28,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Wenige Jahre nach dem Fall der Mauer: Ein deutscher Dichter und ein schwedischer Romancier lernen sich kennen, schließen Freundschaft. Beide am Anfang ihrer schriftstellerischen Laufbahn, beide aber in den zeitgenössischen Debatten zu Hause, den ästhetischen, weltanschaulichen, politischen. Beide weder ortsgebunden noch ortsfest, ständig auf Reisen hin und her. Wo immer ihre Wege in den folgenden zwanzig Jahren sich treffen - in der Wüste von Las Vegas oder in der ehemaligen Wohnung eines RAF-Anwalts in Berlin -, sie verwickeln sich in Gespräche, zeichnen sie auf. Sechs davon sind hier…mehr

Produktbeschreibung
Wenige Jahre nach dem Fall der Mauer: Ein deutscher Dichter und ein schwedischer Romancier lernen sich kennen, schließen Freundschaft. Beide am Anfang ihrer schriftstellerischen Laufbahn, beide aber in den zeitgenössischen Debatten zu Hause, den ästhetischen, weltanschaulichen, politischen. Beide weder ortsgebunden noch ortsfest, ständig auf Reisen hin und her. Wo immer ihre Wege in den folgenden zwanzig Jahren sich treffen - in der Wüste von Las Vegas oder in der ehemaligen Wohnung eines RAF-Anwalts in Berlin -, sie verwickeln sich in Gespräche, zeichnen sie auf. Sechs davon sind hier dokumentiert: Kreuz- und Querzüge, vorgeschobene Positionen, mutwillige Kontroversen, geistesgegenwärtige Schlagabtäusche, gut gelaunte Stimmen, die einander mit Volten und Finten überraschen. Aber auch nach den Trennungen, aus der Ferne, hört ihr Dialog nicht auf. Pointiert, im Austausch von Postkarten, stellen sie Fragen und geben Antworten: Zwischenspiele mit vorderseitigen Motiven und hintergründigen Bezügen - ein Dichterduett à la carte.
Autorenporträt
Durs Grünbein wurde am 9. Oktober 1962 in Dresden geboren. Er ist einer der bedeutendsten und auch international wirkmächtigsten deutschen Dichter und Essayisten. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs führten ihn Reisen durch Europa, nach Südostasien und in die Vereinigten Staaten. Er war Gast des German Department der New York University und der Villa Aurora in Los Angeles. Für sein Werk erhielt er eine Vielzahl von Preisen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Friedrich-Nietzsche-Preis, den Friedrich-Hölderlin-Preis, den polnischen Zbigniew Herbert International Literary Award sowie den Premio Internazionale NordSud der Fondazione Pescarabruzzo. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin und Rom.

Aris Fioretos , geboren 1960 in Göteborg, lebt in Stockholm und Berlin. Romancier und Übersetzer. Er ist schwedischer Autor und Hauptherausgeber der kommentierten Werkausgabe von Nelly Sachs. Für seine Übersetzungen - von u. a. Paul Auster, Friedrich Hölderlin und Vladimir Nabokov - und seine eigenen Werke hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2013

Mein Gott, was sind wir für gelehrte Häuser

Enzyklopädisch gebildet, ohne Scheu vor hehren Worten und gewagten Gesten: Aris Fioretos und Durs Grünbein tauschen seit Jahren große Gedanken aus. Jetzt ist sogar ein Buch daraus geworden - und ein Dichterwettbewerb.

Als sich Aris Fioretos und Durs Grünbein im Herbst 1995 zu ihrem ersten Gespräch trafen, hatten sie die Ebenen ihrer literarischen Karrieren bereits verlassen und die Höhen erklommen. Grünbein hatte gerade den angesehenen Büchner-Preis erhalten. Fioretos war promovierter Literaturwissenschaftler, hatte in Schweden sein Romandebüt veröffentlicht und war gerade - lässig, mit Zigarette im Mundwinkel - auf dem Titel der Literaturzeitschrift "Akzente" dem deutschen Publikum vorgestellt worden. Da trafen sich also zwei, denen klar war: Ihr Gespräch konnte nur eine exzentrische Bahn einschlagen. Genau dies trat ein - von Ezra Pounds "Cantos" ausgehend.

Auf dieses Kennenlernen folgten bis heute fünf weitere Verabredungen. Zwei Jahre nach der ersten Begegnung trafen sich die beiden in einer Wüstenlandschaft unweit von Las Vegas. Ihre Absicht: vor Ort einen "grandiosen Diskurs über die Wüste" zu führen. Am Abend dann ließen sich die beiden von der Aussichtsplattform des Stratosphere Tower vierzig Meter hoch in die Luft katapultieren. War der Big Shot das prägende Turmerlebnis? In jedem Fall standen ihre Gespräche von da an im Zeichen des Turms. Im Juli 2001, wieder in Berlin, vermessen sie die Hauptstadt nacheinander vom Fernsehturm am Alex und vom Funkturm an der Messe aus. Zwei Monate nach ihrem Treffen kommt es zur einschneidenden Turmkatastrophe des noch jungen Jahrhunderts. Wo treffen sich die beiden also wieder? 2003 in New York, am Abgrund von Ground Zero.

Es folgen zwei gemeinsame Reisen in die Vergangenheit: erst nach Stockholm in das Herkunftsland des einen, dann nach Dresden in die Heimatstadt des anderen. Türme besteigen sie dort nicht, bleiben aber dem Überblick treu. Als geeignete Schauplätze machen sie jeweils das Deck eines Schiffes aus. Alle sechs Gespräche versammelt jetzt der Band "Verabredungen", gemeinsam mit fünfzig Postkarten, welche die beiden Dichter über die Jahre hinweg austauschten, um sich gegenseitig zu befragen. Die Freude des Lesers an diesem ingeniösen Spiel ist allerdings erheblich gedämpft, da die Vorderseiten der Karten im Buch leider von den Texten getrennt wurden. Ihr (emblematisches) Zusammenspiel ist daher nur schwer nachvollziehbar.

Über was sprechen Fioretos und Grünbein? Selbstverständlich vor allem über große Literatur. Und über alles, was sich ihnen von ihren wechselnden Schauplätzen aus eröffnet. Statt sich aber in die Sichtweise ihres Gegenübers einzufühlen, suchen sie den Funkenschlag, der beim Zusammenprall ihrer Positionen entsteht. Im Kern bestehen ihre Gespräche aus einem mit Feuereifer durchgeführten spektakulären Wissens- und Metaphernwettbewerb.

In der Wüste bei Las Vegas liefert Grünbein die Bildvorlage: "Gott ist die Wüste, sagt Meister Eckhart. Fällt dir dazu was ein?" Das ist gegenüber Aris Fioretos definitiv eine überflüssige Frage. Nach einem elaborierten Ad-hoc-Vortrag über - mit Verlaub - Gott und die Welt überbietet Grünbein Meister Eckharts Metapher mit einer eigenen Allegorie: "Vielleicht setzt der Mensch als atmendes Wesen ja nur den Flirt des Windes mit der Wüste fort!" Fioretos kontert: "Zur Wüste gehört eine merkwürdige, geradezu ununterbrochene Mobilität." Grünbein: "Dann wäre die Wüste also das Gegenteil jedes möglichen Speichers. Keine Informationen." Fioretos: "Die Wüste ist das gestaltgewordene Vergessen." Grünbein: "Die Wüste scheint nicht nur das Anti-Gedächtnis zu sein, sie ist auch der Anti-Spiegel." Kurz darauf Fioretos: "In der Wüste gibt es kaum Gemeinplätze." Grünbein: "Die Wüste macht fatalistisch." Oder auch schön: "Die Wüste eröffnet sofort den interplanetarischen Dialog."

Wer sich auf geistige Höhenflüge einstellen mag, wird sich an solchen Dialogen berauschen. Enzyklopädisch gebildet, ohne Scheu vor dem gewagten Satz, der großen Geste, ist den beiden gelehrten Poeten nichts fremd und nichts zu fern, um es nicht in Anschlag zu bringen.

Aber die Szene entbehrt auch nicht einer gewissen Komik. Man muss sich nur die Artifizialität des Ganzen vor Augen führen: wie die beiden Dichter mitten in der Wüste ihre Welterklärungssätze jonglieren. Wahrscheinlich tragen sie Talare. Das würde zumindest zum hohen Ton der Gespräche passen, denen jedes Fitzelchen mündlicher Sprache ausgetrieben wurde. Da die ersten drei Gespräche bereits in der Zeitschrift "Akzente" erschienen sind, lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie akribisch sogar jetzt noch einmal für die Buchveröffentlichung an einzelnen Formulierungen gefeilt wurde.

In dieses Bild fügt sich, dass Fioretos und Grünbein vor lauter Überbietungseifer manche Gesprächsgelegenheit verpassen. Zum kritischen Austausch über die eigenen Arbeiten hingegen kommt es nicht. Selbst die Biographie des Gegenübers interessiert nur begrenzt. Gleich bei ihrer ersten Verabredung berührt Durs Grünbein offenbar einen der Brennpunkte seines Lebens: "Ich hatte immer das Gefühl", eröffnet er seinem Gesprächspartner, "dass das Leben in der Zone nur auszuhalten war, wenn man Soldat war." Direkt im Anschluss ergänzt er: "Gegen das Militärische hatte ich dieselben Vernunftgründe wie jeder andere, aber ich wusste auch, ich komme um den Wehrdienst nicht herum." Wie viele Fragen ließen sich an diese Aussage anschließen. Gab es wirklich keine Alternativen? Wie sah es mit dem "waffenlosen Wehrersatzdienst" aus? Warum ausgerechnet als Soldat das Leben aushalten? Worauf beruhte das Gefühl? Und wie hat man es zu verstehen, wenn Grünbein im Folgenden in einer eigentümlichen Distanzierung von sich selbst spricht: "In der Rolle des Soldaten habe ich unendlich viel über mich gelernt, über mein Anpassungsverhalten, meine Beobachtungsgaben, meinen Überlebenstrieb." Lassen sich Soldatenrolle und Person so trennen?

Fioretos verzichtet in diesem Moment auf jede Frage. Auch als Grünbein 2011 in Stockholm noch einmal auf die Zeit "als Soldat der Nationalen Volksarmee der DDR" zu sprechen kommt. Dahin führt sie die Freundschaft nicht, die bei jeder Gelegenheit im Buch beschworen wird. Wenn die beiden Autoren aber ihre "Verabredungen" so prominent publizieren, wüsste man über diese Facetten der dann ja öffentlichen Personen gern mehr. An Höhe hätten die Gespräche dadurch vielleicht eingebüßt, an wünschenswerter Tiefe aber gewonnen.

CHRISTIAN METZ

Durs Grünbein, Aris Fioretos: "Verabredungen". Gespräche und Zwischenspiele über Jahrzehnte.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 252 S., 40 Abb., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Arno Widmann schätzt die Intelligenz, das Wissen und den seltenen Witz des Dialogs, den die Schriftsteller Aris Fioretos und Durs Grünbein zwischen 1995 und 2013 geführt haben. Es geht um den Bogen der Elbe bei Dresden, um Ezra Pound und um das Grauen. Widmann aber geht es vor allem um den Schwung des Denkens, erfreulich spürbar für ihn, obwohl die Wechselrede der beiden Dichter und Denker ihn immer wieder unterbricht oder Grünbeins "Lehrer-Lämpel-mäßiges" Auftrumpfen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2013

Amüsierte Schnauze
Durs Grünbein und Aris Fioretos im Gespräch
Als Aris Fioretos, ein Schwede mit griechisch-österreichischem Familienhintergrund, irgendwann in den Neunzigerjahren in Berlin auftauchte, hörte man es raunen: „Das ist ein Typ wie Grünbein!“ In dieser Zeit schien das die höchste Stufe der Anerkennung zu sein. Durs Grünbein galt in seiner altphilologisch-naturwissenschaftlichen Gewitztheit als die Verkörperung einer neuen Generation, die Ost und West, Bürgerlichkeit und Konformität weit hinter sich ließ. Eine Mischung aus Phantastik und exakter Wissenschaft, kühlem Essay und funkelndem Esprit – und plötzlich gab es mit Aris Fioretos einen Doppelgänger, auch er so ein behänder, glasklarer, poetischer Analytiker.
  Dabei handelte es sich auch um ein rhetorisches Phänomen: Beide zeigten sich schlagfertig und voller überraschender Haken und Ösen. Bald ließen Fioretos und Grünbein den Kassettenrekorder mitlaufen, wenn sie miteinander sprachen, das erste Mal im Oktober 1995. In Buchform erscheinen nun insgesamt sechs Gespräche und ein letztes Kapitel, das ein Frage- und Antwortspiel auf Postkarten dokumentiert. Es ist das aktuelle Muster einer literarischen Gattung, die sich bereits im 18. Jahrhundert entwickelt hat und immer wieder kurz an die Oberfläche trat: der Dialog, die mündliche Suada und Arabeske. Dass die beiden Protagonisten ihre jeweiligen Partien für die Verschriftlichung nachträglich bearbeitet und arrangiert haben, ändert nichts an der Spontaneität des Geschehens.
  Die Gespräche hängen sehr stark von den Spielorten ab: Berlin, New York, die Wüste von Las Vegas sowie die jeweiligen heimatlichen Fluchtpunkte Dresden und Stockholm. Wie eine von der avisierten Ästhetik geprägte Inszenierung mutet der erste Treffpunkt an: Grünbeins damalige Wohnung an der Bamberger Straße in Berlin-Schöneberg, in der vorher der ehemalige Linksradikale und im Anschluss Rechtsradikale Horst Mahler wohnte. Im Erdgeschoss darunter befand sich ein bürgerlich-verschämtes Bordell, das gerne ein Luxuspuff gewesen wäre.
  In der Atmosphäre der Jahre nach 1989, mit dem Ende des östlichen Sozialismus und des behütet-subversiven Schutzgebiets Westberlin, bewegt sich das Gespräch wie traumwandlerisch zugleich in der unmittelbaren Zeitgeschichte wie in einem imaginären, zeitlosen Raum. Der erste Dichter, an dem sich die beiden hochhangeln, ist Ezra Pound, und wie Grünbein und Fioretos aus ihrer jeweiligen Ost- und West-Sozialisation heraus die unterschiedlichen Leseeindrücke dieses verrückt-einzigartigen Jahrhundertphänomens beschreiben, ist ein interessantes Amuse-gueule, eine erste ästhetisch-politische Lektion.
  Und plötzlich, wie in einer freien Improvisation, die zu einem neuen, zentralen Thema führt, finden sich beide in der Farbe Grau. Grünbeins erster Gedichtband hieß „Grauzone, morgens“, eine DDR-Paraphrase über Stillstand und Kontrastlosigkeit. Doch im Grau steckt auch die „graue Substanz“ des Gehirns, und hier trifft sich Grünbein mit Fioretos, dessen früher Essay „Das graue Buch“ den unheimlichen Reichtum zwischen Schwarz und Weiß, die vielfältigsten Schichten und Schattierungen untersucht. Es sind solche Momente des Zusammenspiels, bei allen unterschiedlichen Instrumenten und Herangehensweisen, von denen dieser Gesprächsband lebt – erhellende Augenblicke, in denen durch exakte Beschreibungen und theoretische Reflexionen etwas Literarisches aufblitzt, etwas begrifflich schwer zu Fassendes.
  Grünbein, in der „Zone“ eingesperrt – sie wird sofort zu einer existenziellen Metapher – erzählt von seinem Soldatendasein in der DDR, von seiner Faszination für die Pawlowschen Reflexe, die für ihn die Psyche im Osten viel eher charakterisieren als die differenzierte hochbürgerliche Apparatur Sigmund Freuds. Dem engen, geschlossenen Raum in Grünbeins Kindheit und Jugend steht das Ungebundene, Heimatlose von Fioretos gegenüber: mit Schwedisch als Muttersprache, mit einem aus Griechenland geflohenen Vater und einer österreichischen Mutter. Die Schnittmenge zwischen beiden Erfahrungswelten besteht aus einer obsessiv besetzten Sprache und dem Schreiben als quasi organisch erwachsender Lebensform.
  Hintereinander besteigen Fioretos und Grünbein den Fernsehturm in Ostberlin und den Funkturm in Westberlin – eine Konfrontation der effektheischenden „Discokugel“ eines östlichen Sozialismus mit dem strengen, Zwanzigerjahre-Funktionalismus, dem Erwachsenwerden der westlichen Zivilisation. Flugs entwickeln die beiden anhand dieser verschiedenen Weltentwürfe eine zeitgenössische Medientheorie, und es ist ein Höhepunkt, wie Grünbein in einem brillanten Jazz-Solo den gegenwärtigen Informationsfluss konsequent ins Bild der Kanalisation überführt – der Bildschirm als Kloschüssel.
  Zu den großen Momenten in diesen Gesprächen aber gehört – und vermutlich wurden die beiden Fährtensucher selbst davon überrascht –, dass sie immer wieder bei Kafka landen. Schon am Anfang bringt Fioretos, als Grünbein die Pawlow-Erfahrung anspricht („Durch das ganze zwanzigste Jahrhundert streunen die Hunde“), Kafka ins Spiel. Und einige Jahre und Sätze später gesteht Grünbein, dass Karl Roßmann aus „Amerika“ ihm „die liebste Figur der Weltliteratur“ überhaupt sei: „Man zittert beim Lesen regelrecht mit ihm mit und will ihm immer zurufen ‚Du schaffst es, du schaffst es.‘“ Fioretos aber feiert dann in fulminanter Weise die Magd Leni im „Prozess“, die zwischen Mittel- und Ringfinger Josef K. ihren „kleinen Fehler“ zeigt, eine Art Schwimmhäutchen, für Fioretos eine Erinnerung an unsere „amphibischen Anfänge“, an das Wasser, einem „Text, bei dem sich das Zentrum überall befindet“, und ein großes, wollüstiges Geheimnis: „Hat man einmal gelesen, wie Leni im Dunkeln K.s Hand nimmt und zum Häutchen hinführt, damit er es abtasten kann, vergisst man es nie mehr.“
  Beide spitzen bei einem abschließenden Besuch in den Dresdener Museen ihre individuelle Poetik zu. Grünbein hat in den Achtzigerjahren im „mathematisch-physikalischen Salon“ nach seinem Ausreiseantrag die Fußböden geschrubbt und dabei gelernt, das Barock und die Anfänge der experimentellen Wissenschaften zusammenzudenken – dass er Fioretos anfangs einen Kaugummi anbietet, schlägt den Bogen zurück zu dem Sujet, das ihm bei seinen frühen Putzarbeiten am meisten zu schaffen gemacht hat. Und Fioretos sieht in der alten „Weltzeituhr“ von Andreas Gärtner heute „ein geheimes Bild der Literatur“ schlechthin, ein Geflecht aus einzelnen Bezugspunkten, eine Verräumlichung von unterschiedlichen Zeiten. So wie hier, in diesem funkenschlagenden Gesprächsband, über Literatur gesprochen wird, ist das sofort selbst und primär Literatur und mithin ein letzter Beweis dafür, wie Grünbein anhand des Falls der Mauer extemporiert, „dass die wahren Epiphanien sich aus der Brühe des Alltags ergeben.“
HELMUT BÖTTIGER
Die intellektuellen Doppelgänger
spielen sich die Stichwörter zu
und lassen das Band mitlaufen
Wenn diese hellen Köpfe über
Literatur sprechen, dann
ist das schon selbst Literatur
      
  
  
  
Durs Grünbein/Aris
Fioretos: Verabredungen. Gespräche und Gegensätze über Jahrzehnte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
253 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
»Stupend ist die Fähigkeit beider Autoren, Assoziationen zu erwecken, Visionen zu schaffen, die richtigen Zitate am richtigen Ort zu nennen und mal ernst, mal autoironisch über sich selbst und das eigene Werk zu reden. Verabredungen ist ein glückliches Buch, der Ausdruck einer langjährigen Freundschaft und eines sehr produktiven literarischen und menschlichen Austausches.« Daniele Vecchiato literaturkritik.de 20140505