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Nadschwa wächst in einer privilegierten und westlich orientierten Oberschichtfamilie in Khartum auf. Nach einem Putsch flieht die Studentin mit ihrer Mutter und ihrem Bruder ins politische Exil nach London. Sie verliert ihren Wohlstand und bald auch ihre Eltern. Einst hatte sie davon geträumt, einen wohlhabenden Mann zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen. Nun ist sie auf sich allein gestellt und muss ganz unten neu anfangen. Sie arbeitet als Dienstmädchen und Putzfrau bei reichen Familien, erkampft sich eine unabhängige Existenz. Sie knüpft Freundschaft mit den Frauen der muslimischen…mehr

Produktbeschreibung
Nadschwa wächst in einer privilegierten und westlich orientierten Oberschichtfamilie in Khartum auf. Nach einem Putsch flieht die Studentin mit ihrer Mutter und ihrem Bruder ins politische Exil nach London. Sie verliert ihren Wohlstand und bald auch ihre Eltern. Einst hatte sie davon geträumt, einen wohlhabenden Mann zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen. Nun ist sie auf sich allein gestellt und muss ganz unten neu anfangen. Sie arbeitet als Dienstmädchen und Putzfrau bei reichen Familien, erkampft sich eine unabhängige Existenz. Sie knüpft Freundschaft mit den Frauen der muslimischen Gemeinde. Und findet eine neue Heimat im Glauben. Als sie Tâmer kennenlernt, den ernsten und strenggläubigen Bruder ihrer Arbeitgeberin, muss sie sich entscheiden."Minarett" erzählt eindrücklich und aufschlussreich von Migration, sozialem Abstieg und von der religiösen Gemeinschaft als Ort der Heimat und der Unabhängigkeit. Eine überraschende, provokative Emanzipationsgeschichte, die einen Sturm in der englischen Presse auslöste.
Autorenporträt
Leila Aboulela, geboren 1964 in Kairo, wuchs als Tochter einer ägyptischen Mutter und eines sudanesischen Vaters in Khartum, Sudan, auf. Sie studierte Ökonomie und Statistik an der dortigen Universität sowie Ökonomie und Politikwissenschaft in London. Ab 1990 Dozentin und wissenschaftliche Assistentin in Aberdeen, Schottland. Nach Jahren in Jakarta, Dubai, Abu Dhabi und Doha lebt sie seit 2012 wieder in Aberdeen. Aboulela veröffentlichte fünf Romane, zwei Erzählungsbände und Hörspiele. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in rund fünfzehn Sprachen übersetzt. www.leila-aboulela.com.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020

Der soziale Status verschwindet hinter dem Hidschab
Leila Aboulelas Roman „Minarett“ idealisiert die Religiosität als Ausweg aus dem bedrückenden Minderheitendasein
Wenn man den Osten aus dem Blick verliere, sei man orientierungslos, schrieb Salman Rushdie im Jahr 1999, jeder Navigator könne das bestätigen. Verirrte sich ein Schiff in Zeiten vor Funk und Satelliten,war wahrscheinlich die Karte falsch ausgerichtet – immer auf Jerusalem orientiert war der Osten auf der Landkarte tatsächlich verloren. Dem etymologischen Gehalt der „disorientation“ gewann Rushdie eine symbolische Ebene ab: Sie beschreibt auch das migrantische Erleben von Entwurzelung in einer westlichen Welt.
Auch Nadschwa, die Heldin in Leila Aboulelas Roman „Minarett“, ist desorientiert und sucht nach Navigation. Sie flieht aus dem Sudan ins Exil nach London. Sie kommt von der Oberschicht in die Armut, von der glamourösen Elite in die Minderheit, von der Familie in die Vereinzelung. Auslöser der Flucht ist ein Militärputsch im Sudan im Jahr 1985, der das Leben von Nadschwas Vater, Teil der korrupten Elite, fordert: „Als Baba gehängt wurde, klaffte die Erde, auf der wir standen, auseinander, und wir stürzten in die Tiefe, und der Sturz nahm kein Ende, schien kein Ende zu nehmen, als sollten wir auf ewig fallen und fallen, ohne je anzukommen.“ Je tiefer sie fällt, desto kleiner wird auch der Radius, in dem Nadschwa sich bewegt, bis sie nur noch im Bett ihrer Londoner Wohnung liegt. Dann besinnt sie sich auf ihre Religion.
„Minarett“ ist der zweite von bislang fünf Romanen der sudanesischen Autorin Leila Aboulela, die in Schottland lebt und auf Englisch schreibt. Das Buch erschien bereits 2003 und wurde nun erstmals ins Deutsche übersetzt. Sein polarisierendes Potenzial hat es mit der Zeit nicht verloren. Zwei Jahre nach 9/11, in einer Phase also, in der der „war on terror“ den Islam per se für terroristisch und Musliminnen für unterdrückt erklärte, präsentierte Aboulela mit „Minarett“ ein Buch, das die Forderung nach Assimilation umdreht und von der Hinwendung der Muslime zum öffentlich praktizierten Glauben erzählt. Siebzehn Jahre später ist es immer noch nicht selbstverständlich, kopftuchtragenden Frauen einen eigenen Kopf und eine eigene Geschichte zuzugestehen.
Aboulela verwebt Nadschwas Entwicklung von einer Minirock tragenden Studentin hin zu einer frommen Hausangestellten die unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt ist, zu denen eben auch die Religiosität gehört. Da ist die Scham für den gesellschaftlichen Abstieg und den verbrecherischen Vater, um den sie nur einsam trauern kann; da ist ihre Isolation im Exil und die Diskriminierung, die sie in London erfährt; da ist die Herzlosigkeit und der Machismo ihres atheistischen (Ex-)Freundes. Alles offene Fragen, auf die sie eine Antwort in der muslimischen Gemeinde findet, wo sie beim meditativen Beten zur Ruhe kommt und wo der soziale Status hinter dem Hidschab wie hinter einer Uniform verschwindet. Wie Religion mit anderen Facetten der Identität verknüpft ist, das führt Aboulela einfühlsam vor.
Schwieriger ist es, bei dem dann doch sehr geradlinigem Plot mitzugehen. Der Halt im Glauben wird als ein etwas zu perfekter Ausweg angeboten. Das äußert sich zum einen stilistisch in titelgebender Augen-verdreh-Symbolik: „Wir verirren uns nie, weil wir das Minarett der Moschee im Blick haben und auf sie zustreben können auf dem Heimweg.” Das äußert sich zudem in der Figurenentwicklung Nadschwas, die nichts für Glaubensauslegung und produktiven Zweifel übrig hat.
Ihrer Naivität, mit der sie Heilsversprechen und ein konservatives Frauenbild annimmt, steht dank der autodiegetischen Erzählposition keine andere Perspektive entgegen. Sie wünscht sich beispielsweise, die Konkubine ihres Arbeitgebers zu werden, „mit lebenslanger Sicherheit und einem Gefühl der Zugehörigkeit“, und stellt bedauernd fest: „Aber in diesen modernen Zeiten muss ich mich mit der Freiheit begnügen.“ Damit schließt sie sich einem Denken an, das individuelle Freiheit als westliche Ideologie ablehnt, ohne die komplexen Wechselwirkungen von Individualität und Gemeinschaft in den Blick zu nehmen. Die Konstruktion des Buches, die an einen Bildungsroman in islamischer Logik erinnert, gibt ihr dabei Recht.
Es wäre ungerecht, bei der Kritik die eigene Position außer Acht zu lassen. Wenn Nadschwas fromme Selbstaufgabe auf eine unreligiöse Leserin mit westlicher Sozialisierung befremdlich wirkt, äußert sich in diesem Befremden eine interessantes Verhältnis: Die ägyptisch-amerikanische Theoretikerin Leila Ahmed etwa kritisiert die Tendenz, die okzidentale Vorstellung von weiblicher Befreiung als universelles Menschheitsinteresse hinzustellen und damit eine Unterlegenheit islamischer Gesellschaften zu behaupten, als „kolonialen Feminismus“. Deshalb aber in einen Kulturrelativismus umzuschlagen, der ein gegenseitiges Verständnis von vornherein ausschließt, kann auch nicht die Antwort sein. Die Herausforderung besteht darin, Aboulelas Narrativ zu hinterfragen, ohne in eine kulturelle Überheblichkeit zu verfallen.
Dieses Spannungsgefühl macht die Lektüre anstrengend und anregend. Aboulela entwirft keine Protagonistin, die sich als kopftuchtragende Feministin sowohl von reaktionären Riten als auch von islamfeindlichen Stereotypen befreit. Ihre Nadschwa will nicht politisch sein, sondern glücklich, „wenn ich mich treu bemühe auf meinem Weg.“ Damit erzählt Aboulela eine Geschichte, die ihre Existenzberechtigung ganz einfach einfordert, ohne dem beliebten Emanzipations-Narrativ Folge zu leisten. Und das ist dann doch wieder eine ermächtigende Haltung.
NORA NOLL
Auf ihre Fragen findet die
Protagonistin eine Antwort
in der muslimischen Gemeinde
Die Theoretikerin
Leila Ahmed nennt
die westliche Vorstellung
von weiblicher Freiheit
„kolonialen Feminismus“
Leila Aboulela: Minarett. Aus dem Englischen von Irma Wehrli. Lenos Verlag, Basel 2020. 340 Seiten, 24,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Axel Timo Purr lernt mit Leila Aboulelas Heldin eine junge Sudanesin in der Londoner Diaspora zwischen Deklassierung, Diskriminierung und Selbstermächtigung kennen. Spannend und erkenntnisreich, da differenziert genug und empathisch, findet er den Blick auf die Lebensverhältnisse der Figur, klar und konkret die Sprache im Buch, faszinierend die "ethnografische Dichte". Auch wenn der Roman im Original bereits 2005 erschienen ist, kann er Purr zufolge zum besseren Verständnis gegenwärtiger Spannungen zwischen "säkularen und islamischen Kräften" beitragen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein schöner, gewagter, herausfordernder Roman." (The Guardian)