dem seine Großeltern ausgebombt wurden. Ein Gebilde, das reich, frei und etwas langweilig war, „bestehend“, wie Karl es pointiert formuliert, „aus wieder aufgebauten Kirchen, Joseph-Beuys-Installationen, Wahlplakaten und Rübenfeldern.“ Vor allem aber ein Land, von dessen Regeln sich Karl in den USA endgültig befreien wollte und das ihn nun gegen seinen Willen erneut an sich heransaugt.
Über Weihnachten 1989 fliegt Karl zu einem Kurzbesuch nach Deutschland und unternimmt mit seinen alten Freunden einen Trip in die noch real existierende DDR. Es ist kein Zufall und ganz gewiss kein literarisches Versagen, dass die Menschen, denen sie dort begegnen, merkwürdig flach und klischeehaft gezeichnet sind – sie sind ein Spiegel der nicht formulierten Indifferenz, mit denen sie von außen angeschaut werden. Schnell ist Karl zurück in den USA. So bald wird er nicht zurückkehren.
Projektionen und Trugbilder, Sehnsuchtsvorstellungen von der unendlichen Freiheit des Landes und Fehldeutungen treiben „Missouri“ auf eine nicht unbedingt den Gesetzen der Plausibilität gehorchenden, aber rasanten Art und Weise voran. Karl lernt Janet, Stellas schöne, ungemein junge und undurchdringliche Mutter, eine Lyrikerin, kennen. Stellas Vater, war, die nächste Verbindung nach Deutschland, zu Studienzeiten in Petra Kelly verliebt, die in den 1960er-Jahren in den USA lebte. Karl und Stella unternehmen eine gemeinsame Tour quer durch die Vereinigten Staaten; in Colorado leben sie ein paar Tage bei Janets Zwillingsschwester und deren Lebensgefährtin. Es geht weiter, immer gen Westen, nach Las Vegas und San Francisco. Gregor Hens taucht das Geschehen in ein Licht der Ambivalenz. Das Gefühl, das eine oder mehrere Katastrophen im Begriff sind, sich aufzubauen, wächst. Karl sieht die Zeichen, doch er deutet sie falsch, eingesponnen in das Gefühl des ständigen Vorankommens und geblendet von der pittoresken Schönheit des Landes. Die Wirklichkeit ist nur das, was durch den selbstgewählten Filter dringt. Er sei eine Chimäre, sagt Janet einmal zu Karl. Und er selbst schreibt gleich im ersten Absatz, dass eine feine Firnis sich über die Ereignisse gelegt habe.
Im Jahr 2011 hat Gregor Hens mit „Nikotin“ sein letztes Buch vorgelegt; einen Hybrid aus Essay und Adoleszenzerzählung. Im Kern beschreibt Hens darin die traumatische Erfahrung der Entfremdung von seinem eigenen Vater. In „Missouri“ hat Hens die Erfahrung der Entfremdung ausgeweitet und als generationstypisches Symptom kenntlich gemacht. Dass sein Roman dabei von Sätzen getragen wird, die ihn schweben lassen, ist eine literarische Leistung.
CHRISTOPH SCHRÖDER
In dem Narzissmus des Erzählers
verbirgt sich das
Porträt einer ganzen Generation
Der Roman wird von
Sätzen getragen, die ihn
schweben lassen
Gregor Hens: Missouri.
Roman. Aufbau Verlag,
Berlin 2019. 284 Seiten,
22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Der Roman wird von Sätzen getragen, die ihn schweben lassen.« Süddeutsche Zeitung 20190705