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Heinrich Bölls Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg - ein einmaliges DokumentHeinrich Bölls Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg sind, als Aufzeichnungen des Soldaten und werdenden Schriftstellers Böll, ähnlich wie Victor Klemperers Tagebücher einzigartige Zeugnisse des Alltags aus Zeiten des Krieges und der Not.Heinrich Böll, 1917 geboren, hat als Gefreiter der deutschen Wehrmacht von 1939 an den ganzen Zweiten Weltkrieg bis zur Kapitulation der Deutschen 1945 mitgemacht, in verschiedenen Kasernen und Einrichtungen in Deutschland und an Kriegsschauplätzen in Frankreich, Polen, Rumänien, Ungarn und…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich Bölls Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg - ein einmaliges DokumentHeinrich Bölls Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg sind, als Aufzeichnungen des Soldaten und werdenden Schriftstellers Böll, ähnlich wie Victor Klemperers Tagebücher einzigartige Zeugnisse des Alltags aus Zeiten des Krieges und der Not.Heinrich Böll, 1917 geboren, hat als Gefreiter der deutschen Wehrmacht von 1939 an den ganzen Zweiten Weltkrieg bis zur Kapitulation der Deutschen 1945 mitgemacht, in verschiedenen Kasernen und Einrichtungen in Deutschland und an Kriegsschauplätzen in Frankreich, Polen, Rumänien, Ungarn und Rußland. Er wurde mehrfach verwundet. Während dieser Jahre hat Böll fast täglich Briefe geschrieben, die überwiegend an Annemarie Cech, die in dieser Zeit seine Frau wurde, gerichtet sind, aber auch an die Familie und Freunde. Die Briefe beschreiben den Soldatenalltag und den Krieg, sie widmen sich dem Leben im besetzten Frankreich, zeugen von den Nöten des leidenschaftlichen Katholiken Böll und seinem Hass auf die Uniform, zeigen aber auch die Zeitgebundenheit Bölls, aus der er sich herausgearbeitet hat zu dem Schriftsteller und Menschen, wie wir ihn kennen. An der Ostfront werden sie zu drastischen Zeugnissen vom Verbrechen des Krieges. Bölls Briefe, ein Dokument, wie es von keinem anderen deutschen Schriftsteller vorliegt, sind überdies auch ein Zeugnis von seiner frühen Beschäftigung mit dem Schreiben selbst, mit Lektüreeindrücken und ästhetischen Fragen, und sie sind selbst gleichsam Übungsstücke für das kommende literarische Werk. Von Annemarie Böll sorgfältig ausgewählt, von Jochen Schubert herausgegeben und kommentiert und von James H. Reid mit einem Nachwort versehen, sind die Kriegsbriefe Bölls ein wichtiges Dokument der Erfahrung und Deutung des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Mentalität, ein Dokument auch der Entwicklung Heinrich Bölls.Heinrich Böll, 1917 in Köln geboren, nach dem Abitur Buchhandelslehre. 1939-1945 Soldat, danach Gefangenschaft; nach dem Krieg Student und Hilfsarbeiter in der Tischlerei des Bruders; seit 1950 freier Schriftsteller in Köln. Für sein Werk erhielt er u.a. 1967 den Büchner-Preis und 1972 den Nobelpreis für Literatur, war Präsident des bundesdeutschen und des internationalen PEN-Clubs. Er starb am 16. Juli 1985.Jochen Schubert (Dr. phil.), geboren 1957 in Dortmund. Studium der Germanistik, Philosophie und Pädagogik in Bonn. Seit 1995 Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung.James H. Reid, geboren 1938 in Bothwell (Schottland). Lehrte an der Freien Universität Berlin, Professor an der University of Nottingham, 1996 Emeritierung. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. Heinrich Böll, Ein Zeuge seiner Zeit (1991). Jochen Schubert ist einer der sechs Herausgeber der Heinrich Böll Werkausgabe Kölner Ausgabe.

Das größte editorische Unternehmen in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch: Heinrich Böll, Werke 1 - 27 Kölner Ausgabe
Autorenporträt
Heinrich Böll, 1917 in Köln geboren, nach dem Abitur 1937 Lehrling im Buchhandel und Student der Germanistik. Mit Kriegsausbruch wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war sechs Jahre lang Soldat. Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen, Romane, Hör- und Fernsehspiele, Theaterstücke und zahlreiche Essays. Zusammen mit seiner Frau Annemarie war er auch als Übersetzer englischsprachiger Literatur tätig. Heinrich Böll erhielt 1972 den Nobelpreis für Literatur. Er starb im Juli 1985 in Langenbroich/Eifel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Nur eines Menschen Stimme, gewaltig zu hören
Dieses Buch des Werdens übertrifft die gewordenen Bücher alle: Die Briefe des Gefreiten Heinrich Böll aus dem Krieg sind das bedeutendste Werk des Schriftstellers / Von Hans Wollschläger

Hitlers Krieg, für die heute-junge Generation längst in Grauer Vorzeit gelegen, irgendwo zwischen "Karl dem Großen" und dem "Spanischen Erbfolgekrieg", unerlebt jedenfalls, kaum noch auszumachen hinter dem Dunst der jeweils aktuellen Dummdreistereien, ist das Paradigma "Krieg" überhaupt, "der Krieg" schlechthin, die Summe aller Kriege vordem, zu der sich selbst die großen amerikanischen Expeditionen seither nur wie erfüllte Schulaufgaben verhalten. Seine immer neue Beschreibung bleibt nötig, damit er lehrreich bleibt und nicht in den Ruhestand gerät, wo er übertreffbar werden könnte von einem Nachfolger. Wer ihn noch erlebt - und überlebt - hat, betrachtet mit Argusaugen nichts so sehr wie das, was über ihn geschrieben wird - und aus seinem Erlebnis heraus über den Krieg schlechthin.

Daß er dies sei zum Beispiel: das "Abenteuer, das unsere Gesichter alt macht, unsere Herzen müde macht, unsere Haare schwinden läßt und uns zu ewig schmutzigen Gestalten macht, die kein normales Leben mehr kennen", "der Mörder aller Dinge", "ein endloser Wahnsinn". Heinrich Böll war 24 Jahre alt, als er das - und endlos viel Ähnliches - zu Papier brachte: Er hat den ganzen über den Jahrhunderten stehenden Krieg "mitgemacht", wie man das so nennt, endlos von Anfang bis Ende, neunzehnhundertneununddreißig bis neunzehnhundertfünfundvierzig, vom 22. bis zum 27. Jahr, hineingezwungen von dem, was bei Karl Kraus "eine Naturinsulte" heißt, der Allgemeinen Wehrpflicht, die ja nicht die bloße Pflicht ist, sich zu wehren, sondern die vermaledeite Nötigung, in Wehr und Waffen zu gehen und zu denken, und damit die Annihilierung dessen, was ein Mensch an Selbstentwicklung mühsam genug zuwege gebracht hat, und er blieb, "der Krieg", das "unendlich traurige Geschehen", sein Feindbild lebenslang.

Dabei hat er das Schlimmste gar nicht sehen müssen, vielmehr ausgemachtes "Glück" gehabt, wie man das so nennt - wie das Entkommen sogar die nennen, die das Soldatenleben selbst für eine Glücksform halten und die Stahlgewitter für eine Charakterschmiede: die wirkliche "Feuertaufe" kam erst spät, wenn auch dann so widerwärtig wie nur denkbar, und den größten Teil der Zeit hat er im Hinterland verbracht; verwundet war er viermal, aber jenseits der Schmerzen nicht schwer. Er hat das Schlimmste, läßt sich jedenfalls hoffen, wirklich gar nicht sehen müssen: Nicht die Verbrechen der Wehrmacht sind gemeint, sondern das Verbrechen Wehrmacht selbst ist's, wenn er inmitten des grauen Dunsts der Wachstuben, der dröhnenden Schnauzereien, der Zoterei, der Grölerei, der Gewaltmärsche, der Exerzierwut, des ewigen Schmutzes, der Fliegen-Flöhe-Wanzen-Läuse vom "Soldatenhandwerk" schreibt, das er "hasse bis zum völligen Überdruß".

Daß es dies sei zum Beispiel: "das verkörperte Grauen", "die größte Prüfung, die einem auferlegt werden kann", "eine Welt von Schweinen", "dieses maßlose Elend", "ein qualvolles Dasein", dieses "Totenleben hier", "so unendlich trostlos, daß es einfach nur Gottes Güte sein kann, wenn man nach drei Jahren nicht verrückt ist": "Die Kaserne ist das absolute Institut des Stumpfsinns." Man ist dem selbst in seinen Schwächen immer kerzengerade aufrecht gehenden Mann schuldig, ohne Umschweife beim Namen zu nennen, was er beim Namen nennt: Es geht, in unerschöpflicher Fülle, so fort bis zur erschöpfenden Summenformel, "daß das Soldatenleben eine große Scheiße ist".

Heinrich Bölls "Briefe aus dem Krieg" sind just eben erschienen, und es muß nicht erläutert werden, warum man just eben auf ihre Botschaft gewartet hat wie ehedem. Tut man ihm Unrecht, wenn man bekennt, daß die Neugier auf ein neues persönliches Wort von ihm, und sei's nur zu einer Quisquilie des Tags, immer größer war als die auf einen neuen Roman? Seine Tapferkeit vor dem Feind ist unvergeßlich; er riskierte sogar, für naiv gehalten zu werden und für unrealistisch in der Unbedingtheit seiner Menschlichen Mission. Diese Mission sieht man heranwachsen in diesen Briefen, und wer da meint, sie sei halt nur Charakteranlage, pure Wiegengabe, der kann sehen, wie mühsam sie heranwächst und gegen wie viele Widerstände.

Denn er ist da noch längst nicht, was er später geworden ist. Zu Anfang kann er sich selber noch mit aufgedrillten Phrasen ins Wort fallen: "Wir stehen jeden Morgen um 4.45 Uhr auf, aber diese Härte hat viel für sich. Man legt den Zivilisten ab, er wird wirklich kaputtgemacht. Man wird - nicht gerade stumpfsinnig - aber 300 Prozent kalt und gleichgültig und völlig interesselos. Mir persönlich wäre es jederzeit völlig gleichgültig, ja manchmal sogar willkommen, wenn ich von irgendwem oder irgendwoher plötzlich und unerwartet ,kaltgemacht' würde. Aber die Erziehung zu diesem Standpunkt ist die richtige Vorbereitung für einen Krieg, und das ist ja der Sinn unserer Ausbildung." Pervitin hält ihn wach, Nikotin bei Verstand; Alkohol macht die Lebensschneide ein bißchen stumpfer. Der eigentliche Krieg ist da aber noch fern; nur "manchmal hört man ein fernes Donnern"; es ist noch die Zeit, wo "die Flieger" bloß "belästigen". Gerade deswegen sieht er - und das ist ganz erstaunlich bei einem Anfangzwanzigjährigen - das Eigentliche, und sein Verstand wehrt den Anfängen.

Die Hölle, das sind die Andern: alias "dieses widerliche kleine und kleinste und schmierigste Gesindel", "die eintönigen Gesellen mit ihrem blöden Geschwätz": "Mit ein paar unbedachten, blöden Worten verraten und verkaufen sie ihre Frauen, ihre Kinder, alles Glück und allen Glanz ihres Lebens lassen sie schal werden im seichten Gewässer ihres Geredes." Die Kameraden also, und das alles ist ja wahr; aber "im Leben", dem wahren, ist es ganz allgemein nicht anders - mit nur der Chance, vielleicht eher seinesähnlichen kennenzulernen, und der Möglichkeit, das Gesindel aus dem eigenen Kreis herauszuhalten; man müßte darüber nicht dramatisch werden. Von Anfang an kollidiert und karamboliert er mit den "Spießen", mit dem "litzentragenden Gesindel" überhaupt; ja, die ganze Menschheit umsteht sein Ego-Zentrum wie ein Albtraum, und die Panik erzeugt schließlich eine Form des Nächstenhasses, die den Blick auf die Welt schwer behindert. Man muß ihn sich wohl wirklich so hochmütig vorstellen, wie er sich in seinen Urteilen gibt, mit ihm zugleich im Unglück darüber verbündet, daß sie ja die Reine Wahrheit sind. Nur daß sich in seiner Dauer-Misere beim Leser durchaus die unschöne Erfahrung bewährt, daß auch Leidende irgendwann einfach lästig werden, wenn sie so unermüdlich über das Unabänderliche klagen. Alle Vokabeln des Grauens werden aufgebraucht, um ein Schicksal zu umschreiben - und die Einzigartigkeit dessen, den es geschlagen hat und der ihm das stolze Bewußtsein entgegenwirft, "daß ich geboren bin zu einem anderen Leben". Ist es dies "andere Leben", was er so oftmals schroff zu verwahren und zu schützen sucht? Sein Hochmut sei "vielleicht nur ein notwendiger Panzer", vermutet er selber: "Gott helfe uns, daß wir ihn nie verlieren."

Die Briefe haben zwei Adressaten: die Familie, das heißt Eltern und Geschwister, und Annemarie Cech, ab März 1942 seine Frau. Gegenüber der Familie bewegt sich der Bericht im Unbedeutend-Allgemeinen, gibt er sich hemdsärmelig, ironisch souverän, verschonend. "Was schreibt der deutsche Soldat nach Hause? Daß er sich unsagbar glücklich fühlt, dienen zu dürfen an diesem großen Werk, das Europa ein anderes Gesicht geben wird. Daß die Stimmung fabelhaft, das Essen reichlich und schmackhaft und die Löhnung bezaubernd ist. Das schreibt der deutsche Soldat nach Hause." Erst gegenüber der geliebten Frau geht dem Schreiber das Herz auf, und wäre sie nicht gewesen, so wären seine "Briefe aus dem Krieg" wohl schwerlich des längeren Aufhebens wert geworden. Über die Unterschiede ließe sich vieles sagen; der Unterschied selbst ist es, der von der Zusammenfügung markiert wird. Als die Frau auftaucht, nach über hundert Seiten, geht ein Ruck durch den Text: auf einmal werden die Briefe leidenschaftlich und die Weltbilder mit. Da erst lernt man den kennen, den später die Bücher bekannt machten und um dessen willen man vorn angefangen hat; man ist gern einverstanden, daß Eltern und Geschwister nun kaum noch etwas abbekommen. Bedauerlich könnte sein, daß Annemarie Bölls Gegenbriefe fehlen, läse sich das ganze Briefwerk nicht auf eine eigenartige Weise dialogisch: Die Adressatin ist so gegenwärtig, als spräche sie mit; sie ist selber ja die Antwort auf das Verlangen nach dem "einzigen Menschen, mit dem man reden könnte", und die Rede der Briefe verdankt sich ihr, durch die er wirklich allein nie war.

Auch ihr erzählt er gewiß nicht "alles"; er erspart ihr viel von dem, was ihm selber nicht erspart blieb: "Du mußt dir keine Angst machen wegen des Flammenwerfers", an dem er ausgebildet worden war, "das ist eine ganz harmlose Sache, die mir vielleicht sogar zu einem ruhigen Pöstchen verhilft." Vielleicht erspart er ihr auch noch anderes? Nein, das ist leider kaum anzunehmen.

Heinrich Bölls Frauenbild ist ziemlich haarsträubend; es steht in Reih und Glied mit den schiefen Gestalten, in denen die Welt - und ersichtlich bedrohlich - auf ihn zukam. Die "Volksdeutschen", die Polen, die Ausländer allesamt, die Besiegten, werden in seinen Vokabeln oft auch als Besiegte behandelt, "die moderne Menschheit" überhaupt: "Sonderbar, daß aus diesen flachen Seelen etwas so Gewaltiges wie der Krieg wachsen kann." Wenn das vom Feuer-und-Blut-Prediger Jünger geprägt ist, dann der Blick auf die Frauen von der Sitte-und-Sünden-Predigt der Kirche (die damit verwandt ist). Sünderinnen sind sie alle, und er zerbricht sich kompliziert den Kopf über das, was sie "verloren" sein läßt. "Diese lachenden, dämlichen Weiber, die unser elendes Quartier besichtigen . . . ich könnte sie mit meinem Haß verschlingen": da sind noch die deutschen Frauen gemeint. Eine Badende dann, vermutlich, nein "sicher ein schlechtes Mädchen, ganz gewiß, eine kleine Dirne": Das ist eine Französin, und ein strafender Blick geht zu den Kameraden, die mit dem Fernglas voyieren. Die Frauen, wie sollte's anders sein, machen ihm schwer zu schaffen, und seine Wörter fangen an zu wabern: "Ich glaube, es wäre sehr hochmütig, wenn ich behaupten wollte, mich ungefährdet zu glauben, aber ich glaube, gegen die Koketterie sämtlicher hübscher Französinnen bin ich gefeit" - ein Jammer, daß er's offenbar war; seine Entwicklung, die so mühsame, hätte sonst vielleicht etwas mehr Tempo bekommen.

Politische Urteile daneben, Einschätzungen der "Lage"? Nur wenige seiner vielen Wörter hat er dazu bereit: das "Führer" kommt praktisch nur einmal vor, das "Hitler" nur zweimal; es ist fast, als würden die Konkreta der historischen Entwicklungsläufe geradezu gemieden zugunsten der persönlichen - sind diese die Eigentliche Geschichte? Sie werden es auf eine ganz unheimliche Weise. Stalingrad: "wirklich entsetzlich traurig"; die "Geschichte in Tunis": "wahnsinnig traurig"; Italiens Kapitulation: "alle sehr niedergeschlagen"; die Invasion: "große Erregung und Erwartung"; der 20. Juli: "unbeschreibliche Erregung". Mehr nicht; einmal nur wird über "Sterilisation und ,Irrenmord' und ähnliche Dinge" gesprochen: Sind die "ähnlichen Dinge" die Juden? Sie kommen verbatim nicht vor. Dem Wunsch, man möchte doch irgendwann auf, wie auch ungeschliffene, Zeitanalysen stoßen, auf sichere Benennungen, antwortet natürlich sofort die Überlegung, daß das so, wie man's sich wünschte, in zensurbedrohten Feldpostbriefen wohl kaum stehen dürfte. Aber er riskiert immer viel, fast leichtsinnig gegenüber dem, was ihm hätte blühen können: Bei einer Goebbels-Rede mitten im Untergang Stalingrads beklagt er deutlich genug "dieses süße, scheußliche Geschwätz . . . Es ist ganz entsetzlich, aus dem Munde dieses Mannes Verse von Hölderlin zu hören." Und noch kurz vor dem Attentat gab er zu lesen: "Einmal müssen wir doch von diesen Verbrechern erlöst werden." Vieles mag des Zensors wegen ungeschrieben geblieben sein, vieles für den Zensor geschrieben; verdeckt bleibt jedenfalls, was von ihm gedacht wurde hinter seiner Eigentlichen Geschichte. Dachte er wirklich, "wir werden den Krieg gewinnen"? "Aber ich möchte, daß Deutschland siegt", "und ich glaube ganz gewiß daran, daß wir in Rußland siegen": "Also, den Krieg gewinnen wir bestimmt."

Dahinter steht viel mehr als nur Unsicherheit, als ein schwankender Realitätssinn. Es ist ein Bild vom Menschen, zu dem dies alles gehört, und Ohnmacht ist wie Irrtum und Blind- und Taubheit mit davon umschlossen. Gerade die fehlenden wie die verfehlenden Urteile fügen sich am Ende zu einem Wahrheitsgebilde zusammen, tragfähig wie Leonardos Bogen.

"Mein Gefühl gibt überhaupt keine Resonanz, wenn ich ,Deutschland' sage; ist das nicht sonderbar?" Eigentlich ja nicht, unter solchen Umständen. Nein, er ist keiner, dem die Vernunft schon in der Wiege beigesprungen wäre: Er hat mit dem Engel und Dämon ersichtlich ringen müssen, und einen Hüftschaden trug er bleibend davon, auch wenn er aus der Amtskirche später austrat.

Immer wieder zieht sich der Text zurück, auf Friedensinseln gleichsam, auf denen nur berichtet wird, geschildert, nicht erlebt. Er wird dann still und wunderschön: Idyll, Illumination, ganz zartes Genrebild von aufblühender Anmut. Man erkennt die Notspur des Versuchs, vor dem Realitätsdruck, dem des Äußeren wie des Innern gleichermaßen, ins gesichert Formulierte auszuweichen, ins nur Erzählte, womöglich in den Roman. Er wäre die Rettung als mitnehmende Fiktion, die phantastische Umwandlung der Welt. "Gott gebe, daß dieser wahnsinnige Krieg bald zu Ende geht. Es ist wirklich, als ob ein vollkommener Irrsinn alle Völker befallen hätte." Nur diese eine Melodie erklingt wie eine Litanei unwandelbar von der ersten bis zur letzten Seite; sie ist von keinem Reifungsprozeß und keinem ästhetischen Verfahren zu erschüttern, und sie erklingt um so objektiver, je weniger von den konkreten Stationen des Hitler-Kriegs die Rede geht. Der Krieg ist "der Krieg": von ihm schreibt er unablässig selbst dann noch, wenn er nur seine Flucht ins Idyll abbildet, ins bloß Literarische. "Der Krieg" ist das bleibende Thema: "es gibt nichts Furchtbareres"; "der Krieg ist grausam und schrecklich, wirklich höllisch".

Heinrich Böll hat vergleichsweise "Glück" gehabt: Von den 68 Monaten des Kriegs brachte er rund 40 in Deutschland zu, 20 in Frankreich und nur 7 in den Oststaaten, davon einen "an der Front". Immerhin blieb ihm nicht erspart, nach drei Jahren "mitten hinein in das Entsetzen des Ostens" zu müssen, in die "absolute Hölle des Krieges", das Erdloch wörtlich "im Felde": "Ich kann nie mehr das Soldatenleben bedenken, ohne die absolute Wirklichkeit des Krieges zu spüren, wie ich sie ,vorne' erlebt habe." Von da an bekennt er, in sich zurückgekrümmtes Ende der Litanei, nur noch Haß: "Wie maßlos ich dieses Leben hasse, hasse, hasse, aus vollster Seele, . . . die tägliche und stündliche maßlose Quälerei aller dieser Männer, die in 8 Tagen vielleicht den Heldentod sterben müssen! Ist es nicht eine maßlose Grausamkeit, ist es nicht wirklich absolut menschenunwürdig?" "Der Krieg, jeder Krieg ist ein Verbrechen; für immer bin ich absoluter Antimilitarist geworden"; "ich hasse den Krieg, ich hasse ihn, und alle diejenigen, die Freude an ihm finden, hasse ich noch mehr"; "ich hasse, hasse diesen Militarismus wie nichts auf der Welt", "diese Knechtschaft, diese vollkommene Unterdrückung und Abhängigkeit von den primitivsten Kreaturen"; "es gibt nichts Brutaleres und Verbrecherischeres"; "ich hasse den Krieg, ich hasse ihn aus tiefster Seele, den Krieg und jedes Lied, jedes Wort, jede Geste, jeden, der irgendwie etwas anderes für den Krieg kennt als Haß. Er ist so völlig sinnlos, und die Politik ist so maßlos infam und verdorben, daß es niemals berechtigt sein kann, einen solchen Krieg zu beginnen."

Er hat diesen Krieg am Ende gewonnen, den die Soldateska verlor. Im April 1945 konnte er den "Stahlhelm, dieses entsetzliche Instrument", ablegen, und seine Nach-Kriegszeit begann - im zerbombten Köln. Inzwischen ist nun längst seine Nach-Zeit überhaupt angebrochen, und ihr verdankt die literarische Welt, wie es so ist, den Zugang zu auch seinen Briefen. Sie bilden nichts Geringeres als ein neues Werk von ihm: ein sehr erstaunliches, so muß man am Ende zusammenfassen, ein wahres, ehrliches, hoch einzuschätzen. Ein Viertel des überlieferten Materials bleibt nach dem Willen der Adressatin unpubliziert; außerdem sind intime Dinge weggelassen, die Anrede, die Grußsätze zum Abschied: das ist - gerade für eine Zeit, in der das Private immer weniger Achtung genießt - nicht nur eine richtige Lehre, sondern trägt auch dazu bei, den objektiven Charakter dieses Briefwerks zu erkennen. Der Stellenkommentarteil des Herausgebers ist 358 Seiten lang und wirkt wie für eine sehr ferne Nachwelt geschrieben, der zehnzeilig erläutert werden muß, was "Osnabrück" war. Er hat zuwenig Zutrauen zur Selbsterläuterungskraft der Vorgänge, und je reicher die Bindungsdetails ans Historische gehäuft werden, desto weiter ziehen sie den Text aus seiner selbsterrungenen Objektivität ins bloß Private zurück. Denn die Schlacht im Kriegstagebuch des OKW ist etwas ganz anderes als die in den Kriegsbriefen des Gefreiten Heinrich Böll. Nur Historiker haben das noch nicht begriffen; die Kriegsbriefe des Gefreiten Heinrich Böll können sehr helfen, es ihnen beizubringen.

Eine ganze Generation, entgeistert von der Erfahrung, daß Adenauer nur 3 Jahre brauchte, um den "Wehrwillen" erneut zu installieren, hat von Heinrich Böll, dem wahrhaft sozialen Demokraten, Europäer, Kosmopoliten, die Opposition und den Pazifismus gelernt oder in großer menschlicher Autorität bestätigt bekommen: Steht er noch einmal auf, um eine weitere Generation, die's wieder nötig hat, beides zu lehren? Man wird bei dieser Lektüre daran erinnert, wie sehr es solche Berichte waren, die das plausible Nie-wieder-Krieg nach dem Krieg zu einem grundsätzlichen Nie-wieder-Soldat werden ließen, und bleibt für einen Moment ganz still. Die Bücher sind es, um derer willen der Leser auch nach dem Leben des Autors trachtet und bei anderthalbtausend Seiten Bericht daraus nicht ermüdet. Heinrich Bölls Romane, respektvoll gesagt, sind gegen solches Ermüden nicht gefeit. Nicht ausgeschlossen, daß sie "letzten Endes" von diesem Lebensbericht überlebt werden. Ihr Autor war sicher nicht der größte der Nachkriegsautoren, vielleicht ein großer nur im zeitgebundenen Sinn. Gehört seinen Büchern die Ewigkeit nicht, soweit die Literatur sie ermessen kann - vielleicht gehört sie seinen Briefen? Es gibt, ganz streng genommen, gar nichts ihresgleichen. Die Maßgabe für seinen Rang stand immer noch aus; der Nobelpreis, der ja meist danebenfällt, erbrachte sie nicht. Nun liegt sie vor, und sein Erzählwerk kann - man sagt es fast erleichtert - in Ruhe dahinter zurücktreten. Dieses Buch des Werdens übertrifft die gewordenen Bücher alle: Es holt sie, die ihm entsprangen, nachträglich ein und zieht an ihnen vorbei.

Nein, nichts "Objektives" über den Krieg. Sondern nur eine Menschenstimme gegen ihn, gewaltig zu hören. Sie ist das Objektive schlechthin.

Heinrich Böll: "Briefe aus dem Krieg 1939-1945". Mit einem Vorwort von Annemarie Böll. Herausgegeben und kommentiert von Jochen Schubert, mit einem Nachwort von Hamish Reid. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 2 Bde., zus. 1652 S., geb., 98,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Heinrich Bölls Briefe aus dem Krieg an seine Familie und seine Verlobte und spätere Ehefrau Annemarie Cech sind für Guido Graf die literarischen Zeugnisse eines zahnlosen Löwen, der noch ganz am Anfang seiner schriftstellerischen Karriere steht und dem Krieg außer Beschwichtigungen, Demut und versteckter Verzweiflung nichts entgegensetzen kann. Dabei muss der Leser im Auge behalten, so der Rezensent, dass diese Briefe eine dreifache Zensur durchlaufen haben: die von Böll selbst, die der Feldpoststelle und die von Annemarie Böll, die die Auswahl zusammengestellt, transkribiert, Auslassungen vorgenommen hat. Entstanden ist, meint Graf, ein "gewaltiger Textkorpus", in dem der Verfasser mit "manchmal ironischem, oft erbaulichem Ton" seine Enttäuschung und persönliche Verzweiflung kundtut. Für Graf gibt es aufschlussreichere Dokumente über den Krieg und für eine Böll-Biografie findet er den Stellenkommentar von Jochen Schubert "hilfreicher" als die Briefe selbst. Einzig Bölls Ansatz, sich zur eigenen Bewältigung des Kriegsgeschehens in eine literarische Welt hineinzudenken, erscheint dem Rezensenten eine wichtige Aussage für die Nachwelt zu sein.

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"Das ist ein Landserbuch der ehrlichen Art, das den Zugang zu einer heute meist verschütteten Welt der Kriegsteilnehmer neu öffnet." Stefan Rammer Passauer Neue Presse