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Welche Akteure forcierten in der Bundesrepublik zur Adenauerzeit den Einstieg in die Atomkraftnutzung? Welche Motive standen hinter ihren Bemühungen? Und inwiefern zeitigen die damaligen Vorgänge auch heute noch Auswirkungen?Der Technikhistoriker Tilmann Hanel geht diesen Fragen gestützt auf eine breite Quellenbasis nach und zeigt auf, dass der von einzelnen Regierungsmitgliedern getragene Wunsch nach westdeutschen Atomwaffen nicht folgenlos blieb, sondern sich in der Errichtung von Anlagen manifestierte, die speziell auf die Herstellung von waffenfähigem Plutonium ausgerichtet waren. Zwar…mehr

Produktbeschreibung
Welche Akteure forcierten in der Bundesrepublik zur Adenauerzeit den Einstieg in die Atomkraftnutzung? Welche Motive standen hinter ihren Bemühungen? Und inwiefern zeitigen die damaligen Vorgänge auch heute noch Auswirkungen?Der Technikhistoriker Tilmann Hanel geht diesen Fragen gestützt auf eine breite Quellenbasis nach und zeigt auf, dass der von einzelnen Regierungsmitgliedern getragene Wunsch nach westdeutschen Atomwaffen nicht folgenlos blieb, sondern sich in der Errichtung von Anlagen manifestierte, die speziell auf die Herstellung von waffenfähigem Plutonium ausgerichtet waren. Zwar verfolgten Politik, Wissenschaft und Industrie unterschiedliche Interessen; gemeinsam bewirkten sie dennoch die Durchsetzung einer für den zivilen Gebrauch zu gefahrenträchtigen Technik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2015

Lust auf die Bombe
Nukleare Ambitionen in der frühen Bundesrepublik

Die Kernkraftnutzung beruhe, schreibt Tilmann Hanel, auf einer menschenfeindlichen Technik. Es versteht sich von selbst, dass eine Studie zum Aufbau der Atomindustrie in der Bundesrepublik während der Ära Adenauer, wenn ihr Autor sie unter diese Prämisse stellt, nur eine düstere Geschichte erzählen kann. Tatsächlich gleich zwei düstere Geschichten: erstens die einer Forschungs- und Technikentwicklung, welche auf der Kontinuität staatsnaher deutscher Wissenschaft und insgesamt von mehr Fehlschlägen als Erfolgen gekennzeichnet ist. Und zweitens, noch um etliche Schattierungen dunkler, die Geschichte von der vorsätzlichen Tarnung und Vertuschung der "wahren" Absichten und Motive seitens der mit der Kernkraftentwicklung befassten Akteure in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militärführung. Der Autor hat diese beiden Geschichten auf das engste miteinander verknotet.

Leider kann man diesen Knoten nicht auflösen, zum Nachteil der Studie. Denn die eindrucksvolle Forschungsleistung bei der Rekonstruktion des Aufbaus der kerntechnischen Industrie in der Bundesrepublik wird ein Stück weit entwertet durch viele schiefe Deutungen und Spekulationen über die den Akteuren dabei unterstellten sinistren Motive. Es hätte ja ausgereicht, ihnen ihren zeitgeistkonformen Über-Optimismus bezüglich der Kerntechnik vorzuwerfen. Das wäre zwar ein bisschen unfair, aber aus heutiger Sicht zumindest nachvollziehbar (obwohl das letzte Wort über die Zukunft der Kernenergie wohl doch noch nicht gesprochen ist, jedenfalls nicht überall). Stattdessen müht sich Hanel um den Nachweis, so gut wie alle damaligen Akteure - außer den diesbezüglich tauben Energiekonzernen - hätten über den zivilen Nutzen der Kernkraft hinausgehende "machtpolitische" Ambitionen verfolgt, sie jedoch mit großem Geschick und Tücke getarnt und verschleiert. Diese Ambitionen hätten allen Entscheidungen über den Aufbau der Nuklearindustrie in der Bundesrepublik während der Ära Adenauer zugrunde gelegen. Anders gesagt: Die Motive der Beteiligten waren unsauber.

Hanels Ausgangsthese lautet, dass es eine klare Trennung zwischen dem Nutzen der Kernenergie für zivile Zwecke der Stromerzeugung und einem militärischen Nutzen nicht gibt. Die deutsche Kernforschung, die im nationalsozialistischen Deutschland begonnen hatte, brauchte jedoch nach 1945 genau diese Scheidelinie zwecks eigener Gewissensberuhigung. Deshalb sei die berühmte Absage von Otto Hahn, Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und den anderen Göttinger Achtzehn an die militärische zugunsten einer zivil ausgerichteten Nuklearforschung unehrlich gewesen. In den Folgejahren, als es um die Entscheidungen über den angemessensten Reaktortyp ging, setzten sich die Verfechter des mit Schwerem Wasser moderierten Natururanreaktors durch, dessen Hauptnutzen vor allem in der Produktion von waffenfähigem Plutonium bestanden habe. Promotoren dieser Entscheidung waren in erster Linie einige wenige Personen in Wissenschaft und Industrie sowie Politiker wie der erste Atomminister Franz Josef Strauß.

In zwei Kapiteln über zeitgleiche Entwicklungen in der Schweiz und in Schweden kommt Hanel allerdings zu dem Schluss, dass damals das Streben nach Nuklearwaffen als einer militärischen Option für den Ost-West-Konflikt in vielen europäischen Ländern angesagt war. Die Bundesrepublik war hier insofern ein Sonderfall, als sie sich im Vertrag über die Westeuropäische Union (WEU) 1954 zum Verzicht auf die Herstellung und den Besitz von Nuklearwaffen verpflichtet hatte. Sie wäre ohne einen solchen Verzicht nicht so umstandslos zum Mitglied in Nato und WEU aufgestiegen.

Mit großer Akribie beschreibt Hanel das Wechselspiel zwischen Kernforschern, Industrievertretern und Politikern. In Gremien und gemeinsamen Ausschüssen stritten und entschieden sie über Forschungsgelder und -schwerpunkte sowie über den Bau von Atommeilern. Wie bei anderen Kritikern vor ihm erscheinen die Akteure als homogene Atomlobby, die primär den westdeutschen Besitz von Nuklearwaffen im Sinn hatte. Weil das aber nicht in die nationale und internationale politische Landschaft passte, verfielen sie auf Tricksereien und Tarnungen ihrer wahren Absicht. Hanel ist so gebannt von dieser Vorstellung, dass er die von ihm durchforsteten Akten und andere Quellen nicht nur gegen den Strich liest, sondern zu Hilfsdeutungen und Indizien greifen muss: "Es kann spekuliert werden" heißt es da, oder "es kann angenommen werden". Die entscheidenden militärisch relevanten Entscheidungen werden "hinter der Fassade ziviler Atomprogramme" versteckt. Was den Einfluss der Bundeswehr angeht, so gibt es zwar keine Quellen, die ihn belegen. Aber Hanel behilft sich mit dem absurden Gedanken, dass die Atompolitiker womöglich nur die Vorstellungen der Militärführung zum Ausdruck gebracht hätten. Und obwohl sich nur wenige Konzerne der Chemieindustrie an der Reaktorforschung interessiert zeigten, rechnet Hanel doch die gesamte Branche zum militärisch-industriell-wissenschaftlichen Komplex. Was immer das sein soll.

Spannende Lektüre bieten die Beschreibungen der intelligenten Nuklear-Diplomatie der Vereinigten Staaten, die zunächst die deutsche Präferenz für den Schwerwasserreaktor durch sehr preiswerte Angebote eigener Leichtwasserreaktoren konterkarierte. Die waren für die Plutoniumherstellung erheblich weniger ergiebig. Späterhin wurden mit dem Nonproliferations-Vertrag alle Ambitionen auf nationale deutsche Nuklearwaffen ausgetrocknet. Zuletzt muss auch Hanel einräumen, dass sich ein Einfluss der Atompolitik auf die westdeutsche Außen- und Sicherheitspolitik nicht feststellen lässt.

WILFRIED VON BREDOW

Tilmann Hanel: Die Bombe als Option. Motive für den Aufbau einer atomtechnischen Infrastruktur in der Bundesrepublik bis 1963. Klartext Verlag, Essen 2015. 264 S., 24,95 [Euro].

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