30,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Die Künstlerin Gabriele Stötzer war das Kraftzentrum des lebendigen Untergrunds in Erfurt. Sie selbst saß nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 in Untersuchungshaft und im Frauengefängnis Hoheneck. Ihre einjährige Haft führte aber nicht zum Verstummen. Nach ihrer Freilassung leitete sie eine Untergrundgalerie und gründete eine Künstlerinnengruppe. Am 3. Dezember 1989 besetzte sie als erste gemeinsam mit Gleichgesinnten das Gebäude der Staatssicherheit in Erfurt. Nach über 25 Jahren hat Gabriele Stötzer in den Archiven der Stasi zu ihrer eigenen Vergangenheit und der weiterer 32 Künstlerkollegen…mehr

Produktbeschreibung
Die Künstlerin Gabriele Stötzer war das Kraftzentrum des lebendigen Untergrunds in Erfurt. Sie selbst saß nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 in Untersuchungshaft und im Frauengefängnis Hoheneck. Ihre einjährige Haft führte aber nicht zum Verstummen. Nach ihrer Freilassung leitete sie eine Untergrundgalerie und gründete eine Künstlerinnengruppe. Am 3. Dezember 1989 besetzte sie als erste gemeinsam mit Gleichgesinnten das Gebäude der Staatssicherheit in Erfurt. Nach über 25 Jahren hat Gabriele Stötzer in den Archiven der Stasi zu ihrer eigenen Vergangenheit und der weiterer 32 Künstlerkollegen geforscht. Sie hat einen sachlichen Bericht über die Formen der Observation geschrieben, der die innere Logik der Überwachungsbehörde freilegt. Originaldokumente aus den Akten sowie Bildmaterial der Observierenden ergänzen ihren Text, der im Rahmen der Ausstellung "Zwischen Ausstieg und Aktion" in der Kunsthalle Erfurt 2014 entstand.Gabriele Stötzer (_1953), Fotografin, Autorin, Super-8-Filmerin und Performerin, lebt und arbeitet in Erfurt. Einzelausstellung "Bewusstes Unvermögen - Das Archiv Gabriele Stötzer ", Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, 2019.Artist Gabriele Stötzer was the powerhouse of Erfurt's lively underground. After Wolf Biermann's expatriation in 1976, she herself was held on remand and put in the Hoheneck women's prison. Her one-year imprisonment did not silence her though. After her release, she ran an underground gallery and established a group of female artists. On 3 December 1989, she was the first to occupy the Stasi building in Erfurt together with a collection of like-minded people. More than twenty-five years after the event, Stötzer researched her own past and that of thirty-two fellow artists as recorded in the Stasi archives. She has written a factual report on the forms of observation that were used, exposing the internal logic of the surveillance regime. Her text-which was written for the exhibition Between Withdrawal and Actionat the Kunsthalle Erfurt in 2014-is supplemented by original documents from the files and visual material produced by surveillance operatives. Gabriele Stötzer (b. 1953), photographer, author, Super 8 film-maker, and performer, lives and works in Erfurt. Her solo exhibition Bewusstes Unvermögen: Das Archiv Gabriele Stötzer is showing at the Leipzig Museum of Contemporary Art (GfZK) in 2019.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2022

Methoden der Zermürbung hatte die Stasi viele
Gabriele Stötzer erzählt die Geschichte einer widerständigen Erfurter Künstlergruppe in der DDR

Am 4. Dezember 1989 wurde in der Erfurter Andreasstraße die örtliche Bezirkszentrale der Staatssicherheit in einem bis dato beispiellosen Akt der Selbstermächtigung friedlich von Bürgern besetzt. Heute wenig bekannt, war dies die erste derartige Aktion auf dem Gebiet der DDR. Erst sechs Wochen später, Mitte Januar 1990, kam es zur Besetzung der Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit in der Berliner Normannenstraße. Fernsehkameras hielten dort das dramatische und revolutionäre Geschehen fest. Die Bilder aus der DDR-Hauptstadt haben deshalb längst ikonographischen Charakter, sie dominieren das kollektive Bildgedächtnis, während die Entwicklung in der Peripherie der DDR kaum erinnert wird.

Die "Premiere" in Erfurt ging von einer Handvoll DDR-Bürgerinnen aus. Einige von ihnen gehörten zu einer 1984 gegründeten Künstlerinnengruppe, die sich einmal wöchentlich traf und jenseits der offiziellen und staatlich gelenkten DDR-Kulturpolitik Modeschauen, Gedichtlesungen und Performances organisierte, gemeinsam avantgardistische Musikkonzepte entwickelte und Super-8-Filme drehte. Die Künstlerinnengruppe wiederum war Teil der alternativen Kunstszene in der damaligen Bezirkshauptstadt Erfurt. Eine ihrer Protagonistinnen war die 1953 in einem Dorf bei Gotha geborene Gabriele Stötzer, die die Geschichte der Kunstszene und der Künstlerinnengruppe nun in einem eigenen Buch erzählt.

Das Wirken der Staatssicherheit spielt dabei eine besondere, titelgebende Rolle. Denn Stötzer stützt ihre Darstellung vor allem auf das Studium der Stasi-Akten von 32 Akteuren aus der Künstlerszene, die dazu ihr Einverständnis gegeben haben. Im mit Porträtfotografien versehenen "Personenregister" des Bandes jedoch finden sich 66 Einträge, es umfasst auch alle Angehörigen der Untergrundszene, die als Inoffizielle Mitarbeiter Informationen an die Staatssicherheit geliefert haben, und nennt sie beim Namen. Darunter den Fotografen Joachim Schlaack, der als "IMB" ("Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung") von 1976 bis zum Oktober 1989 über zehntausend Seiten an Berichten über die Aktivitäten der Erfurter Kunstszene verfasst hat.

Stötzer selbst ging mit sechzehn Jahren nach Erfurt und holte nach einer Ausbildung ihr Abitur an der Abendschule nach, um an der Pädagogischen Hochschule Deutsch und Kunsterziehung zu studieren. Nachdem sie in einem offenen Brief an Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung, zusammen mit mehr als achtzig Kommilitonen gegen die drohende Zwangsexmatrikulation eines Mitstudenten protestierte, der in der Studentenzeitung die Sinnhaftigkeit des Pflichtfaches Marxismus-Leninismus für das Pädagogikstudium infrage gestellt hatte, wurde sie selbst exmatrikuliert. Sie engagierte sich fortan als Akteurin, ja als "Motor" der Erfurter Kunstszene. Wegen ihres anhaltenden Widerstandes gegen die gesellschaftlichen und politischen Zustände in der DDR eröffnete das Ministerium für Staatssicherheit in zehn Jahren vier operative Vorgänge gegen sie. Ende der Siebzigerjahre saß Stötzer wegen "Staatsverleumdung" ein Jahr im Frauengefängnis Hoheneck.

Mit perfiden Methoden jenseits der Haft versuchten die Staatsorgane auch andere Mitglieder der Kunstszene zu zermürben: Arbeitsplätze wurden gekündigt, Bewerbungen um Studienplätze abgelehnt, zugesagte Stellen konnten nie angetreten werden. Doch viele der von der Stasi Verfolgten gaben nicht auf: Ausstellungen wurden in Privatwohnungen verlegt, aus Korridoren in privaten Wohnungen wurden Galerien. Auch ein abgelegenes Forsthaus im Eichsfeld wurde kurzzeitig zum Raum für künstlerische "Pleinairs" der Erfurter, bevor die Staatssicherheit unter tatkräftiger Mithilfe von Sascha Anderson, der nicht nur im Prenzlauer Berg, sondern auch in der thüringischen Provinz spitzelte - davon informiert wurde, den Ort baupolizeilich sperrte und dem dort lebenden Künstler Thomas Klement das Nutzungsrecht entzog. Klement nahm sich 1988 das Leben.

Stötzers Buch ist selbst ein kleines Kunstwerk, versehen mit zahlreichen zeitgenössischen Fotografien, konzipiert von der Berliner Buchgestalterin Malin Gewinner und Verlegerin Anne König. Es heißt zwar der "lange Arm der Stasi", doch den "längeren Atem" hatten letztlich die zum Widerstand entschlossenen Künstler. RENÉ SCHLOTT

Gabriele Stötzer: "Der lange Arm der Stasi".

Spector Books, Leipzig 2022. 288 S., Abb., br., 30,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Sarah Alberti bekommt mit Gabriele Stötzers Buch Zeitgeschichte und feministische Kunstgeschichte. Die DDR-Realität, wie sie Stötzer anhand von Fotos, Stasiakten und Gedächtnisprotokollen erfasst, lässt Albert erkennen, wie Stötzer und die Künstler:innen-Szene in Erfurt Selbstermächtigung und Gesellschaftskritik gegen ein ubiquitäres Spitzelsystem verteidigten. Die Akteurinnen, deren Stasi-Akten die Autorin für das Buch recherchierte, werden von Stötzer und Co-Autorin Anne König in der Szene verortet, das Netz von Freundschaften und Überwachung wird so eindrücklich dargestellt, erklärt die Rezensentin. Ein Glossar und der offene, sachliche Ton der Arbeit nehmen außerdem für das Buch ein, findet Alberti.

© Perlentaucher Medien GmbH