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"Meine Mutter sagte: Es gibt eine Stummheit, die sich der Übersetzung widersetzt" - Bleiweiß, Langgedicht und Geschichtserzählung, wie Athena Farrokhzad ihr Debüt nennt, findet klare Bilder und knüpft doch ein Geflecht von Mehrdeutigkeiten. Bleiweiß nimmt rasch dramatische Form an, die Familienmitglieder ordnen sich (moralischen)Positionen zu und sprechen im Wechsel - bis auf die Erzählerin selbst. Mutter, Vater, Bruder, Onkel und Großmutter spielen mit verdrehten Redewendungen, extravaganten Metaphern und Sprichwörtern unter anderem auf die Themen Erbe, Verantwortung für die Familie,…mehr

Produktbeschreibung
"Meine Mutter sagte: Es gibt eine Stummheit, die sich der Übersetzung widersetzt" - Bleiweiß, Langgedicht und Geschichtserzählung, wie Athena Farrokhzad ihr Debüt nennt, findet klare Bilder und knüpft doch ein Geflecht von Mehrdeutigkeiten. Bleiweiß nimmt rasch dramatische Form an, die Familienmitglieder ordnen sich (moralischen)Positionen zu und sprechen im Wechsel - bis auf die Erzählerin selbst. Mutter, Vater, Bruder, Onkel und Großmutter spielen mit verdrehten Redewendungen, extravaganten Metaphern und Sprichwörtern unter anderem auf die Themen Erbe, Verantwortung für die Familie, Identität und (Mutter-)Sprache an. Dabei wird die Tochter zwar adressiert, angeklagt und zur Rede gestellt, verweigert aber Antwort und die Einnahme einer Position. So ist das Gedicht durchdrungen von der Vielzahl an Stimmen, die ihre Familie ist oder sein könnte, von der sie ein Teil ist oder sein könnte, und entzieht sich zu einfachen Wahrheiten. Sie zeigen sowohl auf sich selbst und eigene Vergehen als auch auf ein Außen, den Krieg und die damit einhergehende Verrohung der Sprache. Doch in und durch Sprache erkennt die Familie auch die Möglichkeit, Widerstand zu leisten. Für die Erzählerin selbst besteht der Widerstand in ihrer Redeverweigerung.- Clara SondermannIn meinen Arbeiten verschmelze ich lyrische, politische und konzeptuelle Verfahren. Mich interessiert die Intimität, die gesellschaftliche Ordnungen offenbart. Und, mit den Worten von Adrienne Rich: Art means nothing if it simply decorates the dinner table of the power which holds it hostage.- Athena Farrokhzad
Autorenporträt
Athena Farrokhzad (*1983) lebt in Stockholm. Sie debütierte 2013 mit dem stilgebenden Lyrikband Vitsvit, der bislang in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert wurde. Für ihr zweites Buch, Trado, das sie zusammen mit der rumänischen Dichterin Svetlana Carstean schrieb, erhielt sie den Preis des Rumänischen Kulturradios. Ihr dritter Gedichtband In Bewegung. Brief an eine Kriegerin (AT) erscheint im September 2019. Farrokhzad ist als Dramatikerin, Übersetzerin (unter anderem Adrienne Rich) und Lehrerin für Kreatives Schreiben an der Biskops-Arnös författerskola tätig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2019

Sauerstoff für
die Leblosen
Athena Farrokhzads Langgedicht „Bleiweiß“
Athena Farrokhzads Langgedicht „Bleiweiß“ beginnt mit einem schlichten Satz: „Meine Familie war bei ihrer Ankunft marxistisch geprägt“. Sofort ist klar, dass es in diesem Gedicht, soeben im Lyrikverlag Kookbooks erschienen, um Fragen von Emigration, Identität und Assimilierung geht – aber nicht nur. Weil da im ersten Satz das Stich- und Reizwort Marxismus fällt, lassen sich einige der darauffolgenden Verse nicht nur als eine Konfrontation kultureller Gegensätze lesen, sondern auch als politische Auseinandersetzung. So heißt es ein paar Zeilen weiter: „Meine Mutter verteilte die Weihnachtsmänner im Haus und wog / die Vor- und Nachteile eines künstlichen Weihnachtsbaums gegeneinander ab / als sei es ihr Problem“. Warum sind Weihnachtsbäume nicht ihr Problem? Weil sie – vielleicht – Muslima ist? Weil sie Marxistin ist? Oder weil man, egal „wer“ oder „was“ man ist, in einem fremden Land ganz andere Probleme hat?
Über die genaueren Umstände der Familie erfährt man nicht viel. Ihre Wohnung wird genauso wenig beschrieben wie das Land, in dem sie leben (vermutlich Schweden), oder das Land ihrer Herkunft (vermutlich Iran), oder die Berufe der Eltern. Es wird auch nicht ganz klar, wie sich die Erzählerin, die Tochter, selbst innerhalb der Familie situiert. Während die Ratschläge, Meinungen, Mahnungen von Vater, Mutter, Großmutter, Onkel und Bruder auf sie hereinprasseln – das Gedicht besteht in der Tat aus nichts anderem als Gesprächsfetzen –, bleibt sie selbst still.
Athena Farrokhzad wurde 1983 in Teheran, Iran, geboren und wuchs in Schweden auf. Bleiweiß, auf Schwedisch „Vitsvit“ (2013), war ihr lyrisches Debüt und wurde bislang in fünfzehn Sprachen übersetzt. Für die sehr gelungene deutsche Übersetzung ist Clara Sondermann verantwortlich.
Mit seinen fast 70 Seiten ist Bleiweiß ein Langgedicht. Großzügig sind die Verse auf die Seiten verteilt. Die einfachen, klaren Worte sitzen in weißer Schrift auf schwarz gedruckten Balken. Das verleiht ihnen eine gewisse Schwere, dem Buch insgesamt aber eine eigentümliche Eleganz. Auch die Sprache oszilliert zwischen lyrischer Schwermut und einer flapsigen Alltäglichkeit. Dieser Spagat zeigt sich schon in der Form, denn die Gesprächsfetzen wirken wie gesetzte, überzeitliche Weisheiten, eingeführt durch die stete Eröffnungsformel „Mein Vater/Mutter/Onkel sagte“, gefolgt von einem Doppelpunkt. „Bleiweiß“ lässt sich als Chiffre für den zu überwindenden Rassismus lesen. Das schon in der Antike gebräuchliche Farbpigment wird seit langem nicht mehr verwendet, da es schädlich für Gesundheit und Umwelt ist.
Was gesagt wird, ist mehr Monolog als Dialog. Und manche dieser kurzen Monologe wirken absurd – „meine Mutter reichte ihrer Mutter das Glas und sagte: Jetzt sind wir quitt / Hier hast du die Milch zurück“. Als würde sich die, die all dies aufschreibt, selbst über die familiären Seltsamkeiten amüsieren.
Oder handelt es sich um Sprichworte, die es in der einen Sprache gibt, aber in der anderen nicht? Diesen Eindruck bekommt man, wenn die Großmutter folgende so schöne wie rätselhafte Weisheit zum Besten gibt: „Was du auf der Schaukel verlierst, holst du dir später im Karussell zurück“.
Verlieren, Zurückholen, Geben und Nehmen. Das Stimmengewirr steigert sich zu einer machtvoll hämmernden Wutrede, die nicht bloß anklagt, sondern mit offenen Armen und großer Vorstellungskraft austeilt: „Meine Großmutter sagte: Pistazien für die Zahnlosen / Rosenkränze für die Gottlosen / Teppiche für die Obdachlosen / und eine Mutter für dich // (...) Meine Mutter sagte: Sauerstoff für die Leblosen / Vitamine für die Kraftlosen / Prothesen für die Beinlosen / und eine Sprache für dich“.
Schade fast, dass Farrokhzad dem Zusammenhang zwischen Familie und Politik nicht noch weiter auffächert. Stattdessen geht es gegen Ende des Gedichtes immer mehr um Sprachlichkeit – ein Thema, das zur Emigrationserfahrung so wesentlich dazugehört, wie zur Dichtkunst. Manchmal kommt diese abstrakte Problematik etwas kraftlos daher. „Sprachlos bist du gekommen sprachlos sollst du gehen“ – zweifellos wahr, aber das eigentlich Spannende passiert doch dazwischen, zwischen dem Kommen und dem Gehen.
BIRTHE MÜHLHOFF
Athena Farrokhzad: Bleiweiß. Aus dem Schwedischen von Clara Sondermann. Kookbooks Verlag, Berlin. 68 Seiten, 19,90 Euro.
„Bleiweiß“ ist Farrokhzads
Debüt und wurde
bislang in 15 Sprachen übersetzt
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