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»Was hat Pokemon Go mit Waterboarding, Überwachung oder Trumps Grenzmauer zu tun?«, schrieb die Washington Post, und weiter: »Wenn Sie jetzt versucht sind, 'nichts' zu sagen, dann sollten Sie dieses Buch lesen.« Die Polizei wird mit Drohnen und Panzern aufgerüstet, die Überwachung der eigenen Bürger ausgeweitet, während die Menschen sich von digitalen Angeboten ablenken lassen: Bernard E. Harcourt führt all diese Themen zusammen und zeigt im Anschluss an Foucault, wie eine neue Regierungsform entsteht: Gespeist aus der militärischen Strategie der Bekämpfung von Aufständen, benutzt sie das…mehr

Produktbeschreibung
»Was hat Pokemon Go mit Waterboarding, Überwachung oder Trumps Grenzmauer zu tun?«, schrieb die Washington Post, und weiter: »Wenn Sie jetzt versucht sind, 'nichts' zu sagen, dann sollten Sie dieses Buch lesen.«
Die Polizei wird mit Drohnen und Panzern aufgerüstet, die Überwachung der eigenen Bürger ausgeweitet, während die Menschen sich von digitalen Angeboten ablenken lassen: Bernard E. Harcourt führt all diese Themen zusammen und zeigt im Anschluss an Foucault, wie eine neue Regierungsform entsteht: Gespeist aus der militärischen Strategie der Bekämpfung von Aufständen, benutzt sie das Argument vom »Kampf gegen Terrorismus«, um ein neues Herrschaftsregime zu errichten. Dessen Prinzipien beruhen auf umfassender Geheimdienstinformation, schonungslosem Targeting von Minderheiten sowie einer Propaganda, die beruhigen soll. Es gilt, so Harcourts brillante Analyse, diese Regierungsform als das zu entlarven, was sie ist: die Tyrannei unseres Zeitalters.
Autorenporträt
Harcourt, Bernard E.Bevor Bernard E. Harcourt Professor für Rechts- und Politikwissenschaften an der Columbia University wurde, arbeitete er als Verteidiger für zum Tode Verurteilte und engagierte sich für Menschenrechte in Südafrika und Guatemala. Als Sohn französischer Eltern wuchs er in New York auf und studierte in Princeton und Harvard Politikwissenschaften. Heute lehrt er an der Columbia University in New York und an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er ist Mitherausgeber der Vorlesungen von Michel Foucault.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2019

Operiert die Gegenrevolution nach dem Feldhandbuch?
Bernard Harcourt meint in den Vereinigten Staaten die Herausbildung einer neuen Regierungsweise orten zu können

Dass Regierungen Herausforderungen immer wieder einmal ratlos gegenüberstehen, nach Antworten suchen, aber keine finden, und von einem Fehlschlag zu andern eilen, getrieben von der Erwartung der Bevölkerung, möglichst schnell durchschlagende Erfolge vorweisen zu können - das ist für einige Politiktheoretiker schlichtweg undenkbar. Selbst dort, wo Scheitern auf Scheitern folgt, glauben sie es mit einem verborgenen Plan oder einer geheimen Strategie zu tun zu haben und setzen so selbst da ein Puzzle zusammen, wo nichts zusammenpasst. So hat Bernard Harcourt in Verfolgung seiner Idee, in den Vereinigten Staaten eine neue Regierungskunst aufgespürt zu haben, für die Präsidentschaften Obamas und Trumps dieselben Direktiven und Leitlinien ausgemacht.

Im Nachwort für die deutsche Ausgabe hat er das dann zum Teil wieder zurückgenommen und mit Blick auf Trump von einer "neofaschistischen, ultranationalistischen Form des Regierens" gesprochen. Weil das, einmal ernst genommen, jedoch auf ein Dementi des zuvor Gesagten hinausgelaufen wäre, hat er es sogleich wieder relativiert und als die radikalste Variante der von ihm diagnostizierten "Gegenrevolution" bezeichnet. Wer alles zusammenwirft und keine Differenzen mehr zu erkennen vermag, endet zuletzt bei der berüchtigten Dimitroff-Formel vom Faschismus als der reaktionärsten und chauvinistischsten Form des Kapitalismus.

Das ist umso bedauerlicher, als Harcourt sich eine große und wichtige Frage vorgelegt hat: Wie lassen sich die Veränderungen im Regierungsstil, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 vor allem in den Vereinigten Staaten zu beobachten sind, noch mit den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaats zusammenbringen? Es sind drei Entwicklungen, die Harcourt dabei im Auge hat: eine Politik der Informationsbeschaffung, die einerseits auf Folter und andererseits auf der Abschöpfung von Daten beruht; den Drohnenkrieg, den die Vereinigten Staaten über dem Gebiet von Ländern führen, denen sie nicht den Krieg erklärt haben; und schließlich die Militarisierung der Polizei, bei der inzwischen Waffen und Ausrüstung zum Einsatz kommen, die zuvor bei der Aufstandsbekämpfung in anderen Ländern verwendet wurden. Allen drei Entwicklungen ist die Aufweichung von Rechtsbindungen gemeinsam, die zu den Wesensmerkmalen des westlichen Verfassungsstaates gehören.

Harcourt ist nicht der Erste, der sich über dieses Problem Gedanken macht; er tut dies indes in einer sehr viel grundsätzlicheren Art als die anderen. Die nämlich arbeiten mit der Gegenüberstellung von Regel und Ausnahme, wobei sich ihre Kritik an Ausmaß und Dauer der Ausnahmeregelungen entzündet und sie eine schnelle Rückkehr zum Normalzustand staatlicher Selbstbindung fordern. Das normative Modell des liberalen Verfassungsstaats, so die Grundannahme dieses Ansatzes, ist vom Grundsatz her nicht in Frage gestellt worden. Debattiert wird über die Frage, ob man noch davon ausgehen konnte, dass die Ausnahmeregelung der Wiederherstellung des Normalzustands dient, oder ob die dieser inzwischen bereits ausgehöhlt und entleert worden ist.

Harcourt dagegen bestreitet, dass die binäre Ordnungsvorstellung von Regel und Ausnahme, Norm und zeitweiliger Normsuspension noch geeignet ist, die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte angemessen zu erfassen. Stattdessen schlägt er vor, die jüngsten Veränderungen als Bestandteil einer neuen "Kunst des Regierens" zu begreifen, die an den Vorgaben der Aufstandsbekämpfung orientiert sei und bei der es darum gehe, potentiell rebellische Bevölkerungsgruppen politisch zu isolieren und zu zerschlagen, während die breite Masse durch Konsum und Unterhaltung ruhiggestellt werde.

Es ist Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität, der Regierungsweise beziehungsweise Regierungskunst, das von Harcourt weiterentwickelt und fortgeschrieben wird. Darin sind nicht die Verfassungen und deren Vorgaben für das Handeln der Regierungen zentral, sondern die für die Regierenden am besten geeigneten Techniken des Beherrschens, Lenkens und Leitens einer Bevölkerung; nach den Vorgaben dieser Regierungspraxen würden dann Verfassungen geschrieben und Rechtsgrundsätze entwickelt. Hier geht es nicht um Ausnahmen von den Regeln, sondern um die Regeln selbst. Das stärkste Argument Harcourts für seine Herangehensweise ist der Umstand, dass nach dem 11. September in den Vereinigten Staaten Regierungsberater und Juristen unablässig damit beschäftigt waren, den Einsatz von Folter und die Datenabschöpfung in großem Stil so zu beschreiben, dass sie ein rechtsförmiges Aussehen bekamen. Das Recht war nicht länger die Begrenzung des Regierungshandelns, sondern wurde zu dessen Legitimation und Absicherung.

Als Schüler und Anhänger Foucaults entwickelt Harcourt die von ihm als Gegenrevolution bezeichnete Regierungskunst genealogisch, das heißt, er zeichnet ihre diffusen Anfänge, die allmähliche Weiterentwicklung und schließlich die perfektionierte Ausgestaltung nach. Danach begann alles in den späten fünfziger Jahren in Algerien, als die Franzosen mit der Niederschlagung eines Aufstands beschäftigt waren, dessen sie schließlich nicht Herr wurden. Was blieb, war eine Fülle von Texten, deren sich die RAND-Corporation in den Vereinigten Staaten annahm, wo sie weiterentwickelt wurden, um sich schließlich in General Petraeus' Feldhandbuch zur Pazifizierung des Iraks wiederzufinden.

Dass sowohl der Irak- als auch der Afghanistan-Einsatz der amerikanischen Armee eher teure Fehlschläge als politische Erfolge waren, erwähnt Harcourt zwar beiläufig, begreift diese Einsätze aber dennoch als wichtige Schritte bei der Perfektionierung der neuen Regierungskunst, die schließlich durch den jüngeren Bush und Obama auf innenpolitische Konfliktbearbeitung übertragen worden seien. Die Datenabschöpfung, die Tötung amerikanischer Staatsbürger bei Drohnenangriffen außerhalb des nationalen Territoriums und die militärische Ausrüstung der Polizei im Einsatz gegen Demonstranten gelten ihm dabei als Beleg für seine These.

Die Stärke von Harcourts Darstellung liegt in der Fülle von Material, das er aufbietet, geschickt anordnet und so eine Entwicklungsgeschichte mit tiefen Wurzeln und breiter Wirkung suggeriert. Durchsucht man das Material nach tatsächlichen Belegen für die Entstehung der neuen Regierungskunst, so bleiben oft nur einzelne Texte von Soldaten und Wissenschaftlern, die keineswegs die Bedeutung haben, die Harcourt ihnen zuschreibt. Es ist das suggestive Arrangement eines heterogenen Materials, welches aus diversen Beobachtungen die Genealogie einer neuen Regierungskunst macht. Die Epigonen plauderten die Schwächen des Meisters aus, hat Ernst Bloch einmal über die Hegelsche Schule bemerkt. Die Schwächen des späten Foucault und seines Konzepts der Gouvernementalität hätte kein Kritiker besser offenlegen können, als es der Schüler Harcourt getan hat.

HERFRIED MÜNKLER

Bernard E. Harcourt: "Gegenrevolution". Der Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger.

Aus dem Englischen von F. Lachmann, Vorwort von C. Emcke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 479 S., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Herfried Münkler durschaut das Buch von Bernard E. Harcourt. Wichtig und in der Ausführung genau und grundsätzlich scheint ihm Harcourts Erkundung der Frage nach der Vereinbarkeit mit Regierungsweisen nach dem 11. September in den USA mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Dass der Autor dabei nicht mehr von Ausnahme und Regel sprechen möchte, leuchtet Münkler ein, die vom Autor aufgefahrene Materialfülle findet er beeindruckend und wohl geordnet. Allerdings erkennt der Rezensent bei genauerem Hinschauen, dass Harcourts Belege für die Entstehung einer mit Foucault vom Autor als Gegenrevolution bezeichneten neuen Regierungskunst doch recht dünn sind. Was bleibt, ist laut Münkler das "suggestive Arrangement" des Materials durch den Autor.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.08.2019

Drehen am Rad
der Geschichte
Bernard E. Harcourt fürchtet die Gegenrevolution
in den USA, Jan Zielonka blickt skeptisch auf die EU
VON GÜNTER BEYER
Als Emmanuel Macron Präsident werden wollte, versprach er den Franzosen in seinem gleichnamigen Buch nichts Geringeres als eine „Revolution“. Das Wort hat – zumindest in Frankreich – einen guten Klang. Revolutionäre wie Macron wollten dem verkrusteten Regime Beine machen und das Land versöhnen. Gegenrevolution ist der Versuch ewig Gestriger, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Zwei aktuelle Bücher machen sich den Revolutionstrend zunutze und schießen sich auf die „Gegenrevolution“ ein.
Manchmal sorgen Akzentverschiebungen beim Übersetzen für Irritationen, die dann irrtümlich dem Autor zugeschrieben werden. Die Unterzeile zu Bernard E. Harcourts Analyse „Gegenrevolution“ lautet im Amerikanischen „Wie unsere Regierung gegen die eigenen Bürger zu Felde zieht“. In der deutschen Übersetzung von Frank Lachmann im S. Fischer Verlag wird daraus „Der Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger.“ Aus der einen Regierung werden also mehrere. Tatsächlich beschränkt sich Harcourt aber ausschließlich auf die USA.
Harcourt, Jahrgang 1963, hat sich als Rechtsanwalt für zum Tode Verurteilte engagiert und ist heute Jura-Professor an der New Yorker Columbia-Universität. Seine Analyse setzt ein mit den Anschlägen vom 11. September 2001. 9/11 ist für ihn die Geburtsstunde eines repressiven Regierungsmodells, das „von der Theorie und Praxis der kontrainsurgenten Kriegsführung inspiriert“ ist. Dem Aufstand sucht die Regierung mit Methoden zur Niederschlagung antikolonialer Erhebungen wie einst in Indochina, Algerien oder Vietnam beizukommen. Die gesamte Bevölkerung gerät dabei als potentieller Feind ins Visier.
Ausführlich stellt Harcourt die Counterinsurgency-Schriften der Franzosen David Galula und Roger Trinquier vor, die Frankreichs Niederlage in Algerien untersucht hatten. Weitere Gewährsleute für Harcourts These sind der aus dem Irakkrieg bekannte US-General und spätere CIA-Chef David Petraeus sowie Mao Tse-tung mit seinen Doktrinen zum Guerillakrieg. Hauptideenlieferant der neuen US-Strategie ist Petraeus, der seinerseits auf französische Vorbilder zurückgreift.
Jede Bevölkerung lässt sich danach in drei Gruppen einteilen: eine kleine aktive Minderheit von Aufständischen, eine große indifferente Mehrheit und schließlich eine kleine Zahl von aktiven Gegenrevolutionären. Die „Aufständischen“ rekrutieren sich für die heutige US-Gegenrevolution aus „den“ amerikanischen Muslimen, aus Mexikanern, Aktivisten gegen Polizeiwillkür oder Anhängern von Bürgerrechtsbewegungen. Ziel der Konterrevolution sei die vollständige Ausschaltung der Aufständischen bis zu deren physischer Vernichtung. Unabdingbare Voraussetzung dafür sind lückenlose Informationen über die gesamte Bevölkerung, nicht nur über die militante Minderheit.
Die indifferente Mehrheit wird Harcourt zufolge durch eine Doppelstrategie zugleich in Schach gehalten wie umworben. Einmal durch die Allgegenwart von Terror gegen die Minderheit, was die Mehrheit davon abhält, sich zu solidarisieren. Und zum anderen durch eine proaktive Politik, die „Herzen und Hirne“ der Mehrheit zu gewinnen sucht. Die „Schlüssel zum Erfolg“ sind hierbei Unterhaltung, Ablenkung und Beruhigung, vor allem mit Hilfe digitaler Medien. Allerdings sind die Massen in einer „expositorischen Gesellschaft“ (Harcourt) wie der der USA allzuleicht bereit, persönlichste Daten freiwillig zu offenbaren.
Harcourts Analyse suggeriert, die USA befänden sich am Vorabend einer Revolution. Diese Konsequenz bestreitet er zugleich vehement: „Es gibt bei uns einfach keinen Aufstand im eigentlichen Sinne“. Die Gegenrevolution werde „ohne Revolution“ gemacht. Aber: Ist es nachvollziehbar, eine Gegenrevolution anzuprangern, wenn es gar keine Revolution gibt? Harcourts Maßstäbe stimmen nicht, Osama bin Laden und Nachfolger sind keine antikolonialen Helden, die sich unter den Volksmassen bewegen wie Fische im Wasser. Dennoch wenden US-Regierungen gegen angebliche Aufrührer durch kein Kriegsrecht gedeckte Aufstandsbekämpfungs-Methoden wie Folter, unbefristete Inhaftierungen (Guantanamo) oder gezielte Tötungen durch Drohnen an. Harcourt prangert mit Recht an, dass die lückenlose Überwachung aller Bürger und die militärische Aufrüstung der Polizei mit Riesenschritten vorangehen. Aber der Verweis auf das Gegensatzpaar Revolution/Gegenrevolution ist nicht hilfreich.
Von den USA nach Europa. „Irgendetwas muss furchtbar schief gegangen sein“, grämt sich Jan Zielonka, Professor für Europäische Politik in Oxford. Er sorgt sich um die Europäische Union. Als Zielonka 1955 in Polen geboren wurde, war der erfolgreiche Aufstieg der EWG zur Europäischen Union noch kaum zu ahnen. In den Römischen Verträgen von 1957 bekannten sich die sechs Gründerstaaten zu einer Zollunion, zum Abbau von Handelshemmnissen und zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Die EWG bündelte durchaus heterogene politische Strömungen im Nachkriegseuropa. Konservative, sozialdemokratische, sozialistische, liberale und später grüne Strömungen fanden sich zu Kompromissen. Entgegen Zielonkas Behauptung, Europa sei einst eine „vollständig von Liberalen kontrollierte Institution“ gewesen, war das „europäische Projekt“ kein Ziehkind ausschließlich der Liberalen.
Zielonka betrachtet Europa – und dafür gebührt ihm Anerkennung – nicht durch die westliche Brille. Als etwa Polen sich 2004 der Union anschloß, triumphierten dort politische Freiheiten, und der Weg war frei für Warenaustausch und Kulturdialog. Zielonka konstatiert mit Recht, dass heute vielerorts in Europa Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Rechte und populistische Strömungen befeuern den Nationalismus. Wenn Potentaten wie Jaroslaw Kaczynski oder Viktor Orbán sich anschicken, die neu gewonnene Ordnung zu zerstören, politische Freiheiten und demokratische Errungenschaften einschränken, handeln sie zwar konterrevolutionär in Bezug auf den postkommunistischen Befreiungsschlag. Aber was heißt schon Konterrevolution? Nach Zielonkas Diktum sind auch Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland „konterrevolutionäre Bewegungen“. Denn sie sind „gegen die Ordnung, die nach der Revolution 1989 geschaffen wurde“. Dabei ist zu fragen, ob für die alten EU-Mitglieder 1989 tatsächlich eine Revolution war.
Als sozialliberaler Kopf beruft sich Zielonka auf den Liberalen Karl Popper und dessen Theorie der „offenen Gesellschaft“. Und er beschwört den 2009 verstorbenen deutsch-britischen Soziologen Ralf Dahrendorf, als dessen Fellow Zielonka heute in Oxford lebt. Sein Lamento über den „Rückzug des liberalen Europa“ ist über weite Strecken eher ein posthumer Schulterschluss mit dem Duzfreund. Ständig setzt sich Zielonka mit ihm ins Einvernehmen, spinnt Gedanken fort, die Dahrendorf einst formuliert hatte („Wenn du Recht hast, Ralf, sehe ich keine Zukunft mehr für die Demokratie“), wittert Verrat. Weil so vieles in Europa fragwürdig geworden ist, will Zielonka alles „neu erfinden“: Europa, den Liberalismus und sogar den Kapitalismus. Diese Ankündigungen bleiben allerdings nebelhaft und gewinnen in den vielen „Vielleicht-Sätzen“ Zielonkas keine Konturen.
Günter Beyer ist freier Journalist in Bremen.
„Wenn du Recht hast, Ralf,
sehe ich keine Zukunft mehr
für die Demokratie.“
Bernard E. Harcourt:
Gegenrevolution. Der Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger. Aus dem Englischen
von Frank Lachmann.
S. Fischer Verlage,
Frankfurt 2019.
480 Seiten, 26 Euro.
E-Book: 23,99 Euro.
Jan Zielonka:
Konterrevolution.
Der Rückzug des liberalen Europa. Aus dem
Englischen von Ulrike Bischoff. Campus Verlag, Frankfurt 2019.
206 Seiten, 19,95 Euro.
E-Book: 17,99 Euro.
Sind das die Anfänge des Aufstands? Schriftzug der Bürgerrechtsbewegung „Black lives matter“ 2015 auf einer Statue der Konföderierten in Charlottesville.
Philip Weiss/AP
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Harcourt legt eine scharfe und überraschende Analyse der derzeitigen US-amerikanischen Regierungsverhältnisse vor, die die bekannte und oftmals oberflächliche Kritik an der Trump-Administration weit übersteigt. Miryam Schellbach taz 20190810