Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2019

Blutige Sneakers
Eine Geschichte von Ausbeutung und Flucht
Die Geschichte beginnt mit einem mysteriösen Anruf. In der Nähe einer Getränkestation würde sich während des Stadtmarathons etwas Wichtiges finden. Tatsächlich entdeckt ein Reporter des Lokalblatts dort auf einem Verteilerkasten ein Päckchen mit Sportschuhen. An den Schäften der knallbunten Schuhe klebt eine rotbraune Masse, getrocknetes Blut. Die Schuhe tragen weder Etikett noch Markenzeichen. Schnell ist dem Reporter klar: Ein Läufer aus der Spitzengruppe muss die Schuhe mit dem auffälligen rot-gelb-grünen, kreuzförmigen Muster dort abgelegt haben. Nur wer und warum?
Der Sachbuchautor Wolfgang Korn begibt sich in seinem Buch „Lauf um dein Leben“ auf Spurensuche. Im Rahmen einer fiktionalisierten Geschichte lässt er einen Reporter das Rätsel dieser seltsamen Schuhe lösen – und berichtet nebenbei Wissenswertes über Sneakers und die globalisierte Welt, für die sie ein typisches Produkt sind. Die Recherche führt den Reporter rund um den Globus, in deutsche Laufläden genauso wie in die chinesische Zehn-Millionen-Metropole Wenzhou, eine Art Welthauptstadt der Schuhproduktion, oder in die auf 2800 Metern Höhe gelegene äthiopische Kleinstadt Bekoji, die Stadt der Läufer, aus der Olympiasieger und Weltmeister stammen.
Den Trick, ein Produkt zu einer Art Leitfigur eines Buches zu machen, seinen Spuren quer durch die Welt zu folgen, hat Korn schon in seinem erfolgreichen Buch „Die Weltreise einer Fleeceweste“ praktiziert. In „Lauf um dein Leben“ recherchiert Korns Reporterfigur, liest historische Berichte zum Ursprung der Sneakers, unterhält sich mit Laufexperten, analysiert den Herstellungsprozess der Schuhe, korrigiert alte Laufmythen und beginnt schließlich sogar selbst, für einen Marathon zu trainieren. Das gesammelte Wissen fügt der Autor Korn unmittelbar in die Erzählung seines Reporters ein. Dieser stellt dann recherchierte Inhalte als kleine Wissenshäppchen bei seiner Zeitung online.
Korn versteht es, den Leser emotional anzusprechen, indem er Figuren an realen Schauplätzen der Globalisierung erfindet und sie stellvertretend etwa für die vielen Arbeiterinnen aus den Schuhfabriken zu einer Person verdichtet. Einer Wanderarbeiterin etwa, die in der Klebeabteilung einer chinesischen Fabrik ohne Mundschutz giftige Lösungsmittel einatmen muss. Gästen aus dem Westen werden meist Musterfabriken gezeigt. Die Wanderarbeiter schlafen oft auf dem Fabrikgelände in engen Mehrbettzimmern mit Stockbetten.
Solche Schilderungen ergänzt Korn mit Infos: Chinas Wirtschaftszentren seien wie ein Basar organisiert, in Wenzhou werden hauptsächlich Schuhe (1,5 Milliarden Paare), Feuerzeuge und Brillenfassungen hergestellt. Manchmal aber packt Korn solche farblich abgesetzten Faktenkästen einfach ohne Übergang in seine fiktive Geschichte. Oder lässt im fiktiven Teil reale Figuren wie den berühmten Lauftrainer Sentayehu Eshetu auftreten, der in der Stadt der Läufer dem Reporter dann Sätze sagt, die man beim Googeln in echten Zeitungsreportagen oder Youtube-Videos ganz ähnlich so vorfindet. Das erzeugt leichte Irritationen, weil man als Leser nicht mehr genau weiß, wer einem diese Dinge gerade berichtet, der Reporter oder der Autor Korn. Doch der große Bogen funktioniert gut, und so folgt man dem Reporter auf seiner „Sneakers-Suche“ in elf Kapiteln, in denen er dem Leser anhand der gefundenen Laufschuhe die Globalisierung nahebringt, dabei auch politische Themen wie Armut, Ausbeutung und Flucht nicht scheut, ohne zu moralisieren. (ab 12 Jahre)
HUBERT FILSER
Wolfgang Korn: Lauf um dein Leben!: Die Weltreise der Sneakers. Mit Illustrationen von Birgit Jansen. Hanser Verlag, München 2019. 232 Seiten, 15 Euro.
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