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Mit dieser ersten deutschsprachigen Biographie des spät-römischen »Endzeit«-Kaisers Anastasios I. macht der Autor deutlich, wie sich der Westen bis heute von der östlichen Welt grundlegend unterscheidet. Mit seinen mutigen wie drastischen Reformen gelang dem Kaiser eine nachhaltige Konsolidierung des strauchelnden Oströmischen Reiches. Während seiner Regierung vollzog sich der epochemachende Übergang des Imperium Romanum in das Byzantinische Reich. Zugleich wirft Meier den Blick auch auf Theoderich und die germanischen Nachfolgereiche sowie auf das persische Sassanidenreich. Die dramatischen…mehr

Produktbeschreibung
Mit dieser ersten deutschsprachigen Biographie des spät-römischen »Endzeit«-Kaisers Anastasios I. macht der Autor deutlich, wie sich der Westen bis heute von der östlichen Welt grundlegend unterscheidet. Mit seinen mutigen wie drastischen Reformen gelang dem Kaiser eine nachhaltige Konsolidierung des strauchelnden Oströmischen Reiches. Während seiner Regierung vollzog sich der epochemachende Übergang des Imperium Romanum in das Byzantinische Reich.
Zugleich wirft Meier den Blick auch auf Theoderich und die germanischen Nachfolgereiche sowie auf das persische Sassanidenreich. Die dramatischen Beziehungen zwischen Ostrom und den Päpsten werden ebenso behandelt wie die kriegerischen Auseinandersetzungen und geistigen Konflikte der spätrömischen Geschichte: eine Gesamtdarstellung der Spätantike als eine große Umbruchepoche.
Autorenporträt
Mischa Meier, geboren 1971, Studium der Klassischen Philologie und der Geschichte an der Universität Bochum. 1998 Promotion über das frühe Sparta; 1999 bis 2004 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld. Seit 2004 Professor für Alte Geschichte in Tübingen. Wichtige Veröffentlichungen: 'Das andere Zeitalter Justinians', 2004; 'Justinian. Herrschaft, Reich und Religion', 2004.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Ein alter Fuchs auf dem Cäsarenthron

Im fünften Jahrhundert lag das Römische Reich in den letzten Zügen. Wie ein Realpolitiker in Byzanz die Lage sah, schildert Mischa Meier in seiner Biographie des oströmischen Kaisers Anastasios.

Von Andreas Kilb

Wann endete die Antike? Man könnte die Frage als unerheblich abtun, denn in der Geschichte Europas ist die griechisch-römische Überlieferung nie ganz erloschen. Die Historiker aber streiten seit Jahrhunderten darüber, wo der Wendepunkt von der Spätantike zum Frühmittelalter anzusetzen ist: beim Untergang des Weströmischen Reiches im Jahr 476, wie die ältere Forschungstradition meinte? Oder beim Arabersturm knapp dreihundert Jahre später, wie Henri Pirenne vorschlug? Auch der Einfall der Langobarden in Italien, die Herrschaft des Kaisers Justinian oder der Tod seines Nachfolgers Herakleios im Jahr 641 wurden als Epochenmarken vorgeschlagen. Allmählich scheint sich das siebte Jahrhundert in der Debatte durchzusetzen, schon deshalb, weil in ihm "mehr Fäden abgerissen" sind als in jedem anderen, wie Alexander Demandt in seinem Buch über die Spätantike feststellt.

In Mischa Meiers Biographie des oströmischen Herrschers Anastasios I. (491 bis 518) kommt der Epochenstreit nur am Rande vor. Dennoch spielt er in dieser klugen und vorsichtigen Studie eine untergründig entscheidende Rolle. Denn Anastasios hat zwar lange vor dem Siegeszug des Islam und dem damit verbundenen Auseinanderbrechen der Mittelmeerwelt regiert; aber die Krisenerfahrungen seiner eigenen Zeit waren dramatisch genug.

Schon in den ersten Jahren von Anastasios' Herrschaft, als seine Armeen mit der Niederschlagung eines Aufstands im kleinasischen Isaurien beschäftigt waren, brachen hunnische und protobulgarische Kriegerscharen in mehreren großen Plünderungszügen in die europäischen Provinzen des Reiches ein und gelangten dabei bis kurz vor Konstantinopel. In seinen mittleren Amtsjahren musste sich Anastasios dann mit einem Angriff der Perser herumschlagen, die den Byzantinern unter anderem die wichtige Grenzfestung Amida - das heutige Diyarbakir - abnahmen. Und gegen Ende seines Lebens, als der Kaiser schon weit über achtzig war, hatte er es mit einem geschickt agierenden Thronprätendenten zu tun, den er erst nach drei Jahren in einer mörderischen Seeschlacht besiegen konnte. Außerdem drangen ein weiteres Mal Hunnen und Bulgaren, diesmal über Armenien und die Kaspische Pforte, in sein Imperium ein und plünderten dessen Städte aus.

Zugleich zerbrach unter Anastasios die Einheit der christlichen Reichskirche. Im Kern ging es bei dem Glaubensstreit, der die gesamte Amtszeit des Kaisers überschattete, um das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in der Person Jesu Christi: Lagen sie "unvermischt in zwei Naturen" nebeneinander, wie es das Konzil von Chalkedon im Jahr 451 verkündet hatte, oder waren sie zu einem Wesen verschmolzen, wie es die Prediger der Miaphysiten (später auch "Monophysiten" genannt) behaupteten? Verschärft wurde der religiöse Konflikt dadurch, dass er entlang historischer Bruchlinien tobte. Denn während der westliche, von Goten, Vandalen und Franken beherrschte Reichsteil dem Chalcedonense anhing, war der östliche mehrheitlich miaphysitisch. Um den Zwist zu beenden, hatte Anastasios' Vorgänger Zenon im Jahr 482 eine Kompromissformel erlassen, das "Henotikon", das die strittigen Punkte totzuschweigen versuchte. Statt aber Versöhnung zu stiften, vertiefte es die Spaltung, denn der Bischof von Rom, für den sich in jener Zeit der Ausdruck "papa", Papst, durchzusetzen begann, wollte von den Grundsätzen von Chalkedon kein Jota abrücken.

Auch Anastasios, der als hoher Palastbeamter Zenons mit zweiundsechzig Jahren den Thron bestieg, hielt zunächst an der Kompromissformel fest - auch gegen den erbitterten Widerstand des Papstes Gelasius, der ihn in einem berühmt gewordenen Brief ermahnte, er möge sich gefälligst um die weltlichen Dinge kümmern und aus den kirchlichen heraushalten, damit er, der Papst, nicht vor dem Jüngsten Gericht gegen ihn Zeugnis ablegen müsse. Aber der Krieg gegen die hochmobilen und im Reiterkampf überlegenen Perser hatte den Kaiser gelehrt, dass der Schwerpunkt seiner Machtinteressen im Osten lag. So bekannte er sich in seinen späten Jahren immer deutlicher zum Miaphysitismus. Es ist diese religionspolitische Wende, die Anastasios bei den chalkedonisch gesinnten byzantinischen Geschichtsschreibern seiner Zeit besonders in Verruf gebracht hat. Johannes Malalas, der Verfasser einer vielzitierten Weltchronik, lässt ihn in Todesangst während eines Gewitters sterben, Marcellinus Comes betont seine Tücke und Wortbrüchigkeit, und Prokop macht ihn zum blassen Vorläufer Justinians.

Der dialektische Kniff des Tübinger Althistorikers Meier liegt nun darin, dass er die Religionspolitik des Anastasios nicht etwa verteidigt, sondern als Element einer größeren politischen Konzeption zu lesen versucht. Für Meier ist Anastasios der erste Realpolitiker der ausgehenden Antike. Anders als die meisten seiner Zeitgenossen hatte der alte Fuchs begriffen, dass Italien, Gallien und Spanien auf Dauer für das Römerreich verloren waren. Deshalb ernannte er den Frankenkönig Chlodwig zum Ehrenkonsul, sandte dem Ostgoten Theoderich die kaiserlichen Insignien nach Ravenna und konzentrierte sich auf die Verteidigung der östlichen Reichshälfte. Um seine Hauptstadt besser gegen Überfälle zu schützen, ließ er eine sechsundfünfzig Kilometer lange Mauer vom Schwarzen Meer zum Marmarameer bauen. Im Norden verstärkte er die Wehranlagen an der Donau, im Osten baut er Dara zur Schlüsselfestung gegen die Perser aus und gab ihr seinen Namen: Anastasiupolis. Durch kluge Finanzpolitik hinterließ er bei seinem Tod ein Vermögen von gut dreihunderttausend Goldpfund, auf das noch Justinian bei seinen Feldzügen gegen Goten und Vandalen ab 532 zurückgreifen konnte. Für spätantike Chronisten, denen der Sinn für Ökonomie abging, war Anastasios der Inbegriff von Habsucht.

Mischa Meier bringt diese Dissonanz zwischen zeitgenössischer und heutiger Historiographie zum Klingen. Aus den spärlichen, vom Theologenstreit verzerrten Textzeugnissen liest er die Spuren einer Epoche heraus, die von Endzeit-Ängsten, Bürgerkriegen und Glaubenskämpfen zerrüttet war. Anastasios, wegen seiner verschiedenfarbigen Augen díkoros, "Doppel-Pupille", genannt, schien die apokalyptischen Erwartungen zu bestätigen. Doch das war buchstäblich Augentrug, denn als Regent folgte Anastasios einer strikt pragmatischen Linie. Den Ostgotenkönig, der von einer großgermanischen Allianz in Westeuropa träumte, isolierte er durch geschickte Diplomatie, das Volk der Hauptstadt hielt er sich mit Brot und Spielen vom Leib, und mit seinem Todfeind Vitalian schloss er ein Stillhalteabkommen.

Die Kluft zwischen den Anhängern der Zweinaturenlehre und den Miaphysiten konnte Anastasios freilich so wenig schließen wie seine Nachfolger. Allerdings bleibt fraglich, ob er die römische Kirche überhaupt einigen wollte. Für einen echten politischen Realisten, wie ihn Mischa Meier malt, wäre diese äußere Einheit kaum zu wünschen gewesen, hätte sie doch die innere Spaltung Ostroms vertieft. Unter Anastasios' Nachfolgern, die zur Orthodoxie von Chalkedon zurückkehrten, begann jene Entfremdung der östlichen Reichsteile von der Hauptstadt, die Persern und Arabern die Eroberung von Syrien und Nordafrika erleichterte.

Die Antike, das stellt Meier nebenbei klar, war mit Anastasios I. noch lange nicht am Ende. Gleichwohl nahm seine am Machbaren orientierte Außenpolitik jene mittelalterliche Weltordnung vorweg, in der Europa von zwei Kaisern regiert wurde, einem fränkischen und einem byzantinischen. Dass sich Anastasios eine solche Ordnung allerdings hätte vorstellen können, darf mit Fug bezweifelt werden. Das politische Handeln geschichtlicher Akteure, auch das zeigt Mischa Meiers lesenswerte Biographie, ist ihrem Denken manchmal um Jahrhunderte voraus. Nicht nur in Konstantinopel.

Mischa Meier: "Anastasios I". Die Entstehung des Byzantinischen Reiches. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2009. 451 S., geb., 27,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2010

Nach dem Fall
des Westens
In einem fesselnden Buch schildert Mischa Meier den
verkannten Kaiser Anastasios und den Aufstieg von Byzanz
Ein Meer voll bunter Segel, große Kriegsgaleeren, Schiffe mit Rammspornen, die Banner des Imperiums: Es war ein spektakulärer Anblick, eine Demonstration der Macht wie aus Roms besten Zeiten. Die Geschwader steuerten im Jahr 507 die Küste Süditaliens an. Diese Flotte kam aus den Häfen des oströmischen Reiches, das den Sturm der Völkerwanderung überstanden hatte, während des Kaisertum des Westens 476 endgültig versunken war. Germanen, mächtige Könige wie örtliche Warlords, herrschten nun in Gallien, Spanien, Nordafrika und natürlich in Italien selbst, das in der Hand der Ostgoten war.
Sollten die Bewohner der süditalienischen Küstenstädte freilich geglaubt haben, die Schiffe aus dem verbliebenen Teil des Imperiums seien gekommen, um die alte Ordnung wiederherzustellen, so wurden sie mit Feuer und Schwert eines Besseren belehrt. Es war nicht mehr als ein Plünderungszug, wie der Chronist Marcellinus Comes klagte: „Nachdem sie das Meer durchmessen hatten, brachten sie dem Kaiser Anastasios einen Sieg ohne Ehre ein, den Römer Römern in einem Piratenunternehmen wegrafften.“ Es war ein reiner Entlastungsangriff gegen das Reich der Ostgoten, die dem Kaiser auf dem Balkan Gebiete streitig machten; die Zechen zahlten freilich deren römische Untertanen.
Römer gegen Römer: Das erschien auch eine Generation nach dem Fall des Westens ein Sakrileg – und die Schuld an diesem Brudermord war schnell zugewiesen: dem Kaiser in Konstantinopel, der Metropole des Ostreichs. Und dieser Kaiser hieß Anastasios, ein Hofbeamter, der während der üblichen Thronwirren im fortgerückten Alter von über sechzig Jahren etwas zufällig der mächtigste Herrscher der Mittelmeerwelt wurde, direkter Vertreter des Imperium Romanum. Schon zu Lebzeiten hatte Anastasios I., der das oströmische, später Byzanz genannte Reich mehr als ein Vierteljahrhundert lang regierte, von 491 bis 518, nicht den besten Leumund. Die spätere Geschichtsschreibung betrachtete ihn, weit über das heldenverliebte 19. Jahrhundert hinaus, als bedeutungslose Figur des Übergangs, als Regenten, dessen Zeit von Bürgerkrieg, Krisen, Religionsstreitigkeiten geprägt war und es am Glanz großer Feldzüge fehlen ließ.
Nun aber hat Mischa Meier, 39-jähriger Professor aus Tübingen und, wenn man das so sagen darf, ein Jungstar der deutschen Althistoriker, nicht weniger versucht als die Ehrenrettung eines Verkannten. Anastasios, so legt Meier überzeugend dar, ist ein Opfer der Propaganda des übernächsten Kaisers: Justinians, des bekanntesten Kaisers aus Byzanz, der alles anders und im Ergebnis sehr viel schlechter machte als der verachtete Anastasios, den er systematisch verunglimpfen ließ, auch durch Prokop, den großen Historiker des sechsten Jahrhunderts.
Meier, dessen erstes großes Werk eine sehr kritische Würdigung Justinians war, zeichnet hier ein anderes Bild. Anastasios ist bei all seinen Mängeln ein Regent, der für das Prinzip der Selbstbehauptung steht. Das ist nicht der Stoff, aus dem Heldengeschichten sind, aber ein Fallbeispiel für ruhige, besonnene Politik, die um ihre Grenzen weiß, aber ihre Spielräume um so konsequenter nutzt – für ein Ziel, das in einer Epoche der Zweifel und apokalyptischer Endzeiterwartungen Priorität vor allem anderen hatte: das Überleben einer alten Zivilisation in einer Zeit, die aus allen Fugen zu geraten schien. Der alte Kaiser war zu klug, um die Rückeroberung des Westens auch nur zu versuchen. Er stärkte, was vom Reiche geblieben war, das Imperium des Ostens. Es ist der Beginn von Byzanz.
Militärisch tat er dies durch den Bau starker Festungen wie der „Langen Mauern“, die das Vorfeld der Hauptstadt beschützten, ein 56 Kilometer langes Sperrwerk, dessen Überreste noch heute beeindruckend sind. Es war auch ein politisches Symbol: Das Reich weiß sich zu wehren. Aber auf ideologisch motivierte Feldzüge schickte er seine Soldaten nicht. Gewiss, der alte Kaiser führte auch Kriege – wenn sie nicht zu vermeiden waren, wie gegen die slawischen Barbaren an der Donaugrenze und vor allem gegen das aggressive Großreich der persischen Sassaniden im Osten. Den Angriff ihrer Panzerreiter schlugen die kaiserlichen Armeen schließlich zurück, freilich um den Preis der Großstadt Amida, die Monate standhielt, aber dann doch fiel, bevor die Entsatztruppen kamen. Die Perser sollen, vor Wut über ihre Verluste rasend, in einem furchtbaren Massaker Zehntausende Menschen umgebracht haben; meisterlich wie beklemmend ist Meiers Schilderung des Kampfes um die Stadt und der furchtbaren Leiden der Zivilisten, eines Kampfes, der in keinem Schulbuch steht und doch Ausmaße erreichte und Opfer forderte wie viele große Kriege der altrömischen Zeit. Der Geistliche Josua Stylites schrieb: „Unser Land wurde von fremden Völkern zertreten“, als ob „das Ende der Welt gekommen sei“.
Wichtiger noch ist die Religionspolitik des Kaisers in einer Epoche, in der das Religiöse zum Maß aller Dinge wurde, auch der Politik. Hier ist auch Anastasios unzweifelhaft daran gescheitert, die auseinanderstrebenden christlichen Überzeugungen im Osten und im Westen miteinander zu versöhnen; auch der Ausgleich mit den Nationalkirchen des christlichen Orients in Syrien und Ägypten, den wichtigsten Provinzen des Reichs, gelang ihm nicht. Was heute den Eindruck erweckt, als hätten die Theologen eines stets bedrohten Imperiums nichts Vernünftigeres zu tun gehabt, als zu streiten, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, erklärt Meier in den Kategorien der Zeit: Staat und Religion sind nicht zu trennen, die Religion ist auch das Medium, mit der die Volksmassen ihren Willen artikulieren – und mit dem sie es dürfen.
Wo Anastasios die Identitätskrise des Imperiums durch den Aufbau einer neuen, oströmischen Identität zu lösen versuchte, verkündete Justinian, der 527 nur acht Jahre nach Anastasios’ Tod den Kaiserthron bestieg, die Wiederherstellung des Römischen Reiches. Seine jahrzehntelangen Eroberungsfeldzüge rings um das Mittelmeer stellten das mare nostrum fast zur Gänze wieder her – und verbrauchten die Gelder, Armeen und Kräfte, die der alte Kaiser Anastasios so sorgsam zusammengehalten hatte. Aber er ist fast vergessen, während Justinian bis heute als der letzte große Römer gilt.
Aber kaum war dieser 565 gestorben, zerfiel sein Werk in atemberaubender Geschwindigkeit. Byzanz versank in Anarchie und kämpfte anderthalb Jahrhunderte ums nackte Überleben – bis es, in höchster Not, 718 den Siegeslauf des Islam vor den Mauern Konstantinopels stoppte. Syrien, Palästina, Ägypten, Afrika aber blieben verloren. Für diesen Kampf wäre die östliche Hochkultur der Christenheit weit besser gerüstet gewesen, hätte sie die kluge Politik des Anastasios fortgesetzt.
Das alles ist, bei aller historischen Genauigkeit, sehr gut lesbar. Meiers Buch glänzt durch eine Lebendigkeit in Ausdruck und Stil, die vielen deutschen Historikern irgendwann so gänzlich abhanden gekommen ist. Der Autor ist nicht gewillt, langweilige und fachhubernde Sprache hinzunehmen, deren Hauptzweck es oftmals zu sein scheint, selbst dem interessierten Laien zu bedeuten: Halte dich fern von Dingen, von denen du nichts verstehst. Das nennt sich dann „wissenschaftliche“ Ausdrucksweise, die vielen geplagten Studenten schon im Proseminar eingetrichtert wird. Und obwohl Meiers Buch einen epischen Anmerkungsapparat hat und selbst die verfeinertsten theologischen Debatten in der Kaiserstadt Konstantinopel aufdröselt, so bleibt es doch meist anschaulich, ja spannend geschrieben.
In der angelsächsischen Welt verlangt man das von den Historikern. In Deutschland braucht ein Historiker Mut zu einem Einstieg wie diesem: „Ein schneidender Wind peitscht kalten Regen über die trostlosen Ebenen. Mitten in der Weite ein paar ausgemergelte Soldaten, völlig unzureichend ausgerüstet und dementsprechend schlecht motiviert, die von einer Horde wilder Krieger überrannt werden und verendend im Schlamm zurückbleiben.“ Das Werk eines ordentlichen Professors für Alte Geschichte, das so beginnt, kann kein schlechtes Buch sein. JOACHIM KÄPPNER

MISCHA MEIER: Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches. Klett-Cotta, Stuttgart 2009. 443 Seiten, 27,90 Euro
Dieser Professor weigert sich,
langweilige und fachhubernde
Sprache hinzunehmen
Er stärkte das Imperium des Ostens: Anastasios I., von 491 bis 518 oströmischer Kaiser (Elfenbeinschnitzerei aus der französischen Nationalbibliothek). Foto: oh
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der oströmische Kaiser Anastasios I. gilt in der Geschichtsschreibung nicht als starke Figur. Nicht zuletzt kam es unter seiner Herrschaft zur Spaltung der christlichen Reichskirche. Es ging dabei um einen Streit, der das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur Christi betraf. Es gelang Anastasios nicht, den Glaubensstreit zwischen der offiziellen Position des Konzils von Chalkedon (Christus als Gott und Mensch unvermischt) und den Monophysiten (verschmolzen) zu befrieden. Auch nicht dadurch, dass er sich auf die Seite der Monophysiten schlug. Autor Mischa Meier deutet diese Abkehr des Kaisers als Teil seiner insgesamt pragmatisch ostorientierten und die Wiedervereinigung des Reichs im Prinzip drangebenden Politik. Dem Rezensenten Andreas Kilb leuchtet diese neue und sehr positive Deutung der Stellung des Anastasios sehr ein, er lobt Meiers Studie als so "klug" wie "vorsichtig" und in jedem Fall "lesenswert".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Er hat einen fast vergessenen Kaiser für das breite Publikum und für die historische Zunft wiederentdeckt. Und er hat eine der besten Biografien spätantiker Herrscher vorgelegt, die in den letzten Jahren im deutschen Sprachraum erschienen sind." Stefan Rebenich, NZZ, 14.10.2009 "Mischa Meier bringt diese Dissonanz zwischen zeitgenössischer und heutiger Historiographie zum Klingen. Aus den spärlichen, vom Theologenstreit verzerrten Textzeugnissen liest er die Spuren einer Epoche heraus, die von Endzeit-Ängsten, Bürgerkriegen und Glaubenskämpfen zerrüttet war. ... Das politische Handeln geschichtlicher Akteure, auch das zeigt Mischa Meiers lesenwerte Biographie, ist ihrem Denken manchmal um Jahrhunderte voraus. Nicht nur in Konstantinopel." Andreas Kilb (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2009)