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Die neuen Gedichte von Heinrich Detering sprechen vom Untertauchen in der Zeit.In Waterloo und Stratford, zwischen Schierke und Elend, Ithaka und Tennessee legen die Gedichte von Heinrich Detering Spuren vergessener Geschichten frei. Sie erzählen von Begegnungen mit Tieren und Menschen, treffen auf Gespenster und Märchenhelden, Aufsteiger und Untertaucher. Sie gehen ins Kino und singen den Blues. Immer erkunden sie dabei die Spannungen zwischen Formstrenge und Leichtigkeit, und immer balancieren sie zwischen Wahrheitssuche und Lügengeschichten.Bienen, Märzin meiner Wohnung lebt ein stiller…mehr

Produktbeschreibung
Die neuen Gedichte von Heinrich Detering sprechen vom Untertauchen in der Zeit.In Waterloo und Stratford, zwischen Schierke und Elend, Ithaka und Tennessee legen die Gedichte von Heinrich Detering Spuren vergessener Geschichten frei. Sie erzählen von Begegnungen mit Tieren und Menschen, treffen auf Gespenster und Märchenhelden, Aufsteiger und Untertaucher. Sie gehen ins Kino und singen den Blues. Immer erkunden sie dabei die Spannungen zwischen Formstrenge und Leichtigkeit, und immer balancieren sie zwischen Wahrheitssuche und Lügengeschichten.Bienen, Märzin meiner Wohnung lebt ein stiller Imkerer zeigt mir Bilder seiner Bienenvölkeraus einem grünen Tal im Libanoner spricht von dunklem und von hellem Honigwie man ihn nur im späten Sommer erntetund deutet auf die Möbel zum Vergleicher hört kein Radio liest nicht in der Zeitunger möchte keine Fernsehbilder sehenim späten März erwartet er den Maier liest im Wald die Spuren seiner Bienenund zeigt die Stelle wo der Stich verheiltein stiller Imker wohnt in meinem Haus
Autorenporträt
Heinrich Detering, geb. 1959, lehrt Neuere deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen. 2003 erhielt er den Julius-Campe-, 2012 den H.-C.-Andersen-Preis. 2014 war er Aston Poet in Residence in Birmingham, 2012 Liliencron-Dozenzt für Lyrik in Kiel, 2008 Ehrengast der Villa Massimo, 2004 Poetikdozent in Mainz, 2003 Paul Celan Fellow in St. Louis.Veröffentlichungen u. a.: Holzfrevel und Heilsverlust. Die ökologische Dichtung der Annette von Droste-Hülshoff (2020); Menschen im Weltgarten. Die Entdeckung der Ökologie von Haller bis Humboldt (2020); Der Antichrist und der Gekreuzigte. Friedrich Nietzsches letzte Texte (2010).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Heilignüchtern am Schreibtisch

Der stille Imker und das Bienenvolk aus dem Libanon: Heinrich Deterings Gedichtband "Untertauchen"

Es ist etwas Leichtes dabei. Etwas Freundliches, Verspieltes. Mit "Untertauchen", seinem fünften Gedichtband, schreibt der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering an seinen Versen fort: Kindheitsbilder, Momente in Natur und Kunst, Fragen nach dem Ich. Und nach Gott. Historische Personen kommen in den Blick. Märchen klingen an, biblische Geschichten werden zitiert, neu erzählt. Detering kann reimen, wie ein Vogel singt, und auch reimlose Gedichte rhythmisch bauen, dass es klingt.

Sein Lied schläft in allen Dingen. Diese Lyrik ist grammatikalisch nicht kompliziert, auch wenn sie so gut wie ohne Satzzeichen auskommt. Das Fehlen der Interpunktion, die kleingeschriebenen Zeilenanfänge machen den Zusammenhalt der Wörter fluid, manchmal doppelbezüglich, aber nicht unverständlich.

Was die Gedichte mitunter hermetisch sein lässt, sind Anspielungen, Namen, die der Leser nicht unbedingt erkennt. Der Anmerkungsapparat bleibt diskret. Wer weiß schon, dass "Moria" die Bergregion ist, in der Abraham seinen Sohn opfern sollte? Und Hanning? Reinhold Hanning (1921 bis 2017) war SS-Unterscharführer und organisierte die Überwachung der KZ-Inhaftierten in Auschwitz und Sachsenhausen. Nach dem Krieg betrieb er ein Milchgeschäft, bevor er fünfundneunzigjährig, kurz vor seinem Tod, wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 170 000 Menschen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. In vier mal vier Versen wird seine Existenz in seinem kachelweiß-reinen letzten Reich aufgerufen. Der Anfang jedes Quartetts moduliert dabei Celans "Todesfuge". Nun mag es sein, dass dies kanonische Werk schon lesebuchreif gedroschen wurde. Ist man überempfindlich, wenn man trotzdem gerade dieses Gedicht nicht überschrieben sehen möchte? Und dann noch mit eher harmlosen Zeilen? Oder wenn man beim Gedicht "alte Fotos" zusammenzuckt: Ein Ich betrachtet das Bild des nackten Allen Ginsberg am Strand (aufgenommen von seinem Lebenspartner Peter Orlovsky) und erwähnt dann angesichts von so viel Lebensfreiheit melancholisch, dass es selbst an seinem "heilignüchternen Schreibtisch" sitzt, "frisch angezogen geduscht und rasiert". Ist sentimental, wer Hölderlins "heilignüchternes Wasser" aus "Hälfte des Lebens" nicht zum Arbeitsplatz mutiert sehen mag? Vermutlich.

Eine andere Überschreibung mag weniger heikel sein. Hier kommen auf gerade zwölf Zeilen Kafka und Rilke zusammen. In "bei den Zimmerherren" ist es ein Insekt, das als Mensch aufwacht, "verschwunden die Flügel und die Fühler", bis es plötzlich sein "erstes Wort ,Hallo!'" ruft, erschrocken über seine ihm fremde Stimme. Und nun fragt sich dieses ins Menschsein gefallene Tier: "wer wenn ich noch summte verstünde mich?" In einer solch Kafka-inversen Verwandlung geht es nicht um Rilkes Schönheit als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen. Nicht um gefährlich abweisende Engel, diese fast tödlichen Vögel der Seele. Deterings Metamorphose bleibt allein heiter und endet mit dem Augenzwinkern des Literaturkundigen: "was werden die Zimmerherren sagen?"

Es macht einen Unterschied, ob einer sicher an Gott glaubt oder, vielleicht verzweifelt, an die Sprache. Wenn überhaupt. Heinrich Detering schreibt aus einem christlich-religiösen Grundvertrauen heraus. Vielleicht gibt das seinen Texten jenen Schmelz des Befriedeten. Dabei können sehr schöne Gedichte entstehen. "Bienen, März" etwa beginnt: "in meiner Wohnung lebt ein stiller Imker / er zeigt mir Bilder seiner Bienenvölker / aus einem grünen Tal im Libanon". Dieser Imker spricht von den Farben des Honigs, die er an dem Glanz der Möbel veranschaulicht. Er hat sich von der Welt zurückgezogen; Radio, Zeitungen, Fernsehbilder interessieren ihn nicht. Zwar hat er Bienen im fernen Libanon, aber er liest auch Bienenspuren "im Wald", zeigt jetzt "die Stelle wo der Stich verheilt".

Das Gedicht endet in der Variante des Eingangsverses: "ein stiller Imker wohnt in meinem Haus". Der Libanon ist eine Landschaft der Bibel; der Imker, der dort seine Völker hatte, ist zum sprechenden Ich eingezogen. Vielleicht ist er sein Alter Ego, das, weltabgewandt, die Süße, das Nahrhafte, das Heilende des Alten Testaments in die profane Gegenwart holt.

Immer wieder geht es um Übergänge. Welche Kreatur sind wir in unserem unverstandenen Dasein? Vielleicht brauchen wir den Blick aus dem anderen animalischen Bezug ("Derridas Katze"), um uns als Ich zu erkennen. Und sind wir nicht immer auch tierhaft? Das Gedicht "Sommer 1959" beginnt: "ein Fisch war ich ein Frosch ein Ding aus Fell". Es benennt eine Zeit, in der der Autor, der im November seinen sechzigsten Geburtstag feiert, als Embryo "im Leib / der Mutter" wuchs, "als ein Tier ein kleines Tier". Die Metamorphose vom Fötus zum selbstreflektierten Ich mag mit der Vorgeschichte der Gattung Mensch von der Urzeit im "Devon", dem Zeitalter der Fische, bis zu seiner Gegenwart, die um den Tod weiß, korrespondieren. Wenn uns in der Evolution so viel Fremdes vorausging, wenn wir aus so Verschiedenem entstanden sind, dann könnten wir künftig auch ein Nichtvorstellbares werden. Wie die Fische, die in der Trockenzeit "im Karst unterm Wald" schwammen, "tief unter dem Berg", und nun bei Regen auftauchen: "sie waren im Dunkel all die Zeit / jetzt schwimmen sie im Morgenlicht / diese Fische werden wir sein".

Fische und ihre tiefen Refugien sind eine Art Klammer für Disparates in "Untertauchen". Von fünf Kapiteln tragen zwei Inseln im Titel, ein Langgedicht widmet sich Eugen von Ransonnet-Villez, der als Erster in einer Taucherglocke Zeichnungen von einer nie gesehenen Unterwasserwelt (zwischen Attersee und Rotem Meer) machte. "Schwimmschule, nachmittags" versammelt Kinderangst und andere flüchtige Alltagsmomente, das letzte Kapitel heißt "unter Fischern", wo wir der frohen Botschaft in Form einer zerknitterten handschriftlichen Notiz an einer Ladentür begegnen: "All the fish is caught by Dave", die uns, zusammen mit dem Autor, rätselhaft tröstet.

ANGELIKA OVERATH

Heinrich Detering: "Untertauchen". Gedichte.

Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 95 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Wie in einem Album blättern wir uns durch diesen Band mit seinen rätselhaften und verwunschenen Wesen.« (Björn Hayer, ZEIT Online, 17.05.2019) »In den vorliegenden Briefen ist Andres als ein facettenreicher Grenzgänger zu entdecken.« (Anton Phillip Knittel, literaturkritik.de, 14.03.2019) »Heinrich Detering dichtet sanft, zärtlich und sorgfältig. (...) Deterings Lyrik eröffnet Horzionte.« (Thorsten Prapotny, Rezensionen.ch, 04.05.2019) »wie Stillleben aus einer vergangenen Welt« (Martin Grzimek, SWR2 »Lesenswert Kritik«, 08.07.2019) »Heinrich Detering ist ein außergewöhnlich guter Dichter, dessen klare Sprache besticht. Ein wahrer Meister.« (Matthias Ehlers, WDR5 Bücher, 10.08.2019) »Die hohe Anspielungsdichte und die Wandelbarkeit des Tons von Gedicht zu Gedicht machen den Band zu einem entdeckerischen Lesevergnügen« (Timo Brandt, signaturen-magazin.de, Dezember 2019)