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Ulrich Schiller, einst ARD-Korrespondent in Belgrad, Moskau und Washington, erhellt die Hintergründe der jugoslawischen Zerfallskriege. Er führt die mörderischen Gewalttaten auf dem Balkan im Zweiten Krieg vor Augen, die die Menschen in Süd-Ost-Europa, vor allem im ehemaligen Jugoslawien, bis heute belasten. Eindringlich stellt der Autor die Frage nach der deutschen Mitverantwortung und lenkt den Blick des Lesers auf bislang vernachlässigte historisch-politische Zusammenhänge, die einer wie immer gearteten einseitigen Schuldzuweisung für die Balkantragödie den Boden entziehen. Es reicht nicht…mehr

Produktbeschreibung
Ulrich Schiller, einst ARD-Korrespondent in Belgrad, Moskau und Washington, erhellt die Hintergründe der jugoslawischen Zerfallskriege. Er führt die mörderischen Gewalttaten auf dem Balkan im Zweiten Krieg vor Augen, die die Menschen in Süd-Ost-Europa, vor allem im ehemaligen Jugoslawien, bis heute belasten. Eindringlich stellt der Autor die Frage nach der deutschen Mitverantwortung und lenkt den Blick des Lesers auf bislang vernachlässigte historisch-politische Zusammenhänge, die einer wie immer gearteten einseitigen Schuldzuweisung für die Balkantragödie den Boden entziehen. Es reicht nicht aus, so Hans Koschnick in seinem Vorwort, sich mit "Kenntnissen über geschichtliche Fakten und abgeschlossene Verträge zu begnügen, wenn man sich nicht gleichzeitig mit den tradierten Ängsten, Emotionen und Erfahrungen befasst, die das individuelle wie kollektive Bewusstsein prägen." Ein fesselnd geschriebenes, von persönlichen Erfahrungen belebtes Buch, das die komplexe Entwicklung auf dem Balkan einsehbar und damit Geschichte und Gegenwart durchschaubar macht.
Autorenporträt
Ulrich Schiller, seit 1956 Journalist, ab 1960 ARD-Korrespondent in Belgrad, ab 1966 in Moskau, 1970-1973 Chefredakteur bei Radio Bremen, dann bis 1989 Korrespondent für den ARD-Hörfunk in Washington und 1975 - 1996 auch für "Die Zeit".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2010

Bonn war überfordert
Der Journalist Ulrich Schiller erklärt, warum die Kroatien-Politik der Bonner Regierung fatal war
Das politische Urteil der Autoren ist streng. Doch der für die deutsche Jugoslawien-Politik der neunziger Jahre nicht gerade schmeichelhafte Richterspruch beruht auf untadeliger Professionalität: Der Slawist Ulrich Schiller war angesehener ARD-Hörfunkkorrespondent in Belgrad, Moskau und Washington. Hans Koschnik, ehemals Bremer Bürgermeister, hatte von 1994 bis 1996 die Position eines Administrators der Europäischen Union in Mostar inne. Koschnik verfasste das Vorwort zu Schillers Analyse der hierzulande oft heruntergespielten kroatischen Mitschuld an den Jugoslawienkriegen und der verfehlten Lageeinschätzung der damaligen Bundesregierung.
„Kohl und Genscher”, schreibt Ulrich Schiller, „waren überfordert und der Aufgabe des Konfliktmanagements in Jugoslawien nicht gewachsen, zwar erfahren im Ost/West-Konflikt, hatten sie vom Balkan wenig oder keine Ahnung und waren zudem absorbiert vom Drama der deutschen Wiedervereinigung.” Über die voreilige Anerkennung Kroatiens als selbständiger Staat durch die Bundesrepublik schreibt Koschnik: Diese Herauslösung aus dem jugoslawischen Bundesstaat hätte mit verfassungsrechtlich verbrieften Rechten für die Serben in Kroatien verbunden werden müssen. Zudem sei es ein „folgenschwerer Fehler” gewesen, sich nicht gegen Tudjmans Absicht gewehrt zu haben, Bosnien zwischen Serbien und Kroatien aufzuteilen. Für dieses Versäumnis habe die bosnische Bevölkerung bitter bezahlen müssen.
Kohl und Genscher waren blind
Angesichts der Kompetenz der beiden Autoren ist es fast überflüssig zu sagen, dass sie die historische Mitschuld des serbischen Präsidenten Slobodan Miloševic nicht relativieren. Die Wurzeln der kroatisch-deutschen Tragödie offenbart Schillers Buch bereits auf den ersten Blick: Das Cover zeigt das Denkmal, das bei Jasenovac an das dort gelegene ehemalige kroatische Konzentrationslager erinnert. Denn nach Schillers Darstellung war es der im faschistischen Ustascha-Staat gezüchtete kroatische Nationalismus, auf dem Tudjman in den neunziger Jahren sein „neues” Kroatien aufbauen wollte.
Hitlers Einmarsch in Jugoslawien und die Bombardierung Belgrads durch die deutsche Luftwaffe im Frühjahr 1941 hatten den Zerfall des 1918 gegründeten „Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen” zur Folge. In Kroatien wurde der faschistische Ustascha-Staat unter dem Poglavnik (Führer) Ante Pavelic gegründet. Pavelic, von Hitler und Mussolini installiert, ließ – mit Duldung der katholischen Kirche Kroatiens – in Jasenovac ein KZ errichten. Ob dort 70 000 oder 700 000 Serben, Juden sowie Sinti und Roma von kroatischen Ustascha umgebracht wurden, entzieht sich bis heute exakter wissenschaftlicher Kenntnis. Pavelic jedenfalls begann mit der Judenverfolgung, noch bevor Hitlers Schergen auf der Wannseekonferenz im Januar 1942 die sogenannte Endlösung beschlossen.
Titos großer Fehler
Franjo Tudjman allerdings wollte von den Verbrechen des Ustascha-Staates später nichts mehr wissen. Im Gegenteil, er gehörte zu jenen Relativierern des Holocaust, denen heute in der Bundesrepublik vermutlich der Prozess gemacht würde: Die Zahl der Opfer – in Jasenovac ebenso wie in den deutschen Vernichtungslagern – sei, schrieb er, „durch Emotionen Überlebender sowie durch übertreibende Abrechnungen mit Kriegsverbrechern nach dem Kriege zustande gekommen”. Auch leugnete oder verdrängte Tudjman die Untaten der Ustascha in Bosnien. Im Jahr 1941 etwa wurden Menschen in so großer Zahl ermordet, dass sich der Bischof von Mostar bei seinem Vorgesetzten, dem Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac, über die Gräueltaten der Pavelic-Milizen an den Serben beschwerte.
Der Kroate Tudjman, Historiker von Beruf, bekämpfte damals als General in Titos dem Sozialismus verschriebener Partisanenarmee nicht nur die deutschen Invasoren, sondern vor allem seine in Bosnien mordenden Ustascha-Landsleute. Seine Wandlung zum kroatischen Nationalisten und die Verniedlicher der Ustascha-Morde begann schon zu Titos Zeit: Wegen seiner ideologischen Kehrtwende wurde Tudjman unter Hausarrest gestellt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Haft wegen einer freien, wenn auch abwegigen Meinungsäußerung? Ulrich Schiller lässt keinen Zweifel daran, dass Titos Politik, eine friedliche Diskussion über die nationalen Differenzen zu unterbinden, zum Untergang Jugoslawiens beigetragen hat. Auch durch die Gefängnisstrafen radikalisiert, tauchte Tudjman als kroatischer Präsident plötzlich auf der europäischen Bühne sowie bei Kanzler Kohl und Außenminister Genscher auf.
Diese beiden aber waren durch die Untaten des serbischen Führers Slobodan Miloševic so beunruhigt, dass sie nicht wahrnahmen (oder nicht wahrnehmen wollten), wie sehr Tudjman ein kroatisches Spiegelbild des Serben war. Dass Miloševic und Tudjman in perfider Gemeinsamkeit über die Aufteilung Bosniens schacherten und so letztlich zu Kumpanen bei der Zerschlagung Jugoslawiens wurden, blieb ohne Einfluss auf die deutsche Haltung.
Schacher über Bosniens Teilung
Dass die Aufteilung Bosniens ohne Krieg nicht zu verwirklichen war und deshalb gegen die Schlussakte von Helsinki (1975) verstieß, welche die Änderung von Grenzen nur auf friedlichem Wege erlaubt – auch für dieses Szenario hatte man kein Auge. Die neue Unabhängigkeit der baltischen Staaten machte offenbar viele blind für die ganz anders gearteten Probleme Südosteuropas. Dort nämlich brachen die durch Tito zementierten, weil geleugneten ethnischen Gegensätze vulkanartig wieder auf. Statt alle Nationalisten in ihre Schranken zu weisen, wurde einer, nämlich Tudjman, sogar hofiert – von deutschen Politikern und auch von manchen deutschen Journalisten.
Schillers Buch endet mit der Feststellung, dass sich Tudjman, wäre er nicht gestorben, vermutlich ebenso wie Miloševic vor dem Haager Jugoslawientribunal hätte verantworten müssen. So sehr Schiller Tudjmans politische Verfehlung anklagt, ist ihm ein antikroatisches Sentiment doch völlig fremd. Vielmehr fordert er von Europa, Kroatien bei der Bewältigung seiner jüngeren Geschichte zu helfen. Dabei würde Deutschland sich genötigt sehen, seine damalige Politik kritisch aufzuarbeiten. HEIKO FLOTTAU
ULRICH SCHILLER: Deutschland und „seine” Kroaten. Vom Ustascha-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus. Donat-Verlag, Bremen 2010. 221 S., 14.80 Euro.
Nicht ohne meine Eiche: Auch eine Form von Nationalbewusstsein
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Strenge des politischen Urteils in diesem Buch fällt dem Rezensenten auf. Allerdings lässt Heiko Flottau durchblicken, wie sehr er dem Autor Ulrich Schiller und dem Verfasser des Vorworts, Hans Koschnik, bezüglich ihrer Kompetenz und Urteilsfähigkeit vertraut. Schillers Analyse der kroatischen Mitschuld an den Jugoslawienkriegen, der deutschen Jugoslawien-Politik unter Kohl und Genscher sowie der Ursprünge der kroatisch-deutschen Missverhältnisse begreift Flottau als Schritt hin zu einer notwendigen kritischen Aufarbeitung. Dass der Autor bei aller Kritik an der Regierung Tudjman auf antikroatische Sentiments verzichtet, rechnet Flottau ihm hoch an.

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