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Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • 1. Auflage
  • Seitenzahl: 218
  • Erscheinungstermin: 23. September 2021
  • Deutsch
  • Abmessung: 219mm x 144mm x 21mm
  • Gewicht: 415g
  • ISBN-13: 9783406777615
  • ISBN-10: 3406777619
  • Artikelnr.: 61353897
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ausführlich liest Rezensent René Schlott die Bücher zweier ehemaliger Verfassungsrichter, die sich mit der Bewältigung der Corona-Pandemie durch die deutsche Politik befassen. Neben Udo Di Fabios "Coronabilanz" hält er vergleichend Hans-Jürgen Papiers "Freiheit in Gefahr". Beiden attestiert er Meinungsfreudigkeit. Aber während für Di Fabio alles zum besten stehe mit der deutschen Demokratie, sehe Papier doch, wie der Titel schon sagt, einige Gefährdungen der Freiheit: Warum muss man Masken tragen in menschenleeren Straßen? Darüber hinaus hätten die Bücher allerdings manche Ähnlichkeiten. Schlott bemängelt bei beiden Autoren etwas zu kursorische, aber mit großen Gesten vorgetragene historische Herleitungen und einen Hang zum großsprecherisch Diffusen. Beide Autoren kritisierten übrigens den harschen Umgang der Öffentlichkeit mit der Aktion #allesdichtmachen. So bleibt für Schlott als Resümee nur, dass Di Fabio in jeglicher Hinsicht Entwarnung gebe (er war natürlich auch bei offiziellen Expertenräten dabei), während Papier doch die Verhältnismäßigkeit hier und dort verletzt sah.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2021

Gerichte sind keine Ersatz-Gesetzgeber
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio stellt dem Staatshandeln in der Corona-Krise ein gutes Zeugnis aus

Niklas Luhmann, zweifellos einer der bedeutendsten Soziologen des vorigen Jahrhunderts, war studierter Jurist und lange Jahre Verwaltungsbeamter. Erst danach wandte er sich der Soziologie zu, promovierte und habilitierte sich fast in einem Zug und wurde kurz darauf Professor in Bielefeld. Der eine Generation jüngere Udo Di Fabio hat einen beruflichen Lebensweg, der dem Luhmanns nicht unähnlich ist. Auch er war zehn Jahre lang Verwaltungsbeamter, studierte dann Rechtswissenschaften, und drei Jahre nach der Promotion fügte er dem juristischen Doktortitel einen sozialwissenschaftlichen hinzu. Di Fabio, der 1999 zum Richter des Bundesverfassungsgerichts berufen wurde, gehört zu jenen deutschen Staats- und Verfassungsrechtlern, die ihr Denken an Luhmanns Systemtheorie geschult haben, das merkt man auch an seinem neuen Buch.

Im Gegensatz zu Luhmann, der mit politischen Äußerungen sparsam war, hat sich Di Fabio als Richter mit politischen Fragen befasst (am BVerfG etwa mit europarechtlichen) und Bücher vorgelegt, die auf ein größeres Publikum zielen: Besonders mit "Kultur der Freiheit" (2005) hat er, wie Kritiker monierten, ein konservatives Manifest geschrieben. Auch seine "Corona-Bilanz", in die die Erfahrungen und Erkenntnisse eingeflossen sind, die er als Mitglied von Armin Laschets "Expertenrat Corona" sammeln konnte, wendet sich an eine breitere Öffentlichkeit.

Das Buch ist, jedenfalls die erste Hälfte, allgemeinverständlich geschrieben und didaktisch geschickt aufgebaut, mit kurzen Kapiteln, die zudem in handliche Abschnitte untergliedert sind. Sie handeln vom "Recht im pandemischen Notstand"; es wird eine Bilanz aufgemacht, ob der Staat sich bewährt hat oder überfordert war; und es gibt ein Kapitel über das intensive Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik in der Krise.

Was die Politik in der Pandemie angeht, kommt Di Fabio zu dem Ergebnis, dass - summa summarum - die Organe des Staates adäquat reagiert hätten, auch der Förderalismus sich trotz langwieriger Abstimmungsprozesse bewährt habe: Deutschland ist im Vergleich zu anderen Staaten, auch zu zentralistisch organisierten, ausweislich der Zahl der Infizierten und Toten gut durch diese sanitäre Krise von bisher unbekanntem Ausmaß gekommen. Dabei vertraut Di Fabio den Zahlen keineswegs blind (da darf auch das "Präventionsparadox" nicht fehlen); im Fall der berüchtigten "Übersterblichkeit" nennt er die Unwägbarkeiten bei ihrer Ermittlung und die Notwendigkeit von Differenzierung. Das Kapitel über "Das Recht im pandemischen Notstand" ist ein Musterbeispiel geschliffener, stringenter Argumentation, die sich auch für juristische Laien nachvollziehen lässt. Di Fabio zeigt, dass der Staat, vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen, zu seinem Handeln ermächtigt und berechtigt war, vor allem auch, dass der Bundestag, entgegen mancher Kritik, dabei ausreichend beteiligt war.

Im Pandemiefall geht es um das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das gegen andere Grund- und Freiheitsrechte abzuwägen ist, mit der "Würde des Menschen" als oberstem Verfassungswert, der absolut gilt. Di Fabio weist auf nicht auflösbare Dilemmata hin, die sich bei solchen Abwägungen ergeben können, in der Pandemie in extremis bei der "Triage" auf Intensivstationen. (Ein anderes Beispiel wäre das Karlsruher Urteil zum Luftsicherheitsgesetz.) Er plädiert dort für gesetzgeberische Zurückhaltung, wo eine detaillierte Regelung moralische Zielkonflikte nicht auflöst und, wie im Fall der Medizin, ethisch begründete Standesregeln das Handeln ohnehin leiten.

In gewisser Hinsicht gilt das auch für den Klimaschutz. Mittels eines Zitats übt Di Fabio subtil Kritik am Karlsruher "Klimaurteil": Ein aus gut gemeinten ökologischen Beweggründen gedrosseltes Wachstum in den hoch entwickelten Industrieländern könnte zur Folge haben, dass andere Teile der Welt weiter verarmen und dort noch mehr Menschen sterben. Es ist nicht auszuschließen, dass solche "Kollateralschäden", um dieses verpönte Wort zu gebrauchen, auch im Fall des Gesetzes über Lieferketten auftreten könnten. Überhaupt plädiert Di Fabio mehrfach für "judicial restraint" - Gerichte seien keine Ersatz-Gesetzgeber. Selbst wer da nicht allen Argumenten des Autors folgen will, sollte diese Problematik bedenken.

Im zweiten Teil seines - mit vielen Fußnoten dokumentierten - Essays weitet Di Fabio den Blick über die Pandemie hinaus auf die allgemeine Krise der politischen Systeme der westlichen Gesellschaften, auf die Finanzwirtschaft, auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, das sich in der Corona-Krise zu ändern scheint - hin zu mehr Dirigismus. Hier könnte sich mancher Leser, der mit der funktionalen Differenzierung und Spezialisierung sozialer Systeme und systemtheoretischem Jargon nicht so vertraut ist - besonders ausgeprägt in dem abschließenden Gespräch mit dem Münchener Soziologen Armin Nassehi - überfordert fühlen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, sagte vor einiger Zeit im Bundestag sinngemäß, der "Markt" kümmere sich nicht um die Menschen. Das ist insofern richtig, als er, seiner spezifischen Funktion nach, am Gewinn von Unternehmen ausgerichtet ist. Dagegen hebt Di Fabio die Eigenlogik des Marktes, ganz gemäß ordoliberaler Denkweise, als Instrument des Wandels, der Innovation und als Reaktion auf neue Herausforderungen hervor. Ohne seine Leistungsfähigkeit würden auch andere Subsysteme, etwa die Wissenschaft, leiden und in ihrer Leistungskraft gemindert. Man kann da ohne Weiteres an die privatwirtschaftliche, wenn auch durch öffentliche Gelder mitfinanzierte, ungemein schnelle Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 denken - BioNTech lässt grüßen.

Di Fabio ist ein erklärter Gegner der "Lust am Neo-Dirigismus", weil der auf Entdifferenzierung hinausläuft und damit die Leistungskraft des gesamten Systems bedroht - was Nassehi im Gespräch auf die Formel bringt, wer den Kapitalismus abschaffe, schaffe auch dessen Leistungsfähigkeit und Kreativität ab. Di Fabio ist entschiedener Anhänger eines Staates, der einen Ordnungsrahmen vorgibt und - da spricht der Praktiker und Realist - beim Auftreten von Problemen durchaus korrigierend eingreift, etwa mit seiner Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, aber in Maßen. Auch wer diesem liberal-konservativen Ansatz nicht in letzter Konsequenz folgen will, sollte dieses Buch lesen, als sachkundige Durchdringung der Pandemie-Krise wie als intellektuelle Herausforderung für Politik, Wissenschaft und Bürger. GÜNTHER NONNENMACHER

Udo Di Fabio: "Coronabilanz". Lehrstunde der Demokratie.

C. H. Beck Verlag, München 2021. 217 S., geb., 24,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021

Was die Pandemie lehrt
Die beiden ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Udo Di Fabio
ziehen Bilanz: Wo hat der Staat richtig gehandelt, wo falsch? Doch eine wichtige Antwort fehlt
VON RENÉ SCHLOTT
Am Thema Corona herrscht seit einiger Zeit ein gewisser Überdruss beim Publikum. Angesichts der medialen Dominanz des Virus in den vergangenen eineinhalb Jahren ist das nicht verwunderlich. Im zurückliegenden Wahlkampf etwa spielte die Pandemiepolitik faktisch keine Rolle. Während das Thema Corona also tagesaktuell mehr und mehr von den Titelseiten verschwindet und zu einer Nachricht unter vielen wird, schwemmt der Bücherherbst eine große Zahl von Corona-Titeln auf einen ohnehin von thematisch einschlägigen Bänden schon gesättigten Markt.
Alles scheint gesagt zu sein, nur noch nicht von allen. Aber gilt das auch für zwei Neuerscheinungen populärer Sachbücher, deren Autoren als ehemalige Bundesverfassungsrichter qua juristischer Expertise besonders berufen sind, sich mit der schwierigen rechtlichen Gemengelage der Corona-Politik, mit dem stetigen Ringen um die Verhältnismäßigkeit der Eindämmungsmaßnahmen und mit dem kaum auflösbaren, durch die Pandemie wieder neu aufgeworfenen Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit zu beschäftigen?
Hans-Jürgen Papier, von 1998 bis 2010 zunächst Vizepräsident und dann Präsident des Bundesverfassungsgerichts, und Udo Di Fabio, von 1999 bis 2011 Richter am höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe, gehören wohl zu den bekanntesten ehemaligen deutschen Verfassungsrichtern. Beide sind weiter als Hochschullehrer aktiv und melden sich regelmäßig zu aktuellen politischen und rechtlichen Fragen in der Öffentlichkeit zu Wort. Jüngst gaben Papier und Di Fabio in den großen deutschen Leitmedien zahlreiche Interviews zur Corona-Politik. Papier kam dabei die Rolle des Mahners zu, der die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zuungunsten Letzterer ins Rutschen geraten sah. Di Fabio dagegen meldete sich als unaufgeregter Beobachter der Zeitläufte zu Wort, der als Mitglied des inzwischen aufgelösten Corona-Expertenrates von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet selbst beratend in die Corona-Politik involviert war.
Entsprechend fallen nun auch die jeweiligen Buchtitel aus, mit denen sich die Autoren gewissermaßen treu bleiben. „Freiheit in Gefahr“ heißt es etwas effektheischend bei Papier, während Di Fabio in seiner ganz nüchtern betitelten „Coronabilanz“, eine „Lehrstunde der Demokratie“ sieht, die sich als freiheitliche Staatsform im Großen und Ganzen bewährt habe. Papier artikuliert auch im Buch selbst seine Kritik an der Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen und am Agieren der deutschen Gerichte und der Parlamente deutlich plakativer als Di Fabio, der viele seiner Befunde als scheinbar offene Fragen formuliert und bei dem man Kritik eher zwischen den Zeilen findet. Di Fabio nimmt sich als Autor eher zurück; Papier dagegen verweist gerne auf die eigene Biografie und auf die unter seiner Präsidentschaft getroffenen wegweisenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
Doch die zwei Bücher sind sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick erscheint. Beide Autoren nutzen das Corona-Thema als Ausgangspunkt für einen generellen Blick auf die gesellschaftlichen Konfliktlinien und auf aktuell diskutierte Themen wie den Klimaschutz und die Digitalisierung, die Zukunft der Europäischen Union und die Entwicklung der Finanz- und Wirtschaftsordnung. Beide, Papier und Di Fabio, holen dabei weit aus und arbeiten mit teils sehr kursorischen historischen Herleitungen, die bis zur Französischen Revolution reichen. Und bei beiden bleibt die Zielgruppe ihrer Bücher ziemlich diffus. Di Fabio klärt zwar in seinem Vorwort gleich, für wen das Buch nicht geschrieben ist („keine Lektüre für Wutbürger“), lässt aber offen, an wen es sich richtet. Für Juristen bleiben die Ausführungen sowohl von Papier als auch von Di Fabio zu sehr an der Oberfläche, für an der Corona-Politik interessierte Laien wird bei beiden nichts wirklich Neues geboten, und auch die jeweiligen Fans der zwei Richter dürften ihre Positionen bereits aus deren Interviewäußerungen kennen. Beide, man muss es nach der Lektüre so konstatieren, trauen ihren Leserinnen und Lesern offenkundig wenig zu. Gerade der Band von Di Fabio lässt vor lauter pointiert formulierten Zwischenüberschriften (manchmal gleich zwei auf der kleinformatigen Seite) kaum einen längeren, komplexeren Gedanken zu. Der etwas kleinteilig daherkommende Band scheint sich am zeitgeistigen Häppchenjournalismus zu orientieren, der es vermeidet, dem Publikum umfangreichere Textmengen zuzumuten, und stattdessen auf Frage-Antwort-Seiten setzt, die schnelle Überblicke, aber kaum Tiefe liefern.
Beide Autoren legen mit ihren Büchern jedoch engagierte Plädoyers für die Meinungsfreiheit vor, die sie auch hierzulande bedroht sehen. Als Beleg dafür verweisen sie unabhängig voneinander auf die massiven öffentlichen Reaktionen auf die Aktion #allesdichtmachen im April 2021. Di Fabio, der den Deutschen eine „hohe Konformitätsbereitschaft“ und ein „postmodernes Fortleben des alten Untertanengeistes“ attestiert, sieht in den auf den medialen Shitstorm folgenden Rückzügen einiger Beteiligter, wie etwa der öffentlich „bereuenden“ Heike Makatsch, ein „Ritual der Selbstanklage, wie man das eigentlich nur aus repressiven Systemen der Umerziehung kennt“. Und Papier erinnert im Zusammenhang mit der Aktion daran, dass aus Artikel 5 des Grundgesetzes auch eine Schutzpflicht des Staates gegenüber jenen Menschen resultiert, denen wegen ihrer Meinungsäußerung mit Berufsverboten gedroht wird oder die auf andere Art mundtot gemacht werden sollen.
Die beiden meinungsfreudigen Ex-Verfassungsrichter teilen die Skepsis vor einem neuen Staatsdirigismus und einem überregulierenden Gesetzgeber, scheinen sich jedoch vor den Gretchenfragen der deutschen Pandemiebekämpfung zu scheuen: Lässt sich das in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes festgehaltene „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ von seiner ursprünglichen aus den nationalsozialistischen Verbrechen resultierenden Bedeutung als Abwehrnorm gegen einen übermächtigen Staat, der weder foltern noch töten darf, so weitgehend interpretieren, dass daraus eine staatliche Schutzverpflichtung abzulesen ist, mit der selbst ein Lockdown, als fundamentale Einschränkung aller privaten und gesellschaftlichen Beziehungen, zu rechtfertigen ist? Warum sieht das Grundgesetz wortwörtlich nur bei zwei Grundrechten, der Freizügigkeit und der Unverletzlichkeit der Wohnung, Einschränkungen „zur Bekämpfung der Seuchengefahr“ vor? Und inwiefern ist die monatelange Isolation alter und kranker Menschen in Alten- und Pflegeheimen, ist das durch staatliche Verordnungen erzwungene einsame Sterben von Menschen in Krankenhäusern, sind die teils strikten Absonderungsbestimmungen selbst für Kleinkinder mit dem in Artikel 1 postulierten „obersten Verfassungswert“ der unantastbaren Würde des Menschen vereinbar?
Papier sieht bei einigen Maßnahmen, wie dem Beherbergungsverbot, der Einführung der Sperrstunde, der wieder gekippten Osterruhe, der 180-Quadratmeter-Regel für den Handel den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, weil nicht ausreichend klar gewesen sei, ob die Bestimmungen tatsächlich einen Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens leisteten. Die Liste ließe sich um das Leseverbot auf bayerischen Parkbänken, das Verweilverbot am Düsseldorfer Rheinufer oder die Maskenpflicht in menschenleeren Straßen erweitern. Einzelne Maßnahmen hätten wohl eher der politischen Profilierung von Entscheidungsträgern gedient, mutmaßt Papier, sie seien kopflos, widersprüchlich oder irrational gewesen und wirkten wegen der unzureichenden Parlamentsbeteiligung und der zurückhaltenden Reaktion der Gerichte wie ein „Gift für die rechtsstaatliche Demokratie“.
Di Fabio hingegen gibt in jeder Hinsicht Entwarnung: „Der demokratische Rechtsstaat und auch die Marktwirtschaft haben sich als handlungsfähig erwiesen.“ Es habe weder einen „Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung“ gegeben noch sei das Ansehen der Wissenschaft in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Pandemie habe letztlich gezeigt, „dass ein Land wie Deutschland so schlecht nicht funktioniert“. Doch auch Di Fabio warnt vor einer überbordenden Regulierungsneigung und zitiert aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz 2006: „Der Staat muss sich begrenzen, darf dem fremden Unrecht kein zusätzliches eigenes entgegensetzen. Der starke Staat ist der zurückhaltende Staat.“ Und Papier bemüht mit gleicher Intention ein Spinoza-Zitat aus dem späten 17. Jahrhundert, wonach der Zweck des Staates „in Wahrheit die Freiheit“ sei.
Hans-Jürgen Papier: Freiheit in Gefahr. Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können. Heyne, München 2021. 288 Seiten, 22 Euro.
Udo Di Fabio: Coronabilanz. Lehrstunde der Demokratie. C.H. Beck, München 2021. 218 Seiten, 24,95 Euro.
Papier gibt wie immer
den Mahner, Di Fabio zeigt
sich entspannt
Wie bringt man Freiheit,
Menschenwürde und Lockdown
ins Gleichgewicht?
...dem Logistikdienstleister Zeitfracht: Von diesem vollautomatische Lagerhaus aus werden Buchhandlungen
in ganz Deutschland beliefert, in der Regel über Nacht.

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Rezensent Günther Nonnenmacher empfiehlt das Buch des Verfassungsrechtlers Udo Di Fabrio zum besseren Verständnis der Politik in der Corona-Krise. Der Luhmann-Jurist Di Fabio erklärt im ersten Teil seines Essays laut Nonnenmacher durchaus allgemeinverständlich, inwieweit sich der Staat in der Pandemie bewährt hat. Die Legitimität staatlichen Handelns beweist der Autor in stringenter Argumentation, so der Rezensent. Schwieriger zu lesen erscheint dem Rezensenten der zweite Teil, in dem der Autor etwas allgemeiner westliche politische Systeme in der Krise betrachtet. Hier geht der "systemtheoretische Jargon" bisweilen mit dem Autor durch, meint Nonnenmacher.

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