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Luise Schilling ist jung, wissbegierig und voller Zukunft. Anfang der brodelnden zwanziger Jahre kommt sie an das Weimarer Bauhaus. Sie studiert bei Professoren wie Gropius oder Kandinsky und wirft sich hinein in die Träume und Ideen ihrer Epoche. Zwischen Technik und Kunst, Kommunismus und Avantgarde, Populismus und Jugendbewegung lernt Luise gesellschaftliche Utopien kennen, die uns bis heute prägen. Rasant und äußerst gegenwärtig erzählt Theresia Enzensberger von einer jungen Frau in den Wirren ihres Lebens: von den Konflikten zwischen Rechts und Links bis zum Sprung eines jungen Liebespaares in einen nächtlichen Fluss.…mehr

Produktbeschreibung
Luise Schilling ist jung, wissbegierig und voller Zukunft. Anfang der brodelnden zwanziger Jahre kommt sie an das Weimarer Bauhaus. Sie studiert bei Professoren wie Gropius oder Kandinsky und wirft sich hinein in die Träume und Ideen ihrer Epoche. Zwischen Technik und Kunst, Kommunismus und Avantgarde, Populismus und Jugendbewegung lernt Luise gesellschaftliche Utopien kennen, die uns bis heute prägen. Rasant und äußerst gegenwärtig erzählt Theresia Enzensberger von einer jungen Frau in den Wirren ihres Lebens: von den Konflikten zwischen Rechts und Links bis zum Sprung eines jungen Liebespaares in einen nächtlichen Fluss.
Autorenporträt
Theresia Enzensberger wurde 1986 geboren und lebt in Berlin. Sie studierte Film und Filmwissenschaft am Bard College in New York studiert und schreibt als freie Autorin Prosa, Essays, Reportagen und Kritiken. 2014 gründete sie das preisgekrönte BLOCK Magazin. Bei Hanser erschien 2017 ihr erster Roman Blaupause, der in mehrere Sprachen übersetzt und mit der Alfred Döblin-Medaille ausgezeichnet wurde, sowie zuletzt ihr Roman Auf See (2022), der für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2017

LITERATUR
Plauderjahre einer Architektin
Theresia Enzensberger schickt eine junge Berlinerin ans Bauhaus, nach Weimar und Dessau.
Ihr Debütroman „Blaupause“ erzählt von Aufbruch, verlorenen Illusionen und einer heiteren Kehrtwende
VON JENS BISKY
Zum Himmel hoch und zum Handwerk zurück wollte Walter Gropius, als er das Staatliche Bauhaus in Weimar begründete. Er hatte damit eine gute Lösung für die in sich widersprüchliche Anforderung an eine Kunstschule gefunden, durch Einführung ins Erprobte das Unvorhergesehene zu ermöglichen. „Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.“
So ungefähr will das Luise Schilling auch, die Heldin und Erzählerin in Theresia Enzensbergers Bauhaus-Roman „Blaupause“. Luise hat eine Leidenschaft für die Baukunst und will auf keinen Fall so leben, wie ihre Eltern das für sie geplant haben. Zwar scheint sie meist naiv, eher gezogen und geschoben als drängend, entscheidend. Aber eines steht fest: Hauswirtschaftsschule und Eheschließung, die Lebensaufgabe Gattin, sind nichts für sie. Also sitzt sie 1921 in Weimar im Direktorenzimmer des Walter Gropius und zeigt ihm ihre Architekturzeichnungen.
Theresia Enzensberger ist als freie Journalistin bekannt geworden. Das von ihr begründete Block Magazin will sich dem „Relevanzgehechel“ des Medienbetriebs entziehen. Und ja, sie ist die Tochter des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger. „Blaupause“ ist auch die Geschichte einer Tochteremanzipation. Rasch sind die Gärungsmomente beisammen, die in Campusromanen üblicherweise die Handlung vorantreiben: die Spannung zwischen Aufbruchswillen und Uni-Alltag, das Zugleich von Studium und erotischer Selbstfindung, von Welterkundung und Rückzug in die Bibliothek, die Werkstatt. Hinzu kommen Enttäuschungen, die Geliebte und Freunde bereiten oder berühmte Lehrer, sobald man sie näher kennenlernt.
Dennoch kommt die Handlung nicht recht von der Stelle. Was wie ein Bildungsroman beginnt, erstarrt zur kulturhistorischen Revue. Die Themen und Erkenntnisse der neueren Bauhausforschung hat Theresia Enzensberger eingearbeitet. Neben dem allseits bekannten Gropius erhalten andere Lehrer die ihnen gebührende Aufmerksamkeit: der Schweizer Maler Johannes Itten etwa oder der zweite Bauhaus-Direktor Hannes Meyer – „Mir gefällt, wie radikal er jede ästhetische Überlegung ablehnt“, sagt Luise. In Weimar hatte sie sich den „Kuttenträgern“ um Itten angeschlossen, mit einem von ihnen eine wunderbare, weil aussichtslose Liebelei begonnen. In Dessau dann lässt sie sich von einem überaus ehrgeizigen Reklamezeichner erobern.
Die politischen Spannungen der Zeit blitzen auch an der Kunstschule auf. Was sonnst noch auf der Checkliste „unsere Zwanzigerjahre“ stehen mag, kommt vor: Nachtleben, Herren in Damenkleidern und Damen in Herrenanzügen, Hirschfelds „drittes Geschlecht“, Esoterisches, Antisemitismus, Gewalt, Amerikanisierung, Reformdiskussionen, Bubikopf und die Bereitschaft, das Vergangene abzuräumen.
All das erlebt und berichtet Luise Schilling wie nebenbei. Ihr Konflikt ist der der neuen Frau, die sich nichts vorschreiben lassen und in einer Männerdomäne wie der Architektur ihren Platz erobern will. Aus Ulrike Müllers Buch „Bauhaus-Frauen“ wissen wir, wie stark auch die Kunstschule der Moderne von konventionellen Rollenzuschreibungen geprägt war. Frauen sollten sich in der Textilwerkstatt tummeln, hier konnten sie etwas werden. In Luises Freundin Maria kann man Züge der Weberin Gunta Stölzl erkennen, der ersten Bauhaus-Meisterin.
Der Emanzipationskonflikt sorgt im letzten Drittel des Romans dann doch für eine rasante Handlung. Lange genug war die Heldin in Diskussionen nicht zu Wort gekommen, auf Textilien verwiesen worden – weil Frauen es angeblich nicht so haben mit dem dreidimensionalen Sehen. Lange genug haben die Zurücksetzungen, die kleinen Kränkungen die Selbstzweifel der jungen Frau genährt. Nun erfährt sie in einem, dass ihr Talent fürs Bauen kein geringes ist – und dass auch das ihr nicht helfen wird. Wie Sexismus in Kultureinrichtungen funktioniert, kann man in „Blaupause“ nachlesen und wird, wenn man durchhält, mit zwei filmreifen Pointen beschenkt.
Leider hat Theresia Enzensberger auf jede Anlehnung an den Ton der selbstbewussten Autorinnen jener Jahre verzichtet. Keine Spur von der Süffisanz einer Gabriele Tergit, dem Witz einer Irmgard Keun, der unterhaltlichen Virtuosität Vicky Baums. Wenn sie leidenschaftlich wird, wenn Walter Gropius fragt, wie sie denn vom Bauhaus erfahren habe, dann klingt Luise Schilling so: „ich erkläre, dass mein Vater gusseiserne Pfetten herstellt, was ihn in regelmäßigen Kontakt mit den moderneren Berliner Architektenbüros bringt, unter anderem mit dem von Peter Behrens. Die Entwicklungen in Weimar werden dort mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.“ Betulicher kann man das Neue, die Emanzipation, die Zukunft nicht herbeisehnen. Die gut informierte Umständlichkeit verhindert, dass Schauplätze, Figuren anschaulich werden. Sie ersticken unter den Details. Peter Behrens wird erwähnt, obwohl er weiter keine Rolle spielt. Diese Prosa folgt zu oft der Logik des Lexikoneintrags, aber nicht der Gewalt der Gefühle, Situationen, Überzeugungen,
Ein Anhang – „Aus Luise Schillings Nachlass“ – verrät deren weiteres Schicksal. Von gleich zwei Bauhaus-Direktoren enttäuscht, wandert Enzensbergers sympathische Heldin 1927 in die Vereinigten Staaten aus, arbeitet dort auch für die New Yorker Baubehörde. Eines Tages hat sie die Gelegenheit, sich zu rächen. Vor allem aber überführt sie ihre frühe Skepsis gegenüber Fortschrittskult und Architektenkaltschnäuzigkeit in eine Jane-Jacobs-artige Kritik an Großprojekten. Sie glaubt, dass die wenig kristallenen Sinnbilder der Moderne einem Irrglauben folgen, „höher, größer, phallischer“.
Die gebauten Sinnbilder der
Moderne folgen einem Irrglauben,
„höher, größer, phallischer“
Theresia Enzensberger:
Blaupause. Roman.
Carl Hanser Verlag, München
2017. 256 Seiten, 22 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
„Ein Haus zu bauen, das bedeutet, eine Welt zu schaffen, in der Leute schlafen und essen, arbeiten und lieben, streiten und sich verbünden“ – oder die Beine baumeln lassen, wie hier am Bauhaus in Dessau, um 1927.
Foto: Stiftung Bauhaus Dessau
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2017

Man muss modern sein!
Theresia Enzensbergers Debütroman "Blaupause" erzählt von einer Frau am Bauhaus der zwanziger Jahre - und trifft und meint doch unsere Gegenwart

Das ist natürlich ein ziemlich guter Trick: Theresia Enzensberger hat einen Roman über die zwanziger Jahre und das Bauhaus geschrieben. "Blaupause" heißt er. Auf dem Cover ist ein nachkoloriertes Bauhausfoto zu sehen, das vom Dach eines Hauses mit Blick nach unten auf lauter junge Menschen aufgenommen ist, die, von der Sonne geblendet, nach oben ins Objektiv der Kamera gucken und sich dabei die Hände vors Gesicht halten oder die Augen halb schließen. "Anfang der brodelnden zwanziger Jahre kommt Luise Schilling an das Weimarer Bauhaus. Jung, wissbegierig und voller Zukunft studiert sie bei Professoren wie Gropius oder Klee und stürzt sich hinein in die Träume und Ideen ihrer Epoche", steht hinten auf dem Klappentext. Und man kriegt schon Angst vor dem "Brodeln" der zwanziger Jahre und den "Träumen und Ideen" der Epoche. Warum überhaupt zurück in die Vergangenheit? Theresia Enzensberger, 1986 in München geboren, lebt als freie Journalistin in Berlin. Sie hat ein unabhängiges Magazin gegründet, "Block", in dem Texte erscheinen, die in der Jetztzeit zu Hause sind, die die Gegenwart analysieren, in der wir leben. Und nun soll ihr literarisches Debüt ausgerechnet ein historischer Roman sein?

Auf der ersten Seite scheint das zu stimmen. Mit der Ich-Erzählerin irren wir die Flure eines Gebäudes entlang bis zu einer großen Wendeltreppe, über die es hinaufgeht in den dritten Stock zum Direktorenzimmer: "Walter Gropius" steht dort an der Tür, und von hinter der Tür ruft eine Stimme in nicht besonders freundlichem Ton "Herein". Aber gleichzeitig stimmt es eben auch nicht, was am Ton des Romans liegt, der nicht versucht, eine historische Art des Sprechens nachzuahmen. Im Gegenteil. Theresia Enzensberger lässt ihre Figuren in der Fiktion der zwanziger Jahre immer wieder gerne auch Wörter sagen, die damals so oder in ihren Konnotationen so nicht existiert haben: "Bullen" werden die Polizeibeamten einmal genannt, von "Netzwerken" ist die Rede, ohne dass das aufgesetzt klänge.

Wir betreten diesen Roman also wie einen Raum. Aber wo wir ihn zeitlich verorten, bleibt uns überlassen, weil er beständig changiert zwischen Damals und Jetzt und damit bis zum Schluss nicht aufhört. Das ist die "Blaupause", ein Wort, das, wo es schon ums Bauhaus geht, natürlich an Konstruktionszeichnungen und Baupläne denken lässt, aber eben auch an Lichtpausen, Kopien, Durchschläge: Theresia Enzensberger lässt ihre Protagonistin Luise Schilling ihre Geschichte als Blaupause erzählen. Ob die Geschichte dabei das Vorbild für die Gegenwart ist oder umgekehrt die Gegenwart das Modell für die Vergangenheit, lässt sie im Ungefähren.

Und das ist der Zauber dieses Buchs, das von einem Aufbruch handelt: Luise Schilling, Tochter eines wohlhabenden Unternehmers aus Berlin, zieht von zu Hause weg, um in Weimar zu studieren. Der Vater unterstützt sie darin zunächst, ungeduldig wartet sie darauf, endlich am Unterricht teilnehmen zu können, und lernt die ersten anderen Bauhausschüler kennen, die eine seltsame Gemeinschaft bilden. Sie tragen Mönchskutten und scharen sich um ihren Lehrer Johannes Itten, einen Anhänger des Mazdaznan, einer esoterischen Lebensphilosophie. Sie verbringen die Nächte in dessen Atelier im Tempelherrenhaus, meditieren, machen Kopfübungen und versuchen, so weit wie möglich mit dem eigenen Ich in Einklang zu leben, im besten Fall, es zu überwinden. Luise fühlt sich auf merkwürdige Weise von ihnen angezogen, vor allem von Jakob, der ausnehmend hübsch ist und genauso wenig zu fassen, dem nachgesagt wird, mit seinem Lehrer Itten ein Verhältnis zu haben, und der sie eine Weile lang für sich auserwählt, jedenfalls immer dann, wenn er Lust hat. Sie will dazugehören und nimmt dafür bereitwillig in Kauf, dass sich andere von ihr abwenden und nichts mit ihr zu tun haben wollen.

Da sind wir schon mittendrin, und es ist auch schon klar, worum es hier nicht geht: Dieses Buch ist kein Bauhausseminar, es kommt ganz und gar nicht gelehrsam daher und schwelgt in nichts, was irgendwann mal war. Vielmehr geht es um eine Situation, einen bestimmten Punkt im Leben, an dem man von zu Hause weggeht, ausbricht aus der Gemeinschaft der Familie, um sich auszuprobieren, sich andere Gemeinschaften sucht, neue Freunde, und sich auf diese Weise selbst neu entwirft: "Wer will ich sein, und wie will ich leben?", fragt Theresia Enzensberger mit ihrer Protagonistin in ihrem Buch.

Wobei sie Luise Schilling die Konventionalität ihrer Herkunft zunächst einfach nur fürs Gegenteil eintauschen lässt. Dass der unkonventionelle Kreis der Itten-Jünger genauso autoritär strukturiert ist wie ihr Elternhaus, ist ihre erste unangenehme Erfahrung. Alles ist streng ritualisiert, die Meditationen und die gemeinsamen Wanderungen. Die Fortschrittsfeindlichkeit ihrer neuen Freunde geht bis hin zur Ablehnung der einfachsten medizinischen Versorgung, was einen von ihnen, einen Versehrten aus dem Ersten Weltkrieg, in Lebensgefahr bringt. Und Johannes Itten wird, wo er auftaucht, vergöttert. Was er sagt, bleibt unwidersprochen; sie folgen ihm blind. Und die neu in den Kreis Aufgenommene darf sich sagen lassen: "Keine Sorge, Luise, die meisten Frauen haben Defizite im dreidimensionalen Sehen. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich würde dir allerdings empfehlen, in die Textilwerkstatt zu gehen. Dort kannst du auch dein Talent für Farbgebung weiterentwickeln, das du ja schon unter Beweis gestellt hast." Luises Vater findet, sie sollte ihr Talent lieber auf einer Haushaltsschule in Berlin-Schöneberg weiterentwickeln, und streicht ihr das Geld fürs Studium. So weit sind beide nicht voneinander entfernt.

Luise will aber bauen: "Ich will die Zukunft bauen und die Vergangenheit abreißen", heißt es im Roman, der, besonders in seinen Dialogen, etwas von diesem heiligen Ernst abbildet, den man nur bei Anfang- bis Mitte-Zwanzigjährigen findet. Dieses Sich-über-die-Maßen-Ernstnehmen, das nur eine Weile lang gelingt und im Leben dann nie wieder, weil mit den Erfahrungen das Scheitern kommt und mit dem Scheitern die Ironie. Luise bricht aus dem Esoterikkreis wieder aus. Allerdings gelingt ihr das nicht aus eigener Kraft. Theresia Enzensberger organisiert den Prozess, den ihre Protagonistin durchläuft, anhand von Figurenkonstellationen. Luise wendet sich nicht einfach anderen Ideen zu. Sie sucht sich neue Leute, die neue Ideale verkörpern. Und immer geht das nur eine Weile lang gut.

Sie streitet mit Jakob: "Ihr denkt nie über irgendetwas nach, was außerhalb eurer eigenen Welt liegt. Muss Kunst nicht auch politisch sein?" - "Wenn wir Politiker sein wollten, wären wir doch nicht hier." - "Ich rede ja nicht von Politik, wie sie im Rathaus gemacht wird. Aber alles wird immer extremer, die Leute schlagen sich die Köpfe ein, und wir beschäftigen uns nur mit uns selbst." Dann lernt sie Friedrich kennen, der überzeugter Kommunist ist; der über Mussolini spricht und sich dabei in Rage redet; der meint, man könne sich auf die Sozialdemokraten im Kampf gegen den Faschismus nicht verlassen. Sie ist fasziniert. Sie hat bis dahin noch nie jemanden kennengelernt, der eine so klare politische Haltung hatte. Aber wie auch? Ihre Freunde interessierten sich nicht für Politik, und der Meisterrat hatte alle politischen Zusammenschlüsse am Bauhaus gerade erst verboten.

Es geht in diesem Roman auch um die Weimarer Republik, um das, was der Klappentext "Brodeln" nennt. In Berlin stürmen Faschisten einen Eisenbahnwaggon und prügeln mit siebenhundert Mann auf zwanzig Kommunisten ein. Auf der Straße wird ein Junge zusammengeschlagen. "Wieder diese Hitlerleute?" Aber Theresia Enzensberger will nicht möglichst viel Zeitgeschehen hineinpacken, dann wäre es ja doch ein historischer Roman und würde aufhören, vor allem auch vom Heute zu erzählen. Sie macht etwas anderes. Sie lässt die Gewalt, die öffentlich stattfindet und überhandnimmt, auf die Ebene der Figuren durchsickern, indem sie auch die privaten Beziehungen gewalttätig werden lässt. Luise lernt, über Friedrich, Hermann kennen, einen politisierten Reklamezeichner, einen Zeitgeistmenschen, der sich zum rechten Zeitpunkt einen Schnurrbart stehen lässt, immer ganz vorne dran, überall mit dabei. Sie verliebt sich in ihn und er sich in sie. Und der Zeitgeistmann ist es dann, der sie schlägt - was die anderen natürlich mitkriegen; sie wollen sich aber nicht verhalten, sich nicht "auf eine Seite schlagen" und vor allem unbedingt den ständigen Einladungen, die sie von Friedrich erhalten, weiter nachkommen.

Dass das Bauhaus - von der Utopie bis hin zum Design - ein gängiger Bezugspunkt unserer Gegenwart ist, gehört zu den Voraussetzungen für Theresia Enzensbergers "Blaupause". Das erlaubt es ihr auch, die ganze Luise-Schilling-Geschichte in diesem Tonfall zu erzählen. Wer avanciert ist oder sich dafür hält, findet das Bauhaus gut. Vor ein paar Wochen erst fand, organisiert von der sogenannten Zentralen Intelligenz- Agentur aus Berlin, in Weimar ein "Digital Bauhaus Summit" statt, der propagierte, dass es an der Zeit sei, die Auffassung von "modern sein" selbst zu modernisieren und ihr ein "Update für das 21. Jahrhundert" zu verpassen. "Die Ideen des Bauhauses, einst Inbegriff des modernen Lebensstils, bilden den Ausgangspunkt", hieß es da. In der Bauhaustradition wollte man deshalb nicht nur reden, sondern auch "Dinge mit den Händen erschaffen und zertrümmern".

Aber das ist gewissermaßen nur die eine Bewegung des Romans. In der umgekehrten Bewegung erzählt dieser Roman nämlich auch, wie vergangen die Welt, in der wir leben, in so vieler Hinsicht ist, wie wenig sich geändert hat. Das gilt für alle Herabsetzungen der Protagonistin durch ihre chauvinistischen Lehrer - eine ganze Reihe ist das, die sich auf den Fluren der Universitäten jetzt genauso abspielen könnte. Und es gilt für den zuschlagenden und sich modern findenden Machofreund, der heute auch in Berlin um die Ecke leben könnte. "Blaupause" legt so die inneren Widersprüche und Heucheleien einer Avantgarde der zwanziger Jahre offen und erzählt im selben Atemzug die der Szenezirkel von heute. So ist dieses beeindruckende literarische Debüt von Theresia Enzensberger eine Befreiungsgeschichte. Am Ende hat Luise Schilling die Vergangenheit abgerissen und kann die Zukunft bauen.

JULIA ENCKE

Theresia Enzensberger: "Blaupause". Roman. Hanser, 256 Seiten, 22 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Theresia Enzensbergers Debütroman erzählt eine Coming-of-Age-Story, die gleichzeitig eine "Emanzipationsgeschichte" ist, stellt Rezensentin Nora Voit fest: Eine junge Frau versucht sich Anfang des 20. Jahrhunderts in einer von Männern dominierten Kunstwelt zu etablieren. Sie will eine neue Welt mitkreieren. Doch schnell muss sie feststellen, dass die patriarchalen Strukturen selbst dort, wo Gleichheit und Emanzipation propagiert werden, so tief eingegraben sind, dass jeder Befreiungsversuch aussichtslos erscheint, lesen wir. Geschrieben ist dies in einem Stil, den Voit "Blogger-Stil" nennt, in der Sprache der Gegenwart, was auf gewisse Weise konsequent sein mag, auf ihn jedoch eher ungelenk und unstimmig wirkt. Trotzdem liest Voit gern von Luise Schilling und ihrem Weg, der ein Kampf ist -  ein Kampf, der an Aktualität im Jahr 2017 wenig eingebüßt hat. Darin liegt die Kraft dieses Romans, so die abwägende Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"'Blaupause' gibt einen originellen Einblick in die Aufbruchstimmung der Zwanzigerjahre - die vom aufkommenden Faschismus brutal beendet wird." Andrea Benda, emotion, 11/2017

"Der Roman endet - und das ist Enzensbergers schöne Kunst - nicht fatalistisch, sondern in kühner, aus der Desillusionierung geborener Lebensklugkeit." Volker Weidermann, Literatur Spiegel, Oktober 2017

"Enzensberger gelingt es, die Faszination der Kunstschule einzufangen ... Immer wieder schimmern auch das politische Brodeln der Weimarer Republik und der aufkommende Rechtsdruck durch, was die leichtfüßige Emanzipationsgeschichte erschreckend aktuell wirken lässt." Sara Schausberger, Falter, 34/17

"Ein hochintelligenter Roman. Im Kern ist er ein Appell an die Gegenwart. Er fordert den Leser heraus, die Gefahren für eine gleichberechtigte, demokratische Gesellschaft nicht nur an deren Rändern zu identifizieren, sondern auch in den Widersprüchen ihrer Mitte." Tomasz Kurianowicz, Die Zeit, 03.08.17

"Was wie ein historischer Roman im Bauhaus-Milieu angelegt ist, entpuppt sich als moderne Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau, die ihren Platz im Leben sucht." Nicola Steiner, SRF2, 30.07.17

"Ein in jeder Beziehung kluger, exzellent recherchierter und spannender Roman, der Beachtung verdient." Annkathrin Bornholdt, NDR Kultur, 19.07.17

"'Blaupause' legt die inneren Widersprüche und Heucheleien einer Avantgarde der zwanziger Jahre offen und erzählt im selben Atemzug die der Szenezirkel von heute. So ist dieses beeindruckende literarische Debüt von Theresia Enzensberger eine Befreiungsgeschichte." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.07.17

"'Blaupause' kratzt am Bauhaus-Mythos, aber nicht in denuziatorischer Absicht. Der Roman ist auf eine unaufdringliche Weise gelehrt und lehrreich, frei von Stereotypen und unterhaltsam. Es ist keine kleine Leistung, einen historischen Roman zu schreiben, der fiktionales und reales Personal zusammenbringt und zugleich Wege in die Gegenwart ebnet. Theresia Enzensberger ist dieses Kunststück gelungen." Christoph Schröder, Tagesspiegel, 15.07.17
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Ein Roman, der Geschichte lebendig macht. ELLE DECORATION 20190901