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Es ist der 10. Oktober 1989. Die Tagesthemen machen mit einem leicht verwackelten Videofilm über die Riesendemonstration vom Vorabend in Leipzig auf. Der Moderator kündigt den Film als sensationellen Beitrag eines "italienischen" Teams an. In Wirklichkeit stammte das Video von zwei jungen Oppositionellen aus der DDR, Siegbert Schefke und Aram Radomski. Sie hatten sich in Ost-Berlin in der Umweltbibliothek kennengelernt, waren über verdeckte Kontakte unter anderem zu Roland Jahn an Videokameras aus dem Westen gekommen und hatten schon mehrere Dokumentationen über Umweltzerstörung und…mehr

Produktbeschreibung
Es ist der 10. Oktober 1989. Die Tagesthemen machen mit einem leicht verwackelten Videofilm über die Riesendemonstration vom Vorabend in Leipzig auf. Der Moderator kündigt den Film als sensationellen Beitrag eines "italienischen" Teams an. In Wirklichkeit stammte das Video von zwei jungen Oppositionellen aus der DDR, Siegbert Schefke und Aram Radomski. Sie hatten sich in Ost-Berlin in der Umweltbibliothek kennengelernt, waren über verdeckte Kontakte unter anderem zu Roland Jahn an Videokameras aus dem Westen gekommen und hatten schon mehrere Dokumentationen über Umweltzerstörung und Stadtverfall in der DDR gedreht, die dann im Fernsehen der ARD zu sehen waren. Schefke und Radomski, beide ständig von der Stasi überwacht, hatten es mit etlichen Tricks und viel Energie geschafft, unerkannt nach Leipzig zu fahren, dort nach mehreren missglückten Versuchen auf dem Kirchturm der Reformierten Kirche einen Platz zum Filmen gefunden und den Film über einen befreundeten SPIEGEL-Journalisten in den Westen zu schmuggeln.
Siegbert Schefke, einer der beiden Akteure, schreibt nicht nur über dieses spannende Ereignis, sondern auch darüber, wie aus einem Maurersohn aus Eberswalde ein dezidierter Regimekritiker wurde, der im Unterschied zu vielen anderen Dissidenten nicht mehr auf eine Reform der DDR hoffte, sondern einen radikalen Umbruch wollte - und diesen mit viel taktischem Gespür, viel Mut und sehr riskanten Aktionen mit in die Wege leitete.
Autorenporträt
Siegbert Schefke, 1959 in Eberswalde geboren, Ausbildung zum Bauingenieur, seit 1991 Journalist für das MDR-Fernsehen, lebt heute in Leipzig. Anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls wird er ab Sommer 2019 auf Lese- und Vortragsreise gehen. Stationen sind Kiel, Leipzig, Frankfurt a.M., Weimar, Eberswalde, Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2019

Bilder, die Geschichte schrieben
Eine spannende Autobiographie über Widerstand in der Endphase der DDR

Die Schlussfolgerung von Siegbert Schefke nach mehreren Anwerbungsversuchen des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR bleibt im Kopf: "Es war gar nicht so schwer, NEIN zu sagen." Als Student verweigerte er die Zusammenarbeit mit der Stasi und wurde zu einem der bekanntesten Aktivisten gegen das SED-Regime. Gemeinsam mit Adam Ramowski drehte Schefke heimlich die Videos von den Montagsdemonstrationen am 9. Oktober 1989, die den Protest der Massen gegen Staat und Unterdrückung bezeugen.

Sie schmuggelten die Aufnahmen an der Stasi vorbei in den Westen, die ARD strahlte sie am kommenden Tag in den "tagesthemen" aus: Verwackelt, teilweise unscharf und dunkel zeigen sie, wie rund 70 000 Menschen jeden Alters den Leipziger Innenstadtring entlanglaufen und gegen das Regime demonstrieren - ohne dass Sicherheitskräfte eingreifen. Manche Eltern tragen ihre Kinder auf den Schultern. Die Menge ruft "Wir sind das Volk" und präsentiert Schilder mit Forderungen wie "Krenzenlose Freiheit" oder "Für die Entideologisierung unserer Schulen, Heime und Kindergärten".

Die Bilder sind bekannt, Schefkes Leben auch. Die Autobiographie ist sprachlich klar und spannend formuliert. Sie führt vor Augen, wie wichtig Einzelpersönlichkeiten sind und wie auch kleine Entscheidungen Geschichte beeinflussen. Schefke schmuggelte Waren und Informationen von West nach Ost und umgekehrt und recherchierte zu Tabuthemen wie Skinheads in der DDR oder Giftmüll aus dem Westen. Seine Erzählungen und Anekdoten lassen erahnen, warum ein Kind, das zufällig in der DDR aufwächst, zum Systemgegner und Aktivisten wird und trotz Widrigkeiten, Verboten und Bedrohungen das Land nicht verlassen, sondern es verändern will. Abitur? Nicht mit Westverwandtschaft. Ein Architekturstudium? Nur mit "freiwilligem" zusätzlichen Wehrdienst. Karriere? Im Tausch gegen Informationen.

Schefke mischt persönliche Erinnerung mit Bildern und Auszügen aus seiner Stasi-Akte. Neun Ordner soll das Ministerium für Staatssicherheit unter dem Titel OV "Satan" angelegt haben. Nur zwei konnte er nach dem Kalten Krieg einsehen. Sie zeigen, dass die Aktivisten vielfach einfach Glück hatten und auf einem schwierigen Grat zwischen Vertrauen und Verrat balancierten. Für viele Aktionen brauchten sie Hilfe. Vermeintliche Freunde entpuppten sich später als inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit, die herausfinden sollten, wie Schefke Videos, Informationen und Zeitungen zwischen West und Ost transportierte und Kontakt zu Journalisten im Westen hielt.

Schefkte spannt einen Bogen von den Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 bis zu den Montagsdemonstrationen der Pegida-Bewegung rund 15 Jahre später in Dresden, über die er ebenfalls als Journalist berichtete - und beschimpft, bedroht und angegriffen wurde. Ein Buch über den Wert der Meinungsfreiheit und das Risiko, eine eigene Meinung zu haben.

ANNA FRIES

Siegbert Schefke: Als die Angst die Seite wechselte. Die Macht der verbotenen Bilder.

Transit Verlag, Berlin 2019. 160 S., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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