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Der Begriff der Heimat hat eine dunkle Geschichte, die der Erhellung bedarf, und sie hat womöglich mehr Zukunft, als uns lieb ist. Je mehr Heimatlosigkeit die mobile, flexible neoliberale Welt mit sich bringt, desto unausweichlicher wird es, von Heimat zu reden.Heimat ist ein deutsches Wort, das sich nicht umstandslos in andere Sprachen übersetzen läßt. Heim, Haus, Schutz, Seßhaftigkeit schwingen da mit. Heimat ist, wo man zu Hause, geborgen, mit allem vertraut ist. Heimat ist ein Idiom. Es ist schwer belastet mit Geschichte. Deutsche Romantik, deutsche Volkstümelei und deutscher Faschismus…mehr

Produktbeschreibung
Der Begriff der Heimat hat eine dunkle Geschichte, die der Erhellung bedarf, und sie hat womöglich mehr Zukunft, als uns lieb ist. Je mehr Heimatlosigkeit die mobile, flexible neoliberale Welt mit sich bringt, desto unausweichlicher wird es, von Heimat zu reden.Heimat ist ein deutsches Wort, das sich nicht umstandslos in andere Sprachen übersetzen läßt. Heim, Haus, Schutz, Seßhaftigkeit schwingen da mit. Heimat ist, wo man zu Hause, geborgen, mit allem vertraut ist. Heimat ist ein Idiom. Es ist schwer belastet mit Geschichte. Deutsche Romantik, deutsche Volkstümelei und deutscher Faschismus haben sich ausgiebig seiner bedient. Unzählige Male ist es mißbraucht und verhunzt worden. Aber sein Mißbrauch raubt ihm keineswegs alle Berechtigung. Im Gegenteil, ihr verantwortungsvoller Gebrauch wird um so dringlicher. Solange das Gefühl, das sich Heimweh nennt, bei kleinen und großen Kindern nicht ausstirbt, gibt es keinen vernünftigen Grund, das Wort Heimat aus der deutschen Sprache zu tilgen.
Autorenporträt
Christoph Türcke, Jahrgang 1948, ist emeritierter Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und Autor zahlreicher Bücher. Er wurde ausgezeichnet mit dem Sigmund-Freud-Kulturpreis. Von ihm erschienen bei zu Klampen »Vermittlung als Gott« (1986, 1994), »Perspektiven Kritischer Theorie« (1988), »Zum ideologiekritischen Potential der Theologie« (1990), »Heilige Hure Vernunft« (1991), »Die neue Geschäftigkeit« (1992), »Gewalt und Tabu« (1992), »Religionswende« (1995), »Kassensturz« (1997, 2011), »Der tolle Mensch. Nietzsche und der Wahnsinn der Vernunft« (1999, 2014), »Sexus und Geist« (2001, 2014), »Fundamentalismus - maskierter Nihilismus« (2003), »Heimat. Eine Rehabilitierung« (2006), »Jesu Traum. Psychoanalyse des Neuen Testaments« (2009), »Der tolle Mensch. Nietzsche und der Wahnsinn der Vernunft« (2014), »Sexus und Geist« (2014), »Gewalt und Tabu« (2014), »Luther - Steckbrief eines Überzeugungstäters« (2016), »Nietzsches Vernunftpassion« (2017), »Umsonst leiden« (2017) und »Blasphemie« (2017, EPUB).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2006

Das Völlegefühl am Zipfel der Bratwurst
Christoph Türcke macht sich die Heimat wieder schmackhaft, indem er sie von der Nation trennt

Die Heimatgefühle waren bei den Deutschen nach 1945 lange Zeit in Verruf geraten. Nur die Vertriebenenverbände waren hier öffentlich laut. Das soll sich nun endlich grundsätzlich ändern, meint Christoph Türcke und schlägt als moderne Lösung eine kritische Heimatkunde vor.

Meine Heimat ist Deutschland: Einen solchen Satz kann man nach Christoph Türcke nicht sinnvoll sagen, weil Heimat seiner Meinung nach immer kleiner als eine Nation ist, also höchstens so groß wie die Lüneburger Heide. Nation, so Türcke, sei ein "vager Begriff". Der Bürger solle sich hüten, Heimat und Nation miteinander zu verwechseln, und aufpassen, daß seine Heimatgefühle nicht zum Nationalstolz mutierten. Die Menschen da oben im Bild haben Türckes Essay nicht gelesen, sie wissen deshalb nicht, was er ihnen vorschlägt: eine kritische Heimatkunde. Der kritische Heimatkundler muß lernen, zwischen Heimat und Nation zu unterscheiden.

Die Menschen dort oben im Bild sitzen auf dem Obersalzberg, und ihnen ist vielleicht klar, daß der Obersalzberg mit jenen zwölf Jahren der deutschen Geschichte verbunden ist, dank deren und nach denen es sehr schwierig geworden war, von Heimat und Heimatgefühlen noch frisch von der Leber weg zu sprechen. Von Heimat redeten nach 1945 vor allem die Vertriebenenverbände, und sie wurden deshalb von den Heimatkritikern als Revanchisten angegriffen, als Blindgänger, die nur von den Opfern unter den Deutschen sprechen und nicht von den Deutschen als Tätern reden würden. Christoph Türcke mag das Gerede der Vertriebenenverbände nicht mehr hören.

Damals tauchte unter den Linken, die von Heimat nichts wissen wollten, der alte Philosoph Ernst Bloch auf und summte ihnen seine Kinderlieder ins Ohr. Das war das Echo einer Heimat, "worin noch niemand war" (Bloch). Das stand in Blochs "Prinzip Hoffnung", und Türcke zitiert den Philosophen der Utopie zustimmend.

Die Menschen da oben im Bild haben von Bloch wahrscheinlich nie etwas gehört, und ob sie sich gerne an eine Kindheit im Krieg erinnern würden, das ist unwahrscheinlich. Christoph Türcke erinnert an Theodor W. Adornos Reflexionen über die Heimat als verwunschenen Ort der Kindheit. Adorno aber war das Kind eines wohlhabenden Weinhändlers, ein behütetes und von Mutter und Tante verhätscheltes Einzelkind. Das waren goldene Jahre.

Diese erste Heimat der Kindheit sei, so Türcke, im Grunde genommen die zweite Heimat. Die erste Heimat, die nicht wahrgenommen werden könnte, liege im Mutterschoß, aus dem das Kind auf die Welt gepreßt werde, damit es dort zusehe, wie es weiterkomme.

Die Menschen auf dem Bild oben werden sich auf dem Obersalzberg zu Hause fühlen. Sie werden sich auch im Strandkorb in Travemünde zu Hause fühlen und vor dem Kölner Dom und vor dem Frankfurter Römer und im Tiergarten in Berlin. Nicht aber in Paris, nicht in Rom, nicht in Ankara, allein schon deshalb nicht, weil sie die Sprache nicht beherrschen. Die Linke, die von der Heimat nichts wissen wollte, fuhr gerne in die Ferien nach Italien, nach Portugal, Griechenland oder nach Frankreich - nur Spießer blieben daheim und gingen im Bayerischen Wald wandern.

Wer damals von Heimat redete, der machte sich verdächtig, der war zu schnellen Schulterschlüssen mit der deutschen Geschichte bereit. Bei Christoph Türcke erfährt man leider nichts Genaues über die Unterschiede zwischen Heimat, Staat, Nation und Volk. Die Menschen oben im Bild schauen in ihre Heimat hinein, aber schauen sie auch in ihre Nation hinein, wenn sie ihre Blicke schweifen lassen? Heimat habe etwas mit Vertrautheit zu tun, meint Türcke und zieht einen Kreis um ein Vertrauensgebiet, das man in seiner Kindheit erwandert hat. In dem kleinen Essay fällt kein erhellendes Wort über die Muttersprache, über die vertrauten Gebiete, die durch Wissen bewohnbar gemacht werden - zum Beispiel Wissen um die deutsche Geschichte, die größer ist als die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur.

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die Schultern gerollt, und es hieß, die Deutschen sollten lernen, stolz ihr Vaterland zu lieben. Türcke graut es vor solchen Verbindungen zwischen Heimat, Nationalstaat und Nationalstolz. Kann man Deutschland lieben? Solche Fragen findet Türcke unsinnig.

Der Stolz auf die Nation ist ihm nicht geheuer: "Zu Stolz berechtigt jedoch nur, was man selbst bewirkt oder zumindest mitbewirkt hat. So mögen die aktiv Beteiligten auf die demokratische Verfassung, die hohen Sozialleistungen oder das kulturelle Niveau in ihrem Staat stolz sein. Ansonsten kann man für die Umgebung, den Landstrich, den Staat, in dem man geboren wurde, aufwuchs oder Aufnahme fand, allenfalls dankbar sein." Doch wann beginnt das "ansonsten"? Wer sind die "aktiv" Beteiligten? Die Menschen auf dem Obersalzberg haben wahrscheinlich ihr Leben lang gearbeitet und damit den Laden am Laufen gehalten und Steuern gezahlt, sich also aktiv beteiligt, und sie sind wahrscheinlich aus diesem Grund stolz auf ihr Land und ihre Leistung. Sie würden aber nicht freiweg sagen: "Ich liebe mein Vaterland", eher: "Ich mag Deutschland" und würden damit ihre Heimatgefühle ausdrücken, die sie haben, wenn sie in Deutschland sind oder an Deutschland denken.

Die Sätze, die man verwendet, um diese passionierte Nähe zu bezeichnen, ändern sich - der geschichtliche Gebrauch der Wörter schiebt manche Wörter in den Hindergrund, andere in den Vordergrund. Heimat zum Beispiel sagen heute auch junge Leute wieder einfach so, und sie machen auch wieder einfach so Urlaub in Deutschland. Daß die Jugend wenig über die deutsche Geschichte weiß und aus diesem Grunde ihr Heimatgefühl nicht mit der Tradition fest verbunden ist - das regt seit Jahrzehnten jene Geister auf, denen die Heimat in den Diskursen der siebziger Jahre nicht abhanden gekommen ist.

Die Taten der Volkskultur nach 1945 hatten die linke Aversion gegen die Heimat noch verschärft. Heute gibt es berühmte junge deutsche Maler, und die Jugend singt wieder deutsch und wackelt dazu mit dem Kopf. Deren Heimatgefühle werden bestimmt nicht von der Lüneburger Heide aufgesogen. Türcke meint, in der globalen Welt richten sich die Menschen mit einer mobilen Heimat ein. In Deutschland würden sich Türken mit dem türkischen Fernsehen von der deutschen Umwelt abschotten. Was bleibt aber dann von der Kindheit übrig? Was hilft der Rekurs auf Adornos Amorbach? Die Heimat ist schwieriger als die kritische Heimatkunde.

Türcke sagt, daß das Kind an der Mutterbrust Nähe und Ferne der ersten, der wahren, der einzig heilen Heimat, die es verlassen mußte, spürt. Der "Zipfel" bietet Wonne und Enttäuschung zugleich. Denn "der Zipfel entzieht sich, er tritt zurück, wird zum bloßen Teil der Mutter, die nun mehr und mehr als Person wahrgenommen wird, und die Mutter tritt ihrerseits zurück und wird zum Bestandteil einer weiteren Umgebung". Auch am Zipfel Heimat hängt mehr dran. Der Mensch, der eben noch auf dem Obersalzberg saß und seinen Heimatgefühlen freien Lauf ließ, hängt nun im Lokal, die Bratwurst in der Hand, am Zipfel deutscher Küche, und zwar mit dem Völlegefühl des Stolzes ob dieser kulinarischen Leistung deutscher Metzger, wissend, daß hinter diesem Zipfel, der sich mit jedem Bissen entzieht, die Küche der Nation mehr und mehr als eigene Instanz zum Vorschein kommt - die nach dem letzten Bissen ins Ungewisse zurückweicht und zum Bestandteil einer neuen diffusen Umgebung wird, der Beruhigung, irgendwie daheim zu sein. Dem folgt das Nickerchen am Fuße des Obersalzbergs.

EBERHARD RATHGEB

Christoph Türcke: "Heimat". Eine Rehabilitierung. Zu Klampen Verlag, Springe 2006. 80 S., geb., 9,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eberhard Rathgeb konnte in diesem Buch "nichts Genaues" erfahren über die Unterschiede zwischen Heimat, Staat, Nation, Volk. Als "eine kritische Heimatkunde" bezeichnet er den Essay. Immerhin werden Bloch und Adorno zitiert, entlarvt Christoph Türcke die "Nation" als einen "vagen Begriff" und warnt vor einem Heimatgefühl, das zum Nationalstolz mutiert: "Der Stolz auf die Nation ist ihm nicht geheuer." Aber reicht das? Rathgeb scheint der Kreis zu eng gezogen: "Kein erhellendes Wort über die vertrauten Gebiete, die durch Wissen bewohnbar gemacht werden", deutsche Geschichte etwa. Heimat, so Rathgeb, sei wohl schwieriger als kritische Heimatkunde - und mehr als kindliche Vertrautheit.

© Perlentaucher Medien GmbH