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Das moderne Israel entstand in der Welt des alten Europa Ende des 19. Jahrhunderts. 1882 bricht Ilya Brodsky mit seiner Schwester Olga auf der Flucht vor Pogromen vom Stetl in Russland auf. In Wien kreuzen sich ihre Wege mit denen des jungen Theodor Herzl, der inmitten der alten k. u. k.-Welt einen modernen jüdischen Staat entwirft. Ilya Brodsky erzählt von dieser für ihn wie das ganze 20. Jahrhundert folgenschweren Begegnung. Warum ergreift der mondäne, ganz Habsburgisch geprägte Herzl plötzlich Partei für seine Schwestern und Brüder im Osten Europas? Welche Träume, welche Gründe haben Herzl…mehr

Produktbeschreibung
Das moderne Israel entstand in der Welt des alten Europa Ende des 19. Jahrhunderts. 1882 bricht Ilya Brodsky mit seiner Schwester Olga auf der Flucht vor Pogromen vom Stetl in Russland auf. In Wien kreuzen sich ihre Wege mit denen des jungen Theodor Herzl, der inmitten der alten k. u. k.-Welt einen modernen jüdischen Staat entwirft. Ilya Brodsky erzählt von dieser für ihn wie das ganze 20. Jahrhundert folgenschweren Begegnung. Warum ergreift der mondäne, ganz Habsburgisch geprägte Herzl plötzlich Partei für seine Schwestern und Brüder im Osten Europas? Welche Träume, welche Gründe haben Herzl dazu geführt, ein »kommendes Land« zu entwerfen, wo schließlich alle vor der Verfolgung in ihren Heimatländern sicher sein sollten? Wie ist der zionistische Traum beschaffen, der bei Anbruch des 20. Jahrhunderts der Zerstörung auf dem alten Kontinent die Stirn bieten wollte?
In diesem grafischen Roman zeichnen ein französischer Autor und ein russischer Zeichner die Stationen von Theodor Herzls Leben und Wirken nach. Bilder und Texte verbinden sich zu einer langen Reise von Wien über Budapest und Konstantinopel bis nach Jerusalem und Tel Aviv.
Autorenporträt
Camille de Toledo, studierte Geschichte und Politik und war Stipendiat der Französischen Akademie Villa Medici in Rom. 2008 gründete er mit Maren Sell die Europäische Gesellschaft der Autoren zur Förderung der Übersetzung; heute setzt er sich mit Kulturprojekten für ein »Parlament der Loire« ein, das dem Fluss Rechtsstatus und so eine Stimme in der Gesellschaft verleihen soll. De Toledos Bücher verschmelzen verschiedene Genres wie Roman, Flash Fiction und Essay miteinander, wie etwa Vies pøtentielles (2010) oder Le livre de la faim et de la soif (2017). De Toledo lebt als Schriftsteller, Kurator und Kulturtheoretiker in Paris und Berlin. Alexander Pavlenko, 1963 in Russland geboren, studierte Geschichte, Zeichnen und Animation in Moskau. 1992 zog er aus Furcht vor Antisemitismus mit seiner Familie nach Deutschland. Er lebt heute in der Nähe von Frankfurt und illustriert unter anderem Texte von Puschkin, Oscar Wilde, de Sade. Herzl ist sein erster grafischer Roman.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020

Der verlorene Körper
Theodor Herzls Leben und Visionen, erzählt
von Camille de Toledo und Alexander Pavlenko
Der Mann hat einen Traum, Theodor Herzl, er will den Juden einen Staat, ein Land, verschaffen, das sie ihres nennen können, will ihr Exil beenden, das sie zwingt, bei fremden Völkern unterzukommen und sich denen zu assimilieren. Bislang haben vermögende Juden, Maurice de Hirsch oder Baron de Rothschild, Ländereien angekauft in aller Welt, auf denen die ärmeren Juden sich ansiedeln konnten. Aber die Lösung dieser Frage wird nur national zu lösen sein, durch einen „Judenstaat“, so der Titel von Herzls berühmter zionistischen Schrift, entstanden unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre. Politik im Dienst einer Erlösungsvision. Den König von Zion hat Karl Kraus Herzl genannt, das Traumland war Palästina, „unsere historische Heimat“, aber auch Uganda oder Mesopotamien waren im Gespräch. Herzl reibt sich auf in den politischen Verhandlungen um diesen Staat, sucht die Vermittlung der Briten, das Einverständnis der Araber. Er stirbt erschöpft 1904, bevor der Traum realisiert werden kann. Erst nach den Schrecken von Weltkrieg und Holocaust wird der Staat Israel gegründet werden.
Camille de Toledo und Alexander Pavlenko erzählen das Leben Herzls und seine Visionen vom Zionismus als Doppelbiografie in einem Comic. Ins Leben Herzls ist das des Ilya Brodsky verschränkt, der Herzls Visionen und Entscheidungen nachforscht, und manchmal reagieren von Bild zu Bild die beiden Geschichten direkt aufeinander. Brodsky ist ein Junge, der 1881 bei einem Pogrom mit seiner Schwester aus seinem Schtetl fliehen muss, sie schlagen sich nach Wien durch, dann weiter nach London. Im „Spiel von Elend und Exil“ sind die Schrecken der Vertreibung auf ein Spielbrett gebannt: „Grenze. Sie setzen sechs Runden aus. Sie denken an den Auszug aus Ägypten.“ In Wien jobbt Ilya bei einem Fotografen, in der Dunkelkammer fühlt er sich geborgen, und er begegnet Theodor – die großbürgerliche Familie Herzl lässt ein Familienfoto machen.
Die Herzls kamen aus Budapest nach Wien. Tivadar, der sich schließlich Theodor nannte, will als Fin-de-siěcle-Schriftsteller reüssieren, am Burgtheater, er geht schließlich nach Paris als Korrespondent für die Neue Freie Presse. Dort beginnt er die Idee von einem eigenen Judenstaat zu entwickeln, für all die Verzweifelten, Heimatlosen, sozial Deklassierten. In seinem Roman „Altneuland“ vollendet er diese Idee. Altneuland, darin manifestiert sich die Utopie, utopisch weil unlösbar.
Die Graphic Novel setzt ein in London, 1932, mit dem Tod Ilyas, eine Fiktion aus dem Jenseits. Ein Schreibtisch, darauf Papiere und Hefte, an den Wänden vollgepackte Bücherregale, Agnon, Scholem Alejchem, Trotzki, sie werden im Verlauf des Buches immer wieder auftauchen. Ein Freitod. „Ich heiße Ilya Brodsky. Ich bin soeben gestorben.“ Ein aufgeschraubter Füller, dunkle Flecken, es ist nicht Tinte, sondern Blut, Ilyas Kopf liegt an der Schreibtischkante. Vor dem Fenster prasseln Regen, der wird oft wiederkehren im Buch, und dichtes Schneetreiben.
Camille de Toledo erzählt die Geschichten Ilyas und Herzls in faszinierender Dichte, voller historischer Details und Reflexionen. In London engagiert sich Ilya in sozialistischen Kreisen, auch Marx ist in der Stadt, er gilt bei den Genossen als unlesbarer Gelehrter. Später spricht seine Tochter bei einer Veranstaltung im Londoner East End.
Alexander Pavlenkos Bilder sind wie Linolschnitte, bräunlich getönt, die historische, gehetzte Atemlosigkeit macht die Figuren schemenhaft, als wären sie Leerstellen im historischen Getriebe. Blitzartig tauchen historische Gestalten und Ereignisse auf, Karl Lueger, der antisemitische Bürgermeister von Wien, Max Nordau, der sich zum unermüdlichen Mitstreiter Herzls entwickelt, Hofmannsthal und Schnitzler, man kann sie erkennen, bevor sie eindeutig benannt werden.
Schon Ende 1929 ist absehbar, dass es das friedliche Zusammenleben von Israelis und Arabern, wie Herzl es sich erträumte, nicht geben wird. Eine politische Wertung des „Judenstaats“ will der Band nicht geben, er bleibt auf Herzl konzentriert, auf den Zionismus als „ein in die Zukunft übertragenes Heimweh“. Das große Projekt ist in diesem Buch Erinnerungs- und Trauerarbeit – so taucht auch Freud hier auf und die Psychoanalyse –, die Erinnerungen an die geliebte ältere Schwester, die in Pest starb. Was wie eine Vision für die Zukunft aussieht, ist eigentlich ein Blick zurück. „Im Lauf der Jahre sollte ein Körper den anderen ersetzen: der Körper der Juden, der erträumten, erhofften jüdischen Nation trat an die Stelle des Körpers seiner Schwester ... Als eine Hoffnung setzte Herzl das in die Zukunft, worüber er in der Vergangenheit nicht weinen konnte.“
FRITZ GÖTTLER
Camille de Toledo,
Alexander Pavlenko: Herzl – Eine europäische Geschichte.
Graphic Novel. Aus dem Französischen von
Eva-Maria Thimme. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2020.
352 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Fritz Göttler scheint beeindruckt davon, wie Camille de Todelo und Alexander Pavlenko in ihrer Graphic Novel vom Leben Theodor Herzls und seinem Traum eines "Judenstaates" erzählen: Historisch genau, aber um die fiktive Figur des russischen Flüchtlings Ilya Brodsky ergänzt, dessen Geschichte mit der Herzls verwoben wird; in bräunlichen Zeichnungen, die den Rezensenten an Linoleumschnitte erinnern und die Figuren im gehetzten historischen Geschehen "schemenhaft" wirken lassen, so Göttler. Herzls Utopie eines Judenstaates werde zudem nicht politisch bewertet, jedoch mit dessen Verlust seiner an Pest verstorbenen Schwester in Verbindung gebracht - somit steht die Geschichte für Göttler im Zeichen von "Erinnerungs- und Trauerarbeit".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Camille de Toledo erzählt die Geschichten Ilyas und Herzls in faszinierender Dichte, voller historischer Details und Reflexionen.« Fritz Göttler Süddeutsche Zeitung 20201013